Interview mit Prof. Udo Steinbach
Israel tut alles, Herr Netanjahu tut alles, um die politische Agenda im Nahen Osten zu verändern, weg von Palästina und hin zu Iran.
ParsToday: Herr Prof. Steinbach, ich darf Sie ganz herzlich begrüßen zu diesem Interview.
Steinbach: Einen herzlichen Gruß nach Teheran.
ParsToday: Ja, vielen Dank. Herr Prof. Steinbach, Sie sind von einer Irak-Reise gerade zurückgekehrt. Deshalb möchte ich Sie als erstes fragen, was für Ziele Sie dort verfolgt haben?
Steinbach: Ja, eigentlich war ich eingeladen nach Kerbela, zur Feier des Geburtstages von Imam Hossein in dem großen Heiligtum. Ich war der einzige Nicht-Muslim, der einzige Europäer, der als Gast eingeladen worden war, ein paar Worte dazu zu sagen. Das ist natürlich ein gewaltiges Ereignis in jedem Jahr vor vielen hunderten von Menschen. Also es war eigentlich ein eher religiöser Hintergrund. Aber ich bin dann nach meinen Ausführungen doch sehr bald nach Bagdad zurückgekehrt. Gerade vor dem Hintergrund, den Sie angedeutet haben, es waren Wahlen bzw. es war eben Wahlkampf, als ich noch vor drei Wochen da war. Und es war extrem spannend zu sehen, wie sich die Öffentlichkeit oder wie sich auch die Politiker darauf eingestellt haben.
ParsToday: Herr Prof. Steinbach, was konnten Sie dort in Bezug auf Wahlen in Erfahrung bringen?
Steinbach: Also, in Bezug auf die Wahlen kann man in Erfahrung bringen, dass der Wahlkampf sehr ausgeprägt war, sehr intensiv gewesen ist. Der spielte sich ja mehr oder weniger auf der Straße ab, in Form von tausenden, von zehntausenden von Plakaten, in Bagdad, aber eben auch in anderen Städten. Also, man hatte schon versucht, Profil zu zeigen. Man hat Programmatisches gesagt. Das war die eine Seite. Die Wahlen waren sehr präsent in der Öffentlichkeit. Auf der anderen Seite hatte ich das Gefühl in meinen Gesprächen sowohl mit der Öffentlichkeit als auch mit Politikern, auch Parlamentariern - noch Parlamentariern muss ich sagen - dass das Vertrauen in die Politik, das Vertrauen in die Politiker, das Vertrauen in, dass man über Wahlen und über ein Parlament etwas verändern, etwas entwickeln könne, dass das Vertrauen extrem gering ist. Ich habe auch Parlamentarier gesprochen, die gar nicht mehr angetreten sind, die gesagt haben: "wir können sowieso nichts erreichen, in diesen Wahlen und deswegen kandidiere ich nicht mehr". Also, das ist wirklich eine Kluft. Auf der einen Seite spielt man Demokratie sozusagen, auch gerade in der Öffentlichkeit. Auf der anderen Seite wird die Demokratie in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen als eine Staatsform, als eine Regierungsform, mit der man Probleme lösen kann. Und die Probleme, die anstehen, die kann man im Irak sozusagen in jedem Augenblick wahrnehmen: Die ökonomischen Probleme, das Elend, die Zerstörung. Und hier muss man sich wirklich fragen ob die Politiker, die politische Klasse entschlossen genug ist, die Dinge zu verändern, oder ob sie weiterhin nur mit der Demokratie spielt und sozusagen die eigenen Taschen füllt.
ParsToday: Herr Prof. Steinbach, worauf führen Sie diesen Rückgang des Vertrauens in die Politik zurück? Denn Ministerpräsident Al-Abadi hatte in etwa das eingelöst, was er versprochen hatte.
Steinbach: Ja das ist richtig. Also ich hatte auch eine Einschätzung wie Sie von Herrn Abadi. Aber, wenn man andere hört, und selbst Herrn Maliki - ich habe auch Herrn Maliki gesprochen, eine ganze Stunde lang - da gewinnt man doch den Eindruck, dass man nicht das Gefühl hat, wirklich selbst bestimmt zu werden. Im Klartext heißt das, dass mir viele Politiker gesagt haben, eigentlich Land auf und ab, das war ein Konsens, wir regieren ja gar nicht mehr uns selbst, sondern wir werden regiert. Wir werden regiert von Iran, von Teheran aus. Da sind die Marionetten in der irakischen Regierung, die Marionetten Irans, die regieren. Und dann sind da die schiitischen Milizen, die sozusagen dieses iranische System im Irak stützen. Also das war ein sehr starkes Argument. Wir sind ja gar nicht mehr selbstbestimmt. Wir sind gar nicht in der Lage, sondern andere Mächte von außen bestimmen uns. Iran war der eine Punkt. Der andere Punkt waren die Vereinigten Staaten. Dass man eben immer noch sagt, hinter jedem Baum ist ein Amerikaner, und wir sind von den Amerikanern bestimmt. Die Amerikaner haben hier ihre Leute. Die versucht man nun aufzubauen gegen Iran, gegen den iranischen Einfluss im Irak. Und dann sind da auch noch die Saudis und diese und jene. Also dieser Defätismus hat sehr viel zu tun mit der Vermutung in der Öffentlichkeit oder der Wahrnehmung in der Öffentlichkeit, dass der Irak keine eigene Politik hat. Und das Andere ist dann eben die Korruption - das wird auch ganz offen angesprochen - dass die Politiker nicht bereit sind, sich nicht in der Lage sehen, nun das Wohl des Ganzen ins Auge zu fassen, sondern dass Politik im Grunde als Strategie der persönlichen Bereicherung aufgefasst wird. Diese Beiden Elemente, Fremdbestimmtheit und Korruption, das ist das, was die Menschen umtreibt und was ihnen die Lust nimmt, sich demokratisch am politischen Prozess zu beteiligen.
ParsToday: Herr Prof. Steinbach! Aber, wenn wir uns die Wahlergebnisse anschauen, dann stellen wir leicht fest, dass das Sadr-Lager, das eine eigenständige Politik betreiben will, die Wahlen für sich entschieden hat. Wie wird das denn beurteilt?
Steinbach: Also, das kann ich nicht sagen, weil ich vor den eigentlichen Wahlen aus dem Irak wieder abgereist bin. Aber noch einmal. Abadi, Wir haben von außen gesehen, auch von Europa aus gesehen, haben eine relativ positive Einschätzung. Aber, diese positive Einschätzung von Abadi wird eben nicht in der Öffentlichkeit geteilt. Muqtada al-Sadr steht dann da als eine Protestwahl. Man wählt jemanden, der gar nicht aus dem Establishment kommt. Man setzt auf die Hoffnung, dass Muqtada al-Sadr vielleicht sogar eine Art von korrigierender Rolle spielen könnte, auch was Saudi-Arabien betrifft. Was eine Annäherung betrifft zwischen Iran und den Saudis. Dafür steht Muqtada al-Sadr, der ja ein paar Mal in Saudi-Arabien gewesen ist. Man hat das Gefühl, dass hier tatsächlich eine Protestwahl stattgefunden hat, an dem bestehenden politischen Establishment vorbei. Und dies hat eben auch Herrn Abadi getroffen, der zu diesem politischen Establishment gezählt wird, und der dann entsprechend abgestraft worden ist von Wählern. Mit der Perspektive, dass man sich jetzt fragt, ja, wer kann denn den Irak überhaupt regieren?
ParsToday: Herr Prof. Steinbach! Aber wenn man die Sicherheit im Lande betrachtet, da kann man auch leicht feststellen, dass dort eine gewisse Ruhe eingekehrt ist.
Steinbach: Ja, das ist richtig. Aber der Preis ist sehr hoch, muss man sagen und zwar ganz wörtlich. Ja, es ist richtig, es ist eine gewisse Ruhe eingekehrt. Der Islamische Staat ist besiegt. Ich bin nicht in Mosul gewesen, aber die Zerstörungen sind enorm. Ja, es ist eine gewisse Ruhe eingekehrt. Die Menschen sind natürlich auch in gewisser Weise erschöpft, das ist wahr. Aber noch einmal: man fährt von Checkpoint zu Checkpoint. Ich werde vom Flughafen abgeholt von drei Jeeps, die gepanzert sind. Im ersten Jeep sitzt die Bodyguard, im letzten Jeep sitzt die Bodyguard, in der Mitte sitze ich selber. Und dann fährt man von Checkpoint zu Checkpoint. Das ist alles schon noch Realität. Also, das Land ist weit davon entfernt, befriedet zu werden. Und man hat das Gefühl, dass dies eine Art von Scheinruhe ist. Dass wenn die Politik nicht funktioniert, wenn die Politik die Dinge nicht in den Griff bekommt, dann eben tatsächlich die Milizen weiterhin das Rennen machen werden. Also der Irak hat zwar einen wichtigen Schritt nach vorne getan oder zwei wichtige Schritte nach vorne getan, indem man den Islamischen Staat besiegt hat. Aber einen Schritt zurück wieder, in dem tatsächlich das Klima der Militanz noch weiter vorherrscht.
ParsToday: Herr Prof. Steinbach, Sie sagten vorhin, dass Sie fast eine Stunde lang mit dem ehemaligen irakischen Ministerpräsidenten Al-Maliki gesprochen haben. Was ist Ihr Eindruck?
Steinbach: Also, mein Eindruck von Maliki war besser, als ich es sozusagen erwartet hatte. Er ist ein Mann von etwas asketischem Auftritt. Man hat aber das Gefühl, er meint, was er sagt. Und er war mir gegenüber sehr offen. Ich habe ihn natürlich auf bestimmte Dinge angesprochen. Ich habe ihn auf die Korruption angesprochen, die man ja auch Herrn Maliki anlastet. Ich habe ihm gesagt, Sie gelten als jemand - in Europa zumindest auch in Deutschland - der die konfessionalistische Karte gespielt hat, das heißt, die schiitische Karte gegen die sunnitische Karte gespielt hat. Damit habe ich ihn wirklich ganz offen konfrontiert. Nun, das hat ihn wahrscheinlich nicht mehr überrascht. Das werden ihm viele Leute sagen. Aber bei seinen Antworten hatte ich wirklich das Gefühl, dass er ehrlich ist. Und er sagte tatsächlich, "was kann ich dafür?" Und hier wieder: alles Schlechte kommt von außen. "Was kann ich dafür, dass ich hier unter Druck gesetzt werde, von der schiitischen Seite?" Damit meint er Iran. Und er hat dann tatsächlich auch die Karte gespielt, die ich vorhin erwähnt habe. "Alles kommt von außen und wir sind ja total fremdbestimmt." Also, da hatte ich den Eindruck, dass er offen ist, dass er auch reflektiert, dass er auch kritisch und selbstkritisch reflektiert. Da fragte ich, was würden Sie machen, wenn Sie wieder Ministerpräsident würden? Da ist er dann ausgewichen und hat kein klares Konzept gehabt. Also, was die alle sagen und was auch Maliki gesagt hat: wir müssen erst den ausländischen Einfluss, den Einfluss von außen abwehren, und dann können wir zu einer wirklich irakischen Politik kommen, die am national irakischen Interesse orientiert ist.
ParsToday: Herr Prof. Steinbach! Was fehlt im Irak Ihrer Ansicht nach?
Steinbach: Ich deutete das ja bereits an. Das Land hat Ressourcen. Darin ist ja gar kein Zweifel, das wissen wir alle, Öl und Gas. Im Grunde ist das Land reich. Aber wohin verschwinden diese Ressourcen? Sie verschwinden in die Taschen von Leuten. Das heißt, die Korruption ist das A und O. Das muss erst in den Griff bekommen werden. Und das ist extrem schwierig. Das ist die eine Seite. Und die andere Seite ist tatsächlich, das ist der starke iranische Einfluss sowohl in der Regierung, als auch in den Milizen. Also wie kann man diesen Einfluss wieder zurückdrängen? Und ich denke, da liegt auch eine Aufgabe für die europäische Politik jetzt, dem Irak unter die Arme zu greifen. Und den Irak und die irakische Regierung, auch die neue Regierung, wenn sie denn zustande kommt, zu schützen. Und auch das ist natürlich wieder - hier kommt eins zum anderen - wenn eine europäische Politik, die im Irak versucht zu helfen und zu unterstützen, die muss sich natürlich gleichzeitig mit Iran in irgendeiner Weise vergleichen. Iran ist nun mal eine Macht in der Region. Und wenn wir den Trump jetzt haben und das Atomabkommen tatsächlich gekündigt wird, dann werden die Iraner natürlich alles tun, um im Irak ihre Position weiterhin zu verstärken, auch in Syrien. Also hier hängt alles mit allem zusammen. Und am Ende sind wir doch wieder bei der europäischen Politik. Ja europäische Politik muss sein. Sie sollte stark auftreten. Aber wie wir am Anfang sagten, die Grenzen sind auch da.
ParsToday: Herr Prof. Steinbach! Dem Iran geht es in erster Linie darum, dass im Nachbarland Irak Ruhe und Sicherheit herrschen. Und wie sie auch eben angedeutet haben, diese fehlen in diesem Land. Deshalb kann Iran nicht einfach dem, was in diesem Land vor sich geht, gleichgültig bleiben.
Steinbach: Ja, das ist ganz richtig, Herr Shahrokny. Nur, was sind die Interessen Irans? Wenn Iran wirklich Interesse an einem stabilen Irak hat, dann muss man die Sicherheitskräfte im Irak selber unterstützen, und nicht irgendwelche Milizen. Da fehlt es eben tatsächlich auch an Einsicht auf der iranischen Seite. Wobei ich natürlich die Iraner auch in gewisser Weise verstehe, so lange man in Washington einen Idioten wie Herrn Trump hat, dann muss man natürlich sehen, wie man auch außerhalb der Landesgrenzen seine Sicherheit gewährleistet. Aber, dass Iran eine Macht ist, die selbstlos an der Stabilisierung des Irak interessiert wäre, ich glaube darüber könnte man lange diskutieren und auch ziemlich ernsthafte Zweifel anmelden. Iran ist eben eine Macht, die eine starke Ausstrahlung hat. Die Iraner sehen ihre Sicherheitsparameter in regionaler Dimension. Da ist auch Saudi-Arabien. Da sind die Amerikaner. Und solange diese Dinge so komplex sind, solange wird der Irak ein Problem haben, sich aus sich selbst und in sich selbst zu stabilisieren.
ParsToday: Herr Prof. Steinbach! Welche Perspektive sehen Sie für das Land?
Steinbach: Also, Herr Shahrokny, ich denke ... Ich bin sehr skeptisch zurückgekommen. Das muss ich sagen. Wenn ein Weg der Entwicklung und der Stabilisierung begangen und beschritten werden sollte, dann ist es aber zumindest ein sehr langer Weg. Und wir haben einen Faktor noch gar nicht besprochen in unserem Interview gerade. Das ist diese israelische Dimension. Israel tut alles, Herr Netanjahu tut alles, um die politische Agenda im Nahen Osten zu verändern, weg von Palästina und hin zu Iran. Und wenn es da tatsächlich nach der Kündigung des Abkommens zu einem Krieg käme, zu einem Angriff käme, den ja Herr Netanjahu zumindest im Kalkül hat, dann können wir die Stabilisierung nicht nur des Irak, sondern der ganzen Region vergessen. Und das können wir nicht einfach ausschließen. Das ist eine Realität, die tagtäglich Schlagzeilen in der Presse bestimmt.
ParsToday: Vielen Dank Herr Prof. Steinbach für diese Einschätzungen?
Steinbach: Bitte schön Herr Shahrokny.