Interview mit Willy Wimmer: Droht der Region ein neuer Krieg?
(last modified Thu, 09 Jan 2020 10:11:03 GMT )
Jan 09, 2020 11:11 Europe/Berlin

"Die Ermordung des Kommandeurs der iranischen Al-Quds-Brigaden ist völkerrechtswidrig und widerspricht allen internationalen Normen, die es im Zusammenleben zwischen den Staaten gibt", stellt der CDU-Politiker Willy Wimmer fest.

ParsToday: Herr Wimmer, der Konflikt zwischen den USA und Iran spitzt sich zu. Vor einigen Tagen ist einer der wichtigsten Generäle von Iran bei einem US-Raketenangriff ums Leben gekommen. Zunächst darf ich Sie um Ihren Kommentar  bitten.

Wimmer: Das ist in wenigen Worten zunächst einmal gesagt. Die Ermordung von General Soleimani war völkerrechtswidrig und widerspricht allen internationalen Normen, die es im Zusammenleben zwischen Staaten gibt. Aber das Schlimme an dieser Ermordung ist ein anderer Umstand, der international bekannt ist. Wir kennen alle die Situation im Nahen und Mittleren Osten und wir können diese Situation auch über Jahrzehnte hinweg beurteilen. Deswegen wird da jeder seine Meinung zu haben. Aber das Interessante war vor einigen Jahren, dass wir in dieser schwierigen Situation durch eine gemeinsame internationale Anstrengung das Nuklearabkommen mit dem Iran haben schließen können. Und das wurde international als ein gelungener Versuch gesehen in dieser schwierigen Situation im Nahen und Mittleren Osten, wo jederzeit ein Flächenbrand drohen kann, doch Hoffnung auf eine friedensbestimmte Entwicklung garantieren zu können. Und das ist alles sehr Hoffnungsvoll gelaufen, übrigens auch unter Beteiligung der Vereinigten Staaten und dabei vor allen Dingen der Regierung Obamas. Das Entsetzliche ist, dass der amerikanische Präsident Trump durch seinen Ausstieg aus diesem Atomabkommen, den Weg wieder geöffnet hat, zu einer Flächenbrand-Situation im Nahen und Mittleren Osten. Das war das Erste, was man in diesem Zusammenhang sagen muss. Das Zweite: Wenn die Aussagen des irakischen Ministerpräsidenten zutreffen, war ja General Soleimani auf dem Weg in Zusammenhang mit einer internationalen Mission nach Bagdad, ausgehend offensichtlich, nach Darstellung des irakischen Ministerpräsidenten von einer saudischen Initiative, und General Soleimani war auf dem Weg nach Bagdad zum Ministerpräsidenten, um die iranische Antwort auf diese Initiative zu überbringen. Einen solchen Emissär zu ermorden, in Zusammenhang mit einer hoffnungsvollen Mission, macht ja eigentlich deutlich, mit welcher Intention der Präsident der Vereinigten Staaten in dieser Region tätig ist. Und deswegen ist das, was da passiert ist, ein eklatanter Verstoß, nicht nur gegen alle Regeln des Völkerrechts, sondern gegen die Interessen der gesamten Menschheit, in dieser Region nach Jahrzehnten auf eine amerikanisch bestimmte Kriegführung endlich einmal hoffnungsvolle Signale in Zusammenhang mit einer friedensbestimmten Lösung abgeben zu können. Und das macht aus meiner Sicht und aus der Sicht der meisten meiner Landsleute die Tragik in Zusammenhang mit dieser Ermordung des Generals Soleimani deutlich.

 

ParsToday: Herr Wimmer, was hat den US-Präsidenten zu diesem schrecklichen Schritt veranlasst?

Wimmer: Das ist natürlich Gegenstand nicht der Gewissheit, sondern der Spekulation. Es sind bestimmt Überlegungen, die national und auch international festgemacht werden müssen. Die Vereinigten Staaten sind über ihrer schrecklichen Kriegführung im Nahen und Mittleren Osten. Und dann muss man ja nur an die Millionen getöteter Iraker in diesem Zusammenhang erinnern. Die sind in einer Situation, dass sie mit ihrem Engagement Grenzen erreicht haben. Auch Grenzen in Zusammenhang mit der eigenen Fähigkeit, Kriege führen zu wollen und zu können. Und vor diesem Hintergrund wird man international die Frage beantworten müssen: gelingt es der amerikanischen Seite unter diesem Präsidenten oder seinem Nachfolger, sich aus dieser endlosen Kriegführung zu befreien? Und lassen das innenpolitische Kräfte in den vereinigten Staaten überhaupt zu? Denn, wir wissen ja seit Jahrzehnten, um nicht zu sagen seit mehr als einem Jahrhundert, dass die Vereinigten Staaten im Wesentlichen aus Kriegführung bestehen. Schlimmer als jede andere Nation auf diesem Globus. Und das ist natürlich dann eine Frage an den sogenannten Tiefenstaat in den Vereinigten Staaten. Das Zweite, was man aber auch in Zusammenhang mit Afghanistan und mit anderen Ländern in der Region sehen muss: Die Gegner der Vereinigten Staaten haben unter Umständen auch ein Interesse daran, dass sich die Vereinigten Staaten nicht aus dieser Region lösen können, weil das die größte Gewissheit dafür ist, dass die Vereinigten Staaten in Turbulenzen und existentielle Schwierigkeiten kommen. Das sind alles Überlegungen, die man in diesem Zusammenhang offen artikulieren muss, um auf die Frage zu antworten, was hat eigentlich einen Präsidenten Trump geritten, so etwas zu machen. Vor dem Hintergrund seiner eigenen Zusage an die amerikanischen Wähler, mit diesen endlosen amerikanischen Kriegen, die nur Elend über die Welt bringen, aufzuhören. Und da muss man mit aller Nüchternheit sehen, in Zusammenhang mit der inneramerikanischen Begründung für diese Ermordung, und das kann man bei dem bekannten britischen Botschafter Murray, der früher in Taschkent für das Vereinigte Königreich tätig war, kann man bei dem nachlesen. Die Begründung für diesen Mord, denn es war nichts Anderes, den kann man nachlesen im sogenannten Bethlehem-Doktrin, die jemand für den israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu entwickelt hat, um außergesetzliche Tötungen in Zusammenhang mit der eigenen Rechtsordnung auch nur rechtlich bemäntelt zuzulassen. Und vor diesem Hintergrund kann ich nur sagen, das Gerede mit der immanenten Gefahr ist ausschließlich darauf gerichtet, den Vereinigten Staaten oder anderen Staaten die Möglichkeit zu geben, jeden Menschen auf dieser Welt zu ermorden, wenn es im Interesse der Vereinigten Staaten oder jemand anders ist. Und das wird derzeit in Washington sichtbar und die Diskussion im amerikanischen Kongress macht deutlich, dass in Amerika nicht alle auf diesem Trip sind.

 

ParsToday: Lassen Sie mich hier nachhaken und hier noch einen Punkt  erwähnen. Und zwar: kann überhaupt Iran Interesse daran haben, sich mit der Supermacht USA anzulegen?

Wimmer: Also, das wäre ein selbstmörderisches Unterfangen und - das muss man ja mit allem Nachdruck sagen - eine Kulturnation, wie der Iran, der über eine tausendjährige Geschichte und Erfahrung verfügt, der wird zu einem solchen Schritt genau so wenig bereit sein, wie andere Staaten, die auch über eine so lange Tradition verfügen. Und selbst Staaten jüngeren Datums werden zu einem solchen Wahnsinn nicht in der Lage sein. Aber die Situation im Nahen und Mittleren Osten ist ja nicht davon bestimmt, dass die Huthies oder die Iraner oder die Kataries oder die Syrer oder wer auch immer sich aufmacht, um sich mit der Supermacht Amerika anzulegen, sondern Amerika walzt alle Staaten platt, die es in dieser Region gibt, wie es das in anderen Teilen der Welt auch gemacht hat. Die walzen alles platt, und wer damit nicht einverstanden ist, der erleidet das Schicksal, das der Irak zwei Mal in den zurückliegenden Jahrzehnten in Zusammenhang mit amerikanischen Aggressionen erlebt hat. Wer dem nicht zustimmt, lebt gefährlich, und das macht die Situation in dieser Region und in anderen Teilen der Welt genauso deutlich.

 

ParsToday: Herr Wimmer, lassen Sie mich ein paar Spekulationen und Ansichten hier erwähnen und Sie dann  um eine Stellungnahme bitten. Der Iran-Konflikt nützt allein dem amerikanischen Präsidenten, der ja Zuhause unter enormem Druck steht. Dazu würde ich gerne Ihren Kommentar hören!

Wimmer: Ja, das haben wir ja schon seit der Präsidentschaft von Bill Clinton gesehen in Zusammenhang mit dem völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien. Da sind ja sogar Filme drüber gedreht worden, die sich mit dieser Überlegung beschäftigen, dass amerikanische Präsidenten, dann, wenn ihnen das Wasser Zuhause zum Hals steht, zu kriegerischen Aktivitäten in anderen Teilen der Welt greifen. Das ist ja jetzt keine Spekulation, sondern das sind Überlegungen, die wir in den letzten 30 Jahren zu unserem Leidwesen häufiger anstellen mussten. Und das macht natürlich deutlich, mit welcher Situation wir es in Washington zu tun haben. Das ist tragisch für die vereinigten Staaten und für uns, für uns alle. Denn, was die Situation in den USA anbetrifft, wir sehen ja jetzt schon, in Zusammenhang mit der Ermordung Ihres Generals, das in Washington und in Amerika eine Diskussion darüber entbrennt, endlich mit diesen Kriegen aufzuhören, weil die Leute in Amerika es ja selber als Tragik empfinden, immer wieder ihre Kinder nur Zinksärgen nach Hause zurückgeschickt zu bekommen. Das macht ja deutlich, dass hier weder die internationale Gemeinschaft, noch das eigene Land von einem Präsidenten eingeschätzt werden, wie es ist, um Ziele zu erreichen, tja bei denen man spekulieren muss.

 

ParsToday: Herr Wimmer, Iran kündigte Rache an. Nun es ist einiges inzwischen geschehen. Wie bewerten Sie Trumps Erklärung ein Tag nach dem Raketenangriff Irans auf zwei US-Militärbasen im Irak? Ist damit die Kriegsgefahr vorerst gebannt?

Wimmer: Also, man kann in Zusammenhang mit den Erklärungen bestimmt sagen, dass Zeit gewonnen worden ist. Denn das ist vielleicht das Einzige, was man in einer solchen Situation, als positive Entwicklung ansprechen will und kann. Aber ich will in diesem Zusammenhang natürlich deutlich machen, es gibt ja nicht nur die unmittelbar beteiligten Parteien, sondern es gibt die öffentliche Meinung in der gesamten Welt. Also, die Weltgemeinschaft, die ja auch mit einem Flächenbrand von Krieg konfrontiert worden ist, die hat eine Meinung dazu. Und deswegen ist es nicht nur eine Frage an alle Seiten, sich zurückzuhalten und das Völkerrecht zu beachten, und das muss man auch wirklich an die Adresse der Vereinigten Staaten auch in Zusammenhang mit den Städten des Weltkulturerbes sagen, sondern es kommt auch darauf an, sich in der Sprache so zu mäßigen, dass nicht weiter Gründe gegeben werden, um die Dinge eskalieren zu lassen. Die Frage ist die, ob man in Zusammenhang mit der gewonnenen Zeit, nur den Beginn eines Konfliktes hinausschiebt, oder ob man diese Zeit nutzt, um über Kanäle, die ja bestehen, zu vernünftigen Lösungen beizutragen. Wenn man in dieser Region die Staaten platt machen will, die sich dem amerikanischen Willen widersetzen, dann wird man nie auf dieser Erde zu einer vernünftigen Lösung kommen. Denn das wird sich jeder merken.

 

ParsToday: Herr Wimmer, ich werde gerne auch einige Wörter zur europäischen Haltung verlieren. Sie wissen ja, nach der Ermordung von General Soleimani, schwiegen die europäischen Staaten, während sie den Raketenangriff des Iran sofort verurteilten. Ist das nicht eine Politik der Doppelmoral?

Wimmer: Also, die europäischen Staaten sind mit Sicherheit nicht mit in der Situation einer größeren Bewegungsfreiheit oder einer Unabhängigkeit, wie das in der Zeit von Helmut Kohl in Zusammenhang auch mit der Region Naher und Mittlerer Osten gesagt werden muss. Wir Deutschen haben immer in Zusammenhang mit der Gesamtlage in dieser Region, gute Ansprechsmöglichkeiten gegenüber jedermann gehabt, um konstruktiv zur vernünftigen Lösung beizutragen. Unter der Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich diese Bereitschaft, mit allen reden zu wollen und zu können nahezu verflüchtigt. Und das macht natürlich deutlich, in welcher Situation sich nicht nur die Bundesrepublik Deutschland, sondern auch die anderen europäischen Staaten  befinden. Wir haben amerikanische Truppen im Land stehen. Das beantwortet jede Frage danach, wie unser Handlungsspielraum ist. Und vor allen Dingen vor dem Hintergrund der Entwicklungen seit dem Krieg gegen Jugoslawien. Das muss man nüchtern sehen, wie es ist. Vor allen Dingen auch deshalb, weil wir uns ja außerhalb des Geltungsbereiches des vereinbarten NATO-Vertrages  leider in Anbetracht der amerikanischen Anforderungen bewegen müssen. Das entschuldigt nichts, aber das erklärt das Eine oder Andere. Und deswegen wird es jetzt für uns darauf ankommen, über die Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten und vor allen Dingen nach der Rede des amerikanischen Präsidenten Trump gestern, sicherzustellen, dass der NATO-Vertrag, nicht entgegen seiner vertraglichen Festlegung auf eine Region ausgedehnt wird, mit der wir als militärische Organisation nichts zu tun haben. Das amerikanische Interesse mag ein anderes sein. Aber unser Interesse besteht nicht dahingehend, dass wir den NATO-Vertrag, der dafür nicht bestimmt ist und bestimmt war, auf diese Region ausdehnen. Das heißt, es ist nicht nur die Frage nach dem europäischen Schweigen. Es war ja auch so, dass der amerikanische Außenminister Pompeo sich über die ersten und zweiten und dritten europäischen Reaktionen öffentlich geärgert hat. Also vor diesem Hintergrund muss man die Dinge so sehen, wie sie auch unserem Interesse entsprechen, und das ist darauf gerichtet, einen Konflikt erst gar nicht entstehen zu lassen. Zweitens, die Intention des Atomabkommens mit dem Ian aufrecht zu erhalten. Das heißt irgendwo eine Insel der Stabilität zu schaffen, die Ausstrahlungen hat auf die anderen Konfliktherde in dieser Region, und nicht den amerikanischen Weg zu gehen. Manchmal muss man den Eindruck haben, dass der amerikanische Präsident, der ja mal angetreten ist, sich von Frau Clinton zu unterscheiden in der Kriegsbereitschaft, dass der Verträge dieser Art, auch die Ermordung des General Soleimani in Kauf nimmt, um selber als der große Vertragsgestalter darstellen zu können, dass wir die Welt selber beurteilen müssen.

 

ParsToday: Herr Wimmer, erlauben Sie mir nur noch eine letzte Frage. Sie haben einiges über diesen Konflikt gesagt. Nun möchte ich die Perspektive des Iran-USA-Konfliktes aus Ihrer Sicht hören.

Wimmer: Ja, das ist ja eine Entwicklung, die mit der Beseitigung des persischen Ministerpräsidenten Mosaddegh in der jüngeren Geschichte angefangen hat, und zwar im amerikanisch-britischen Interesse. Und die Entwicklung in Iran oder im früheren Persien, die muss ja gesehen werden vor dem Hintergrund der britischen Kolonialherrschaft, gegen die sich dann inneriranische, innerpersische Kräfte aufgelehnt haben, mit Konsequenzen bis heute. Das heißt, wir haben es mit einer Entwicklung zu tun, die weit länger als 70 oder 80, sondern 100 und 150 Jahre zurückgeht. Das muss man sehen, das muss man fair beurteilen. Und wenn wir uns die Entwicklung in dieser Region ansehen, dann haben wir eine dramatische Entwicklung nach der anderen. Und wir haben vor allen Dingen, eine Erfahrung, die ich mit Japan in Verbindung bringen will. Die Welt Japans in dem zweiten Weltkrieg hängt zentral mit dem Versuch der Vereinigten Staaten zusammen, Japan als Nation zu strangulieren und ökonomisch aus der Welt auszuschließen. Diese Politik wird jetzt gegenüber dem Iran exekutiert. Und ich kann nur sagen, da soll sich keiner was vormachen, mit welcher Dimension wir es da zu tun haben.

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