Interview mit Willy Wimmer
(last modified Tue, 30 Apr 2019 13:54:17 GMT )
Apr 30, 2019 15:54 Europe/Berlin

Der Krieg gegen Jugoslawien, der zur Loslösung des Kosovo und der Anerkennung als unabhängiger Staat im Gegensatz zur Resolution 1244 geführt hat, ist völkerrechtswidrig gewesen und Unrecht kann kein Recht zur Folge haben.

ParsToday: Balkan Gipfel im Kanzleramt: Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Emmanuel Macron haben in Berlin die Vertreter von acht Balkan-Staaten an einen Tisch zusammengebracht. Was waren  Ziele dieses Gipfels?

Wimmer: Ja, wir wissen ja, dass auf dem Balkan die Dinge nicht in Ordnung sind. Vor allen Dingen  eine gute Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Staaten deshalb nicht stattfinden kann, weil wir immer noch die ungelöste Frage der Anerkennung des Kosovo im Raum stehen haben und eine Missachtung auch der europäischen Staaten für die UN-Resolution 1244, die ja in Zusammenhang mit dem Kosovo und der heutigen Republik Serbien gesehen werden muss. Da gab es Überlegungen möglicherweise für gutes Wetter zu sorgen - wie man in Europa so schön sagt - also atmosphärisch dazu beizutragen, die Dinge besser zu gestalten. Deswegen hat es dieses Treffen gegeben. Aber dieses Treffen offenbart von vornerein, dass derartige Bemühungen nicht von einem Erfolg gekrönt sein können, weil die teilnehmenden Staaten, also Deutschland und Frankreich - was diesen Gipfel anbetrifft - nun wirklich gegen die Charta der Vereinten Nationen mit ihrem Krieg gegen Jugoslawien verstoßen haben und damit das Völkerrecht gebrochen haben. Und die Anerkennung des Kosovo als unabhängiger Staat verstößt gegen die vorgenannte Resolution 1244. Das ist auf der einen Seite zu sagen. Auf der anderen Seite kann ich bedenken, dass dieses Treffen in Madrid und in anderen Hauptstädten der europäischen Union - wie man so schön sagt - sauer aufgestoßen ist, weil jede Bewegung auf dem Balkan in Zusammenhang mit der staatlichen Unabhängigkeit des Kosovo ruft in Spanien wegen Katalonien, auf Zypern wegen der Teilung und in anderen Staaten Unbehagen hervor und macht deutlich, dass Europa nicht mit einer Stimme sprechen. Die Position der Vereinigten Staaten will ich in diesem Zusammenhang einmal nicht erwähnen. Aber das muss man auch sehen.

 

ParsToday: Herr Wimmer, was waren dann die konkreten Hürden auf dem Weg der Anerkennung von Kosovo als ein unabhängiger Staat.

Wimmer: Der Grund besteht darin, dass der Krieg gegen Jugoslawien, der zur Loslösung des Kosovo und der Anerkennung als unabhängiger Staat im Gegensatz zur Resolution 1244 geführt hat, dass dieser Krieg völkerrechtswidrig gewesen ist und Unrecht kann kein Recht zur Folge haben. Deswegen sind viele Staaten auf der Welt der Auffassung, Kosovo ist kein unabhängiger Staat. Und wir wissen, dass jede Überlegung, die für den Balkan oder in Zusammenhang mit dem Kosovo angestellt wird, Folgen für den gesamten Balkan, für die gesamte europäische Union, wie wir wissen auch für die Entwicklungen auf den britischen Inseln und in anderen Teilen der Welt hat. Deswegen ist ein Herangehen an die ungelösten Fragen auf dem Balkan erst damit verbunden, dass man anderen vor den Kopf stößt und das werden die nicht mit sich machen lassen. Also der Ansatz für dieses Treffen gestern, der liegt im Nebel.

 

ParsToday: Es wurden dabei keine konkreten Beschlüsse gefasst, aber beide Länder versprachen die bestehenden Vereinbarungen voranzutreiben. Was heißt das?

Wimmer: Das heißt zunächst mal Garnichts. Das ist Diplomatengewäsch und soll nur zum Ausdruck bringen, dass das eigentlich ein Treffen gewesen ist, wobei man sich fragen muss, wofür man das überhaupt durchführt. Das kann man auch im Nachhinein nicht gesund reden oder auch nur in eine Richtung bringen, die vielleicht den Begriff "Erfolgsrecht" fertigen/verdienen  würde. Das war es nicht und das wird es auch nie sein.

 

ParsToday: Es waren Vertreter von acht Staaten bei diesem Treffen anwesend. Wie solle man das bewerten? Warum sind so viele Staaten eingeladen worden?

Wimmer: Das hat natürlich etwas mit der staatsrechtlichen Entwicklung auf dem Balkan zu tun. Das ist ja alle auseinandergefallen, was bis zum Ende des kalten Krieges in irgendeiner Weise ja noch zusammengehört hat. Also vor diesem Hintergrund ist das das Ergebnis eines Scheidungsprozesses der tausenden von Menschen bisher das Leben gekostet hat. Und das hat ja etwas damit zu tun, dass hier auf dem Balkan strategische Großfragen eine Rolle gespielt haben. Die Vereinigten Staaten haben ja kein Hehl daraus gemacht, dass es ihnen um zwei Dinge ging: Auf der einen Seite die Beseitigung Jugoslawiens, weil Jugoslawien nach Ende des kalten Krieges nutzlos geworden war,  in der Auseinandersetzung mit Moskau. Das war das Eine. Das Zweite: die Vereinigten Staaten haben ja bei der Konferenz von Bratislava Ende April 2000 keinen Hehl daraus gemacht, dass es auf dem Balkan um eine Revision von angeblichen Fehlentscheidungen des Generals Eisenhauer im zweiten Weltkrieg ging. D.h. es mussten amerikanische Bodentruppen auf dem Balkan stationiert werden und wir wissen ja, dass die Basis Bondsteel in Kosovo, die größte amerikanische Auslandsbasis überhaupt ist. Also vor diesem Hintergrund muss alles das, was auf dem Balkan abläuft vor dem Hintergrund großstrategischer Auseinandersetzungen gesehen werden. Ich habe ja selber in meinen langen Gesprächen mit dem iranischen Präsidenten Rafsandschani in der zweiten Hälfte der 90-er Jahre erfahren, in welcher Dimension man die auf dem Balkan anstehenden Fragen sehen muss. Die haben ja auch in den Überlegungen, wie man zwischen Israel und Palästina weiterkommen soll eine fast zentrale Rolle gespielt. Also, da kommt alles zusammen, was man als politische Wetterecke bezeichnen muss.

 

ParsToday: Lassen Sie mich hier nachhaken! Sie sagten gerade, dass Sie mit Präsident Rafsandschani zusammengekommen sind, um über Entwicklungen auf dem Balkan zu sprechen. Was hat Iran mit den Entwicklungen auf dem  Balkan zu tun?

Wimmer: Das hat eine Rolle gespielt im Zusammenhang mit der berühmten Iran-Contra-Affäre. Nachdem, was bei diesen Gesprächen in Teheran erörtert worden ist, auf die ich gerade Bezug genommen habe, war eine zentrale Persönlichkeit dieser Gespräche der amerikanische Senator Bob Dole, der ja auch als Präsidentschaftskandidat eine Rolle gespielt hat, und der über seine enge Verbindung zu den albanischen Kreisen in den Vereinigten Staaten großen Einfluss auf die Entwicklung in Zusammenhang mit der Zeit vor Ausbruch des völkerrechtswidrigen Krieges gegen Jugoslawien gespielt hat. Er hat versucht,  die albanische Seite durch eine spektakuläre Reise ins spätere Kriegsgebiet dafür zu gewinnen, die Vereinbarungen oder das Diktat von Rambouillet, der Amerikaner aus dem Februar /März 1999, anzunehmen. Und diese Dinge haben bereits in der Zeit Ende der 80-er Jahre eine Rolle gespielt. Das muss man in diesem Zusammenhang sehen und das macht deutlich, dass wir es auf dem Balkan mit einer strategischen Grundsituation zu tun haben, die weit über den Balkan hinausgeht. Und darüber haben wir in Teheran gesprochen.

 

ParsToday: Die Bundeskanzlerin hatte bei diesem Gipfel auf die "positiven Entwicklungen" verwiesen,  im Zusammenhang mit Nord-Mazedonien. Können Sie das uns  etwas näher erleuchten?

Wimmer: Ja, das ist ja wirklich ein Trauerspiel der Luxusklasse gewesen, dass seit dem Zerfall Jugoslawiens und der Unabhängigkeit  Nord-Mazedoniens von Belgrad, der Name dieses Staates so umstritten war, dass Griechenland in der Rivalität zum heutigen Nord-Mazedonien die Entwicklung dieses Landes geradezu lahmgelegt hat und erst als es einen Kompromiss im Zusammenhang mit dem Namen Mazedonien gegeben hat und sich heute dieser Staat Nord-Mazedonien nennt, ist dieser Konflikt etwas auf Eis gelegt worden. Es besteht eine Rivalität zum Namen Mazedonien. Die Griechen führen sich, was ihre staatliche Existenz anbetrifft, auf Mazedonien zurück und Mazedonien heißt heute Mazedonien. Und das macht eben deutlich, dass hier historische Auseinandersetzungen eine strategische Rolle gespielt haben. Und es hat ja seit 1992 bis heute gedauert, dass Nord-Mazedonien als vollgültiger Staat global eine Rolle spielen kann, so klein dieses Land auch ist. Und das macht deutlich, mit was wir es auf dem Balkan zutun haben. Also die Bemühungen, auf die Frau Dr. Merkel angesprochen hat, dass sie angeblich erfolgreich gewesen sind, sind aus meiner Sicht ein Musterbeispiel dafür, dass man in Europa nichts mehr zustande bringt.

 

ParsToday: Besteht Ihrer Ansicht nach die Chance,  in den festgefahrenen Konflikt zwischen Kosovo und Serbien neue Bewegung zu bringen?

Wimmer: Die sehe ich derzeit überhaupt nicht, weil sie in letzter Konsequenz auch zur Folge haben müssten, dass die Vereinigten Staaten und die russische Föderation, das heißt die Präsidenten Putin und Trump, dieses Thema im Rahmen ihrer Überlegungen berücksichtigen. Damit will ich nicht dafür plädieren, dass die Europäer ihre Hände in den Schoß legen sollen und die Dinge einfach weiter auf schlimme Entwicklungen zutreiben lassen. Aber so wie die Bundeskanzlerin und der französische Präsident das gestern in Berlin gemacht haben, wird das nicht werden.

 

ParsToday: Vielen Dank, Herr Wimmer, für dieses Gespräc!

Wimmer: Vielen Dank, Herr Shahrokny, und alles Gute nach Teheran!