Streit um Brexit in Britannien
Der Austritt Britanniens aus der Europäischen Union – Brexit – schien für die Bevölkerung dieses Landes, als sie ihm beim Referendum im Juni 2016 zustimmte, eine einfache und positive Sache zu sein – aber nun – drei Jahre später sind die damit verbundenen großen Probleme offensichtlich geworden.
In Wahrheit ist Brexit eines der wichtigsten Probleme seit 70 Jahren geworden und hat zu einer großen Kluft in diesem Land geführt.
In Britannien sind nicht nur auf Regierungs- und Parteiebene sondern auch unter der breiten Masse zwei große Fronten entstanden – die eine befürwortet den Brexit ob nun mit oder ohne Abkommen mit der EU und die andern wollen keinen EU-Austritt. Es ist einer großer Streit entstanden. Dieser konzentriert sich im Moment vor allen Dingen darauf, ob man ohne oder mit Abkommen die EU verlassen soll. Die Konfrontation von Premierminister Boris Johnson mit dem Britischen Unterhaus geht inzwischen über das Thema Brexit hinaus und hat zu einer Konfrontation zwischen Demokratie und autoritärem Führungsstil geführt. Brexit ist nicht mehr nur eine politische Frage. Er ist zu einem Prüfstein für die Identität des politischen Systems Britanniens geworden.
Brexit stellt zurzeit das wichtigste Problem für die britische Bevölkerung und ebenso ein Problem für die EU dar. Drei Jahre nach dem Referendum, bei dem die Entscheidung für den EU-Austritt fiel, ist die Lage unklar und einige wichtige Meinungsverschiedenheiten zwischen Britannien und der EU in Sachen Brexit scheinen unlösbar zu sein. Das hat zu ernsthaften Warnungen hinsichtlich einer Fortdauer dieser Situation und ihrer Gefahren hervorgerufen. Trotz der Vereinbarung, die Ende November 2018 zwischen London und Brüssel getroffen wurde, gelang es Theresa May, der Vorgängerin von Boris Johnson, trotz dreimaliger Abstimmung nicht, das Einverständnis des Unterhauses für diesen Brexit-Deal zu gewinnen. Daraufhin hat sie im Mai 2019 ihren Rücktritt erklärt. Sofort begann der Konkurrenzkampf innerhalb der Konservativen Partei um ihre neue Führung und den neuen Premierminister. Aus diesem Wetteifern ging schließlich Boris Johnson, ein strikter Verteidiger des Brexit - als Sieger hervorging. Johnson drohte mehrmals damit, dass Britannien bis zum 31. Oktober 2019, ob mit oder ohne Abkommen, die Europäische Union verlassen will.
Der Brexit mitsamt Konsequenzen ist inzwischen nur noch komplizierter geworden und seine politischen wirtschaftlichen und sicherheitsbezogenen Auswirkungen haben viele Besorgnisse erregt. Gemäß geheimen Dokumenten, an welche die britische Zeitung Sunday Times gelangt ist, droht Britannien bei einem Brexit ohne Abkommen mit der EU eine Verarmung. Aber auch die EU wird nicht von den negativen Folgen eines Brexits, wie er Boris Johnson vorschwebt, sicher sein und sich der Arbeitslosigkeit von 1,7 Millionen EU-Bürgern gegenübersehen.
Sachverständige sagen, dass ein Brexit ohne Abkommen Britannien mit einer schweren Wirtschaftsrezession konfrontieren wird. Der Inhalt geheimer Dokumente dieses Landes zeigt, dass ein Brexit ohne EU-Deal dem Land nicht nur im Bereich der Wirtschaft, sondern auch politisch und in Bezug auf die Sicherheit schwere Schäden bescheren wird. Es werden chaotische Zustände in den Häfen, Mangel an Brennstoff, Nahrung und Medikamenten und ein Anstieg der Kosten für soziale Dienstleistungen und Spannungen an den Grenzen und Sicherheitsfragen in Bezug auf Irland und weitere Komplikationen vorausgesehen, falls Britannien vor seinem Austritt kein Abkommen mit der EU vereinart. Aber trotz aller Warnungen betont Premierminister Johnson, dass Britannien am 31. Oktober die EU verlässt, und zwar auch ohne Vereinbarung mit der EU.
Einige britische Parlamentsabgeordneten sind der Ansicht, dass Johnson auf diese Weise nicht nur die Wirtschaft und Sicherheit Britanniens gefährdet, sondern das Land auch dem Einfluss des US-Präsidenten Donald Trump und der US-Unternehmen aussetzt. Allerdings haben hohe Mitglieder des US-Kongresses erklärt, wenn Britannien ohne Abkommen aus der EU austrete, so würde dies London keine Handelsvorteile wie Freihandelsabkommen mit diesem Land bescheren. Nancy Polesi, Sprecherin des US- Repräsentantenhauses warnte, sollte der Brexit das Karfreitagsabkommen (auch: Belfaster Abkommen) von Nordirland in Gefahr bringen, bestünden keinerlei Chancen für ein Handelsabkommen zwischen London und Washington. Allerdings vertritt man im Weißen Haus einen anderen Standpunkt.
Präsident Donald Trump ist ein Unterstützer von Boris Johnson und er ermuntert ihn zu einem möglichst baldigen EU-Austritt. Zudem fordert er, dass London Brüssel keine Entschädigung für seinen Austritt aus der Union zahlt. Außerdem hat der Nationale Sicherheitsberater der USA, John Bolton, während seines letzten Aufenthaltes in Britannien den Funktionsträgern in London versichert, das Land beim Brexit zu unterstützen und die Unterzeichnung eines bilateralen Freihandelsabkommens mit den USA versprochen. Es sieht ganz danach aus, dass die Trump-Regierung Johnson mit ihren großen Versprechungen zu einem Brexit ohne Abkommen mit der EU animieren will. Allerdings hat Trump hat schon seit langem unter Beweis gestellt, dass er sich nicht an Vereinbarungen hält. Die Gegner von Boris Johnson, insbesondere Jeremy Corbyn von der Labour-Party befürchten, dass Britannien durch einen Brexit ohne Abkommen in eine schwache Position und in die Passive gedrängt wird und notgedrungen die Bedingungen die Washington stellt, akzeptieren muss. Dann werde London nach ihrer Meinung zum Untertan der Trump-Regierung.
Eine ernsthafte Folge des Brexit wird der Zusammenbruch des Handelsaustausches zwischen beiden Seiten und der Anwendung von Zöllen auf Einfuhrwaren aus Europa sein. Einige vermuten eine Verschlimmerung der Situation an der Börse bis zum 31. Oktober. Der Index für das Bruttoinlandsprodukt Britanniens wird bis 2020 um 2 Prozent sinken. Die UNCTAD - Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung - warnte am 3. September in einem Bericht, der Austritt Englands aus der EU ohne Handelsabkommen könne zu einem Rückgang des Exportes aus diesem Lande an die Europäische Union in Höhe von 16 Milliarden Dollar führen. Das wären 7 Prozent der gesamten britischen Ausfuhr in die Länder der Europäischen Union. Dabei ist der Betrag von 16 Milliarden Dollar noch zu gering angesetzt und berücksichtigt nur die erhöhten Importzölle der europäischen Union für britische Waren.
Jedenfalls wird gemäß Ansicht von Wirtschaftsexperten ein Brexit ohne Abkommen zweifelsohne dem Exportgeschäft Britanniens noch viel größere Schäden einbrocken. Im Bericht der Handels- und Entwicklungskonferenz werden nämlich Grenzkontrollen, die nicht den Zoll betreffen und Störungen in den gemeinsamen Produktionsvernetzungen der EU und Britanniens gar nicht berücksichtigt. Trotz alledem weist Johnson die Mahnungen hinsichtlich einer durch den Brexit verursachten Wirtschaftsrezession in Britannien zurück und bezeichnet solche Voraussagen als Propaganda. Er setzt strikt seine Preisung für die Vorteile des Brexit fort und kritisiert scharf das Projekt, welches Theresa-May für das Verlassen der EU akzeptiert hatte sowie die Art der Verhandlungen mit der EU.
Vielleicht lässt sich sagen, dass das größte Problem für Boris Johnson bei der Durchführung des Brexit bei den Grenzen Nordirlands mit der Republik Südirland zu suchen ist. Nach seiner Machtübernahme hat Johnson in einem Schreiben an den Präsidenten des Europäischen Rates, Donald Tusk, seine neuen Vorschläge in Sachen EU-Austritt bekannt gegeben. Dabei forderte er die Aufhebung der Vertragsklausel Backstop, die sich auf die Grenze zwischen Nordirland und der EU, in dem bilateralen Abkommen mit der EU nach Durchführung des Brexit bezieht. In einem Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte Johnson, die Streichung dieser Vertragsklausel sei der einzige Weg, der ein Vorantreiben des Abkommens erlaube. Der Abschnitt über den Backstop, in dem Abkommen, dass die Ex-Premierministerin Theresa May mit der EU für den Brexit vereinbart hat, stellt eine Art Auffanglösung dar , die der Einrichtung einer strengen Grenze zwischen Nordirland, das geopolitisch zum britischen Territorium gehört und dem EU-Mitglied Republik Südirland, verhindert.
Gerade die Backstop-Klausel ist einer der Gründe dafür gewesen, dass das britische Unterhaus sich nicht mit der Vereinbarung mit der EU anfreunden konnte. Dadurch dass Johnson sich gegen diese Klausel wendet, welche in der Praxis praktisch innerirische Grenzhindernisse zur Folge hätte, hat er Reaktionen in Südirland hervorgerufen. Der irische Außenminister Simon Coveney hat während eines Telefonats am 20. August Johnson seine Besorgnis mitgeteilt, dass es keinen Ersatz für die Backstop-Klausel gäbe. Er betonte, Irland sei von den Vorschlag Londons enttäuscht.
Wenn Johnson die Durchführung des Brexit ohne Abkommen durchsetzt, wird dies bedeuten, dass zwischen Nord- und Südirland Grenzhindernisse aufgestellt werden und der Grenzverkehr von Personen und Gütern nur noch unter Einschränkungen möglich ist. Dies könnte wieder den Streit in Nordirland zwischen den katholischen Verfechtern des Zusammenschlusses von Nord- und Südirland und den protestantischen Anhängern des britischen Königshauses aufflammen lassen, welcher durch das Belfaster Abkommen 1998 zum Erlöschen gebracht worden war. Auf diese Weise würden die Probleme nach dem EU-Austritt Britanniens vergrößert und zu einem wichtigen Sicherheitsproblem nämlich zu Unruhen und Separatismus in Nordirland führen.