Mehr Diplomatie wagen
Die heutigen Beziehungen zwischen den Westeuropäern und ihren russischen Nachbarn sind so schlecht wie lange nicht mehr.
Von: Willy Wimmer, Staatssekretär a. D. im Verteidigungsministerium
Am 21. September 2021 trat in New York der amerikanische Präsident Joe Biden im Plenarsaal der Vereinten Nationen vor die Mikrofone. Die dort versammelten Repräsentanten aus allen Teilen der Welt waren gespannt-wie der berühmte Flitzebogen. Sie hatten auch allen Grund dazu. War es doch der Vorgänger von Präsident Joe Biden, der berühmt-berüchtigte Präsident Donald Trump, dem die Welt fast unisono die „kalte Schulter“ zeigte, obwohl er es war, der die Kette unzähliger US- Kriege beendete und zudem die Beziehungen zwischen Washington und Moskau auf Ausgleich stellen wollte. Mit tatkräftiger Hilfe der deutschen Bundeskanzlerin wurde im Interesse der amerikanischen Demokratischen Partei Trumps Politik in Europa nicht nur unterlaufen. Die heutigen Beziehungen zwischen den Westeuropäern und ihren russischen Nachbarn sind so schlecht wie lange nicht mehr.
Wenige Tage, nachdem Präsident Joe Biden in Kabul Fakten schuf, ohne die Verbündeten zu informieren, wie seine Absichten waren, warf er sich im Plenum der Vereinten Nationen in die Brust, als er zwei Aussagen der Weltrunde präsentierte. Es sei jetzt die Zeit der Diplomatie angebrochen. Kräftiger ging es nicht und dann fing Präsident Joe Biden an, die Zustände auf dem Globus zu beklagen. Das geschah unzulänglich, denn es hätte das Eingeständnis deutlich machen müssen, dass es gerade die in den Jahren seit dem US-Angriff mitten im Frieden auf Belgrad 1999 geführten amerikanischen Kriege gewesen sind, die weite Teile unserer Erde in Schutt und Asche gelegt und ein globales Elend hervorgerufen haben, das beispiellos genannt werden muss. Solange ein amerikanischer Angriff auf Den Haag droht, weil dort ein internationales Gericht gegen amerikanische Soldaten vorzugehen droht, ist es mit Aussagen wie der nach „mehr Diplomatie“ nicht weit her. Selbst bei Willy Brandts Aussage, mehr „Demokratie“ zu wagen, haben die letzten Jahre seit dem berüchtigten Jugoslawien-Krieg deutlich gemacht, wie schnell diese Zusage seit Gerhard Schröder und Angela Merkel in zentralen Politikfeldern im Bündnis-und sonstigen Interesse wieder einkassiert werden konnte.
Nicht nur die französische Delegation wird im UN-Plenarsaal bei dieser Aussage Schnappatmung bekommen haben. Waren doch Tage zuvor die Beziehungen zwischen Paris und Washington rüde auf das Niveau des Jahres 1944 zurückgestuft worden, als man mit Wagenladungen von Besatzungsgeld für das von den Alliierten besetzte Frankreich in der Normandie landete. Der Rausschmiss aus einem Rüstungsvertrag über die Lieferung von U-Booten durch französische Werften an Australien, um US-U-Boote liefern zu können, erinnert eher an eine Gang-Auseinandersetzung als an Beziehungen zwischen Verbündeten. Das Signal an alle ist eindeutig. Noch nicht einmal semantisch ist der Äußerung über „Zeitalter der Diplomatie“ irgendeine Substanz beizumessen.
Das gilt in gleicher Weise für die Überlegung des US-Präsidenten Joe Biden, nicht mehr die Kriege der Vergangenheit zu führen. Ja, was denn? Auch nach 1990 haben auf dem europäischen Kontinent die Vereinigten Staaten nichts Anderes gemacht, als die seit der Gründung des Deutschen Reiches 1871 gegen Deutschland und Russland gerichtete Politik in die neue Zeit zu überführen. Nach zwei Weltkriegen als Folge dieser Politik ist es gelungen, das noch übrig gebliebene deutsche Potential in den neuerlichen Aufmarsch gegen Russland über die NATO einzubinden. Man wartet doch nur darauf, dass weiter die seit 1871 bestehenden Pläne umgesetzt werden, mit Mitteleuropa als Schlachtfeld oder in einer total verfeindeten Nachbarschaft mit Russland. Es liegt an den USA eine Lage zu schaffen, dass man ihnen Glauben schenken kann. Nach den 14 Punkten von Präsident Wilson und der späteren Zusage, die NATO nicht nach Osten zu erweitern, ist es mit dem Glauben an amerikanische Zusagen nicht weit her.