Ist Europa bereit, im „Graubereich“ zu leben?
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Deutschlands Bundeskanzler Merz
ParsToday – Der deutsche Bundeskanzler hat angesichts der zunehmenden Drohnenvorfälle über Europa den Kontinent als einen „Graubereich zwischen Krieg und Frieden“ bezeichnet.
Laut ParsToday erklärte Friedrich Merz, Bundeskanzler Deutschlands: „Wir sind nicht im Krieg, aber auch nicht mehr im Frieden. “ Ein Satz, der zunächst alarmierend klingen mag, jedoch die Realität Europas treffend widerspiegelt: eine Situation, in der die regelbasierte Weltordnung zunehmend der Logik von Macht und Gewalt weicht. Was Europa mit dem sogenannten „Snapback-Mechanismus“ und der Rückkehr zu suspendierten UN-Sanktionen gegenüber Iran durchsetzen will – unter Missachtung völkerrechtlicher Normen – führt letztlich dazu, dass Europa selbst in den Strudel des Zerfalls der westlich-liberalen Ordnung und in das ukrainische Kriegsdilemma hineingezogen wird.
Nach Einschätzung zahlreicher Denkfabriken, darunter des European Council on Foreign Relations (ECFR), stellen die Worte von Merz ein offenes Eingeständnis des Scheiterns der Vision eines „friedliebenden Europas“ nach dem Kalten Krieg dar. Ein Kontinent, der sich einst als Modell einer liberalen Ordnung verstand, findet sich nun mitten in einem Feld wieder, dessen Regeln zunehmend von externen Akteuren bestimmt werden.
Merz verwies auf das Auftauchen unbekannter Drohnen über Dänemark und Schleswig-Holstein und sprach von einer besorgniserregenden Entwicklung. Auch wenn diese Drohnen unbewaffnet seien, verfügten sie über hochentwickelte Überwachungstechnologie und Flügelspannweiten von bis zu acht Metern. Es gilt als wahrscheinlich, dass sie aus Russland stammen. Der Kanzler räumte ein, dass die Abwehr solcher Bedrohungen nicht einfach sei: Der Abschuss unbewaffneter Drohnen könne politische und militärische Konsequenzen nach sich ziehen. Genau dies sei das Dilemma hybrider Kriegsführung – mit geringstem Aufwand werde maximale Unsicherheit und psychologischer Druck erzeugt.
Auch politisch und wirtschaftlich steht Europa vor doppelten Herausforderungen. Zum einen zieht sich der Krieg in der Ukraine hin, ohne dass eine militärische Niederlage Russlands oder ein wirtschaftlicher Zusammenbruch Kiews absehbar wäre. Zum anderen wird über die Verwendung eingefrorener russischer Vermögenswerte zur Finanzierung der Ukraine gestritten. Merz schlug vor, über Euroclear rund 140 Milliarden Euro als Kredit an Kiew bereitzustellen. Dieser Plan wird in Brüssel und Washington begrüßt, ruft jedoch Bedenken hervor. Experten warnen, dass ein solcher Schritt den internationalen Status des Euro schwächen und einen gefährlichen Präzedenzfall für die Enteignung staatlicher Vermögen schaffen könnte. Frankreich und andere EU-Partner reagieren entsprechend zurückhaltend.
Gleichzeitig vertiefen sich die innereuropäischen Spannungen. Polen und die baltischen Staaten drängen auf härtere Maßnahmen gegen Russland, während andere EU-Mitglieder die wirtschaftlichen und sozialen Folgen fürchten. Diese Spaltung nutzt Moskau gezielt, um die Geschlossenheit des Westens zu unterminieren.
Zusammengenommen zeichnet sich für Europa eine riskante Zukunft ab: ein Kontinent gefangen in einem zermürbenden Konflikt, den er weder beenden noch den Folgen entkommen kann. In diesem Licht sind die Worte von Merz nicht nur eine Beschreibung, sondern eine ernsthafte Warnung: Europa muss sich auf eine Realität einstellen, in der Drohnenoperationen, Cyberangriffe, wirtschaftlicher Druck und politische Drohungen zum Alltag gehören.
Auch der Ausblick auf den Ukraine-Krieg bleibt düster: Es gibt keine Anzeichen für einen baldigen Zusammenbruch Russlands, während die Kosten für die Unterstützung der Ukraine für Europa weiter steigen. Die größte Herausforderung für die europäischen Führungen liegt nun in der Bewahrung der inneren Einheit, im Management der Energie- und Ernährungskrise und in der Verhinderung eines politischen und wirtschaftlichen Kräfteverfalls.
Mit einem schlichten Satz machte Merz die Krise Europas sichtbar: Der Kontinent ist in eine neue Epoche eingetreten – eine Epoche, in der Frieden nicht mehr selbstverständlich ist und Krieg, auch wenn er nicht offiziell erklärt wird, in vielfältigen Formen präsent bleibt. Die entscheidende Frage lautet nun: Wie will Europa in diesem „Graubereich“ bestehen – durch verstärkte Verteidigungsanstrengungen, eine Neudefinition transatlantischer Allianzen oder durch die Suche nach einem Weg, einen Krieg zu beenden, der den Völkern des Kontinents Tag für Tag größere Lasten auferlegt?