Jan 13, 2024 15:54 Europe/Berlin
  • Wie die USA den Ölsektor instrumentalisierten

Ölmarkt wird durch neokolonialistische Verträge manipuliert. Ziel sind Überproduktion und Preisdumping. Das hat weitreichende Folgen.

von Mohssen Massarrat

In Telepolis vom 1.Dezember habe ich die These zur Diskussion gestellt, dass die USA die Hauptverantwortung für die gegenwärtige Klimakrise tragen. Die Kommentare zu diesem Beitrag zeigten jedoch, dass historische und polit-ökonomische Zusammenhänge meiner Argumentation für ein besseres Verständnis meiner These unentbehrlich sind, die jedoch im genannten Beitrag weggelassen worden waren, um den Beitrag möglichst kurz zu halten,  Diese werden daher im Folgenden nachträglich geliefert. Bei dieser Gelegenheit muss ich auf den Vorwurf eines Kommentators eingehen, meine Analyse beruhe auf einem angeblich den Linken eigentümlichen Antiamerikanismus. Ein solcher Vorwurf wird vor allem von Menschen vorgebracht, die nicht wahrhaben wollen, dass ihr Wohlstand teilweise den neokolonialistischen Verhältnissen in der Weltwirtschaft geschuldet ist, für die tatsächlich die Vereinigten Staaten maßgeblich Verantwortung tragen. In diesem Vorwurf steckt allerdings ein Körnchen Wahrheit drin. Die neokolonialistischen Verwicklungen der USA in der Geschichte der Weltwirtschaft sind so stark und oft auch so grausam, dass - wie dem  Überbringer schlechter Nachrichten - ihre ganze Hässlichkeit oft dem Beobachter angelastet wird. Mit anderen Worten bringen die USA durch ihr unsägliches Wirken in der Geschichte im Grunde selbst den Antiamerikanismus hervor.

Die Grundlage folgender Analyse stellt die unbestrittene Tatsache der neokolonialistischen Weltarbeitsteilung dar, deren Gegenstand der Austausch von „billigen Rohstoffen gegen Fertigprodukte“ ist. Die globale Energieversorgung nimmt bei dieser Weltarbeitsteilung einen zentralen Platz ein. Die Vereinigten Staaten machen sich beide Realitäten, die globale Energieversorgung und die neokolonialistische Weltarbeitsteilung,  als unsichtbare Machtressource ihrer Hegemonie, nutzbar. An dieser Stelle werden Mechanismen der Instrumentalisierung des Energiesektors durch die USA analysiert. Tatsächlich können die geopolitischen Ereignisse der letzten hundert Jahre, einschließlich der folgenreichen Kriege, Regime Changes, Millionen von Toten etc. im Globalen Süden, ohne Kenntnis dieser Zusammenhänge nicht verstanden werden. Hinzu kommt ein anderes sehr wichtiges globales Problem, das mit der US-Hegemonie verwoben ist: die Klimakrise, die bereits in Telepolis vom 1.Dezember 2023 dargestellt worden ist. Für die analytische Darlegung und die Entschlüsselung der Hintergründe der hier aufgezählten folgenreichen Entwicklungen bedarf es Zuhilfenahme von politökonomischen Theorien und deren geopolitischer Einordnung]

Funktionsweise der neokolonialistischen Energieversorgung

Um bei letzterem Punkt anzufangen, muss auf die marxistische Rententheorie, die fundierteste ökonomische Theorie zur Erforschung von Ökonomie der natürlichen Reichtümer, zurückgegriffen werden. Demnach sind Naturreichtümer(Grund und Boden in der Landwirtschaft, mineralische Rohstoffe und fossile Energiequellen) wegen ihrer Erschöpfbarkeit monopolisierbar. Die Eigentümer der Natur (Privateigentümer oder Staaten) verhalten sich auf den Märkten im Kapitalismus wie Monopole. Ihnen fällt eine Grundrente zu. Allerdings hängt die Höhe der Grundrente von der realen Marktmacht der Eigentümer, d.h. davon ab, ob diese in der Lage sind, den Preis für ihr natürliches Monopol, für Ihren Rohstoff wie bei allen Monopolen auf ein möglichst hohes Niveau zu optimieren.

Sind die Eigentümer also schwach, beispielsweise dadurch, dass abhängige Kolonien oder quasi-Kolonien, wie die Öleigentümerstaaten im Mittleren Osten im 19. und 20. Jahrhundert, dann können sie leichte Beute ihrer Kolonialmächte werden, indem  mächtige Konzerne ihnen langfristige Nutzungsverträge auferlegen und sie dadurch ihrer ökonomische Selbständigkeit als Marktakteure berauben. Multinationale Ölkonzerne - mit Ausnahme von BP und der niederländischen Shell - allesamt us-amerikanische Konzerne, hatten am Anfang des 20. Jahrhunderts zur Ausbeutung des Öls mit den Eigentümerstaaten langfristige Pachtverträge in der Regel für 60 Jahre geschlossen.

Drei Faktoren sind dafür verantwortlich, dass diese Pachtverträge neokolonialistische Verträge waren: Erstens sind Gegenstand dieser Verträge nicht die Ölmengen, sondern die Landflächen. Dadurch sichern sich die Konzerne die Option, bei konstanten Pachtgebühren so viel Öl wie möglich aus dem Gebiet herauszuholen, das sie gepachtet haben, was unter den Bedingungen der Marktfreiheit ein Ding der Unmöglichkeit und im Grunde ein Betrug ist. Zweitens die Langfristigkeit dieser Verträge, die verhindert, dass die Eigentümer als Marktakteure immer präsent sind und auf die Marktentwicklungen angemessen reagieren können. Und drittens sind Pachtgebühren viel zu gering und langfristig festgelegt. Als Kostenfaktor sind daher diese Pachtgebühren für die Konzerne fast vernachlässigbar. Beispielsweise erwarb 1901 William Knox D'Arcy, ein Strohmann Großbritanniens, wie unten ausführlicher dargestellt wird, die Nutzungsrechte von Drei Vierteln des iranischen Staatsterritoriums für 60 Jahre gegen eine Einmalzahlung von 40.000 Pfund Sterling und 16 % des jährlichen Nettogewinns. Zu nennen ist auch das Abkommen von Standard Oil of California von 1933 mit Ibn Saud, dem König von Saudi Arabien. Demnach erhielt dieser US-Ölkonzern die Nutzungsrechte von einem Gebiet, das 500 Tausend qkm umfasst, für ebenfalls 60 Jahre gegen eine Einmalzahlung von 35 Tausend Pfund Sterling und eine geringfügige Beteiligung am Gewinn. Ähnliche Abkommen wurden mit den herrschenden Machthabern in Kuwait, Irak und anderen Ölstaaten abgeschlossen.

Dadurch hatten diese Konzerne freie Hand, nein, sogar den ökonomischen Anreiz, so viel Öl wie möglich in kürzestem Zeitraum bei vertraglich vereinbarter konstanter Grundrente aus dem Boden herauszuholen. Damit wurden ökonomisch gesehen wichtige Marktregularien für erschöpfbare Ressourcen in ihr Gegenteil verkehrt. Denn Eigentümer erschöpfbarer Ressourcen haben bei funktionierenden Märkten gemäß ihrem Monopol an einem Teil der Ölquellen das Interesse, die Produktion möglichst zu verlangsamen, um durch Verknappung des Angebots die Preise optimieren bzw. in die Höhe treiben zu können.

So verfuhren Öleigentümer Ende des 19. Anfang des 20. Jahrhunderts in Texas, weshalb der Ölpreis auf dem US-Ölmarkt bis zu 100 Dollar je Barrel ansteigen konnte. Die USA waren schon seit Beginn der industriellen Revolution - und sind es heute noch - der größte fossile Energieproduzent und Konsument der Welt. Gemäß Knappheitsregeln in der Ökonomie bewegte sich der für den gesamten Energiesektor regulativ wirkende Ölpreis bis Anfang des 20. Jahrhunderts - inflationsbereinigt und auf die heutige Kaufkraft umgerechnet - um 100 US-Dollar je Barrel. Durch die Entdeckung von umfangreichen Ölquellen im neokolonialistisch beherrschten Globalen Süden erhielten die multinationalen Ölkonzerne jedoch die historische einmalige Gelegenheit, sich von den in den USA herrschenden Marktzwängen und mächtigen Öleigentümern zu befreien und stattdessen mit machtlosen Öleigentümern Produktionsverträge zu schließen.

Auf der Basis von neokolonialistischen Pachtverträgen mit den Öleigentümern des Globalen Südens, d.h. also mit Pachtverträgen, die unter den Bedingungen ungleicher Machtverhältnisse zustande gekommen waren, hatten die multinationalen Ölkonzerne nun freie Hand, die Produktion massiv zu erhöhen, weil die Pachtverträge ihnen, wie oben erläutert, de facto grenzenlose Mengenproduktion erlaubten. Mit anderen Worten wurden die Öleigentümer gezwungen, untereinander um langfristige Pachtverträge zu konkurrieren, statt ihr Monopol gemäß dem marktmäßigen Nutzenmaximierungsprinzip durch Mengenbeschränkung durchzusetzen.

Dadurch gaben sie ihre Marktsouveränität nahezu vollständig aus der Hand. Um es noch deutlicher hervorzuheben, übten die Öleigentümer aus dem globalen Süden als Anbieter praktisch keine Marktfunktionen mehr aus, sie verloren sämtliche Machthebel zur Optimierung ihrer Einnahmen für die Dauer von langen Pacht- und Ausbeutungsverträgen. Als Anbieter überließen sie damit diese Machthebel der Nachfrageseite, also den untereinander konkurrierenden Ölkonzernen. Dadurch entstand eine strukturelle und permanent über mehrere Jahrzehnte andauernde Überproduktion und Preissenkung auf den globalen Ölmärkten.

Die auf dieser Weise entstandene neokolonialistische Ölproduktion im Globalen Süden (im Iran, Saudi Arabien, Kuwait und anderen Ölstaaten am Persischen Golf, in der Republik Aserbaidschan am Kaspischen Meer, in Mexiko und Venezuela in Südamerika) sinkt der hohe Ölpreis von 100 Dollar je Barrel seit den 1920er Jahren auf sage und schreibe ca. 2 Dollar je Barrel, weil die bis dato vorherrschende Knappheit auf einen Schlag verschwindet und weil die Ölkonzerne als sehr wichtige Marktakteure innerhalb von wenigen Jahren in die neue Position versetzt wurden, die im US-Binnenmarkt noch wirksamen Knappheitsgesetze durch die unbegrenzte Ölausbeutung im Globalen Süden aushebeln zu können.

Die Ölkonzerne hatten dank hoher natürlicher Produktivität der Ölquellen des Mittleren Ostens vergleichsweise sehr niedrige Produktionskosten und waren dadurch in der Lage, trotz niedriger Ölpreise sehr hohe Profite zu erzielen und zu den äußerst .  .finanzkräftigen Konzernen der Welt aufzusteigen. Um eine Vorstellung davon zu erhalten, betragen Profite von 25 Ölkonzernen im Zeitraum von 1985 bis 2018 laut einer durch den Think Tank „Climate Analyse“ durchgeführten Studie 30 Billionen Dollar.

Im Folgenden wird das Ergebnis obiger in weiten Teilen komplexer Darstellung, für ein besseres Verständnis und trotz teilweiser Wiederholung, in elf Punkten pointiert aufgelistet:

Erstens werden die neu entdeckten fossilen Energiequellen des Mittleren Ostens neokolonialistisch in den Weltmarkt integriert. Neokolonialistisch bedeutet hier, dass den Eigentümern des Globalen Südens die Marktmacht vorenthalten und dadurch der Möglichkeit der Maximierung von Ölrenteneinnahmen beraubt werden.

Zweitens wird dadurch das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage und damit die Marktfunktion der Anbieter für die Entstehung eines Gleichgewichtspreises, d.h. von realen richtigen Marktpreisen, ausgehebelt.

Drittens folgt daraus, dass der Ölpreis für Öl von 100 auf 2 Dollar je Barrel drastisch abstürzt. Bei dem sehr niedrigen Ölpreis handelt es sich um einen ungleichgewichtigen Marktpreis bzw. um einen unter dem richtigen Marktpreis liegenden Dumpingpreis, weil die Grundrente der Öleigentümerstaaten auf ein Minimum reduziert werden konnte. Durch den Beinahe-Wegfall der Grundrente wurden die Produktionskosten des Öls im Mittleren Osten zum einzig regulierenden Faktor der Marktpreise, zumal die multinationalen Ölkonzerne massiv untereinander konkurrierten. Die Produktionskosten der Ölforderung im Mittleren Osten sind im Vergleich zu den Ölproduktionskosten in Nordamerika sehr niedrig.

Viertens bewirkten zwei wichtige Faktoren, eine chronische Ölüberproduktion auf dem Weltmarkt: zum einen die freie Konkurrenz der multinationalen Ölkonzerne und zum anderen der durch die neokolonialistischen Pachtverträge mit den Ölstaaten des globalen Südens entstandene Anreiz, die Ölausbeutung nachhaltig zu beschleunigen. Diese permanente Überproduktion entwickelte sich zum wirksamen Hebel der Preissenkung über einen sehr langen Zeitrahmen von den 1920er Jahren bis zur ersten Ölkrise 1973/74, beinahe über ein halbes Jahrhundert. Entgegen ökonomischer Theorien blieb der Ölpreis in diesem Zeitraum trotz rapide steigender Weltnachfrage nach Öl auf einem sehr niedrigen Niveau.

Fünftens werden fortan in diesem Zeitrahmen sämtliche fossile Energieträger auf dem Weltmarkt zu Dumpingpreisen veräußert, da der Ölpreis den Preis für alle fossilen Energieträger reguliert.

 

Sechstens werden Gleichgewichtspreise für Öl und für alle mit Öl konkurrierenden Energieträger erst nach der Überwindung der neokolonialen Weltarbeitsteilung entstehen.

Siebtens erzielen die globalen Ölkonzerne trotz niedriger Ölpreise wegen sehr niedriger Produktionskosten im Mittleren Osten und trotz Konkurrenz untereinander sehr hohe Profite,

Achtens sind die Nutznießer von Dumpingpreisen für Öl als Preisregulierender Rohstoff und darauf beruhend für sämtliche fossile Energieträger auf dem Globus, die Konsumenten, d.h. die Ökonomien der entwickelten kapitalistischen Staaten, die bis Anfang des 21.Jahrhunderts die Hauptölverbraucher waren. Die Verlierer dieses gigantischen globalen Geschäfts sind - ökonomisch gesehen - die Öleigentümerstaaten, weil ihnen die entwickelten kapitalistischen Staaten aufgrund ihrer neokolonialen Machtüberlegenheit die ihnen zustehende Grundrente (von wahrscheinlich mehreren Billionen Dollar) vorenthalten haben. Zudem wurden die Öleigentümerstaaten zur geopolitischen Zielscheibe der Hegemonialmacht USA, und zum Schlachtfeld für äußere subversive Interventionen und Kriege, die bis heute fortlaufend stattfinden. Ökologischer Verlierer der Öldumpingpreise ist dabei auf Grund der gegenwärtigen Klimakrise,  wie in Telepolis vom 1 Dezember ausführlich begründet, die gesamte Menschheit.

Neuntens verbergen sich bei genauer Betrachtung hinter den Öl-Dumpingpreisen und der neokolonialistischen Weltarbeitsteilung global ungleiche Machtverhältnisse, die durchaus mit den Machtverhältnissen im historischen Kolonialismus vergleichbar sind. Im Ergebnis und als Folge dieser Weltarbeitsteilung werden die Länder des Globalen Südens zu Produzenten und Exporteuren von billigen Rohstoffen

Zehntens wurde somit das Öl zu Dumpingpreisen aus dem Mittleren Osten weltweit das ökonomische Fundament von Industrie- und Konsummuster, das den gesamten Weltmarkt und alle Lebensbereiche prägte. Öl zu Dumpingpreisen bedeutete im Klartext die Umverteilung von mehreren Billionen Dollar zu Gunsten der kapitalistischen Industriestaaten. Dieser Süd-Nord-Transfer schuf auch die Basis von hohen Wachstumsraten und steigendem Wohlstand im 20. Jahrhundert in den westlichen Industrieländern. Für die bevölkerungsreichen Öleigentümerstaaten wie Iran, Indonesien, Mexiko, Venezuela, bedeuteten jedoch Öldumpingpreise umgekehrt sehr geringe Grundrenteneinnahmen und Wohlstandsverluste in unvorstellbarem Ausmaß. Die Öleigentümerstaaten mit sehr hohem Ölreichtum aber kleiner Bevölkerung, wie Saudi Arabien, Kuwait, Vereinigte Arabische Staaten etc. am Persischen Golf, konnten trotz des Verlusts von Grundrenten, einfach wegen gigantischen Umsatzes, enormen Wohlstand erzielen.

Elftens entstand bei westlichen Staaten durch die oben erwähnten  ökonomischen Vorteile von niedrigen Ölpreisen der Anreiz, das System der neokolonialen Preisbildung aufrecht zu erhalten. Dieser Anreiz wurde zum ausschlaggebenden Faktor der Zementierung von neokolonialer Arbeitsteilung, somit auch von zahlreichen Interventionen der USA in den Ölstaaten.

CIA Putsch gegen Mossadegh

Die erste US-Intervention zur Aufrechterhaltung der neokolonialistischen Arbeitsteilung auf dem Energiesektor fand 1953 im Iran statt. Der Iran war dank der Entdeckung von umfangreichen Ölquellen im Süden des Landes bereits in den 1940er Jahren ein wichtiger Erdölproduzent und Erdölexportstaat. Die Erdölraffinerie in der südiranischen Stadt Abadan am Persischen Golf war zu diesem Zeitpunkt die größte Raffinerie der Welt. Doch nicht der iranische Staat, sondern die damalige Hegemonialmacht Großbritannien verfügte indirekt über die Souveränität des gesamten iranischen Ölsektors. Die britische Infiltration beruhte auf einem Vertrag des britischen Unternehmers William Knox D'Arcy, der 1901 mit dem Schah der Gajariden- Dynastie einen neokolonialistischen - im wahrsten Sinne des Wortes Knebel-Vertrag  - geschlossen hatte. Demnach trat der Herrscher Irans die Nutzungsrechte von drei Vierteln des gesamten Staatsterritoriums für die Ölproduktion für 60 Jahre ab. Als Gegenleistung wurde dem Iran eine Einmalzahlung von 40.000 Pfund Sterling und 16 % des jährlichen Nettogewinns einer eigens dafür gegründete National Iranian Oil Company (NIOC) zugesprochen.Aus dieser Ölkompanie entstand später die BP, eine der größten Ölkonzerne der Welt.

War es dem unwissenden und korrupten iranischen Herrscher offensichtlich unbewusst, auf welch ausbeuterischen Deal er sich mit dem Strohmann Großbritanniens eingelassen hatte, so entdeckten die inzwischen in Europa ausgebildeten iranischen Intellektuellen und Politiker unter Führung von Dr. Mohmmad Mossadegh in den 1940er Jahren den betrügerischen Charakter jenes Vertrages und begannen, in dem inzwischen dank der Revolution für eine konstitutionelle Monarchie von 1905 entstandenen Parlament im Iran eine Gegenstrategie zu entwickeln.

Der Vorstoß Mossadeghs im Parlament rief eine außerparlamentarische Bewegung und alsbald eine echte antikolonialistische Bewegung hervor, die schließlich im März 1951 zur Bildung einer demokratisch gewählten Regierung unter Mossadeghs Führung einmündete. Im selben Jahr beschloss das Parlament die Nationalisierung des  NIOC. Tatsächlich begann mit dieser Aktion eine antikolonialistische Bewegung, die historisch gesehen durchaus mit Gandis Nationalbewegung in Indien  vergleichbar sein dürfte, und eine neue antikolonialistische Ära im gesamten Mittleren Osten darstellte. Der neokolonialistische Vertrag, der mit einem machtlosen iranischen König abgeschlossen worden war, wurde mit der sich nunmehr entstandenen  Gegenmacht des iranischen Volkes beendet. Diese neue Macht einer Öleigentümerstaates drohte, die herrschende Machtungleichheit zwischen dem Westen und den Ölstaaten des gesamten Mittleren Ostens zu überwinden , und zwar mit drastischen Folgen für den globalen Ölmarkt und die kapitalistische Wirtschaft. Dieser Gefahr einer drastischen Machtverschiebung zum Nachteil des Westens sollte also so schnell wie möglich vorgebeugt werden..

Damit hatte die Stunde der britischen Regierung unter Winston Churchill geschlagen. Auf deren Initiative hin verhängten zunächst alle großen Industriestaaten des Westens 1952 ein Erdölembargo gegen den Iran. Auf diese Weise sollte die neue iranische Regierung von Öleinnahmen vollständig abgeschnitten und die Regierung Mossadegh in eine Finanzkrise gestürzt werden. Doch gelang es Mossadegh, die Intervention zunächst abzuwehren, indem er mit Hilfe einer Volksaktie das Jahresbudget ausgleichen und die Finanzkrise vermeiden konnte. Als nächstes klagte die britische Regierung gegen die Nationalisierung der Ölindustrie durch das iranische Parlament bei dem internationalen Gerichtshof in Den Haag, was allerdings abgewiesen wurde.

Schließlich gelang es der bisher erfolglosen britischen Regierung, die neue Hegemonialmacht USA für einen gemeinsamen Putsch gegen Mossadegh zu gewinnen. Nach anfänglichem Zögern ließen sich die Vereinigten Staaten auf diese folgenreiche Subversion ein und stürzten mit Hilfe der CIA im August 1953 die Regierung Mossadegh. Die britische Regierung hatte die USA mit dem Argument für diese Epoche machende Intervention überzeugt, dass das Beispiel des iranischen Vorstoßes bei sämtlichen Ölstaaten des Globalen Südens Schule machen und die Ökonomie des Ölsektors zu Lasten des Westens und der U-Hegemonie grundlegend umkrempeln könnte. Der CIA-Putsch war für Großbritannien und die USA erfolgreich, Mossadegh wurde abgesetzt und das antikolonialistische Projekt des Irans zu Fall gebracht. Damit haben die USA und Großbritannien den Ölsektor des Globalen Südens weiterhin in der ihnen genehmen neokolonialistischen Arbeitsteilung verankert.

Diese US-Intervention in den Iran muss aus mehreren Gründen als epochal angesehen werden: zum einen haben die Vereinigten Staaten seitdem ihre Unschuld als eine Hegemonialmacht mit positivem Antlitz endgültig verloren und den Grundstein für einen nachhaltigen und bis heute andauernden Antiamerikanismus, vor allem im Mittleren Osten, gelegt, dessen Spuren in nahezu allen Ereignissen der letzten Jahrzehnte in dieser Region und weit darüber hinaus zu finden sind.Und zum anderen haben die Vereinigten Staaten allen ihren westlichen Verbündeten praktisch vor Augen geführt, dass nur sie in der Lage sind, einen störungsfreien Fluss von Öl zu Dumping-Preisen aus dem Globalen Süden und damit für das florierende Wachstumsmodell, sowie den ununterbrochen steigenden Wohlstand in den westlich kapitalistischen Staaten sicherzustellen. 

Seitdem und im Grunde fortdauernd bis heute verfügten die USA außer ihrer militärischen Stärke zusätzlich über einen geopolitisch sehr wirksamen geopolitischen Hebel, den globalen Energiesektor in ihren Dienst zu stellen und ihren westlichen - zu einem späteren Zeitpunk in OECD-Staaten zusammen geschlossenen - Verbündeten glaubwürdig zu machen, dass es sich lohnt, die US-Hegemonial zu akzeptieren und die Vorteile von langfristigen Dumpingpreisen für ÖL und die langfristige Energiesicherheit für ihre Ökonomien zu nutzen

 

Berlin 4 Dezember 2023