Eyd-e Noruz 1398
Am ersten Farwardin - dem 21. März 2019 - beginnt wieder das neue iranische Sonnenjahr 1398. Der erste Tag im iranischen Jahr ist zugleich Bote des Frühlingsbeginns und der Beginn des größten iranischen Nationalfestes.
Der Frühling ist eingekehrt mit schönem Klang
Öffne die Arme weit,
nimm ihn in Empfang!
Er haucht dem Dasein Leben ein
Vergiss alte Bitterkeit
Der Frühling überbringt dir süße Träume
(Vielleicht werden sie Wirklichkeit)
Eine legendäre Stimme erklingt. Sie dringt erneut aus der Kehle der Vergangenheit zu uns vor, durchbricht die gähnende Kälte der Winternächte und hilft uns heraus aus der ungewollten winterlichen Abgeschiedenheit – zurück ins Leben. Plötzlich sehen wir alle Starrheit und die Abgestorbenheit schwinden. Die Klänge der Sornay und der Dhol , dieser traditionellen iranischen Instrumente , beenden das lange winterliche Schweigen und laden alle ein zu einer Neuwerdung und zur Fröhlichkeit. Das antike iranische Noruz ist ein besonderes Fest.
Es ist Noruz! Noruz bedeutet ruz-e no ,nämlich neuer Tag, oder neue Zeit. Vieles zeugt dafür, dass dieses Neujahrsfest schon im antiken Iran im Frühling gefeiert wurde. Zum Beispiel ist dies an der Existenz des Monats Farwardin und den alten Bräuchen in diesem Monat zu sehen. Vieles vom heutigen Noruzfest stammt noch aus der alten Antike. Der Name des ersten Monats im iranischen Sonnenjahr, nämlich Farwardin wird von dem Wort fravaši abgeleitet. Mit fravaši wurden im antiken Iran die Seelen von Verstorbenen bezeichnet, die wegen ihrer Rechtschaffenheit geschätzt worden waren. Andere Forscher sind der Ansicht, dass das Wort fravaši von einem anderen Wort abstammt, welches „richtige Entscheidung“ bedeutet.
Der iranische Gelehrte Abu Reyhan Biruni (10. Jahrhundert nach Christus) sieht im Noruz den „Tag der Wiedergeburt der Schöpfung und Tag der Erschaffung des Menschen“ und der muslimische Geograph Schamsiddin Muhammad Dimischqi (13.-14. Jahrhundert nach Christus) schreibt, dass Noruz der Tag sei, an dem das Licht erschaffen wurde. Der Beginn des Frühlings ist die Zeit, wo der Mensch die Kältephase und die trübe Winternatur hinter sich lässt und die Jahreszeit beginnt, in der dank deren Wärme, Licht und Entfaltung neues Leben in die Natur einkehrt.
Das Noruzfest wurde schon im 3. Jahrtausend vor Christus im Iran gefeiert. Damals war der Iran viel größer als heute. Noruz wurde zu jener Zeit als Tag betrachtet, an dem das Schicksal des Menschen für das darauffolgende Jahr bestimmt wird.

Es heißt, dass die ersten iranischen Könige das Noruzfest eingeführt haben. Iranische Dichter im 10. und 11. Jahrhundert nach Christus, wie Firdausi und Unsuri aber auch Autoren wie Biruni und Tabari haben sich in ihren Werken auf vorislamische Mythen gestützt und gehen davon aus, dass es das Noruzfest seit dem legendären Königreich des Dschamschid gibt. König Dschamschid siegte eines Tages über das Dunkle, die Unwissenheit und Gewalttätigkeit. Er bestieg am ersten Frühlingstag den Herrscherthron und feierte den Beginn seines Reiches– so heißt es. Seitdem wird dieser erste Frühlingstag „Ruze no“ genannt – neuer Tag - und gefeiert. Jedoch sind anderer der Meinung, dass dieses Noruz schon vor Dschamschid begangen wurde. Zum Beispiel bestätigt Abu Reyhan zwar, dass Dschamschid dieses Fest gefeiert hat, erwähnt jedoch, dass schon vor ihm Noruz von Bedeutung gewesen war. Einige Historiker vermuten, dass der Achämenidenkönig Kurusch (Kyros) im Jahre 538 vor Christus, Noruz zum Nationalfest erklärt hat. Aus diesem festlichen Anlass wurden Soldaten befördert und öffentliche Plätze und Wohnhäuser gesäubert. Außerdem wurden Gefangene begnadigt. Einige Forscher wie Roman Ghirshman und Ernst Herzfeld sind der Überzeugung, dass die Burg Persepolis (in der Nähe von Shiras) exklusiv für die Noruz-Feiern gebaut wurde. Die Achämeniden feierten ein prachtvolles Noruzfest - vom 21. Esfand (dem letzten Monat des Jahres bis zum 19. des zweiten Monats im neuen Jahr – dem 19. Ordibehescht – also ungefähr 2 Monate lang. An diesem Fest nahmen viele Gäste teil.
Studien an den Inschriften und den Felsreliefen aus der Zeit der Achämeniden zeigen, dass zum Neujahrfest die Delegierten anderer Völker der damaligen Welt in ihren Trachten zur Persepolis kamen und an den Feierlichkeiten zu Neujahr teilnahmen. Zu diesen Feiern überbrachten sie dem König und Königshofe kostbare Geschenke.

Wie geschichtliche Dokumente belegen hat Darius der Erste im Jahre 416 vor Christus eine Goldmünze anlässlich des Noruzfestes prägen lassen. Auf einer Seite derMünze ist ein Soldat mit Pfeil und Bogen abgebildet.
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Nach Beginn der Islamischen Ära im Iran pflegten die Iraner weiter das Noruzfest, wobei sie einige Änderungen im Kalender vornahmen. Den heutigen Sonnenkalender, wie er von den Iranern benutzt wird, hat Hakim Umar Khayyam Neyschaburi am 6. März 1079 n. Christus (5. Jahrhundert nach der Hidschra) vorgelegt. Er ist als Dschalali-Kalender bekannt. Zuvor waren die Schaltjahre entweder nicht im Kalender berücksichtigt oder so ungünstig eingetragen worden, dass es zu Problemen führte. Der Vorzug des Dschalali-Kalender war also die richtige Berechnung der Schaltjahre durch Umar Khayyam. Dieser Kalender ist gemäß Forschern und Astronomen der naturgetreueste der Welt. Der Beginn des Mondjahres im Mondkalender fällt jedes Jahr 10 Tage früher an als das Sonnenjahr und der europäische Kalender ist alle 2500 Jahre um einen Tag ungenau. Aber der Dschalali-Sonnenkalender weist nur alle 10 Tausend Jahre eine Abweichung von dem naturgemäßen Anfang des Sonnenjahres auf, und zwar eine Abweichung von nur einer Sekunde!
In der Islamischen Ära, insbesondere zur Zeit der Saffawiden (16. bis 17. Jahrhundert nach Christus), wurden das Noruzfest und sein Brauchtum mit einigen islamischen Sitten verknüpft und erhielt eine neue Prägung und islamischen Inhalt.
In den Überlieferungen gibt es nämlich Hinweise seitens islamischer Vorbilder auf den Wert von Noruz und dadurch hat das Noruzfest unter den Schiiten im Iran an Beliebtheit dazugewonnen. Gemäß dem was die schiitischen Gelehrten sagen, ist Noruz ein heiliger Tag Gottes und ist Adam (Friede sei mit ihm) an diesem Tag erschaffen worden. Laut Überlieferungen war es an diesem Tag im 10. Jahr nach der Hidschra, dass Prophet Mohammad (Gottes Segen sei auf ihm und Friede seinem Hause) in Ghadir Chum seinen Nachfolger, nämlich Imam Ali (Friede sei mit ihm) vorstellte. Daher ist Noruz für die iranischen Muslime ein heiliger edler Tag und so kommt es, dass die Sitten zu Noruz mit der islamischen Kultur vermischt sind.
Die Noruzbräuche dauern heute ungefähr zwei Wochen. Sie beginnen in den letzten Tagen des alten Jahres und gehen am 13. Tag des neuen Jahres zu Ende.
Das historische Phänomen Noruz blickt auf eine lange Geschichte im Iran und dem Einflussraum iranischer Kultur zurück. Wegen seiner starken kulturellen und sozialen Aspekte und der Verbindung zwischen seinen Bräuchen und der Neuwerdung in der Natur sowie der Lebensweise der Menschen, ist es im Iran bis heute bestehen geblieben.
Das Geheimnis für das Überleben von Noruz und seinen Bräuchen unter den Iranern und den Vökern von Gebieten die die Noruz-Kultur pflegen , hängt mit mehreren Dingen zusammen. Die wichtigsten Faktoren sind darin zu sehen, dass Noruz mit der Renaissance in der Natur verbunden ist und diese sich jedes Jahr im Frühling wiederholt . Es liegt auch daran, dass Noruz und seine Sitten mit der Landwirtschaft und dem Alltag der Menschen verknüpft sind. Darüberhinaus hat es vor allen Dingen auch damit zu tun, dass es ein Fest ist, das Fröhlichkeit und Freude mit sich bringt.
Weil Iran auf eine Zivilisationsgeschichte von mehreren Tausend Jahren und ein großes materielles und geistiges Kulturerbe zurückblicken kann, besitzt es zahlreiche Elemente um eine nationale Identität zu bilden. In der Antike gab es eine ganze Reihe von Festen für die Iraner, die zumeist unter dem Volk gefeiert wurden. Natürlich hat sich die Situation im Laufe der Zeit und aufgrund einiger geschichtlicher Ereignisse allmählich verändert und die Bedeutung und Zahl der antiken Feste abgenommen. Das einzige antike Fest welches noch im ganzen Land und offiziell gefeiert wird, ist das Noruzfest mit seinen Bräuchen. Dieses Fest ist als ein Fest der Iraner auf der Welt bekannt.
Die Akte „Noruz“ , welche am 23. Februar 2010 als Weltkulturerbe bei der UNESCO eingetragen wurde, ist dennoch multinational, denn Noruz wird nicht nur im heutigen Iran begangen. Angesichts der großen Zahl von Menschen, die Noruz feiern, ist diese Akte die größte Akte für gemeinsames Kulturerbe. Das Noruzfest wurde als immaterielles Weltkulturerbe registriert.

Haft-Sin-Noruzfesttuch
Das immaterielle Kulturerbe wird meistens mündlich von einer Generation auf die nächste übertragen und die Überträger sehen darin einen Teil ihrer Identität. Dieses Erbe wird im Laufe der Geschichte und entsprechend der Bedingungen von Ort und Zeit, laufend rekonstruiert. Dadurch bleibt es am Leben. Das immaterielle Kulturerbe zeichnet sich auch noch dadurch aus, dass es im Gegensatz zu dem materiellen Kulturerbe über die Grenzen hinausgeht. Es kommt im Rahmen von Beziehungen zwischen Personen, Gruppen und Völkern zur Entleihung von immateriellem Kulturerbe und dieses Erbe breitet sich auch auf andere geografische Gebiete jenseits der Grenzen seiner Heimat aus.
Das Noruzfest ist ein schöner symbolischer Brauch , welcher seit mehreren Tausend Jahren bis heute von den Iranern gefeiert wird. Noruz ist für die Iraner ein fester Anlass, sich - wo sie auch immer sind – ob weit entfernt oder nah - für den Beginn des Neuen Jahres bei ihrer Familie einzufinden und zusammen mit ihren Lieben zu diesem Zeitpunkt an dem feierlich geschmückten Noruz-Tuch zu sitzen, um gemeinsam den Beginn des neuen Jahres zu erleben.
Auch das diesjährige Noruz 1398 ist wie das Noruz von vor Hunderten und Tausenden Jahren ein Anlass sich alles Gute für den neuen Tag – für Noruz – zu wünschen. Herzlichen Glückwunsch zum neuen iranischen Sonnenjahr!