Noruz- plastisch, malerisch
Noruz ist das Freudensfest der Erde. Noruz ist die Zeit, wo die Erde wie eine leere Leinwand mit bunten Blüten in frischen Farben bemalt wird. Das Herz der Erde beginnt zu schlagen und großzügig präsentiert sie uns Menschen die Vielfalt des Lebens. All dieses Leben und all diese Schönheit sind für das Auge eines Künstlers wie ein Gemälde. Er lässt sich davon zu seinen Werken über den Frühling und Noruz inspirieren.
Die Betriebsamkeit im alten Jahr wegen der Vorbereitungen auf das neue sind vorbei. Dieser Betriebsamkeit folgen einige ruhige Feiertage. Eine einmalige Gelegenheit um die Frühlingsnatur zu betrachten – dieses faszinierende Schöpfungswerk Gottes.
Allerdings ist dieses wunderbare lebendige Bild in der Natur von weit geringerer Dauer als ein Gemälde oder ein Gedichtswerk. Es ist mit der Vergänglichkeit behaftet. Wir müssen also die Schönheit der Frühlingsnatur in einem künstlichen Werk festhalten. Die Betrachtung eines Frühlingsgemäldes wird in den Tagen der Eintönigkeit im Herbst und im kalten und kahlen Winter das Herz aufwärmen und eine Augenweide sein. Seit Jahrhunderten haben Künstler daher den Frühling und Noruz - diesen schönen flüchtigen Regenbogen - in ihren Werken festgehalten.
Die iranische Kultur mit ihrer Geschichte von mehreren Tausend Jahren und ihrer gleichaltrigen Kunst besitzt schöne Feste und die Iraner lieben und pflegen ihre Feste. Die iranischen Künstler steuern zum Erhalt dieser Bräuche bei, indem sie sie in ihren Werken wiederspiegeln. Durch Verbildlichung dieser Feste bewahren sie deren Tradition auch für die kommenden Generationen.
Der Name Noruz taucht nicht wörtlich in den Inschriften der Achämeniden auf und dennoch ist Tachte Dschamschid , welches die Griechen Persepolis – die Stadt der Perser - nannten - der beste Beweis dafür, dass diese antiken Könige das Noruzfest – sprich Frühlingsfest - zelebriert haben. Der archäologisch gesehen älteste Teil dieser alten Burgstadt in der Nähe von Schiras wird auf 518 Jahre vor Christus datiert. Die Achämeniden herrschten über ein großes Imperium. Es hat nicht den Anschein, dass die Persepolis ihr ständiger Regierungssitz war. Vielmehr war diese beeindruckende Palastanlage ein Ort für Zeremonien. Es wurden dort prächtige Feiern zu Noruz abgehalten, zu denen Delegierte der Völker eingeladen waren, die im Achämedinischen Reich lebten.

Die Säulen der Persepolis ähneln mit ihren Verzierungen hohen Bäumen. Plastische Abbildungen von Wasserlilien und Zypressen und Blüten schmücken überall die Mauern und das Baugestein. Diese Reliefe in Persepolis erinnern an das Wachstum in der Frühlingsnatur. Der iranische Mythologe Mehrdad Bahar hat die Persepolis nicht umsonst einen „heiligen Garten mit steinernen Bäumen“ genannt.
Die Architektur der Persepolis versetzt heute noch den Betrachter in Erstaunen und zeugt von der damaligen Entwicklungsstufe der Kunst und des Handwerkes im Iran: Man betrachte alleine schon die wunderbaren Reliefe an der Aufstiegstreppe, die zu der höher gelegenen Palastanlage führt. Die Inschrift an der südlichen Wand des Palastplateaus ist in Keilschrift und auf Altpersisch verfasst . Sie enthält Gebete, die wahrscheinlich während der Noruzfeiern vor den Persönlichkeiten und den Gästen verlesen wurden. In der Nähe sehen wir Soldaten des Perserreiches mit Lanze und Schild sorgfältig in das Gestein eingemeißelt. Angesehene Persönlichkeiten steigen die große Treppe zum Palast hoch. Sie unterhalten sich miteinander und tauschen Gesten der Höflichkeit aus, während die Delegierten der Völker, die zum Perserreich gehören, hintereinander herbeigekommen und Geschenke in den Händen halten. Solche Abbildungen zeugen für die Größe eines bedeutenden Festes auf der Persepolis-Burg.
Wie die Geschichte und verbliebene Kunstwerke zeigen, war das Gebet um Segen, Frieden und Sicherheit fester Bestandteil der Noruzfeiern – der Feiern zu Beginn des Frühlings und des neuen Jahres.
Doch auch ein anderer weltbekannter Ort ist eine wichtige Feststätte zu Noruz gewesen, nämlich Isfahan.
Ende des 16. Jahrhunderts haben die Saffawiden ihren Regierungssitz von Qaswin in Westiran in die zentral gelegene Stadt Isfahan verlegt. Die heutige Altstadt Isfahans entstand mit ihrem großen Naqscheh-Dschehanplatz und den anliegenden Moscheen und Palästen, mit ihren Gartenanlagen und den Bazaaren und schönen Brücken. Die Saffawiden wetteiferten mit dem Palästebau der Osmanen und dem Kirchenbau in Europa. Schah Abbas der Erste und seine Nachfolger ordneten die schönsten Verzierungen für den 40-Säulen-Palast und den Al-Qapu-Palast an. Die goldene Epoche der iranischen Wandmalerei fällt in die Herrschaftszeit dieser Herrscherdynastie und die beiden genannten Bauwerke liefern die besten Beispiele für diese Kunst, ebenso wie die plastische Gestaltung des Mauerwerkes in diesen beiden Saffawidenpalästen. Die Malereien sind im Stil der Isfahaner Schule gehalten. Es sind Werke des bekannten iranischen Miniaturmalers Resa Abbasi.
Schah Abbas hat 1598 nach Christus im Ali Qapu-Palast am Naqsch-e Dschehan-Palast von Isfahan das Neujahrsfest gefeiert. Weltenbummler, die damals diesen Palast gesehen haben berichten davon, dass bunte und teilweise vergoldete Gemälde die Wände des Gebäudes von der Decke bis zum Boden schmückten.
An den erhalten gebliebenen Gemälden ist zu sehen, dass Isfahan Gastgeber der Delegierten der verschiedensten Länder war. Im Vergleich dazu sind auf der Persepolis nur die Delegierten der Völker abgebildet, die zum Persischen Reich zählten. Auf der Persepolis sind Szenen historischer Ereignisse, Versammlungen und der Gästempfang und die Ankunft am Königshofe zu sehen. Ähnliche Szenen finden wir in der Gebäudeverzierung aus der Zeit der Saffawiden, doch sind es keine Steinreliefe sondern Malereien. Einige von diesen spiegeln eine neue Weise des Noruzfestes wieder.

Noruz ist der erste Tag im Frühling und der Frühling ist die Jahreszeit, in der die Welt und Natur sich neu entfaltet und der Mensch einen Wandel verspürt. Es ist die Jahreszeit, in der die Kreativität der Künstler auflebt - insbesondere der Maler. In der iranischen Malerei, die in westlichen Quellen meistens unter dem Namen Persische Miniaturmalerei vorgestellt wird, begegnen wir immer wieder Bildern von Frühlingsgärten. Der iranische Maler und Illustrator scheint die Natur übertreffen zu wollen. Seine Bilder von der Frühlingsnatur mit ihren Blumen und Blüten entspringen nämlich seiner Vorstellung vom Paradies und so sieht sein Frühlingsgarten sehr lieblich aus. Der Frühling ist in der iranischen Malerei der Beginn des Jahres mit seinen vier Jahreszeiten und er ist Sinnbild für die Schöpfung des Schöpfers allen Schönen. Die Maler haben sich von der Schönheit der Frühlingszeit inspirieren lassen und mit ihren Bildern, die mit Frohsinn und Hoffnung und mit Liebe erfüllten Geschichten in den alten Literaturwerken illustriert und Frühlingsstimmung auf Papier gezaubert.
Schlanke Zypressen ragen neben Blumenteppichen in die Höhe: Dies sind bekannte Motive in der iranischen Malerei. Daseinsfreude und die Lebhaftigkeit und Frische des Frühlings werden in der Farbenkombination der Bilder iranischer Gärten spürbar. In der iranischen Malerei treffen wir selten Werke über andere Jahreszeiten wie Winter und Herbst an. Die iranischen Gemäldemaler scheinen nur ein Auge für den Frühling zu haben.
Das Haft-Sin-Sofreh ist ein orgineller Blickpunkt zur Noruzzeit. Es ist ein schönes Tuch, welches in den iranischen Familie mit sieben Symbolen des Frühlings geschmückt wird. Jedes Haft-sin-sofreh wurzelt in der Tradition, ob im traditionellen oder modernen Stil gehalten. Die Familie versammelt sich an diesem Festtuch und wartet gemeinsam auf den Moment, in dem das neue Jahr beginnt – es ist eine schöne gemeinsame Erinnerung. Husain Scheich, einer der letzten Schüler des bekannten Gemäldekünstlers Kamal al Molk, dem Wegbereiter der Modernen Kunst im Iran (1847-1940), hat in seinem Gemälde „haft sin“ die Stimmung zum neuen Jahresbeginn gelungen verewigt. Sein Bild steht heute in den Schulbüchern.

ein berühmtes Gemälde von Husain Scheich
Husain Scheich wurde 1911 geboren. Schon als Kind entdeckte man sein Talent und seine Liebe zur Kunst. Kamal al Molk gab ihm Anleitung in der Maltechnik. Husain Scheich bildete später selber liebevoll viele junge Talente aus und schuf Hunderte von Werken. Im Jahre 1991 verstarb er im Alter von 80.
Sein Gemälde „haft sin“ ist eines seiner schönsten Werke. Es spiegelt die Symbole und Bräuche zu Noruz und die von Hoffnung, Freude und Einmütigkeit geprägte Stimmung am haft-sin-Tuch wieder – zu Beginn des neuen Jahres. Übrigens hat das Jahr 1398 – das jetzige neue iranische Sonnenjahr - gemäß dem Dschalali-Kalender diesmal mitten in der Nacht begonnen genauer gesagt um 1 Uhr 28 Minuten und 27 Sekunden in der Nacht zum Donnerstag, dem 21. März 2019.