Memorandum für Mohammad Ali Keschawars
Die Kino-, Theater und Fernsehwelt Irans verlor am 14. Juni einer ihrer Großen. An diesem Tag verstarb Mohammad Ali Keschawars, Träger des höchsten Kunst- und Kulturabzeichens, im Alter von 90 Jahren.
Mohammad Ali Keschawars ist 1930 in Isfahan zur Welt gekommen. Er erzählt aus seiner Kindheit, wie sie in der Familie an den langen Winterabenden im Schahname von Ferdausi gelesen haben und welche Wirkung die späteren Theaterbesuche auf ihn hatten. Das schöne Isfahan habe ihn enorm beeindruckt, ganz besonders die Kachelverzierungen in den historischen Moscheen dieser Stadt. Als Keschawars ungefähr 12 Jahre alt war, wurden die ersten Kinos eingerichtet.
Sein Vater liebte die Dichtung und Musik und jede Woche veranstaltete er Lesungen der Dichtung von Molana (Rumi). Während der Gymnasialzeit hat Mohammad Ali an Theater- und Musikvorführungen teilgenommen. Er liebte die Kunst so sehr, dass er, obwohl er an der Medizinischen Fakultät zugelassen worden war, das Studium wieder abbrach, zumal der Stoff sich nicht – wie er sagt - mit seinen seelischen Neigungen deckte. Lieber entschied er sich für die Kunst und seine Familie erhob auch keinen Einspruch gegen seine Betätigung als Künstler. Der junge Keschawars ging nach Teheran zu einer dreijährigen Ausbildung an der Schauspielerschule.
Seine erste Rolle übernahm er 1948 in dem Theaterstück Viel Lärm um nichts. Er trat in vielen weiteren erfolgreichen Bühnenstücken auf und erntete großen Beifall. Schon vier Wochen vor der Vorstellung reservierten die Theaterfreunde aus allen Bevölkerungsschichten die Eintrittskarten. Es waren bekannte Stücke wie Postamt, Geister, die Feinde, die Hölle, einige Augenblicke vor dem Tod und die nächtliche Vogelscheuche.
Als 1964 die eigentliche Kinowelle im Iran begann, entwickelte sich Keschawars zu einem bekannten Gesicht. Aber seine größten Erfolge fallen in die Jahre nach dem Sieg der Islamischen Revolutionen. Keschawars ist in circa 50 Spielfilmen und in mehr als 30 Fernsehserien und bei Dutzenden von Theater- und Tele-Theaterstücken in einer Rolle aufgetreten. Zu den Sendereihen in Fernsehen, in denen er eine Hauptrolle gespielt hat, zählen zum Beispiel: Feuer ohne Rauch, Tausend Hände, Delschodegan, Galgenkandidaten, Das Märchen vom Sultan und dem Hirten, Patriarch, und Wölfe.
Er glänzte in Spielfilmen wie Ziegel und Spiegel, Herr Halu, Gewitter, Kamal-e Molk, die Schuhe des Mirsa Norus, Mutter, ausländische Währung, der Tag des Unglücks, Nasereddin Schah - Filmakteur, Mondfinsternis, unter den Olivenbäumen und Gazelle.
Besonders berühmt wurde er durch sein Rollenspiel in den Filmen des namhaften iranischen Regisseurs Ali Hatami wie „Mutter“ Kamal-e Molk“ und Delschodegan (von der Liebe befallen). Keschawars sagt, dass ihm die Filme von Ali Hatami, in denen er gespielt hat, am besten gefallen haben.
Eine der beeindruckendsten Rollen hat Ali Keschawars in der Fernsehserie Tausend Hände des verstorbenen Ali Hatami gespielt, nämlich die Rolle eines Obdachlosen namens Schabun, der in der Quadscharenzeit für Lynchaufträge und für Tumulte angeheuert wird.
Mohammad Ali Keschawars glänzte auch mit den gelungenen und vielen Redewendungen ausgestatteten Monologen in dem Film Mutter in der komplizierten Rolle des Familienältesten Mohammad Ibrahim, dessen Erscheinung und Maskenbild sich von den anderen Charakteren des Filmes abheben.
Keschawars war der erste professionelle Schauspieler, der in einem Film des bekannten Abbas Kiarostami spielte und zwar in dem Film Quer durch den Olivenhain. In diesem Film übernahm Keschawars die Rolle eines Regisseurs, der zu Dreharbeiten in das vom Erdbeben betroffene Gebiet von Rudbar im Norden des Landes gekommen ist. Der verstorbene japanische Filmregisseur Akira Kurosawa hat gesagt, dass noch niemand in einem Film so gut die Rolle eines Regisseurs gespielt hat wie Keschawars in diesem Film von Kiarostami.
Keschawars in der Fernsehserie "Patriarch"
Keschawars betrachtet Kiarostami als einen der fähigsten Regisseure, die genau wussten was sie wollten. Auch Kiarostami war mit der Darstellung Keschawars in dem Film Quer durch den Olivenhain sehr zufrieden und hat gesagt, er könne sich noch gut daran erinnern, wie professionell Keschawars sich an die Situation und an die Laienschauspieler im Film angepasst hat anstelle zu erwarten, dass diese sich ihm anpassen. In den Augen von Kiarostami ist ihm das sehr gut gelungen.
Das Rollenspiel von Keschawars in der Fernsehreihe Patriarch, in dem es um die Dominanz eines Familienvaters geht, war so realitätsnah und typisch, dass das Wort Patriarch auch heute noch sofort seinen Namen in Erinnerung ruft. Keschawars stellt in diesem Fernsehreihe einen älteren Herrn dar, der seine Familie liebt aber zugleich auch sehr streng und davon überzeugt ist, dass alle seine Söhne auch noch nach ihrer Heirat weiter in seinem geräumigen Haus bleiben müssen.
Die Filmgeschichte beginnt damit, dass die Frau seines jüngsten Sohnes, nicht mit ihrem Mann bei den Schwiegereltern sondern getrennt von ihnen leben möchte und keine Einmischungen duldet. Sie besteht auf dieser Forderung, während der Schwiegervater eine Einwilligung in diese Forderung als Niederlage für sich selber deutet und besorgt ist, dass seine anderen Söhne die Situation ausnutzen könnten. Mohammad Ali Keschawars wird in der Rolle des strengen Schwiegervaters unvergesslich bleiben.
Schon seit einigen Jahren konnte Mohammad Ali Keschawars aus gesundheitlichen Gründen und wegen seines Alters nicht mehr vor der Kamera stehen. Diese Zeit hat er mit Lesen und dem Besuch von Gemäldeausstellungen, Musikveranstaltungen - und Filmvorführungen verbracht. In Bezug auf die Kunst war er davon überzeugt, dass die künstlerische Begabung eine gute Gabe ist, die Gott einer Reihe von Seinen Dienern verleiht, und dass der Künstler dafür dankbar sein und diese Begabung entfalten muss.
Als Mohammad Ali Keschawars im April dieses Jahres seinen 90. Geburtstag feierte, hat er alle erhaltenen Auszeichnungen an das iranische Filmmuseum verschenkt. In einer Botschaft zu diesem Anlass wandte er sich an seine Landsleute. Nun, anlässlich seines Abschieds, zwei Monate nach seinem 90.Geburtstag, möchten wir aus seiner Botschaft zitieren.
Mohammad Ali Keschawars wünschte anlässlich seines 90. Geburtstag seinen Landsleuten in der jetzigen Zeit, in der sie gegen den Corona-Virus zu kämpfen haben, Gesundheit und schrieb anlässlich des begonnenen Frühlings:
„Grenzenloser Dank sei Gott dem Gnädigen, dass er mich bis heute 90-mal die schöne Auferstehung in der Natur miterleben ließ. Es waren 90 Jahre der Misserfolge und Erfolge, des Kummers und der Freude, der Härten und der Annehmlichkeiten.
Aber nun ist eine harte Zeit - eine harte Zeit für ein Volk, dessen Freude viele lange Jahre meine Freude und dessen Kummer viele lange Jahre lang mein Kummer ist. ..Ein Volk von dessen Seele meine Seele abhängt. Was in diesen harten Zeiten Hoffnung und Lächeln aufrechterhält, sind die unvergesslichen Szenen der Menschlichkeit und der Liebe und des Mitgefühls, Szenen die überall in diesem Leute zu sehen sind und den Geist des Menschen beflügeln. Dieses Mitgefühl und diese Unterstützung und diese Liebe werden uns auch diesen Engpass überwinden lassen. Morgen wird es bessere Zeiten geben!
Meine Lieben! Denken wir daran, was uns dieses Übel, die Pandemie, lehrt. Diese harten Bedingungen sind ein Fingerschnipser für alle Menschen (denn) alle Menschen sind vergesslich! (Es ist) ein Fingerschnipser für uns, welche wir die liebsten und schönsten Augenblicke des Lebens zur Seite haben und es nicht zu schätzen wissen.“
Mehrere Generationen haben Mohammad Ali Keschawars im Kino und im Fernsehen gesehen und sind in den Genuss seiner Kunst gekommen. Er hat mit großem Erfolg in den Filmwerken bedeutender iranischer Regisseure gespielt wie Dariusch Mehrdschui, Naser Taqwai (engl. Nasser Taghavi), Ali Hatami und sogar Abbas Kiarostami , der normalerweise keine Berufsschauspieler in seinen Filmen eingesetzt hat.
Wir werden diesen Schauspieler nicht mehr in live sehen, aber die Erinnerung an seine Schauspielerbegabung hat sich im Gedächtnis der Bevölkerung eingeprägt und seine Kunst ist nicht erloschen. Wir würdigen ihn und seine Generation, die erst auf der Theaterbühne und dann im Fernsehen und im Kino gewirkt und unvergessliche Momente kreiert haben. Seiner Seele sei Freude beschert.