Noruz- ein fester Brauch (2)
Der Frühling hat begonnen und die Iraner überall auf der Welt begehen das Noruzfest. Im ersten Beitrag haben wir über die Noruz- Legenden und Mythen aus dem antiken Iran gesprochen. Nun wollen wir betrachten, wie das Neujahrsfest Noruz zur Zeit der Sassaniden und in der nach ihnen beginnenden Islamischen Ära begangen wurde.
Die sassanidische Dynastie hat von 224 bis 651 nach Christus im Iran geherrscht. Das sassanidische Reich gehört zu den wichtigen Imperien der antiken Welt. Die staatliche Religion im Iran war der Zoroastrismus. Es gab im Iran aber auch eine christliche und eine jüdische Minderheit.
Noruz war auch zur Zeit der Sassaniden für alle ein beliebtes Fest, das ausgiebig gefeiert wurde. Das Fest wurde mindestens 6 Tage lang begangen und bestand aus einen kleinem und einem großen Noruz. Dem Fest gingen Zeremonien voraus, wie die am Vorabend zum letzten Mittwoch, genannt Tschaharschambeh Suri und der große Hausputz. Noruz endete schließlich allgemein mit dem Sizdah be Dar, dem 13. Tag im neuen Jahr.
Die ersten 5 Tage des Farwardins, nämlich des ersten Monats im Neuen Jahr, wurden Noruz-e Kutschek genannt – das kleine Noruz. Diese ersten fünf Tag gehörten dem Volke und die Untertanen durften in dieser Zeit den Großkönig aufsuchen. Dieser gab den verschiedenen Bevölkerungsgruppen von den Bauern und Schreibern bis zu den Priestern und Militärs nacheinander eine Audienz. Dem König wurden bei dieser Audienz Geschenke überreicht. Nach diesen ersten fünf Tagen war das Noruz-e Bozorg. Dieses große Noruz dauerte nur einen Tag. Am großen Noruz suchten die wichtigen Persönlichkeiten des Staates und die Vornehmen den Großkönig auf. Das Noruz-e Bozorg war offiziell der Abschluss des Noruz-Festes.
Dass dieses Neujahrsfest zu Frühlingsbeginn von Bedeutung war, sieht man an dem Einfluss auf die Musik und die Poesie jener Zeit und sogar nachfolgender Zeiten. Der Begriff Noruz-e Borzog , und Noruz-e Chordak (großes bzw. kleines Noruz) und Noruz-e Qubad, wobei Qubad (Kavadh) der Name von eines Sassanidenkönigs war, tauchte in der Dichtung von Manutschehri (10. bis 11. Jahrhundert) und der von Nezami (12. Jahrhundert) auf, also bereits lange nach Zerfall des sassanidischen Imperiums auf. In den alten Geschichtsbüchern hat Noruz überall seine Spuren hinterlassen und es ist darin viel darüber nachzulesen, dass Häuser und Dächer geschmückt und die Straßen festlich beleuchtet wurden, während man den Gästen besondere hausgemachte Speisen und Getränke reichte und alle zum Neujahrsfest neue Kleidung trugen.
Schließlich begann im Iran die Islamische Ära. Das war die Zeit in der die große Mehrheit der Iraner Muslim wurde. Entsprechend dem neuen Glauben und den geeigneten Veränderungen im Gesellschaftsleben und der Politik nahm auch das Noruz-Fest neue Formen an. Die umayyadischen Kalifen, die die Verwaltung des Islamischen Reiches an sich gerissen hatten, feierten das Noruzfest nicht. Aber die Iraner riefen diesen Brauch dennoch wieder wach und versuchten auch das Herrscherhaus damit anzufreunden. Bei den Abbasiden, welche die Umayyaden stürzten, ernteten sie größeren Erfolg damit, denn viele der nationalen Gebräuche der Iraner wurden zur Zeit der Abbasiden wiederbelebt. Die Iraner fanden Einlass in das Regierungssystem und konnten mit ihrer Kultur Einfluss auf den Staat der arabischen Abbasiden ausüben. Die Unterstützung für das Brauchtum des Noruzfestes seitens der Regierung begann zur Zeit der Abbasiden, die von 750 bis 1258 über das Islamische Reich, einschließlich Iran, herrschten. Die nationalen Feste der Iraner gemäß alter Hofsitten und nationalem Brauchtum bahnten sich ihren Weg an den Sitz der abbasidischen Kalifen. So kam es dass einige islamische Historiker und Literaten ausführlich vom Noruz und anderen iranischen Festen im Iran berichten und sehr schöne lange Gedichte in diesem Zusammenhang geschrieben haben, insbesondere über das iranische traditionelle Neujahrsfest Noruz.
Hiermit haben sie über das Noruzfest zur Zeit der vorislamischen Sassaniden und in der Anfangszeit der Islamischen Ära, in der die umayyadischen und abbasidischen Kalifen an der Macht waren, erfahren. Im 9. Jahrhundert übernahm zum ersten Mal nach den Sassaniden wieder eine iranische, in etwa unabhängige Dynastie die Macht in einem Teil von Iran. Es waren die Tahiriden, die von 821- 873 in Chorasan und Transoxanien regierten. Sie feierten ein prächtiges Noruz-Fest. Der iranische Universalgelehrte Abu Raihan Biruni berichtet, dass diese Herrscher im nordostiranischen Chorasan den Mitgliedern der Armee zu Noruz Bekleidung für den Frühling und den Sommer verliehen.
Auch am Hofe der Samaniden, die bis 1005 und der Ghaznawiden, die bis 1163 herrschten, sowie bei den nachfolgenden Herrschern im Iran wurden Noruz und andere alte iranische Feste wie Mehregan und Sadeh (50 Tage vor Noruz) gefeiert. Aber nach dem Einfall der Mongolen kam es zu großen Veränderungen im Lande.
In der Zeit, in der Iran dem Wüten und den Plünderungen der Mongolen ausgesetzt waren, verblasste das Noruzfest wie viele andere Bräuche Irans. Erst allmählich blühte der Noruzbrauch wieder auf und gelangte schließlich unter den Safawiden, die von 1501 bis 1722 im Iran regierten, am Königshof zu Bedeutung. Allerdings wies das Noruzfest im Vergleich zu vorher einen wichtigen Unterschied auf, denn es erhielt religiöse Aspekte. Zur Zeit der Safawiden war Noruz nicht nur national sondern auch religiös gesehen von Bedeutung. Ab da blühte das antike Noruz mit einem religiösen Gesicht auf und blieb bis heute mit diesem Charakter erhalten. Seit den Safawiden haben die Muslime im Iran das Noruzfest als ein wertvolles Kulturerbe gepflegt.
In unserer heutigen Zeit wird Noruz im Iran weiterhin feierlich begangen und nicht nur im Iran sondern auch in vielen anderen Ländern wird dieses Neujahrsfest gefeiert. Die Haft-Sin-Festtafel zum Noruz wird mit den Symbolen der Hoffnung auf die Zukunft gedeckt. Es sind Symbole für die Barmherzigkeit Gottes, die Er Seinen Geschöpfen erweist. Die Familie versammelt sich zum Jahreswechsel um diese Noruz-Festtafel. Sie wird im Iran Sofreh Haft Sin genannt. Das Sabzeh auf diesem Festtuch – ein Gefäß mit frischen grünen Sprossen - ist Zeichen für die Renaissance in der Natur, die Äpfel erinnern an die Paradiesfrüchte und der Knoblauch ist Symbol für Gesundheit. Samanu – eine kräftigende Speise aus Weizensprossen symbolisiert Fruchtbarkeit und Sendsched, die Frucht der schmalblättrigen Ölweide, ist Wahrzeichen für kluges Handeln und Rationalität. Der Essig bedeutet Zufriedenheit und das Gewürz Sumach ist Symbol für Geduld und erinnert an den Neubeginn. Ein Gefäß mit Wasser steht für Reinheit und Klarheit.
Die Hauptsache auf der Noruz-Festtafel ist der Heilige Koran. Er verleiht dem Haft-Sin-Tuch seine höchste Bedeutung. Die Muslime im Iran beginnen das neue Jahr im Gedenken an Gott, damit es ihnen Gesundheit bringt und Ehre bereitet. Und die Iraner, die keine Muslime sind, legen ihr heiliges Buch auf die Noruz-Festtafel - die Zoroaster die Awesta, die Juden die Thora und die Christen die Bibel.
„Noruz ist die Zeit zu Beginn des neuen Jahres und zugleich ein Tag, den es seit Jahrhunderten gibt. Noruz ist ein alter Mann, der jedes Jahr sich in das Gewand der Jugend kleidet und zum Dank für dieses lange Leben und dem jährlichen Überstehen der Kälte, ein paar Tage voller Freude ist. Noruz ist ein gealterter Held mit einem jungen Herzen. Jedes Jahr kleidet er sich in ein buntes Gewand, auf dem eine Farbe am deutlichsten hervortritt, nämlich die Farbe Irans.“ So beschreibt der 1990 verstorbene iranische Schriftsteller Parwiz-e Chanlari das alte iranische Neujahrsfest Noruz.
Das iranische Noruz ist der Nachkomme eines Brauches von mehreren tausend Jahren und erinnert jedes Jahr an den langen Weg, den es gegangen ist und dass es die Iraner miteinander verbunden hat. Die Iraner sind in der Mehrheit Muslime und sie vergessen nicht ihre reiche Kultur, mit der sie frohgemut in die Zukunft blicken. Dieses neue Jahr, das am 21. März 2021 begonnen hat, ist das Jahr 1400 im iranischen Sonnenkalender und dieses Noruz begehen die Schiiten auch einen großen islamischen Festtag. Der Jahrestag der Geburt des erwarteten Weltenretters Imam Mahdi (adsch.), der 15. Schaaban im Mondkalender, fällt nämlich dieses Jahr mit dem 9. des neuen Jahres zusammen und verleiht dem diesjährigen Noruz eine besondere Note. Dies kommt nicht alle Jahre vor und das Zusammentreffen dieser beiden Feste erinnert an die nationale und religiöse Verbundenheit zwischen den Iranern.