Notiz am 7.1.1400: Der tiefere Sinn von Noruz
Anlässlich der Feiern zu Beginn des neuen Jahrhunderts gemäß iranischem Sonnenkalender wollen wir ein wenig über den tieferen Sinn von Noruz sprechen und beschreiben, was uns die Natur jedes Jahr mit ihrer Wiederbelebung lehrt.
Der Frühling haucht der Natur neues Leben ein und spaltet das Dunkel des Winters. Sanft streicht er mit seiner Hand über die Natur und weckt sie aus dem Schlaf.
Der Frühling gibt dem Menschen eine kostbare Anregung zum Lernen. Gott hat tausende Wecker für uns aufgezogen, damit wir aufwachen: Die Geburt eines jeden Kindes und der Tod eines jeden lieben Menschen, jede neue Falte im Gesicht, jeder Aufstieg einer Macht und ihr Untergang, jede Freude und ihr Verklingen, jeder Herbst und jeder Frühling. All dies soll uns wachrufen!
Im Frühling tritt die Macht des Schöpfers deutlich in den Vordergrund. Der Geist des Frühlings ist der Geist des Ein-Gott-Glaubens, des Nachdenkens und der Frische. Der Frühling lehrt den Menschen Gotteskunde und die Kunde von der Auferstehung. Er lehrt die Wandlung, die Entfaltung und inneres Wachstum und die Vollendung. Der Frühling ist Gottes Allmacht zu verdanken. Er ist von Gott vorausgeplant, damit Er mit seiner gewaltigen Macht der Natur neues Leben verleiht. Der Frühling ist ein großes göttliches Zeichen, um den Menschen auf eine Welt aufmerksam zu machen, die jederzeit im Begriff der Wandlung und er Erneuerung ist. Er erinnert uns an den Schöpfer, der die ganze Welt in die Bahn zur Vervollkommnung lenkt: mit Seiner Macht, Seiner Weisheit und Seiner Barmherzigkeit.
Der Frühling und der Neujahrsbeginn im Frühling – Noruz – überbringt die Botschaft für neues Leben in der Natur und erneutes Leben für die Menschen. Er ist ein kleines Schaubild für die Auferstehung am Jüngsten Tag. Jedes Jahr begegnen wir diesem großartigen Schauspiel, mit zahlreichen Fingerzeigen für jenes gewaltige Geschehen; Beweise die keine Zweifel mehr an dem Tag der Auferstehung bestehen bleiben lassen. Der Koran hat in zahlreichen Versen darauf hingewiesen, dass die Erde nach ihrem Absterben wieder zu neuem Leben erwacht. Zum Beispiel spricht Gott, der Schöpfer des Frühlings, im Vers 9 der Sure 35 (Fatir)
«وَاللَّهُ الَّذِی أَرْسَلَ الرِّیَاحَ فَتُثِیرُ سَحَابًا فَسُقْنَاهُ إِلَى بَلَدٍ مَیِّتٍ فَأَحْیَیْنَا بِهِ الْأَرْضَ بَعْدَ مَوْتِهَا کَذَلِکَ النُّشُورُ»،
Und Allah ist es, Der die Winde sendet, und da wühlen sie die Wolken auf. Dann treiben Wir sie zu einem toten Land und machen damit dann die Erde nach ihrem Tod wieder lebendig. Ebenso wird es auch mit der Auferstehung sein.
Auf den ersten Blick handelt dieser Vers von der Auferstehung in der Natur und über ihrem erneuten Aufblühen nach dem Herbst und Winter. Zugleich verbirgt sich jedoch ein unbegrenzter tiefer Sinn in diesen Worten. Daran sehen wir, dass Gott durch Erinnerung an das neue Aufleben und das erneute Wachstum der Natur seine unbegrenzte Macht vergegenwärtigen will und die Gläubigen mit dem Frühling mahnend an den Tag der Auferstehung von den Toten erinnert. Der Prophet des Islams (S) hat gesagt: Wenn immer ihr den Frühling betrachtet, solltet ihr oft und intensiv an den Jüngsten Tag und eure Auferstehung von den Toten denken.
Der Frühling bringt die Natur wieder auf Hochglanz. Er lässt sie dem Licht entgegenblicken. Der Frühling kommt, um uns daran zu erinnern, dass die Schöpfung keinen Schmutz und Hässliches liebt und dass wir nicht nur unsere Umgebung sauber halten sollen, sondern auch unseren Geist und unsere Seele. Denn wenn jeder sein Inneres läutert, dann wird es für alle eine Gesellschaft geben, in der Friede und Gutes herrschen. Das Herz muss rein werden von Schmutz und Hass und Kummer und darauf vorbereitet werden, die Gegenwart des Frühlings zu verspüren. Der Frühling lädt uns zu den besten Dingen ein: zu der besten Verfassung. Er überbringt uns die schönsten Augenblicke.
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Der Frühling ist eine Gelegenheit - eine Gelegenheit von der Natur zu lernen. Die Natur lehrt uns Großzügigkeit und Liebe. Der Frühling erwacht, um großzügig alles was er besitzt seinen Freunden zu schenken. Unter den Menschen erwacht zum Frühlingsanfang anlässlich des Noruzfestes die Freude am Teilen. Das Spenden anlässlich eines Festes ist islamische Sitte. Am Ende des Fastenmonats schickte der Prophet (S), anlässlich des Fitr-Festes, Bilal, den ersten Muezzin im Islam zu den gläubigen Frauen, damit er ihre Spenden für die Bedürftigen entgegennimmt. Gottes Gaben mit anderen zu teilen ist eine Geste des Dankes und gewährleistet neuen Segen. Im Vers 7 der Sure 14 (Ibrahim) steht:
: «وَ إِذْ تَأَذَّنَ رَبُّکُمْ لَئِنْ شَکَرْتُمْ لَأَزِیدَنَّکُمْ ...»
Und als euer Herr ankündigte: ‚Wenn ihr dankbar seid, werde Ich euch ganz gewiss noch mehr (Gunst) erweisen. ...
Auch heißt es im Vers 92 der Sure 3 (Al-i Imran), dass der Mensch von dem spenden soll, was er liebt. Dort steht:
«لَنْ تَنَالُوا الْبِرَّ حَتَّى تُنْفِقُوا مِمَّا تُحِبُّونَ وَمَا تُنْفِقُوا مِنْ شَیْءٍ فَإِنَّ اللَّهَ بِهِ عَلِیمٌ»،
Ihr werdet das Gütig-Sein nicht erlangen, bevor ihr nicht von dem (auf Gottes Wegen) ausgebt, was euch lieb ist. Und was immer ihr ausgebt, so weiß Allah darüber Bescheid.
Eine der Botschaften, welche der Frühling den Menschen überbringt, lautet: Ihr seid nicht weniger als die Natur und in vieler Hinsicht steht ihr über ihr. Wenn also der Frühling kommt und die Natur aus dem Winterschlaf erwacht, wäre es beschämend für uns im Schlaf der Unachtsamkeit versunken zu bleiben. Nicht dass Berg und Tal vom Tod erwachen und allen entgegenlächeln und wir selber uns nicht vom Staub der Niedergeschlagenheit und schmählicher Gedanken befreien! Der Prophet des Islams hat gesagt: „Wer nicht den Wandel der Welt von einem Zustand und den anderen bemerkt, gehört zu den Unachtsamsten.“
Der Mensch kann eigentlich jeden Tag zu einem Noruz – einem Neujahrsbeginn werden lassen, indem er an die Armen spendet, die Beziehungen zur Verwandtschaft pflegt und es ihm gelingt von einer Sünde abzulassen. Jeder Tag kann so für ihn zu einem Id, zu einem Fest werden. Imam Ali hat das Wort Id (Fest) wie folgt definiert:
Jeder Tag, an dem kein Gott-Ungehorsam begangen wird, ist ein Fest.
Diese Worte des Fürsten der Gläubigen bedeuten also, dass der Mensch immer in einem Frühling des Herzens verbringen kann, in dem er verhindert dass sein Herz verdunkelt und indem er Gott nahe kommt, Belebung erfährt und sein Herz erhellt.
Der Frühling ist die beliebteste Jahreszeit. Jedoch verliert dieser Frühling in der Natur seine Frische ohne den wahren Frühling, jenen beständigen, Leben spendenden Frühling. Dieser wird in der Zeit eintreten, wenn der Imam der Zeit (Gott möge sein Kommen beschleunigen) erscheint – Der Weltenretter Imam Mahdi (adsch.) In dem Audienzgebet für ihn nennen wir diesen edlen Imam „Frühling der Menschheit und Freude der Zeit“. In einer größeren Anzahl von Überlieferungen wird den Schiiten anempfohlen, in der Noruz-Zeit an Imam Mahdi (adsch.) zu denken und Gott darum zu bitten, dass er ihn bald erscheinen lässt. Imam Sadiq (F) hat gesagt: „Es gibt kein Noruz wo wir nicht auf die Erlösung (das Erscheinen des Qaim Al-i Mohammad – den Retter Imam Mahdi) warten. Denn Noruz gehört zu unseren und zu den besonderen Tagen unserer Anhänger (der Schiiten).“ Auch folgende Worten sind von Imam Sadiq: „Noruz ist der Tag, an dem der Qa`im (Aufständige) von uns Ahl-ul-Bait und Befehlsbauftragten, erscheinen wird.“
Die zarte Schönheit des Frühlings hat die ganze Natur erobert. Der Frühling ist eingetroffen, um Liebe und Freundschaft in den Herzen zu verewigen. Alles in der Natur hat sich die Hände gereicht, damit das Alte dem Neuen weicht. Wie gut ist es, wenn auch wir angesichts dieses Wandels unsere Herzen läutern und sie von allen schlechten Gefühlen, von Neid und Groll, freimachen. Wir sollten uns vom Frühling inspirieren lassen, das Herz von allem störenden Belag reinigen und es in ein frisches Gewand kleiden.
Lasst uns weder Winter sein, in dem wir frieren, noch Sommer, in dem es uns heiß wird. Lasst uns Frühling sein, damit wir wachsen. Kommt! Der neue Frühling und das neue Jahr ist eine neue Gelegenheit um uns zu erneuern und um darüber nachzudenken, wie wir leben sollten. Lasst uns Hand in Hand mit dem Frühling füreinander das Beste und Schönste wünschen und Gott darum bitten.