Autodidaktische Künstler im Iran
Vor kurzem Zeit lief im Teheraner Niawaran-Kultur- und Geschichte-Zentrum ein Kulturereignis namens Festival der autodidaktischen Künstler Irans. Diese Ausstellung umfasst die Werke von Künstlern die sich selber eine künstlerische Fertigkeit angeeignet haben.
Dieses Festival dient der Entdeckung von Talenten und Wahrung ihrer Werke für die kommenden Generationen. Es wurde in Unterstützung des eben genannten Kulturzentrums seitens der Gesellschaft autodidaktischer Künstler Irans veranstaltet.
Autodidaktische Künstler sind Künstler, die ohne besondere Ausbildung oder Universitätsbesuch, sich selber eine künstlerische Fertigkeit beigebracht haben und nicht den traditionellen Regeln der Kunst folgen. Sie kreieren Kunst ohne sich nach einem vorgegebenen Muster zu richten und ohne die einzelnen Kunststile und Techniken zu kennen.
Die autodidaktische Kunst wurde seit Ende des 19. Jahrhunderts bis zum 20. Jahrhundert unter verschiedenen Bezeichnungen bekannt: wie primitive oder naive Kunst oder Außenseiterkunst.
Autodidaktische Künstler haben ihre eigene Techniken und ihren eigenen Stil. Meistens benutzen sie die einfachsten Materialien in ihrer Umgebung für die Herstellung ihrer Werke, wie Stoffreste , Mehlteig usw. Auf den einfachsten Oberflächen zaubern sie schöne und interessante Gemälde hervor und fertigen Skulpturen und Gegenstände aus den gewöhnlichsten Materialien an. Ihre Werke stecken voller Geschichten aus ihrem Leben. Sie spiegeln ihre Ängste und Nöte oder ihre Freuden und Träume wieder. Viele dieser Künstler sind schon über 60 und ungebildet. Ihre kreativen Werke kommen vom Herzen. Es geht ihnen nicht darum, mit ihrer Kunst Geld zu verdienen. Sie möchten experimentieren und entdecken, ohne an eine Technik gebunden zu sein. Ihnen geht es um Schlichtheit und um den Kern der Kunst , und sie meiden mehrschichtige Äußerlichkeiten.
Der Russe Konstantin Stanislawski (verstorben 1938) ist in der internationalen Theaterwelt bekannt. Im Theater gibt es zwei Hauptstile – den Bertolt-Brecht-Stil und der Stanislawski-Stil. Stanislawski, Schauspieler , Regisseur und Theaterreformer, berichtet in seinem Werk: „Mein Leben in der Kunst“ über seine Liebe zum Theater und wie er zum Theater kam. An einer Stelle schreibt er: „Kann denn jemand Maler, Dichter, Schriftsteller und Theaterregisseur oder Musiker werden, indem er vier Jahre einen Unterricht besucht oder studiert? Für jedes von diesen Dingen muss ein Weg beschritten werden, der nicht durch das Erlernen von Formeln möglich ist. Es steht im Widerspruch zur künstlerischen Kreativität eine Produktionslinie für zum Beispiel 30 Kunstmaler einzurichten.“
Stanislawski hätte sicherlich die Werke von autodidaktischen Künstlern als Beweis vor Augen führen können. Natürlich wollen wir nicht damit sagen, dass die Kunst keine Unterrichtung erfordert oder ein autodidaktischer Künstler sich überhaupt kein Wissen aneignen sollte. Wir müssen jedoch eingestehen, dass es nicht unbedingt davon abhängt eine Kunstakademie zu besuchen, um ein Maler , Musiker oder Skulpteur zu werden.
Die offizielle akademische Kunstlehre ist eigentlich noch gar nicht so alt. Ebensowenig ist es im Verhältnis zum Alter der Menschheit sehr lange her, dass ein Lehrling durch seinen Meister unterrichtet wurde. Dahingegen blickt die menschliche Kunst selber auf eine lange Vergangenheit zurück, die bis in die Zeit der ersten Menschen zurückreicht. Vor Urzeiten gab es nämlich bereits Künstlertalente, die bei keinem in die Lehre gegangen waren und sich die Kunst selber beigebracht haben. Davon zeugen die zum Teil sehr erstaunlichen Zeichnungen auf Höhlenwänden. Somit lässt sich sagen, dass die autodidaktische Kunst bedeutend älter ist als die Kunst, die vom Lehrmeister oder an den Akademien gelehrt wird.
Kunst und Handwerk blicken im Iran auf eine lange Vergangenheit zurück. Iran ist ein Land mit unterschiedlichen Klimazonen und mit einer großen Kulturvielfalt und diese Kulturvielfalt spiegelt sich in seinen Künsten und seinem Kunsthandwerk wieder. Ein Teil dieser Künste wurde von autodidaktischen Künstlern geschaffen und in den letzten Jahren bot sich mehr denn zuvor die Gelegenheit, sie und ihre Werke kennenzulernen. Es gibt heute die Gesellschaft der autodidaktischen Künstler und sie hat mehrmals ein Festival mit den Werken dieser Künstler veranstaltet und sie unterstützt.
Der wohl erste autodidaktische iranische Künstler, der bekannt wurde, ist Darwisch Chan Esfandyar gewesen. Im Jahre 1976 hat der iranische Filmregisseur Parwiz Kimiavi einen Film über ihn gedreht. Der Filmtitel hieß Baghe Sangi – der Steingarten. Darwisch Chan war ein Taubstummer und lebte in der Nähe von Sirdschan in der südiranischen Provinz Kerman. Nachdem ihm sein Landbesitz im Rahmen der Bodenreformen weggenommen worden war und nur noch ein kleiner Garten von seinem Besitz übrigblieb, gab er den Obstanbau auf, bis schließlich alle Bäume verdorrt waren. Er hängte Steine als Früchte in den Bäumen auf und behütete sie als wären es echte Früchte. Der Film „der Steingarten“ von Parwiz Kimiavi über diesen autodidaktischen Künstler erhielt auf den Berliner Filmfestspielen im Jahre 1976 den silbernen Bären.
Ein anderer autodidaktischer Künstler, der die Künstlergesellschaft auf sich aufmerksam gemacht hat, ist Tawwakol Ismaili – bekannt als Masch Ismail. Er gehörte zum Dienstpersonal an der Fakultät für Schöne Künste der Teheraner Universität und hat mit den Resten aus der Werkstatt für Bildhauerei selber Skulpturen angefertigt. Seine Werke fanden Anklang und wurden von Kollekteuren und Kunstfreunden gekauft. In einigen Teheraner Parks sind Werke von ihm ausgestellt worden und die Bevölkerung kann sich auf diese mit den Aktivitäten dieses autodidaktischen Künstlers vertraut machen.
Aber auch Hasan Hazer Moschar ist ein anschauliches Beispiel für einen autodidaktischen Künstler. Er begann mit 16 als Lehrling eines Tischlers zu arbeiten und wurde später als Kunstmaler und Skulpteur bekannt. Seine meisten Gemälde hat er in Anlehnung an die Erzählungen im Schahname des Firdausi angefertigt. Einige haben ihn „Vater der autodidaktischen Kunst“ genannt. Er verstarb 2015.
Die autodidaktische Künstlerin Mokarameh Qanbari auch Naneh Mokarameh genannt wurde sogar außerhalb der Grenzen Irans mit ihren Werken bekannt. Sie ist eine Kunstmalerin aus der Provinz Mazanderan im Nordiran. Ein Jahr bevor sie Gemälde anzufertigen begann, hat sie bei sich zuhause Wände und Haushaltsgegenstände bemalt. Die 2005 verstorbene Naneh Mokarameh liebte schon als Kind das Malen, aber sie hatte es im Leben nicht leicht und so konnte sie sich erst im Alter von 67 der Malkunst zuwenden. Sie begann nach dem Tod ihres Ehemannes und nachdem sie ihre einzige Kuh verkauft hatte, zu malen.
Diese autodidaktische Künstlerin kannte die Geschichten aus dem Schahname, die Romanze von Leili und Madschnun, die Märchen von der Meeresjungfrau, sowie die Geschichte von Abraham und Ismail, von Josef und Zolaicha, von Jesus und Maria und so begann sie diese Erzählungen bildlich darzustellen. Bald hatte sie Künstler und Kunstfreunde auf sich aufmerksam gemacht und im Jahre 1995 stellte sie zum ersten Mal ihre Werke aus. Naneh Mokarameh wurde so bekannt, dass die schwedische Stiftung für Frauenforschung sie 2001 zur internationalen Frau ernannt hat. Im darauffolgenden Jahre erhielt sie im Iran den Titel „Frau des Jahres“ verliehen.
Der iranische Regisseur Ibrahim Mochtari hat einen Film mit dem Titel: „Mokarameh, Erinnerungen und Träume“ über sie gedreht. Dieser Film fand international Beifall und erhielt zahlreiche Auszeichnungen.
In einem Alter, das einige mit dem Ruhestand und Untätigkeit gleichsetzen, hat Nane Mokarameh den Pinsel in die Hand genommen und das, was ihr Jahre lang durch den Kopf gegangen war und was sie auf dem Herzen hatte, mit ihren bunten Pinselstrichen verbildlicht. Sie hatte niemals Lesen und Schreiben erlernt, aber sie hat mit ihren Gemälden auf den Wänden und auf den Fenstern ihres Hauses das ausgesprochen, was in ihrem Herzen war.
Die Bilder, die sie gemalt hat, wirken wie die Geschichten einer Großmutter. Es sind schöne sowie traurige Geschichten, die weit zurückliegen. An den Gemälden von Mokarameh Qanbari wird der Einfluss der Umgebung, in der sie gelebt hat, deutlich und ebenso ist das harte Leben, das hinter ihr lag, aus ihnen heraus zu spüren.
Viele haben sich mit ihrem Malstil befasst. Doch die bildliche Wiedergabe ihrer Gefühlen in diesen Gemälden, scheint noch interessanter als die Frage nach ihrem Stil zu sein. Sie bildet in ihren Gemälden Teile des realen Dorflebens ab und die Menschen auf ihren Bildern zeigen die dafür typischen Gebärden und Haltungen, obwohl sie von der realen Welt abgerückt sind.
Das Haus von Mokarameh Ghanbari ist heute angefüllt mit ihren Gemälden. Es wurde als „Museumshaus der Naneh Mokarameh“ bekannt und ist in die Liste des iranischen Nationalkulturerbes aufgenommen worden. Ihre Kinder und Familie haben die Gemälde, die sie von Frau Ghanbari besaßen dem Museum übergeben. Die Registrierung ihres Hauses als Kulturerbe erfolgte in Zusammenarbeit mit der Organisation für Kulturerbe und Tourismus der nordiranischen Provinz Mazanderan. Das Grab der autodidaktischen Künstlerin liegt im Hof des Hauses.