Die lange Geschichte des Arbain-Fußmarsches
In diesen Tagen, in denen überall etwas von Kerbala zu spüren ist, können wir mehr denn je begreifen, wie wahr die Worte von Zainab-e Kubra (F) gewesen sind, die sie als Gefangene an den gewaltsamen Umayyadenherrscher Yazid richtete, der ihren Bruder Imam Husain und seine Helfer ermorden ließ.
In diesen Tagen ist überall etwas von Kerbala zu spüren und allerorts ist von der Losung: O Husain, wir sind deinem Aufruf gefolgt – erfüllt – Labaik – ya Husein.
Auch können wir in unserer Zeit mehr denn je begreifen, wie wahr die damaligen Worte von Zainab-e Kubra (F) der Schwester Imam Husains gewesen sind, als sie zusammen mit den anderen Gefangenen dem gewaltsamen Umayyadenherrscher Yazid vorgeführt wurde. Der Satz den Zainab-e Kubra an Yazid richtete lautete:
یا یزید کد کیدک واسع سعیک ناصب جهدک فوالله لا تمحو ذکرنا و لا تمیت وحینا
„O Yazid! Ich sage dir, welche List du auch immer anwenden willst und was du auch immer unternehmen kannst: Falls du unseren Namen auf der Welt auslöschen möchtest, kannst du sicher sein, dass er sich nicht auslöschen lässt. Wer ausgelöscht und vernichtet wird, das bist du!“
Yazid und seine Leute hätten am Aschura-Tag gerne das Heldentum von Imam Husain (F) und seinen Helfern gleich in Kerbela begraben. Sie zertraten die Leichname der Märtyrer in Kerbala unter den Hufen ihrer Pferde und wollten, dass die Prophetenfamilie – die Ahl-e Bait – für immer vergessen wird. Ihnen war nicht klar, dass der Name Husain und sein opferbereiter Aufstand bis in alle Ewigkeit verbleibt und zu einer vitalen inspirierenden Schule wird. Die strahlenden Lichter Gottes erlöschen niemals. Gott hat es in dem Vers 32 der Sure Tauba (9) verheißen. Dort spricht Er:
:«یُریدُون أنْ یُطْفِؤُا نورَ اللهِ بِأفْواهِهِمْ وَ یَأْبیَ اللهُ إلاّ أنْ یُتِمَّ نورَهُ وَلَوْ کَرِهَ الکافِروُن
„Sie wollen Allahs Licht mit ihren Mündern auslöschen. Aber Allah besteht darauf, Sein Licht doch zu vollenden, auch wenn es den Ungläubigen zuwider ist.
Der Millionen-Fußmarsch zur Ruhestätte von Imam Husein, Sohn Imam Alis (F) zum 40. Trauertag ist ein Zeichen dafür, dass der Name Husains (F) und die Botschaft von Aschura weiterleben. Trotz Kriegen, Drohungen und Sanktionen hat sich dieser Arbain-Fußmarsch zu der größten religiösen Prozession auf der Welt entwickelt. Diese Pilgerwanderung ist seit dem Imamat von Imam Sadschad, dem Sohn Imam Husains (F) üblich. Der erste Pilger ist Dschabir ibn Abdullah Ansari gewesen. Er begab sich 61 nach der Hidschra – 680 nach Christus –zu Fuß von Medina auf der Arabischen Halbinsel nach Kerbela. Dort traf er am Morgen des ersten Arbains – des ersten vierzigsten Trauertages nach dem Märtyrertod von Imam Husain – dem Fürsten der Märtyrer (F) ein. Am gleichen Tag erreichten auch Zainab-e Kubra , die Schwester Imam Husains, und Imam Husains Sohn Sadschad(F) zusammen mit den anderen Hinterbliebenen auf der Rückkehr aus der Gefangenschaft das Grab des Imams. Die Geschichte des Arbain-Pilgerbesuches begann.
Die Pilgerreise zu Arbain erinnerte gleich zu Anfang an das Unrecht, welches in Kerbala geschehen war, und stellte die Umayyadenherrscher bloß. Daher beschlossen die umayyadischen Kalifen etwas zu unternehmen. Sie errichteten Wachposten in der Umgebung von Kerbala und besetzten sie mit Wächtern, die brutal gegen die Pilger vorgingen. Daraufhin zogen die Pilger erst in Dörfer, die nahe Kerbala lagen, wie das Dorf Ghadhariyya und machten sich dann heimlich in der Nacht alleine oder zu mehreren auf den Weg zum Grab von Imam Husain.
Auch unter den Abbasiden, welche den Umayyaden das Kalifat abstreitig machten, sahen sich die Pilger schweren Hindernissen gegenüber. Nach Stabilisierung ihrer Herrschaft sind die Abbasidenkalifen gegen die Pilger vorgegangen und haben die heiligen Gräber in Kerbala beschädigt. Wer sich zum Grab von Imam Husain (F) wagte, musste um sein Leben fürchten oder wurde schwer gefoltert. Imam Baqir und Imam Sadiq, der Enkel und Urenkel von Imam Husain (F) aber munterten die Menschen zum Pilgerbesuch auf, indem sie die Belohnung eines Besuches am Grab des Fürsten der Märtyrer insbesondere in einer Zeit, wo Gegenmaßnahmen seitens eines Herrschers zu befürchten waren, unterstrichen. Zararah, ein Schüler Imam Baqirs (F) fragte diesen: „Was sagt ihr über jemanden, der deinen (Groß-)vater am Grab besucht und dabei Angst verspürt?“ Imam Baqir antwortete: „Am Jüngsten Tag, an dem jeden die größte Angst und Furcht erfasst, wird Gott ihm Sicherheit gewähren und die Engel werden ihm mit froher Kunde begegnen und sagen: Fürchte dich nicht und sei nicht bekümmert, denn dieser Tag ist der Tag deiner Seligkeit und Rettung.“
In einer anderen Überlieferung von Imam Baqir (F) heißt es außerdem: „Jemand der sein Haus verlässt und das Grab von Hadhrate Husain ibn Ali (F) besuchen möchte, dem wird - wenn er zu Fuß ist - Gott, der Gnadenspender, für jeden Schritt ein gutes Werk aufschreiben und eine seiner Sünden streichen, bis er beim Ha´ir – das Gebiet in Umgebung des Grabes - ankommt. Nachdem er dieses heilige Gebiet erreicht hat wird Gott, der Höchsterhabene, ihn zu den Geretteten zählen, bis dass die Zeremonien und die Handlungen des Pilgerbesuches zu Ende sind und dann wird Er ihn bis zu dem Zeitpunkt, wo er zurückkehrt, zu denen zählen, die den großen Erfolg erzielen. In dieser Zeit werden die Engel ihn aufsuchen und sagen: „Der Prophet Gottes (S) hat uns beauftragt dich zu grüßen und sagt zu dir: „Beginn deine Handlung von vorne, alle deine bisherigen Sünden sind vergeben worden.“
Als der Abbasidenkalifen Mutawakkil Mitte des 9. Jahrhunderts nach Christus herrschte, erreichten die Maßnahmen gegen Kerbala –Pilger und die Schändung und Beschädigung der Heiligen Grabstätte ihren Höhepunkt. Mutawakkil erklärte, jemandem würde nur dann der Besuch am Grab Imam Husains (F) erlaubt, wenn er sich die rechte Hand abschlagen ließ. Es ist erstaunlich dass trotz dieser Drohung die Zahl derer, die unbedingt den Pilgerbesuch durchführen wollten, zunahm. Der bekannte muslimische Historiker Al-Masudi schreibt (im 10. Jahrhundert ) in seinem Werk Murudsch ad Dahab (Buch der goldenen Wiesen): „Eine Frau, die gekommen war, um ihren Namen für die Audienz an der Heiligen Städte Imam Husains (F) eintragen zu lassen, hielt die linke Hand vor, damit sie abgehackt wird. Die Beamten erinnerten sie daran, dass der Preis für den Pilgerbesuch, das Abschlagen der rechten Hand sei. Da zeigte die Frau ihren rechten Arm, dessen Hand abgeschlagen worden war und erklärte: `Meine rechte Hand haben sie voriges Jahr abgehackt.`“
Der damalige Vorsteher der Muslime, Imam Hadi (F) hat die Menschen wie folgt angespornt nach Kerbala zu pilgern: „Wahrlich, es gibt Gebiete für Gott, wo Er es liebt, dass die Menschen dort beten und dienen und Ha`ir al Husain ist eines dieser Gebiete."
Einige Jahrhunderte nach dem Sturz der Abbasidendynastie, das heißt zu Beginn des 13. Jahrhunderts nach dem Mondkalender, 1802 nach Christus, griffen die Wahhabiten Kerbala an. Die Bevölkerung verriegelten alle Stadttore aber die Wahhabiten drangen mit Gewalt in Kerbala ein. Sie begannen mit der Zerstörung der beiden Heiligen Grabmoscheen und töteten an die 50 Pilger, die sich am Schrein befanden und 500 Menschen, die auf dem Hof der Moschee waren. Einige geben die Zahl der Todesopfer mit ungefähr Tausend an. Jahrzehnte später, als die Baath-Partei 1963 im Irak an die Macht kam hat diese sofort die Unterdrückung der Schiiten auf ihre Tagesordnung gestellt. Zu den blutigen Maßnahmen der Baath-Partei gehörte die gewaltsame Unterbindung der Trauerzeremonien der Schiiten. Das damalige irakische Regime hat in den Jahren 1970 und 1975 bis 1977 die Pilger, die von Nadschaf nach Kerbala unterwegs waren, aus der Luft und zu Boden beschossen und ein blutiges Arbain inszeniert.
Nach dem Sturz von Saddam, der 1979 an die Macht kam und ebenso die Pilgerreise nach Kerbela gewaltsam verhinderte, stieg die Zahl der Pilger nach Kerbala explosionsartig an und der Fußmarsch zu Arbain wurde zu einer der größten religiösen Zusammenkünfte der Welt. 2003 betrug die Zahl der Teilnehmer an dieser Pilgerwanderung 2 bis 3 Millionen. Aber diese Zahl erreichte in den letzten Jahren fast 20 Millionen und an dieser großen Zusammenkunft nehmen inzwischen auch Anhänger von anderen Religionen darunter Christen teil.
Natürlich war in diesen letzten Jahren der Arbain-Fußmarsch auch nicht immer gefahrenfrei und des Öfteren haben niederträchtige Legionäre die Pilger angegriffen. 2013 hat Abu Bakr al Baghdadi der Anführer der Takfiri-Gruppen Iraks, welche bestimmte Muslime für Ungläubige erklären und töten, den Arbain Pilgern mit dem Tod gedroht. In einem publizierten Video sagte al- Baghdadi: „Seit einigen Jahren hat die Teilnahme der Schiiten an Arbain zugenommen. Wir werden dieses Jahr mit aller Macht eingreifen und dieses Jahr zu Arbain, wie am Aschuratag 61 nach der Hidschra, alle Schiiten umbringen!“ Tatsächlich kam es zu blutigen Anschlägen und viele Pilger fanden in Basra, Bagdad und in Umgebung von Kerbala den Märtyrertod.
Stimmung in Kerbala im Trauermonat Muharam und zu Arbain
Der Arbain-Fußmarsch ist ein Gräuel für viele Palastbewohner unserer Zeit, die nicht viel anders sind als die Umayyaden. Dieser Fußmarsch ist der wahhabitischen Sekte und den Saudis und weiteren Verrätern ein Dorn im Auge. Sie versuchen diese gewaltige Volksbewegung zum Verblassen zu bringen, obwohl sie genau wissen, dass es nichts gibt, womit sich der Strom der Pilger zum Arbain-Tag stoppen und die Begeisterung für den Fürsten der Märtyrer auslöschen ließe. Der Prophet Gottes (Gottes Segen sei auf ihm und Friede seinem Hause) hat gesagt: „Wahrlich: Durch den Märtyrertod Husain kommt eine Hitze in den Herzen der Gläubigen auf, die nie abkühlt.“