Der schöne Adhan von den Minaretten der Hagia Sophia
Am 10. Juli dieses Jahres 2020 erklang zum ersten Mal nach über 8 Jahrzehnten wieder der schöne Adhan von den Türmen der Hagia Sophia.
Den Muslimen, die in der Nähe waren und den Aufruf zum Gebet gehört haben, begann bestimmt das Herz vor Freude schneller zu schlagen und diejenigen die in der Ferne von diesem Ereignis erfuhren, haben sich mit Sicherheit ebenso darüber gefreut. Nach Jahrzehnten ist dieser heilige Ort erneut Gebetsstätte der Diener des Einen Gottes. Die Gläubigen haben sich nach Aufruf zum Gebet am 10. Juli in der Moschee zum Freitagsgebet versammelt. Viele gratulierten einander in den sozialen Netzwerken aus diesem Anlass.
Die Hagia Sophia ist ein architektonisches Meisterwerk. Sie war sowohl im Oströmischen als auch im Osmanischen Reich von großer Bedeutung. Ihren Bau ordnete Theodora, die Gemahlin des Römischen Kaisers Justinian der Erste an. Hagia Sophia wurde im Laufe von 5 Jahren von zehnttausend Arbeitern unter der Aufsicht von einhundert Baumeistern errichtet. Diese Kathedrale galt als eines der schönsten religiösen Bauwerke in Konstantinopel.
Hagia Sophia bedeutet so viel wie „Heilige Weisheit“. Als die Osmanen die Stadt Konstantinopel eroberten, wurde sie auf Befehl des Osmanischen Königs in eine Moschee umgewandelt. Die Minarette der Moschee wurden damals nachträglich gebaut. Im Laufe der Zeit ist Hagia Sophia mehrmals restauriert worden. Auch in der Zeit als Kamal-e Ataturk ab 1923 nach den Osmanen herrschte nahm man Restaurationen vor, aber Ataturk veranlasste im Jahre 1934, dass die Hagia Sophia Moschee in ein Museum umgewandelt wird. Die Teppiche der Moschee wurden weggeschafft und die Tafeln mit dem Namen Allah, Mohammad (S), den Namen der vier ersten Kalifen und Imam Hasans und Imam Husains ebenso abmontiert. Man wollte auf diese Weise die geistliche Atmosphäre in diesem Bauwerke beseitigen und eine Museumsatmosphäre schaffen. Der Versuch, die großen Tafeln in eine andere Moschee zu bringen, misslang jedoch, weil sie nicht durch die Türen der Hagia Sophia passten. Deshalb lagerte man sie in einem Winkel des Gebäudes, bis sie im Jahre 1949 erneut als Wandschmuck dienten.
.
Das Schicksal der Hagia Sophia ist eng mit der politischen Geschichte der Türkei verknüpft. Bei einem Blick auf die Geschichte dieses Landes stellen wir zwei verschiedene Einstellungen zur Religion fest. Im Osmanischen Reich waren die Imperatoren, die sich als Kalifen – als Statthalter Gottes ausgaben, bestrebt, im Namen der Religion über das Volk zu herrschen. Wie gesagt wurde in ihrem Reich die Hagia Sophia, die ursprünglich ein christliches Gebäude war, in eine Moschee umgewandelt. Nach dem Sturz des Osmanischen Reiches und der Gründung der Türkischen Republik im Jahre 1923 gelangte, wie zuvor erwähnt, Mustafa Kamal Ataturk, der Anführer der türkischen Unabhängigkeitsbewegung an die Macht. Er war ein Vertreter des Säkularismus und Nationalismus und gegen die Religion und die Religionsanhänger eingestellt: daher sein Befehl im Jahre 1934 zur Umwandlung die Hagia Sophia Moschee in ein Museum. Aber dieses Jahr – 2020 ist die Hagia Sophia wieder zu einer Moschee geworden.
Vielleicht kann dies als eine Art Niederlage des säkularistischen Denkens und eine erneute Zuwendung zur Religion und Religiosität interpretiert werden.
In den letzten Jahrhunderten hat die moderne Wissenschaft die Herrschaft Gottes über die Daseinswelt ignoriert. Dies führte zusammen mit der Versachlichung aller Beziehungen im Dasein zur Dominanz des materiell orientierten Denkens. Doch nun scheint die Welt etwas wiederentdeckt zu haben: etwas, was ihr verloren ging und bei dem sie nun erneut Halt sucht, nämlich die Religiosität und das Immaterielle. Die Anhänger aller Religionen, ob himmlischer oder nicht-himmlischer Herkunft, halten nach Rettung Ausschau. Säkulare Einrichtungen in der türkischen Republik halten jedoch immer noch an den Parolen Ataturks fest. Seine Slogans scheinen aber ihre ehemalige Bedeutung in der türkischen Gesellschaft verloren zu haben und zu leeren Parolen geworden zu sein. Wir sind heute Zeuge, dass der Mensch wieder die Verbindung zum Ursprung des Daseins als einen Faktor, der am meisten Zuversicht spendet, sucht. Im Gefolge der jetzigen weltweiten Krise wird dem Menschen mehr denn je bewusst wie untauglich und unzureichend das materialistische Denken ist und er möchte zu seinem wahren inneren Wesen zurückkehren. Daher erleben wir, wie das Fundament des humanistischen Denkens in der säkularen Welt ins Schwanken gerät. Die Menschen haben sehr wohl begriffen, dass rein materialistisches Denken nicht ihre wahren menschlichen Bedürfnisse erwidern kann und dass dieses Denken sie eher in den morschen Rahmen der atheistischen Weltanschauung einpfercht als dass es ihnen Befreiung beschert.
Viele sind heute an Bewusstsein und Selbsterkenntnis und Weitsicht gelangt und wollen die Religion real und nicht nur äußerlich in ihr persönliches und gesellschaftliches Leben zurückholen. Sie wollen eine Lehre befolgen, die Rationalität und Spiritualität, Macht und Ethik, Wissen und Werte und Wissenschaft und Praxis miteinander verbindet.
Zweifelsohne besitzt der Islam das Potential, denen, die nach Gerechtigkeit auf der Welt rufen, den rechten Weg zu weisen. Es liegt auf der Hand, dass eine Religion, welche die Vernunft des Menschen anspricht, und deren Lehren sich mit zunehmendem Fortschritt der menschlichen Wissenschaft als richtig erweisen, den Anspruch auf Wahrhaftigkeit erheben kann. Wir sind daher Zeuge der Verbreitung des Islams und dem Ruf nach der Anbetung des Einen Gottes auf der Welt. Wahrscheinlich ist diese wachsende Zuwendung zum Islam ein Grund für die Angstmache vor dem Islam und die Islambekämpfung, die in unserer Zeit von den arroganten Gewaltmächten in die Wege geleitet und gesteuert werden.
Aber täglich machen neue Nachrichten auf die zunehmende Verbreitung des Islams auf sich aufmerksam. Im Februar vergangenen Jahres erregte die Mitteilung Aufsehen, dass ein Politiker in den Niederlanden, der ein heftiger Gegner des Islam gewesen war, zum Islam übergetreten ist. Dieser Politiker ist Joram van Klaveren, ein ehemaliges Mitglied der rechtsradikalen Partij Voor de Vrijheid (Partei für die Freiheit). Van Klaveren war im Begriff ein Buch gegen den Islam zu schreiben, als er am 4. Februar 2019 erklärte, dass er beim Schreiben die positiven Seiten der islamischen Lehre kennengelernt hat und davon so beeindruckt wurde, dass er sich schließlich zum Islam bekannt und sein Buch umgeschrieben hat.
Die Menschen und Anhänger verschiedener Religionen sollten einander in der Corona-Zeit näher kommen. Der walisische Komponist Karl Jenkins ist mit seiner Friedensmesse – Armed Man – in der auch der Gebetsruf der Muslime, der Adhan vorkommt - einen Schritt in diese Richtung gegangen. Diese Friedensmesse wurde schon mehrmals in deutschen Kirchen aufgeführt - so in der evangelischen Gedächtniskirche in Stuttgart, und im katholischen Münster St. Paul in Esslingen.
Von mehr als 100 Moscheen in Deutschland und Niederlanden erklingt der Gebetsruf und stärkt die Bevölkerung seelisch gegenüber der Corona-Krankheit. Der Islam spornt dazu an, dass die Menschen einander helfen. Eine türkische Muslimengemeinschaft in Holland trug mit einem Poster, an einer Bushaltestelle gegenüber einem Krankenhaus, zur seelischen Stärkung besonders des Krankenhauspersonals bei. Auf diesem Poster stand auf Holländisch und Englisch ein Ausschnitt aus dem Vers 32 der Sure 5 (Maida) nämlich:
Sure 5 (Maida) Vers 32):
Und wer einen Menschen am Leben erhält, so ist es, als ob er alle Menschen am Leben erhält.
Viele die sich zum Islam bekennen, begründen dies mit dem klaren Gott-Bild im Islam. Das Informationsportal einer christlichen Kirche in den USA führte die Zuwendung zum Islam darauf zurück, dass dieser logische und einfache Prinzipien lehrt, und hob hervor, dass alle Gläubigen im Islam gleichgestellt sind. Der Islam sei eine Religion, die praktiziert wird, und ein anderer Grund für seine Faszination sei seine Rechtleitung.
Mit zunehmend logischem Denken des Menschen werden wir erleben, dass auch sein Glaube daran, dass Gott über die Angelegenheiten auf der Welt bestimmt, wächst. Dies wird der Welt, die vor uns liegt, ein neues Aussehen verleihen. Es lässt sich sagen, dass der wachsende Wunsch nach Spiritualität und Religiosität die Welt verändern wird. Dies wird eine entschiedene Herausforderung für den vorhandenen Modernismus sein, was Erkenntnis und Daseinsverständnis anbelangt.