Was iranische Filmemacher in Venedig noch zu sagen hatten
Die internationalen Filmfestspiele in Venedig sind das älteste Filmfestival der Welt. Trotz Corona fanden sie auch dieses Jahr vom 2.bis 12. September statt. Zu den Preisträgern dieser 77. Festivalrunde gehörte der iranische Filmregisseur Madschid-e Madschidi.
Er bedankte sich von der Tribüne aus bei den Festivalleitern dafür, dass sie dieses Kunstereignis trotz der erschwerten Bedingungen veranstaltet und neues Leben in die Kinowelt gebracht haben.
Madschid-e Madschidi vertrat den Iran mit seinem Film “Chorschid“ in der Haupt-Wettbewerbssparte. Auch wurden in der Sparte „Horizonte“ des Festivals der Film „Dschenayat-e bi deghat“ (nicht ganz exaktes Verbrechen oder so ähnlich) von Schahram Mokri und „Dascht Chamusch“ (die stille Ebene (the Wasteland)) von Ahmad Bahrami vorgeführt.
Der Film „Chorschid“ – handelt von Kindern, die auf der Straße Sachen an Autofahrer oder Passanten verkaufen. Madschidi hat Ruhullah Zamani und Schamila Schirzad für die Rolle von zwei Kindern gewählt. Die beiden sind auch in der Realität Kinder gewesen, die für ihre Familien arbeiten. Ruhullah Zamani erhielt für sein glänzendes Rollenspiel in dem Film „Chorschid“ die Auszeichnung des Festivals für neue Talente. Außerdem wurde der Film „Chorschid“ auch von einer Nebenabteilung des Festivals mit dem Preis Lanterna Magica ( Wunderlampe) ausgezeichnet.
Peter Debruge, US-amerikanischer Filmkritiker, der für Variety schreibt, zog in seiner Notiz in dieser Fachzeitschrift einen Vergleich mit westlichen Filmen und dem Film Chorschid und verwies auf die inhaltlichen und künstlerischen Wert des Filmes. Er sieht in der Einfachheit des Filmes von Madschidi seine Stärke und schreibt: „Der Hintergrund und die Personen im Film erinnern in gewisser Weise an den Film „Los Olvidados“ (Die Vergessenen) „ von Luis Buñuel, das von dem Leben der Kinder in Mexico City handelt. Es ist ein ethischer und aufrichtiger Film in neorealistischer Form und Madschidi hat viele Filme dieser Gattung in seinem Arbeitszeugnis stehen. Der Film „Chorschid“ mutet makelloser an als seine vorherigen Regiewerke.“
Auf einer Pressesitzung hat Madschid Madschidi während der Filmfestspiele in Venedig die Politik der USA kritisiert und gesagt, dass das Schüren von Kriegen und die Verhängung von Sanktionen durch die USA die sozialen Probleme im Iran und anderen Ländern im Mittleren Osten vergrößert haben. Er griff auch die US-Politik der Wirtschaftssanktionen gegen die Islamische Republik Iran an, kritisierte die Sanktionen im Arzneimittelbereich und sagte: „Während ich jetzt mit ihnen spreche befinden wir uns in der Corona Zeit und dies ist ein gemeinsames internationales Drama. Eines der großen Probleme unseres Landes ist der Arzneimittelboykott. Unter den jetzigen harten Bedingungen, gelangen keine Arzneien in unser Land, weil die USA Sanktionen gegen uns verhängt haben. Die Menschen im Iran leben seit 40 Jahren unter den schwierigen Bedingungen, die durch die unmenschlichen Sanktionen der USA verursacht werden.“
Auf der Abschlussfeier der Filmfestspiele in Venedig betrat Schamila Schirzad anstelle des Preisträgers Ruhullah Zamani, der wegen Corona nicht anreisen konnte, zusammen mit Madschid Madschidi die Bühne. Die Laienschauspielerin Schirzad sagte: „Ich und Leute wie Ruhullah sind alles Kinder, die als fliegende Händler auf der Straße tätig waren. Ich habe bis vor einem Jahr als fliegender Händler gearbeitet. Ich bin Herrn Madschidi dankbar, dass er uns unsere Träume zurückgegeben hat.“ Ruhullah Zamani bedankte sich in einer Video-Botschaft bei dem Leiter der Festspiele und der Jury-Präsidentin Cate Blanchett sowie bei Herrn Madschidi und sagte: „Ich komme aus der Mitte von Kindern, die arbeiten gehen und hoffe, dass es einmal nirgendwo auf der Welt mehr auch nur ein Kind gibt, das arbeiten muss und den Kindern alle Möglichkeiten offenstehen.“
Deborah Young , Filmkritikerin für „Hollywood Reporter“, schrieb über den Film „Chorschid“: „Der iranische Regisseur Madschid Madschidi hat einige der erstaunlichsten und erschütterndsten Kinofilme der Welt zur emotionalen Verbildlichung des Leides von entbehrenden, ausgenutzten Kindern gedreht und „Chorschid“ ist der beste von ihnen. Es ist die Geschichte von mehreren heranwachsenden Jungen, die von einer Person angewiesen werden einen Schatz, der im Hinterhof einer Schule für arbeitende Kinder in der Erde liegt, ausfindig zu machen. Im Mittelpunkt der Geschichte steht ein intelligenter Zwölfjähriger namens Ali. Dieser Film erhielt beim 38. Fadschr-Filmfestival (im Iran ) im Februar 2020 den Preis für den besten Film, das beste Regiebuch und den besten Produktionsentwurf.“
Young schrieb weiter: „1998 konnte der Film „Batchehaje Aseman“ (Kinder des Himmels) von Madschidi in der Sparte für den besten nicht-englischsprachigen Film für den Oscar kandidieren. Der Film Chorschid weist zwar nicht die die gleiche optische und zauberhafte Frische von „Kinder des Himmels“ auf, verurteilt jedoch heftig, dass Kinder arbeiten müssen und die Grundausbildung von Kindern aus armen Familien vernachlässigt wird.“ "
Die sozial-kulturelle Einrichtung Cinecircoli , welche den Lanterna-Magica Preis verleiht, nahm wie folgt zu dem Film von Madschid Madschidi Stellung: „Der Film Chorschid schildert wahrheitsgetreu die gestohlene Welt des Kindes und zeigt deutlich die Gegensätze zwischen seiner Welt und der Erwachsenenwelt. Dieser Gegensatz wird an diesen Kindern und an dem Weg, der vor ihnen liegt, bis sie erwachsen sind, deutlich. Noch beachtenswerter ist, dass sich der Film damit auseinandersetzt, dass Kinder, die arbeiten gehen, keinen oder nur einen schlechten Fürsorger haben und es keine Schulbildung für sie gibt. Ebenso setzt der Film sich mit der ungerechten Einstellung bei Verwaltungsweisen auseinander, welche diesen Kinder auf gewisse Weise ihre Kindheit vorenthält. In diesem Zusammenhang fand besonders das kindliche Spiel Beachtung, welches normalerweise zur Kindheit gehört aber hier zur Arbeitskette wird. Höhepunkt der Darstellung ist die ausgezeichnete Regie, die auf Einzelheiten fokussiert. Die Filmmusik ruft das richtige Gefühl hervor, ohne sich aufzudrängen. Es ist auf das hervorragende Laienspiel der jugendlichen Akteure hinzuweisen, die auf ausgezeichnete Weise ihre Gefühle ausdrücken. Letztendlich siegt der Film durch seinen Realismus in dem Moment, wo die Schulglocke durch das leere Schulgebäude hallt.“
Madschid Madschidi unterstrich auf dem Filmfestival von Venedig weitere Probleme Irans, indem er sagte:
Andere Länder um uns herum sind Länder die sich ständig im Krieg befinden: Irak, Pakistan, Afghanistan, die Türkei usw. Wir leben in einer Region voller Krisen, wobei leider die schädlichen Auswirkungen dieser Krise vor allem die Kinder und Familien treffen. Die bedürftigen Familien werden immer ärmer. Diese Situation hat Probleme für alle Gesellschaften, namentlich für unser Land, zur Folge gehabt.
Der Regisseur von „Chorschid“ sagte weiter: Eines unserer größten Probleme liegt darin, dass wegen der langen Grenze mit Afghanistan, ein Teil der Menschen, die dort Schaden erlitten haben, auf ungesetzlichem Wege in unser Land kommen. Gemäß offiziellen Angaben sind es 3 bis 4 Millionen, aber gemäß inoffiziellen Aufzeichnungen geht ihre Zahl weit darüber hinaus. Wegen dem Krieg im Irak hatten wir auch Einwanderer aus diesem Land und mit Pakistan ist es ähnlich. Dies alles hat schädliche Auswirkungen auf unser Land gehabt und es mit großen Herausforderungen konfrontiert.
Er fügte hinzu: Es gibt noch einen anderen Punkt den ich mit „Chorschid“ hervorheben wollte. Es gibt Aufgaben in jeder Gesellschaft die manchmal über die Verantwortungen der Regierungen und des Gesetzes hinausgehen. In diesem Film geht es mir nicht um die Regierungen sondern ich will sagen, dass die Bevölkerung ihre soziale Verantwortung akzeptieren muss. Die Gesellschaft ist wie eine Familie und wenn eine Familie Schaden erleidet, so ist es als ob die ganze Gesellschaft Schaden nimmt. Soziale Schäden beeinträchtigen nämlich auch unsere eigene Familie. Bezüglich arbeitender Kinder in einer Gesellschaft spielt das Verantwortungsbewusstsein der Bürger eine ernsthafte Rolle. Die Menschen müssen Unterstützung leisten und helfen, damit dieses Problem gelöst wird.“
Die Vorführung des Filmes "Chorschid" wurde von den Zuschauern begrüßt. Sie spendeten am Ende 5 Minuten lang Beifall
Der Film Dschenayat-e bi deghat (nicht ganz exaktes Verbrechen) von Schahrom Mokri, zu dem er zusammen mit Nasime Ahmadpur das Drehbuch schrieb, wurde von der Vereinigung freier Kritiker auf den Filmfestspielen von Venedig für das beste Original-Regiebuch preisgekrönt. Dieser Preis wird in einer Nebensparte des Festivals vergeben. Schahram Mokri nimmt zum zweiten Mal an den Filmfestspielen von Venedig teil. Beim ersten Mal erhielt er für seinen Film Mahi wa Gorbeh – (Katze und Fisch) von diesem Festival den Sonderpreis für Innovative in der Festivalsparte „Horizonte“. In dem Film „Dschenayat bi Deqat“ geht es ums Kino und um einige Zuschauer, die vor der Vorführung eines Filmes über diesen sprechen wollen. Als der Film schließlich beginnt, verschmilzt ihre Geschichte mit der des Filmes
Schahram Mokri sagte bei dem runden Tisch zum Thema „Gemeinschaftsproduktionen“ des Festivals, Iran sei eines der günstigsten Länder im Mittleren Osten für gemeinsame Filmproduktionen und verwies auf die alte Geschichte Irans und seine reiche Literatur, die Natur mit ihren vielfältigen Klimabedingungen , die fachmännischen Kräfte in der Filmindustrie und die 120jährige Geschichte des iranischen Kinos. Der finanzielle Aufwand für Mitarbeiter im Kino sei niedrig und das Interesse der iranischen Bevölkerung am Film groß, der Filmmarkt eigne sich für gemeinsame Filmproduktionen und diese könnten im Vergleich zu Ländern auf dem europäischen und amerikanischen Kontinent schneller durchgeführt werden. Das alles seien attraktive Kapazitäten Irans für gemeinsame Filmproduktionen.
Der iranische Regisseur erklärte, dass es trotz all dieser Möglichkeiten Hindernisse für gemeinsame Produktionen im Iran gibt, vor allem die Sanktionen im Bereich von Wirtschaft und Politik. Er fuhr fort: „Wegen der Sanktionen haben wir kein gemeinsames finanzielles System mit dem Rest der Welt. Ein Hauptgrund dafür, dass wir keine gemeinsamen Produktionen haben können ist der, dass wir keine Finanzbeziehungen mit dem Ausland abwickeln können, denn gemeinsame Produktion heißt gemeinsame Investition, das Geld muss transferiert werden und der Kanal hierfür sind die Banken, aber die Banken sind Sanktionen unterworfen worden und es gibt keinen finanziellen Austausch zwischen ihnen. Und so kann dieser Finanztransfer nicht vonstattengehen. Zwar hat es nach außen hin den Anschein, dass die Sanktionen bestimmten Zielen dienen, aber in Wahrheit ist das nicht so, sondern wegen der Sanktionen sind wir in der gesamten Gesellschaft Stufe für Stufe Zeuge eines Stillstandes, darunter auch bei den Investitionen.“
Teaser zu "Dschenayat bi Deghat"
Der iranische Spielfilm „Dascht Chamusch“ (The Wasteland) von Ahmad Bahrami erhielt auf den Filmfestspielen von Venedig drei Preise: den Preis für den besten Film in der Sparte “Horizonte“ und den Preis der von einer italienischen Nationalunion an Filme über Arbeit und Umwelt vergeben wird. Den dritten Preis verlieh die internationale Filmkritiker-Föderation. Der Film „Dascht Chamusch“ – stille Ebene - widmet sich den harten Arbeitsbedingungen und den komplizierten Beziehungen zwischen mehreren Familien, die in einem Arbeitermilieu leben ... Es geht um die Probleme zwischen Arbeitern und Arbeitgebern. Aber die Erzählung wird nicht einseitig, denn parallel zu der Geschichte über die Arbeiter spielt sich auch eine weitere Geschichte ab, die dem Film von Bahrami eine romantische Note verleiht und ihn noch sehenswerter werden lässt.
Bahrami nahm nicht an den Abschlusszeremonien teil, schickte aber eine Videobotschaft mittels derer er sich bei den Organisatoren des Festivals bedankte. Auch er kritisierte die Sanktionen gegen den Iran und sagte: „Diese Sanktionen gegen Iran sind wirklich ungerecht. Die Bürger werden nur umso heftiger unter Druck gesetzt und das nützt den anderen Ländern und Völkern nichts bis auf Trump der diese Sanktionen einsetzt. Sanktionen verfolgen einen politischen Zweck und sie haben nichts mit unseren Bürgern und den Patienten in unserem Land zu tun. Aber unsere Bevölkerung ist es, die unter den Sanktionen und dem Mangel an Medikamenten leidet.“