Nicht „nur“ vierfacher Mord
Am 6. Juni ereignete sich etwas Schreckliches in der kanadischen Stadt London in der Provinz Ontario. Jemand verübte einen Anschlag auf eine muslimische Familie und tötete vier ihrer Mitglieder.
Nur der 9-jährige Sohn der Familie überlebte schwer verletzt. Er musste ins Krankenhaus geliefert werden.
Der Täter war mit seinem Kleinlieferwagen auf die 5 Menschen, die sich auf dem Fußgängerweg befanden, losgefahren. Wie AFP berichtete, handelte es sich bei dem mutmaßlichen Attentäter um einen 20-jährigen. Er ergriff die Flucht, wurde jedoch gefasst. Laut Aussagen der Polizei kannte Nathaniel Veltman seine unschuldigen Opfer gar nicht, hatte aber den Anschlag vorausgeplant.
Dem Schreckensereignis folgten verschiedene Reaktionen. Viele sprachen von einer großen Tragödie, welche die kanadische Gesellschaft hart auf die Probe stellt. Saboor Khan, der Leiter der muslimischen Gemeinschaft in der kanadischen Stadt London sagte der offiziellen Nachrichtenagentur des Landes CBC gegenüber: „Ich fürchte um meine Kinder und meine Gemeinde. Ich fürchte um die Frauen, die den Hidschab, und alle, die traditionelle muslimische Bekleidung tragen. Dieser Terrorakt regt zu weiteren Terroranschlägen an.“
Feindliches Vorgehen gegen den Islam ist keine neue Erscheinung im Westen. Im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wo sich die islamische Welt passiv verhielt und sich aus ihren Stellungen zurückzogen hatte, waren die islamfeindliche Gruppen beruhigt. Aber nachdem die Islamische Welt wieder gegen Ende des 20. Jahrhunderts zu ihrer Identität zurückgefunden hat, insbesondere nach dem Sieg der Islamischen Revolution im Iran, wurde erneut Islamophobie geschürt und die Bekämpfung der Muslime im Westen nahm neue Formen an.
Der Beginn des 21. Jahrhunderts fiel mit dem Angriff auf die Zwillingstürme in New York am 11. September zusammen. Ab da begannen die islam-feindliche Stimmung im Westen und die Angstmache vor ihm zu eskalieren. Nach dem 11. September 2001 wurden alle Anschläge, wie die Explosion im Zentralbahnhof von Madrid im März 2004 und die Bombenexplosion in der Metrostation der britischen Hauptstadt London im Jahre 2005 sofort den Muslimen in die Schuhe geschoben und als typisch für muslimische Kultur hingestellt. Es kam in den USA und in Europa zunehmend zu Vorfällen, deren Opfer Muslime waren, insbesondere wenn sie die islamischen Bräuche unter anderem die Bekleidungssitten pflegten.
Die islamfeindliche Politik westlicher Regierungen in Form von Verboten, die sie den Muslimen auferlegen, hat in Wahrheit die Verbreitung von Hass gegenüber den Muslimen gefördert und zu Terroranschlägen auf Muslime geführt. Nach dem 11. September haben einige westliche Soziologen behauptet, mit Sicherheit sei jeder Muslim ein Terrorist, auch wenn nicht jeder Terrorist Muslim sei.
Es wurden verschiedene Filme produziert, die den Zuschauern Hass gegen die Muslime einflößen. Unterdessen wurden zahlreiche verbrecherische Taten gegen Muslime begangen und es ereigneten sich viele Anschläge auf Moscheen und muslimische Stätten. Gemäß den Statistiken in Kanada haben die Hassdelikte gegen Muslime in Kanada von 2012 bis 2015 um 253 Prozent zugenommen. In einigen Fällen verliefen diese Aggressionen sogar tödlich für die Muslime. Am 29. Januar 2017 stürmte ein bewaffneter Rassist im kanadischen Quebec eine Moschee und eröffnete das Feuer auf die Betenden. Der Anschlag hinterließ 6 Tote und 19 Verletzte. Die Bevölkerung war schockiert und die islamischen Gemeinschaften fürchteten weitere Anschläge.
Doch nicht nur gewaltsüchtige Menschen im Westen richten sich gegen die Muslime. Zum Beispiel hat die kanadische Regierung zwar die Angriffe auf die Muslime in diesem Land verurteilt, aber sie ergreift keine praktischen Maßnahmen zur Bekämpfung solcher Gewaltakte sondern schürt zum Teil selber Hass. Rechercheure sagen, dass das staatliche Bildungssystem unter der Jugend Furcht vor dem Islam sät. Ohnehin sind die kanadischen Medien in der Regel bestrebt, die Muslime als Unmenschen und Fanatiker und gefährlich hinzustellen. Dies schürt Abscheu gegenüber den Muslimen. Die Webseite London Free Press bezeichnete den jüngsten Anschlag als einen von vielen üblichen Gewalttaten gegen Muslime in Kanada. Sie schrieb, dass der Nationalrat kanadischer Muslime (NCCM) von 2015 bis 2019 über 300 Angriffe verzeichnet hat, die zu Verletzungen von Muslimen führten und in mehr als 30 Fällen mit schwerer physischer Gewalt einhergingen.
Das feindliche Vorgehen gegen den Islam hat aber nicht verhindern können, dass sich Menschen zu dieser Religion bekennen. Gemäß Statistiken ist der Islam nach dem Christentum, zu dem sich die Mehrheit der kanadischen Bevölkerung zählt, die zweitgrößte Religion in diesem Land. Obwohl noch christliche Traditionen in Kanada vorherrschen, so fällt auf, dass der Bevölkerungsanteil der Christen von 98 Prozent im Jahre 2001 auf 67,3 Prozent im Jahre 2011 zurückgegangen ist. Dieser Rückgang ist nach der Einwanderung von vielen Muslimen aus verschiedenen Ländern eingetreten und außerdem haben bereits viele Kanadier den Islam angenommen. Die Zahl der Moscheen und Gebetshäuser in diesem Land wächst weiter und viele muslimische Gruppen sind in diesem Land aktiv. Das ist nicht nur ein Zeichen für die Verbreitung des Islams, sondern auch ein Zeichen dafür, dass der Islam als Religion des Friedens erkannt wird.
Gemäß Untersuchungen regt die Großoffensive gegen den Islam junge Menschen dazu an, mehr über den Islam zu erfahren. Die künstliche Angstmache vor dem Islam hat in jungen Menschen wie Gregory Neugier erweckt, zu erfahren, was es mit dieser Religion, gegen die in den westlichen Medien derartig gehetzt wird, auf sich hat. Gregory wurde durch einen einfachen Zufall auf den Islam aufmerksam. Er erzählt:
„Einmal war ich auf einer Seite im Internet, als sich rein zufällig ein Muslim in mein Chat-Gespräch einschaltete, der über sich und seine Religion sprach. Ich habe ihm Fragen über den Islam gestellt und er hat mir geantwortet. Seine Antworten erweckten mein Interesse am Islam.“
Gregory hat sich daraufhin längere Zeit über den Islam und den Koran informiert und erkannt, dass diese Religion nicht nur keine Gewalt und Fanatismus predigt, sondern dem Menschen mit ihren konstruktiven Lehren Hoffnung und Würde verleiht. Gregory schloss sich schließlich Hunderten von jungen Menschen an, die den Islam als sinnvolle Religion wählen.
Das islamfeindliche Denken und die Anti-Islam-Offensiven sind aktuelle Tatsachen. Es stellt sich dabei die Frage, ob zum Kampf gegen eine Religion und deren Lehren die Menschenrechte missachtet werden dürfen und ihren Anhängern das Recht auf Leben geraubt werden darf? Das ausgerechnet auch noch in Gesellschaften, die behaupten, die Menschenrechte, Religions- und Meinungsfreiheit zu verteidigen.
Zweifelsohne ist der jüngste Terrorakt in Kanada eine Folge der Achtlosigkeit der Verantwortungsträger dieses Landes hinsichtlich einer Verbesserung der Menschenrechtslage und der Beachtung der Rechte von Minderheiten. Zugleich hat der Humanismus im Westen, der den Menschen zum Mittelpunkt aller Dinge macht, diesen zu einem Götzen erhoben, der nach Egozentrik und Vorherrschaft strebt, statt nach Menschenliebe und Respektierung der Mitmenschen.
Dies hat zur Verbreitung von einem Gefühl der Sinnlosigkeit und Leere und Verunsicherung unter der Bevölkerung im Westen insbesondere unter der jungen Generation geführt. Der französische Soziologe Henri Lefebvre ist der Ansicht, dass das westliche Alltagsleben eine Entfremdung beinhaltet. Das Leben in den Städten der kapitalistischen Systeme sei zu einer langweiligen und ermüdenden Wiederholung geworden, sagt er, und die Technologie habe zur Folge gehabt, dass die Menschen zur Deckung ihrer Bedürfnisse immer weniger miteinander direkt in Kontakt treten. Der westliche Mensch habe zwar die modernsten Kommunikationsmittel zur Verfügung , sei aber der einsamste Mensch in der Geschichte, der mit Stress und Unsicherheit zu kämpfen habe. Seine aggressiven Gefühle und seine Sorgen hätten ihren Höhepunkt erreicht. Unterdessen sieht Fukuyama das eigentliche Problem dieser Gesellschaft in dem Niedergang der Menschlichkeit und der Krise, die durch den Verfall der Moralordnung zustande gekommen ist.
Am meisten ist zu bedauern, dass die Folgen dieser Wut und dieses Stresses, die sich aus der Sinnlosigkeit von materialistischen Lehren ergibt, an unschuldigen Menschen abreagiert wird, deren einziges Vergehen darin besteht, dass sie Muslime sind.
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