Oct 05, 2023 14:39 Europe/Berlin

Statistische Schätzungen der indischen Regierung zeigen, dass die muslimische Bevölkerung dieses Landes im Jahr 2023 nahezu 200 Millionen Menschen (197 Millionen) erreichen wird, was etwa 15 Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes entspricht. Aber die Muslime leiden unter einer großen ungleichen Behandlung in Indien, und ein Teil davon ist die Zerstörung ihres kulturellen Erbes.

Indien hat eine sehr alte und reiche Geschichte und Kultur, die bis 3000 Jahre vor Christus zurück reicht. Der Name Indien leitet sich von der altpersischen Sprache ab, er wurde anstelle des Sanskrit-Wortes „Sindhu“ verwendet, der Name des Flusses Indus war.

Die hindu-nationalistische Regierung in Delhi glaubt, dass Indien der hinduistischen Religion gehört und haben kürzlich angekündigt, den Namen Indiens in „Bharat“ ändern zu wollen. Bharat ist das heilige Buch der Hindus, und einige Analysten glauben, dass diese Namensänderung darauf abzielt, dem ganzen Land „hinduistische Heiligkeit“ verleihen zu wollen, und somit andere Religionen in diesem Land vor größeren Problemen stehen werden.

Die „Hinduisierung Indiens“ wird derzeit im Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen der Regierungspartei und einigen militanten Bewegungen umgesetzt. Deren Richtlinien zeigen, dass die Diskriminierung von Muslimen auf einer bestimmten Philosophie und einem bestimmten Plan beruht. Eine Philosophie, die davon ausgeht, dass Indien den Hindus gehört und dass Muslime und Christen kein Teil davon sind und keine Wurzeln darin haben.

Tatsache ist jedoch, dass die indischen Muslime nicht aus dem Ausland kamen, sondern im Laufe der Geschichte ein großer Teil der Hindus ohne Gewalt oder Zwang zum Islam konvertierte und Dank ihnen eine mächtige Herrschaft und Zivilisation gebildet wurde, die viele Jahrhunderte lang weiter bestand. Indien wurde unter der Herrschaft der Muslime zu einem wichtigen Akteur auf der Weltbühne.

Indische Muslime sind ein authentischer Teil Indiens und der bedeutendste Beweis und das bedeutendste Wahrzeichen in dieser Hinsicht ist das Taj Mahal. Doch rassistische Bewegungen versuchen, die Existenz der Muslime in Indien zu ignorieren, und die Muslime stehen derzeit vor der Herausforderung, dass sie nicht einmal ohne weiteres an ihre Ausweisdokumente gelangen können.

Abgesehen von sozialen und politischen Problemen sind indische Muslime auch mit der Gefahr konfrontiert, dass ihr kulturelles Erbe zerstört wird. In den letzten Jahren hat sich der Angriff auf dieses wertvolle Erbe, das eigentlich das kulturelle Erbe Indiens ist, verschärft.

Beispielsweise schloss der Indische Rat für kulturelle Beziehungen (ICCR), eine Regierungsbehörde im Bereich Geschichte, im April 2018 seine Bibliothek, die wertvolle Ressourcen zur islamischen Geschichte und Kultur in Indien enthielt. Außerdem wurde die arabische Zeitschrift Thaqafat-ul-hind geschlossen, die eine Brücke zwischen Indien und der arabischen Welt darstellte.

Vor nicht allzu langer Zeit wurde die „Azizia“-Bibliothek im ostindischen Bundesstaat Bihar bei einem Aufstand in Brand gesteckt und 4500 Bücher in dieser Bibliothek verbrannten. Bücher, die Zeugnis verschiedener Aspekte über die islamische Kultur und Geschichte in diesem Land ablegten.

Eine Gruppe von 1.000 Menschen, bewaffnet mit Schwertern, Ziegeln und Benzinbomben, zerstörte außerdem die Azizia-Schule und zündete sie an. Bei diesem Vorgehen, das als hinduistisches Fest durchgeführt wurde, kam es zu Gewalttaten, bei denen Fahrzeuge, Häuser und Geschäfte in der Kleinstadt niederbrannten und mehrere Menschen verletzt wurden.

Berichten zufolge brach eine Extremistengruppe das Schloss der islamischen Schule auf, warf Benzinbomben in deren Räumlichkeiten und rief dabei „Tötet sie, verbrennt sie“. Bei diesem Angriff wurde die Schulbibliothek, die ein reichhaltiges Archiv islamischen und kulturellen Erbes enthielt, vollständig zerstört.

Zu diesen Büchern gehörten Manuskripte aus Ägypten und der Türkei, seltene arabische Texte zu Wissenschaft, Philosophie und Logik, islamische Literatur, Medizin und 250 seltene handgeschriebene Überlieferungen in Urdu und persischer Schrift. Die Tiefe und Vielfalt der Themen dieser Bücher zeugt von der großen Bandbreite der Wissenschaft in der Islamischen Welt, und die reichhaltigen Kalligraphietexte weisen auch auf die visuelle Ästhetik der islamischen Kultur hin. Mohammed Shahabuddin, der Leiter der Bibliothek, sagte: „Wir konnten sie nicht wegwerfen. Wir vergruben 4500 verbrannte Bücher in einer acht Fuß tiefen Grube hinter dem Bibliotheksgebäude.“

 

Die Gewalt gegen Muslime in der Region ist eine weitere Tragödie in der Flut islamfeindlicher Vorfälle, die in Indien immer häufiger auftreten. Aber der Angriff auf die 113 Jahre alte Azizia-Bibliothek und deren Inbrandsetzung sind ein Beweis für den Kulturkrieg gegen Muslime, der durch die Auslöschung des islamischen Erbes Indiens ausgeführt wird.

Experten sagen, dass allein während der Unruhen in Gujarat im Jahr 2002 etwa 230 einzigartige islamische Stätten zerstört wurden. Nachdem die Hindus 2020 ein Verfahren für den Bau eines Hindu-Tempels an der Stelle der Babri-Moschee gewonnen hatten, die 1992 von einer hindu-nationalistischen Gruppe zerstört wurde, fordern einige hindu-nationalistische Gruppen die Zerstörung weiterer muslimischer Stätten. Sie wollen das Qutb Minar – einen der höchsten Turmbauten in der Islamischen Welt in Dehli - und das Taj Mahal in Agra als hinduistische Orte bezeichnen und sogar ihre Namen ändern.

Sie wollen auch die Namen von Städten und Straßen ändern, die die islamische Vergangenheit Indiens widerspiegeln. Darüber hinaus werden Orte von historischer und religiöser Bedeutung, wie die Shahi-Moschee aus dem 16. Jahrhundert in Uttar Pradesh, abgerissen, um Platz für sogenannte städtische Infrastrukturprojekte zu machen.

Dr. Zafarul-Islam-Khan, ein berühmter Gelehrter und ehemaliger Vorsitzender der Minderheitenkommission von Delhi sagt dazu:

 „Seit 2014 (dem Regierungsantritt von Modi) wird bewusst versucht, die Spuren der Muslime in der indischen Geschichte zu verwischen. Nach der Entfernung von Muslimen aus der Geschichte und den kulturellen Bereichen Indiens, wird ihre physische Entfernung und Degradierung zu Bürgern zweiter Klasse oder sogar zu Nichtstaatsbürgern leicht möglich sein. Dies ist ein jahrhundertealtes Projekt des Hindutva (hinduistischer Nationalismus), und wenn dieser Trend anhält, werden indische Muslime in ihrem eigenen Land entfremdet.“

Rana Safavi, eine Historikerin, die jahrzehntelang das islamische Erbe in Indien dokumentiert, glaubt, dass diese Zerstörungen nicht nur für Muslime, sondern für die gesamte Nation eine Tragödie darstellen. Der Angriff auf die Schule in Bihar zeige, dass hinduistische Nationalisten Schulen und Symbole des islamischen Erbes abwerten und ihre historische Rolle beim Aufbau der Nation ignorieren wollen.

Sie fügt hinzu: „Für sie ist die Schule eine religiöse Institution, und sie wurde genau deshalb niedergebrannt, weil sie als Symbol der Muslime galt.“

 

Autoren wie Ziya Us Salam und Mohammad Aslam Parvaiz haben in dem 2020 veröffentlichten Buch „Schulen im Zeitalter der Islamophobie“ ausführlich über die Rolle der Schulen bei der allgemeinen Rationalisierung der Bildung in Indien geschrieben.

Rückblickend auf den Angriff auf die Azizia-Bibliothek sagt Rana Safavi: „Bei den Büchern, die hier zerstört wurden, handelte es sich nicht nur um religiöse Texte, sondern auch um wertvolle Abhandlungen über Literatur und Kultur. Diese Bücher in Urdu und Farsi sind unser kollektives Erbe und sie zu verbrennen bedeutet, die Erinnerungen an die Vergangenheit zu zerstören.“

Auch Dr. Vivek Gupta, Kunsthistoriker an der Universität Cambridge, betont, dass das islamische Erbe in Südasien gefährdet sei. Nicht nur ein Teil davon, sondern auch sogenannte geschützte Objekte, die einen vollständigen Aspekt der Kulturgeschichte Indiens darstellten.

Er fährt fort: „Wenn historische Denkmäler zerstört werden, verlieren wir den Zugang zur Geschichte. Die Babri-Moschee gibt es nicht mehr. Diese Moschee war ein wichtiger Ort, den Forscher nicht mehr erforschen können. Wenn die Regierung oder sogar das Volk das muslimische Erbe ins Visier nimmt, können wir seine Geschichte nicht länger erzählen.“

Jetzt erinnern die verbrannten Säulen und Wände der Azizia-Bibliothek an die Gewalt hinduistischer Nationalisten. Berichten zufolge werden die Kosten für den Wiederaufbau dieser Bibliothek auf 400.000 Dollar geschätzt. Aber die Bücher der Bibliothek, das Archiv, in dessen Regalen möglicherweise jahrhundertelang die Antworten auf viele Fragen der Forscher lagen, ist für immer verloren.

 

Natürlich ist Gewalt gegen Muslime nicht auf diese Fälle beschränkt. Anfang August dieses Jahres wurde die Welt Zeuge des Abrisses von mehr als 300 Häusern und Geschäften in muslimischem Besitz in der Stadt Noah – Indiens einzigem Bezirk mit muslimischer Mehrheit. Außerdem haben rechtsgerichtete Hindu-Gruppen in Haryana Muslime ins Visier genommen, indem sie zum Boykott muslimischer Unternehmen und zur Entlassung muslimischer Mitarbeiter aus hinduistischen Unternehmen aufrufen.

 

Darüber hinaus wurden auch schon im Jahr 2020 in Delhi systematisch muslimische Besitztümer angegriffen, als Aktivisten gegen das umstrittene Gesetz zur Änderung der Staatsbürgerschaft (CAA) protestierten, das den Zugang zur indischen Staatsbürgerschaft nur für nicht-muslimische Einwanderer aus Pakistan, Bangladesch und Afghanistan beschleunigte.

Hindus skandierten wütende religiöse Parolen gegen Muslime, und die Minderheitenkommission von Delhi (DMC) teilte mit, dass die Hindus „selektiv“ muslimische Häuser, Geschäfte und Fahrzeuge sowie Moscheen, Schulen, Schreine und einen Friedhof angegriffen hätten.

Im April 2022 marschierten Hindus anlässlich ihres Festes Ram Navami an muslimischen Vierteln und Moscheen vorbei und spielten Musik, die zu Gewalt gegen Muslime aufrief.

Auf diese Weise geht die Eliminierung des muslimischen Erbes in Indien offensichtlich weiter und viele Kapitel über die Geschichte des Islam in diesem Land wurden aus den neuen Lehrbüchern entfernt. In den letzten Jahren ist sehr deutlich geworden, dass sich das Vorgehen gegen Muslime in Indien der Definition von Völkermord der Vereinten Nationen annähert, insbesondere bei Maßnahmen wie der Zerstörung von Häusern und Geschäften, die „absichtlich“ Bedingungen schaffen, die zur physischen Zerstörung der Existenzgrundlagen von Muslimen führen können.


 
 

 

 

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