Jul 22, 2023 08:40 Europe/Berlin
  • So verändert China gerade die Weltordnung

Neues Konzept soll multipolares System absichern. Doch es gibt Widerstände. Warum all dies Teil der Neuordnung der Welt ist.

Von: Mohssen Massarrat      -     09. Juli 2023

In den letzten Jahren hat die Volksrepublik China drei globale Initiativen ins Leben gerufen: die Global Development Initiative (GDI), die Global Civilization Initiative (GCI) und die Global Security Initiative (GSI). Diese sollen einen Rahmen für praktische Schritte hin zu einer multipolaren Welt bilden. Zudem sollen sie diesen Prozess politisch und kulturell untermauern.

Besonders wichtig für den Aufbau einer multipolaren Welt ist die Global Security Initiative und eine Sicherheitsstrategie, die hilft, die Reibungsverluste bei der anstehenden Umwälzung der globalen Machtverhältnisse hin zu einer multilateralen Welt möglichst gering zu halten und vor allem auf diesem Weg weitere Kriege zu verhindern.

Unipolare und multipolare Weltordnung

Die gegenwärtige Weltordnung ist eine US-dominierte, unipolare Weltordnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden ist. Tatsächlich entsprach die US-Dominanz den nach 1945 bestehenden realen Machtverhältnissen, der ökonomischen Stärke und kulturellen Anziehungskraft des American Way of Life, vor allem in der westlichen Welt, aber auch in den Ländern des Globalen Südens.

Die Vereinigten Staaten haben jedoch in den letzten Dekaden nichts unversucht gelassen, um aus ihrer faktischen globalen Dominanz heraus ein System zu entwickeln, in dem sie andere Staaten, unter anderem in Europa, aber auch Kanada, Australien, Japan, Südkorea, ökonomisch, bald aber auch sicherheitspolitisch von sich abhängig machten.

Diese einseitige Abhängigkeit erfolgte durch die Schaffung der US-dominierten multilateralen Finanzinstitutionen wie die Weltbank, der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Welthandelsorganisation (WTO).

Zementiert wurde die ökonomische US-Dominanz durch die Aufwertung der eigenen nationalen Währung, des US-Dollars, zur Weltwährung, die seit 1973 nicht mehr durch Gold, sondern durch den internationalen Ölhandel1 gedeckt ist.

Durch die Gründung des Nordatlantikpakts (Nato), vor allem in der Epoche der Blockkonfrontation, haben die USA es verstanden, ihre ökonomische, politische und kulturelle Dominanz auch militärisch abzusichern.

Die historisch so entstandene unipolare Weltordnung beruht längst nicht mehr allein auf den natürlichen Gegebenheiten der USA, wie die territoriale Größe, gut ausgebildete große Bevölkerung, unermesslicher Reichtum an natürlichen Ressourcen, militärische Stärke, kulturelle Anziehungskraft etc., sondern auf Gewalt und Willkür, auf der Verletzung der UN-Charta und auf zahlreichen Kriegen, um systematisch ihre Hegemonie zu festigen und auszubauen.

Die USA haben mit Hilfe ihrer hegemonialen Hebel ohne Wenn und Aber imperialistische Beziehungen zum Rest der Welt, insbesondere des Globalen Südens, aufgebaut. Eine solche Weltordnung ist, wie wir seit mehreren Jahrzehnten erleben, instabil. In dieser Weltordnung regiert nicht das für alle gleichermaßen geltende Recht, sondern das Recht der Stärkeren. Der von vielen Staaten und Völkern beklagte Doppelstandard ist offensichtlich.

Es fehlt weltweit das Vertrauen in die internationalen Institutionen, um die weiter zunehmenden globalen Herausforderungen, wie Armut, Klimawandel und diverse Diskriminierungen, gemeinsam und friedlich zu bewältigen.

Dem gegenüber hat sich ein Prozess der globalen Machtverschiebungen, vor allem durch den Aufstieg der Volksrepublik China von einem Entwicklungsland zu einer entwickelten Volkswirtschaft in Gang gesetzt. Dieses Land ist dank der rasanten ökonomischen Entwicklung und der großen Bevölkerungszahl im Begriff, die größte Wirtschaftsmacht der Welt zu werden.

Damit liegt es auch in der Natur der neuen Veränderungen, dass die US-dominierte unipolare Weltordnung ins Wanken gerät, und die USA und die von ihnen abhängigen westlichen Staaten anfangen müssen, den neuen Realitäten Rechnung zu tragen.

Die künftige Weltordnung wird ohnehin eine multipolare Weltordnung sein. In dieser neuen Weltordnung stehen sich aller Wahrscheinlichkeit nach allein auf Grund ihrer ökonomischen Stärke drei mächtige Zentren, die USA, die Europäische Union und die VR China, gegenüber.

Anstelle des US-Dollars als einziger Weltwährung, und damit eines bedeutsamen Monopols der USA, treten drei Weltwährungen, nämlich der US-Dollar, der Euro und die chinesische Währung Renminbi.

Diese drei Weltwährungen tragen dem Anteil dieser drei ökonomischen Zentren am Welthandel Rechnung. Anstelle der monopolistisch geregelten globalen Finanzstrukturen, die gegenwärtig die USA in die Lage versetzen, alle Staaten, die aus der US-Dominanz ausscheren wollen, durch Wirtschaftssanktionen zu disziplinieren oder gar zu ruinieren, entstehen global demokratisch kontrollierte Finanzinstitutionen.

Für diese Entwicklung sorgt die Konkurrenz der drei Weltwährungen. Eine multipolare Weltordnung dürfte die Voraussetzungen für einen Weltfrieden, wie er in der Charta der Vereinten Nationen festgelegt ist, substanziell verbessern.

Die USA und ihre westlichen Bündnispartner stehen in der gegenwärtig herrschenden unipolaren Weltordnung grundsätzlich vor zwei entgegengesetzten Alternativen: entweder auf die veränderten Verhältnisse hin zu einer multipolaren Weltordnung mit Rationalität und Vernunft zu reagieren und sich friedlich darauf einzulassen und im Ergebnis eine sich entwickelnde multipolare Weltordnung und ihre auf den Abbau der auf Dominanz basierenden Regeln zu akzeptieren, oder mit allen Mitteln gegen die multipolare Weltordnung einen konfrontativen Weg zu gehen und neue globale Konflikte, Kriege oder gar einen neuen Weltkrieg zu riskieren.

Die offensichtlich feindlichen Reaktionen der USA und ihrer Verbündeten, darunter Deutschland, gegenüber der VR China als der entscheidenden Triebkraft dieser Entwicklung zeigen jedoch, dass sie sich offenbar für die konfrontative Alternative entschieden haben.

Die Signale für diese egoistisch wie gefährliche Entscheidung können daran festgemacht werden, dass China als der neue Feind definiert und ein Teil der US-militärischen Armada in den Pazifischen Ozean verlegt wird.

Hinzu kommt, dass die bis vor einigen Jahren wenig beachtete Taiwan-Frage zu einem globalen Konfliktthema hochstilisiert und als Vorwand für Sanktionen oder kriegerische Handlungen gegen China instrumentalisiert wird.

Noch gefährlicher ist der Versuch, die hochentwickelten Wirtschaftsbeziehungen zur VR China unter dem abstrusen Vorwand der Abhängigkeitsreduzierung zu kappen. Alle diese schwer zu leugnenden und vor unseren Augen ablaufenden Ereignisse belegen, dass die USA leider die Entwicklung der Welt in Richtung auf eine multipolare Weltordnung torpedieren wollen, um die aus der Hegemonialposition erwachsenden immensen Vorteile nicht aus der Hand geben zu müssen.

Chinas globale Sicherheitsinitiative (GSI) erscheint dem entgegen als eine vernünftige Strategie, die helfen dürfte, die weltgesellschaftlichen politischen und sozialen Kosten des Wandels hin zu einer multipolaren Weltordnung auf ein Minimum zu reduzieren.

Der inhaltliche Kern von Chinas GSI bildet das Prinzip der unteilbaren Sicherheit. Demnach komme es "anstelle der Kalten-Kriegs-Mentalität, dem Vormachtstreben, der Blockkonfrontation darauf an, der Vision einer gemeinsamen, umfassenden, kooperativen und nachhaltigen Sicherheit verpflichtet zu sein und gemeinsam für die Erhaltung des Weltfriedens wirken zu wollen, sowie sich zu den Prinzipien der UN-Charta zu bekennen".2

So gesehen legt die VR China großen Wert auf das Bekenntnis zu den historischen Errungenschaften der Weltgemeinschaft, während der Westen in bruchloser Anlehnung an die Hegemonialpolitik der Vereinigten Staaten seit mehreren Jahren dem Konzept der regelbasierten Weltordnung das Wort reden, das offensichtlich dazu dient, an der Charta der UN vorbei den internationalen Regeln je nach eigenem Gutdünken einen ihren Interessen gemäßen Inhalt zu verpassen.

In Anlehnung an Chinas GSI dürfte jedoch niemand die eigene Sicherheit über die Sicherheit der anderen stellen, die Differenzen und Konflikte müssten vielmehr friedlich im Dialog ausgeräumt werden.

Auf der Basis ihrer GSI entwickelte die VR China u.a. den Zehn-Punkte-Friedensplan zur Beendigung des Ukrainekrieges. Trotzdem ignorieren westliche Medien und die akademische Welt weitgehend die GSI, die in Anlehnung an die Grundprinzipien des Konzepts der Gemeinsamen Sicherheit formuliert worden ist und die für einen nachhaltigen Weltfrieden in einer multilateralen Weltordnung unverzichtbar ist.

Chinas GSI müsste nach regionalen Besonderheiten dezentral heruntergebrochen und als eine global zusammenhängende Strategie von regional-kooperativen Sicherheitsarchitekturen weiter entwickelt werden. Mit anderen Worten würden dezentral strukturierte ökonomische Kooperationen, so wie wir sie in der Gestalt der Europäischen Union kennen, in Verbindung mit dem Konzept der gemeinsamen Sicherheit die sicherheitspolitische Grundlage einer multipolaren Welt und eines nachhaltigen Weltfriedens darstellen.