In Gedenken an den „Vater des iranischen Passionsspiels T`aziyeh“
(last modified Thu, 28 Apr 2016 04:30:48 GMT )
Apr 28, 2016 06:30 Europe/Berlin

Vor kurzem ist der zeitgenössische Forscher und T`aziyeh-Kenner Irans, Jaber Anasori, verstorben. Wegen seiner eingehenden Untersuchungen über den T`aziyeh-Brauch, welcher ein besonderes Passionsspiel zum Gedenken an das Heldenepos von Aschura darstellt – ist er als der Vater der T`azieh-Kunde Irans bekannt geworden.


Ta`ziyeh ist religiöse Kunst und Brauchtum und sowohl im religiösen Glauben als auch im antiken Brauchtum Irans verwurzelt. Viele sind davon überzeugt, dass das Ta`ziyeh in heutiger Form aus einer Umwandlung des antiken Trauerbrauches „Sug-e Siyawasch(an)“ - in islamische Gedenkfeiern hervorging. Bei Sug-e Siyawasch wurde der mythische Held Siyawasch betrauert und beim T`aziyeh trauert das Volk um den Enkelsohn des Propheten, der in Karbala, sein Leben für den Islam opferte.  

Die Trauerzeremonien um Imam Hussain (a) sind schon so alt wie das Heldengeschehen von Aschura, - dem Tag im Monat Muharram, an dem Imam Hussain (a) in Karbala (Irak) Märtyrer wurde. Das Trauern um diesen Fürsten der Märtyrer wurde schon bald nach seinem Verlust üblich und auf diese Sitten geht auch die heutige Trauerbezeugung- zum Beispiel durch Sineh-Zani (Klopfen auf die Brust) und Alam-Gardani (Tragen von Trauerbannern und –symbolen - zurück. Dieses Aschura-Brauchtum im Iran und in einigen anderen muslimischen Ländern besteht aus Zeremonien verschiedener Form. Sie alle haben einen gemeinsamen Kern. Die Vielfalt der Zeremonien ist durch die unterschiedlichen ethnischen und lokalen Kleinkulturen entstanden.

T`aziyeh gehört zur darstellenden Kunst. Dieses alte Passionsspiel ist noch in allen Teilen des Landes beliebt und eine ganze Reihe von Forschern setzen sich aktiv mit ihm auseinander. Sie untersuchen die alte Volkskultur, um die Ursprünge der iranischen T`aziyeh-Kunst zu erkunden. Einer von ihnen ist Dr. Jaber Anasori gewesen. Er hat viele Jahre seines Lebens dem Thema T`aziyeh gewidmet.

Jaber Anasori wurde 1945 in Ardebil – im Nordwesten Irans geboren. Sein Vater war ein bekannter Schabih-Chan, ein T`aziyeh-Sänger dieser Stadt. Das heißt, er war Darsteller in dem Passionsspiel T`aziyeh und so hat Jaber von Kind auf das Schabi-Chani und das Ta`ziyeh lieben gelernt. Er wurde von seinem Vater mit der Zeremonie und den Regeln des Schabih-Chani – der Trauergesänge beim T`aziyeh-Passionsspiel - vertraut gemacht.

Nach der Grundschule besuchte der junge Jaber das Teheraner Gymnasium Dar al Fonun. Im Fach Literatur gewann er den Titel des landesweit besten Schülers. An der Universität erwarb er den Doktortitel in Philosophie und Erziehungswissenschaften und an der Londoner Universität spezialisierte er sich auf Ethnologie, wobei er sich auf seine vorherigen Recherchen stürzte. Er führte Forschungen über den Mittleren Osten, Südwestasien und insbesondere die Kultur der Türkei, Irans und Afghanistans durch.

Mehr als 40 Jahre hat Dr. Anasori an den Teheraner Universitäten als hochqualifizierter Dozent unterrichtet und geforscht und zahlreiche Bücher über die iranische Kultur geschrieben und Hunderte von Studenten ausgebildet. Anasori hat sich von Beginn an der T`aziyeh-Forschung zugewandt und daher hat ihn das Zentrum für Kultur und Kunst zum Vater des T`aziyehs gekrönt. Nach längerer Krankheit verstarb er schließlich am 16. April dieses Jahres in Teheran. Gemäß seinem letzten Willen war sein Begräbnis sehr einfach. Er hat darum gebeten, dass das Geld für eine große Trauerzeremonie für wohltätige Zwecke verwendet wird.

Zu den Werken von Dr. Jaber Anasori gehören unter anderem:

„Iranische Mythologie aufgrund der Schriftrollen der Erzähler“ „Das alte Schabih-Chani als Vorbild für iranische Theaterstücke“, „Ethnologie und Psychologie der Kunst“ , „Die leidenschaftlichsten Liebhaber der Kultur“, „Kultur und Forschung“, oder auch „Windhauch der Erinnerungen“. Letzteres ist eine Zusammenstellung von 150 Artikeln über die mündlich überlieferte Geschichte Ardebils und iranische Folklore.

Jaber Anasoris Methodik war die Forschung vor Ort, so genannte Feldarbeit. Einmal war er mit einer neuen Fotokamera in eines der Dörfer in der Republik Ost-Aserbaidschan gefahren. Dort sah er einen alten Mann auf dem Acker arbeiten. In der Annahme der alte Mann wolle nicht fotografiert werden, machte er keine Aufnahmen von ihm. Stattdessen fotografierte er einige junge Dorfbewohner, die in der Nähe waren. Der alte Mann aber rief aufgeregt: „Was für Zeiten sind das! Von den jungen Leuten macht man Fotos und von den alten keine.“ Da bot Doktor Anasori ihm an, so viele Fotos von ihm zu machen, wie er möchte. Aber der alte Mann bedingte sich aus, dass er sich nur gemeinsam mit seiner Familie und in neuer Kleidung fotografieren lässt. Dr. Anasori sagte, sie sollten alle ihre aserbaidschanische Volkstracht anziehen und dann machte er viele schöne Fotos von ethnologischem Wert von ihnen.

Jaber Anasoris größtes Interesse galt zweifelsohne dem Schabih-Chani und dem T`aziyeh. In diesem Bereich legte er besonderen Wert auf Feldarbeit und Gespräche. Seine meisten Forschungen hat er in ländlichen Gegenden Irans durchgeführt . Für ihn war das realistischer. Über das Passionsspiel T`aziyeh hat er gesagt: „ Das T`aziyeh ist kein Mythos und keine Geschichte sondern mehr als das. Bei keinem der berühmten Dichter auf der Welt sind Gesangstexte wie die des Passionsspiels T`aziyeh wiederzufinden. T`aziyeh ist der Aufstieg des Menschen in himmlische Sphären. Es ruft eine solche nahe Beziehung des Gottesdieners zu seinem Herrn hervor, dass er mit dem Kern der Geschehnisse in der Ebene von Karbala (wo Imam Hussain mit seinen Getreuen, den Islam verteidigte) vertraut wird.“

Für Anasori war T`aziyeh eine Beispiel für darstellende Kunst, das es nur im Iran gibt und den Iranern zur Ehre gereicht. Dieser Forscher forderte, dass bei der Schöpfung von neuen Theaterstücken die Ideen, Ansichten und Erinnerungen der T`aziyeh-Darsteller genutzt werden.

Anasori hat in seinen Werken das T`aziyeh als ein Drama bezeichnet, welches durch Einsatz von Musik optimal seine feinfühligen Inhalte weitergeben kann.

Die ästhetische Bedeutung der Musik für den Aufbau des T`aziyehs ist nicht zu übersehen. Ohne den musikalischen Effekt nimmt die Emotionalität des T`aziyehs ab. Die Musik verbindet die einzelnen Szenen miteinander und untermalt die besondere und allgemeine Stimmung. Durch die musikalische Begleitung wird der Zuschauer das T`aziyeh emotional stärker berührt. Die Stimmung des Kampfes und die Trauer über die Märtyrer werden ihm nahegebracht und ihm wird der Szenenwechsel bewusst. Die Musik bereitet das Publikum seelisch auf eine Szene vor. Wenn zum Beispiel die Trommeln geschlagen werden, wird dem Zuschauer der Märtyrertod der Helden von Karbala angekündigt.

Ein Darsteller des T`aziyeh, der die Trauergesänge vorträgt (T`aziyeh-Chan) benötigt natürlich grundlegende Kenntnisse über die iranische Musik. Er muss seine T`aziyeh –Texte im Rahmen der typisch iranischen Gesangsschemata vortragen, damit er bei seinem Publikum aufrichtige Anteilnahme am geistig rekonstruierten Geschehen von Karbala auslöst.

Der T`aziyeh-Experte Anasori hat auch die Symbolik der Bekleidung und der Gegenstände, die von den Darstellern des Passionsspiel T`aziyeh eingesetzt werden, beschrieben. Diese Symbole sind nonverbale Zeichen zur Übermittlung eines Sinnes. Die Farben der Gewänder, Flaggen und Zelte symbolisieren die Haltung und das Vorgehen der Charaktere. Das Zeltlager der Freunde Gottes ist grün und dass ihrer Feinde ist rot. Die Feinde sind zudem in einem grellen Rot gekleidet und sitzen auf einem schwarzen Pferd, aber die Pferde der Gottesfreunde sind weiß und die Gottesfreunde tragen grüne Gewänder.

Das T`aziyeh war anfangs von einfacher Gestalt, erfuhr jedoch zunehmend eine Verfeinerung und Bereicherung zum Beispiel durch Trauerelegien, Musikbegleitung und Texterweiterung. Etwas Besonderes am T`aziyeh ist, dass der Zuschauer ins Geschehen mit eingebunden wird. Das T`aziyeh wird auf einem Platz oder an einem Ort vorgetragen, zu dem alle Bevölkerungsgruppe Zugang haben. Dieser Ort nennt sich Meydan-e T`aziyeh-Chani oder auch Takkiyeh. Beim T`aziyeh gelten alle Zuschauer als gleichgestellt. Der Zuschauer ist mit der Szene in Kontakt, denn es besteht eine emotionale ständige Beziehung zwischen denen, die in der Mitte die Passionstexte vortragen (T`aziyeh-Chani) und dem Publikum. Der Zuschauer, der das Passionsspiel besucht, hat sich diesen Besuch Gott zuliebe vorgenommen, oder er ist gekommen, um eine Spende zu machen. Er trachtet nach geistig-seelischer Läuterung.

Dies alles sind einmalige Eigenschaften des T`aziyehs und wegen dieser Eigenschaften hat dieses Passionsspiel die Aufmerksamkeit von Forschern auf sich gezogen. Der verstorbene Jaber Anasori ist einer von ihnen gewesen. Er hat viele Jahre seines Lebens diesem Ziel gewidmet und kostbare wissenschaftliche Werke für die Nachwelt hinterlassen.

Möge er in Frieden ruhen.