Jul 28, 2017 09:13 CET
  • Volkstümliche Erzählungen aus Iran-Teil 41

Bei unserer Betrachtung des Inhalts von iranischen Liedertexten, haben wir beim letzten Mal Gute-Nacht-Lieder besprochen.

Wir sagten,  dass sie im Grunde die mütterlichen Klagen und Sehnsüchte beeinhalten und mündlich überliefert wurden.  Der Versfuß eines Lala`is, so heißen diese Schlaflieder auf Farsi, ist kurz. Schlaflieder sind melodisch und der Inhalt ist einfach. Dadurch eignen sie sich auch als Träger für erzieherische Punkte. Kleine Kinder hören gerne die Mutter ein Gute-Nacht-Lied singen und der Text prägt sich ihnen schnell ein.

 

Schlaflieder wurden von liebevollen Müttern  aber nicht von versierten Dichtern erfunden. Sie erhalten daher sehr vertraute und alltägliche Wörter.

 Die meisten  dieser Gute-Nachlieder lassen literarisch gesehen zu wünschen übrig. Sie beachten  nicht die Regeln der klassischen Dichtung. Das bürgt aber gerade  für ihre Originalität.

            

Am wenigsten werden die Regeln für Versfuß und Reim in den Schlaflieder berücksichtigt. Trotz dieser und anderer Schönheitsfehler haben sie jedoch ihren festen Platz in der mündlichen Folklore und gehen von einer Generation auf die nächste über.

Es wundert nicht, dass viele große Meister auch Schlaflieder komponiert haben oder Schlaflieder überarbeitet haben.  Den bekannten Schlaflieder haftet eine Art Nostalgie an. Sie erinnern  den Menschen angenehm an die Kindheit.

 

Manchmal besteht noch nicht einmal ein logischer Zusammenhang zwischen  Wörtern und Sätzen in einem Schlaflied. Aber für das Kind wird der Text durch die Melodie und nicht durch die Bedeutung der Wörter schön.  Das Kind findet sogar bei seinem Wortspielen und Melodien an Wörter, die keinen Sinn ergeben mehr Spaß. Daher treffen wir in der Welt der Kinder in ihren Spielen und Spielreimen eine sogenannte Unsinnpoesie. 

 

In den Schlafliedern kommen viele Dinge aus der Natur – wie Blumen, Wasser, Quellen usw. vor.  Die Grundstimmung in iranischen Schlafliedern Irans ist aber meist wehmütig.  Viele Schlaflieder wurden auch Änderungen unterworfen . Alte Versionen gingen verloren, weil die Liedertexte nirgendwo schriftlich festgehalten wurden. Andere Schlaflieder gerieten in Vergesssenheit.

Doch nun zu unserer Geschichte von heute.  Es ist die iranische Erzählung vom gottgläubigen Goldschmied.

In einer Stadt lebte ein rechtschaffener Goldschmied. Jeden Morgen kam er schon in aller Früh vor Sonnenaufgang in seine Goldschmiede. Sein Geschäftsladen lag genau gegenüber dem Palast des Sultans. Bevor er morgens seinen Laden aufschloss, betete er zu Gott: „O du weiser Helfer, der du den täglichen Unterhalt schickst, Du bist allmächtig und wenn etwas tief auf den Meeresgrund fällt, so hast Du die Macht es wieder ans Land zu holen.“

                           

Jeden Morgen wurde der Sultan , der um die Zeit noch im Bett lag,  von dem Gebet des Goldschmiedes, das durch das offene Fenster seines Gemaches an sein Ohr drang, aus seinen süßen Träumen aufgeweckt. Eines Tages sprang er auf und schrie: „Wer ist es der mich jeden Morgen mit seiner scheußlichen Stimme aufweckt und meine süßen Träume zerstört?“

 

Der Sultan ließ seinen Diener kommen und erkundigte sich bei ihm. Er erfuhr dass der Störenfried der Goldschmied ist, dessen Laden genau dem Palast gegenüber liegt. Da überlegte er wie, er diesem Kerl, der ihn aus dem Schlaf aufweckt, eine Lektion erteilen kann. Er ging mit seinem Wezir zu dem Geschäft des Goldschmiedes und nahm seinen Edelsteinring mit.

Der Goldschmied wunderte sich, als der Sultan seinen Laden betrat. Der Sultan gab ihm den kostbaren Ring und sagte:  Der Edelstein in diesem Ring ist ein Rubin und ist tausend mal tausend Goldmünzen wert. Ich habe Angst, dass er verloren geht.  Deshalb möchte ich, dass du mir mit einem Stein aus buntem Glas einen ähnlichen Ring anfertigst und ich den Ring mit dem Rubin nur zu besonderen Gelegenheiten trage.“

Dann übergab er den Ring dem Goldschmied und empfahl ihm gut darauf zu achten.

Der Goldschmied nahm den Ring , steckte ihn in eine kleine Schachtel und öffnete den Tresor. Aber bevor er den Tresor verschließen konnte, bat der Sultan um ein Glas Wasser. Der Goldschmied ging schnell Wasser holen, und der Sultan nahm sofort den Ring aus der Schachtel heraus und steckte ihn ein. Da war auch schon der Goldschmied mit einem Glas Wasser  zurück.

Der Sultan bat den Goldschmied den Tresor gut zu verschließen. Der Goldschmied verriegelte den Tresor. Da sagte der Sultan: „Du hast drei Tage Zeit, den neuen Ring anzufertigen. Du musst ihn mir am 4. Tag morgens zusammen mit dem eigentlichen Ring bringen. Aber gib gut acht, dass mein kostbarer Ring nicht verloren geht, denn wenn das passiert,  wirst du mit deinem Leben dafür büßen.“

Dann verließ der Sultan mit dem Wezir die Goldschmiede. Sie gingen ans Meer und bestiegen ein Schiff. Weit entfernt vom Ufer ließ der Sultan den Ring ins Meer fallen. Erst dann kehrte er in seinen Palast zurück.

 

Der Goldschmied schloss seinen Laden und ging rasch nach Hause. Als er seiner Frau von der Geschichte erzählte, sagte diese: „Lauf schnell zurück. Du kannst den Ring vom Sultan nicht einfach im Geschäft lassen. Der Sultan hat doch gesagt, du musst sterben, wenn er verloren geht. Du solltest den Ring keinen Augenblick aus den Augen lassen.“

Der Goldschmied eilte zurück . Er öffnete den Tresor und dann die Schachtel und sah erschreckt, dass sie leer war.

Wie war das möglich?

 Da kam auch schon seine Frau um ihm das Essen zu bringen. Sie sah ihren Mann in großer Aufregung und als sie erfuhr, dass der Ring verloren gegangen ist, begannen sie beide verzweifelt den ganzen Laden zu durchsuchen.

 

 

Drei Tage waren vergangen. Der Sultan  hatte den Goldschmied nicht mehr beten hören.Da sagte er zu seinem Wezir:

„Hör! Wir hatten Erfolg. Der Goldschmied hat aufgehört, mich jeden Morgen mit seinem Gebet zu wecken.“

Aber am 4. Tag wurde der Sultan wieder von dem Goldschmied mit seinem Gebet aus dem Schlaf gerissen.  Wütend ging der Sultan zu dem Geschäft des Goldschmiedes.

 Sein Henker begleitete ihn.

Der Sultan sah den Goldschmied fröhlich vor sich sitzen und wurde nur noch wütender:

Er schrie: „Die drei Tage sind vorbei und nun musst du mir die beiden Ringe abliefern. Anderenfalls kannst du etwas erleben!“

 

Der Schmied schloss den Tresor auf. Er holte die kleine Schachtel heraus, öffnete sie und da lagen zwei Ringe drin, das Original und die Fälschung.

Der Sultan war völlig überrascht . Er rief: „Das kann doch nicht sein. Wie bist du an meinen Ring gelangt? Ich habe ihn doch selber ins Meer geworfen!“

 Da sagte der Goldschmied:

„Als meine Frau und ich vergeblich nach dem Ring gesucht haben, war ich so bedrückt, dass ich zu Hause blieb. Zwei Tage lang habe ich nichts gegessen.  Mein Frau kaufte einen großen Fisch auf dem Markt für mich und beim Säubern fand sie in seinem Magen euren kostbaren Ring.  Ich bin sofort zur Goldschmiede gelaufen und habe begonnen einen Ring anzufertigen, der ihm ähnlich ist. Heute in aller Früh ist er fertig geworden und als er fertig war, habe ich wieder vor meinem Geschäft gebetet.

 

Der Sultan schämte sich sehr. Er umarmte den Goldschmied  und sagte nur:

„Bei Gott! Du bist wirklich ein rechtschaffener Mensch. Verzeih mir all das Unrecht, dass ich dir angetan habe!“

Dann ließ er seinen Diener einen Beutel mit 10 Tausend Dinaren für den Goldschmied bringen und sagte dann:

„Ich befehle dir, ab jetzt jeden Morgen mich mit deinem Gebet zu wecken, nämlich:

O du weiser Helfer, der du den täglichen Unterhalt schickst, Du bist allmächtig und wenn etwas tief auf den Meeresgrund fällt, so hast Du die Macht es wieder ans Land zu holen. (in Anlehnung an das Buch 98 Qeseh (98 Märchen)).