May 07, 2022 06:51 CET
  • In Iran gerühmt, in der Welt berühmt (22 – al-Tusi 3)

Auch in diesem Teil geht es um den bekannten iranischen Universalgelehrten Nasiruddin al- Tusi.  

 

Wie gesagt ist al-Tusi 1201 in Tus im Nordosten Irans auf die Welt gekommen, hat erst bei seinem Vater und seinem Onkel mütterlicherseits studiert und dann in dem damaligen wichtigen Lehrzentrum Neyschabur  seine Studien fortgesetzt. Er wurde zu einem renommierten Wissenschaftler und suchte beim Mongoleneinfall Zuflucht  in einer Burg der Ismaeliten, wo zahlreiche seiner Werke entstanden. Als der Mongolenführer  Hülegü Khan die Ismaeliten besiegt hatte, nahm er  Nasiruddin  in seinen Dienst. Hülegü eroberte nach Beratung mit  Chadsche Nasiruddin auch Bagdad und stürzte den unrechtmäßigen abbasidischen Kalifen. Danach beauftragte er Nasiruddin Tusi die große Sternwarte in Maragha im Nordwesten Irans zu errichten. An dieses  Observatorium waren eine Akademie und eine Bibliothek angeschlossen.

                               

Chadsche Nasiruddin war nicht nur ein Astronom und Mathematiker sondern auch ein bekannter Gelehrter für die islamische Jurisprudenz (Fiqh) und Weisheit (Hikma), für Ethik und Logik und Kalaam –die Wissenschaft, die die Fähigkeit verleiht, die eigenen Glaubenslehren mit rationalen Argumenten zu begründen und Zweifel von ihnen abzuwenden. In den meisten dieser Fächer hat er wertvolle Werke hinterlassen. Insgesamt sind es mehr als 150 Bücher, Abhandlungen oder Schreiben, die von ihm erhalten blieben.  In den Augen von Forschern ist das Werk Asas-ul Iqtibas das beste von allen fünf Büchern, die Chadsche Nasiruddin über Logik geschrieben hat. Dieses Buch war nach dem Schafa von Avicenna das wichtigste Werk in diesem Fach. 

Zu seinen bedeutendsten Werken in der Mathematik, speziell über Arithmetik , Geometrie und Trigonometrie zählten das Werk Dschawami ul hisab bitacht wa-t Turab (über Arithmetik),  die Abhandlung Aschafia (über Parallellinien) und sein berühmtes Buch Kaschf al Qina an asrar al-Schikl al-Qetaa „Enthüllung der Geheimnisse der Sekanten in der Geometrie“.  Mit dem letztgenannten Werk ist er der Erste, der die Trigonometrie als unabhängig von der Astronomie erklärt. 

 

Die Werke von Chadsche Nasiruddin al-Tusi über Mathematik weisen gegenüber den Büchern vorheriger Mathematiker einige Vorzüge  auf.  Chadsche verstand sich sehr gut auf die Ableitung von mathematischen Regeln. Er hatte einen vollständigen Überblick über die Grundlagen und Lehrsätze  der zweidimensionalen Geometrie. Ihm gelang es, für  geometrische Parallelen Lehrsätze aufzustellen und zu beweisen, welche seine Vorgänger nicht erkannt hatten.

Chadsche Nasiruddin war ebenso der Erste, der das Sechseck für die sphärische Trigonometrie einführte. Seine Untersuchungen stimmen mit denen der heutigen Wissenschaftler in Europa überein und daher wird der Name dieses großen iranischen Gelehrten in deren Büchern über Trigonometrie angeführt.  

Er hat die Werke einiger bekannter Mathematiker wie Euklid, Archimedes und Ptolemäus auf eine Weise und so sorgfältig aus dem Griechischen übertragen, dass sich ein flüssiger und leicht verständlicher Text ergab. In Wahrheit untersuchte er  zahlreiche alte Übersetzungen über Mathematik sorgfältig, verbesserte sie und verarbeitete sie zu einem makellosen Text damit die angehenden Mathematiker mit den  Werken der Griechen, welche die Voraussetzung für verschiedene Stufen des Mathematikstudiums waren, nacheinander   Bekanntschaft schließen konnten. Die Kommentare von al-Tusi zu Werken der griechischen Mathematiker ermöglichte es späteren Studenten, auch ohne Lehrer all diese Gelehrten zu studieren.

                     

 

Auf dem Gebiet der Astronomie sind  das Zidsch-Ilchani und ʿIlm al-hayʾa  (Wissenschaft des Himmels) die bekanntesten.  Von ihm stammen Tansuq nama ilchani über Mineralien und Edelsteine  sowie Bücher über die Astrologie. Die Abhandlung Fi ilmi al Haya (über die Wissenschaft der Himmel) lässt sich als die beste Kritik im Mittelalter an der astronomischen Lehre des Griechen Ptolemäus betrachten. Es stellt das einzige neue  mathematische Modell für die Bewegung der Planeten dar. Mit großer Wahrscheinlichkeit erfuhr Kopernikus über  dieses Buch aus den Schriften der Astronomen in Byzanz,   und dies veranlasste ihn zu seinen astronomischen Neuerungen, mit Ausnahme der Theorie vom heliozentrischen Weltbild, in dem die Sonne als das ruhende Zentrum des Universums gilt. 

 

Zu den weiteren Errungenschaften von Chadsche Nasiruddin gehört die Erfindung von astronomischen Geräten und präzisen Beobachtungsgeräte für die Sternwarte von Maragha. Diese Geräte hatte es bis dahin in keinem Observatorium gegeben. Er konnte auf diese Weise der Astronomie zu einem großen Aufschwung  verhelfen.

                             

Tusi ist vor allen Dingen als Astronom bekannt  und seine Sternwarte gilt in der Geschichte der Wissenschaft als eine akademische Institution. Nur das Buch von Al Biruni dschamahir fi marifat-ul Dschawahir  über die Edelsteine kommt über sein Buch zum gleichen Thema und über Mineralien zu stehen. 

                                            

Nasiruddin Tusi hatte viel mit der Politik und dem Gesellschaftsleben zu tun und zugleich hat er die Religiosität zum  klarsten Weg in das ewige Reich des Jenseits erklärt. In allen seinen Schriften preist er Unabhängigkeit und Wissen, aber er bringt auch klar zum Ausdruck, dass Wissen nur durch den Glauben und die Religion erzielbar und im Kern gleichbedeutend ist mit der Religion,  welche der Seele Trost spendet und den müden  Körper beseelt.

 

Tusi ist einer der progressivsten islamischen Philosophen und hat die  Mascha`i-Lehren des Avicenna, die auf Peripatos - die philosophische Schule des Aristoteles -  zurückgingen, wiederbelebt, nachdem sie zwei Jahrhunderte lang unter die Wissenschaft Kalaam fielen.  Al-Tusi steht für die erste Phase der allmählichen Kombination dieser Mascha`i- Lehren und der Ischraqi – der Erleuchtungslehren. Das bekannteste Werk über die Moral unter den Muslimen in Indien und Iran war sein „Achlaq-i Nasiri“.  In seinem  Werk Tadschrid ul `Itiqad – verteidigt er mit Beweisen und Argumenten die theologischen Grundlagen der Zwölfer-Schiiten.  

                            

Im Jahre 672 nach der Hidschra – (1274)  reiste Nasiruddin Tusi in Begleitung einiger seiner Schüler nach Bagdad um die Bücher einzusammeln, die nach dem Einfall der Mongolen noch verblieben waren, und sie nach Maragha zu holen. Doch der Tod gab ihm keine Gelegenheit mehr dazu. Er verstarb am 18. Dhul  Hadscha des gleichen Jahres (Juni 1274) in Kazimein, nahe bei Bagdad.

 Er war ein strahlender Stern am dunklen Horizont der Mongolenherrschaft gewesen.  In jeder Stadt, in die er seinen Fuß setzte, hatte er das Licht der Weisheit, des Wissens und der Ethik aufleuchten lassen. Es ist verwunderlich, dass es in jenem dunklen Zeitabschnitt einen solchen Gelehrten gegeben hat. Der christliche Autor Dschurdschi Zaidan hat über ihn wie folgt geschrieben:

„Wissen und Weisheit ist mithilfe dieses Iraners an die entferntesten Orte im Mongolenreich gelangt. Er war wie ein strahlendes Licht an einem dunklen Abend.“

Chadsche Nasiruddin Tusi ist kein Gelehrter gewesen, der nur Bücher schrieb. Wenn immer die Moral und Menschlichkeit auf dem Spiel stand hat er den religiösen und islamischen Werten den Vorrang gegeben. Er hat sich aus dem Kerker des Egos und Egoismus befreit, und damit aus einem Verlies, dem keiner bereits mit Wissenschaft und Wissen sondern nur mit dem Glauben an den Allmächtigen, der Gottesfürchtigkeit und  dem rechtschaffenen Handeln entkommen kann. Obwohl schon Jahrhunderte seit seiner Epoche vergangen sind, schmückt immer noch sein Wort, sein Wissen und sein Verhalten die Kreise der Gelehrsamen. Er verdient es, dass wir sein Leben und Wirken  in einem vierten Beitrag noch einmal betrachten.