Aug 19, 2023 08:32 CET

Wir angekündigt, geht es auch in diesem Teil um den iranischen Mystiker und Dichter Rumi, dessen Werke in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. Sein berühmtes Mathnawi wird heute im Mittelpunkt der Sendung stehen.

Das Werk Mathnawi Ma`nawi (spirituelle Zweizeiler) ist ein Meisterwerk des Dschalal ad din Mohammad Balchi, der im Iran Maulawi und im Westen Rumi genannt wird. Zahlreiche Forscher bezeichnen dieses Mathnawi als Lehrbuch und Wegweiser.  Berühmtheiten der östlichen und westlichen Kultur wie Iqbal Lahori und Hegel haben sich in ihrer Philosophie von Maulawi inspirieren lassen.  Viele große iranische Mystiker haben aus seinem Mathnawi geschöpft.

Das Mathnawi ist das beste Werke von Maulawi  und es ist das bekannteste der Farsi-Sprache und Farsi-Literatur. Es umfasst circa 25 Tausend Doppelverse (Beit). Es heißt, dass Maulawi dieses Werk auf Bitte und Ansporn des Hisam ad din Tschalabi, seinem treuen Helfer und Schüler, verfasst hat.

Der 1990 verstorbene iranische Literaturdozent und Schriftsteller Dr. Gholam Husein Yusefi schreibt in seinem Buch „Tscheschmeh-e ruschan (klare Quelle):

„Als Hisam ad din Tschalabi an einem Abend zwischen dem Jahre 657 bis 660 nach der Hidschra Dschalal ad din Mohammad Maulawi bat, wie Attar und Sanai ein poetischen Werk über spirituelle Begriffe zu verfassen, war dies zweifelsohne der Beginn eines großen literarischen Ereignisses, das zur  Entstehung eines tiefsinnigen und außergewöhnlichen Werkes wie das Mathnawi Ma`nawi in der Farsi-Dichtung führte.“

Aflaki, ein Schreiber und Historiker, der in der gleichen Epoche wie Maulawi gelebt hat, berichtet, Maulawi habe Tschalabi Verse, die er vorher gedichtet hatte, gezeigt.  Diese Doppelverse waren nichts anderes als die 18 des Ney Name – des Briefes der Schilfrohrflöte. Es waren die Verse, die später den Anfang des Mathnawi Ma`nawi bildeten und mystisch gesehen von der Trennung des Menschen von seinem Ursprung und dem Verlangen nach der Rückkehr zu ihm sprechen. 

Hier die ersten Reime davon

بشنو این نی چون شکایت می کند

از جدایی ها حکایت می کند

از نیستان تا مرا ببریده اند

از نفیرم مرد و زن نالیده اند

سینه خواهم شرحه شرحه از فراق

تا بگویم شرح درد اشتیاق

 

Das Gedicht wurde von Frau Professor Annemarie Schimmel übersetzt. Wir haben die Übersetzung der obigen Anfangszeilen der Webseite eslam.de entnommen:

Hör auf der Flöte Rohr – wie es erzählt, und wie es klagt
Vom Trennungsschmerz gequält:
"Seit man mich aus der Heimat Röhricht schnitt,
Weint alle Welt bei meinen Tönen mit.
Ich suche ein Herz, vom Trennungsleid zerschlagen,
Um von der Trennung Leiden ihm zu sagen...

Tschalabi spornte Maulawi an, sein Gedichtwerk weiterzuschreiben und Maulawi begann, ihm den Mathnawi zu diktieren: tagtäglich vom Beginn der Nacht bis zum Morgengrauen.  Tschalabi schrieb alles auf und trug es dann Maulawi noch einmal mit schöner Stimme vor. Dies wurde ihnen bis ans Lebensende Maulawis im Jahre 672 nach der Hidschra (1273 nach Christus) zur lieben Gewohnheit. Maulawi hat auf die Bemühung und den Ansporn seines Schülers Hisam ad din Tschalabi bei der Entstehung des Mathnawis hingewiesen und mehrmals respektvoll in diesem Gedichtwerk seinen Namen erwähnt:

ای ضیاء الحق حسام الدین تویی

که گذشت از مه به نورت مثنوی

مثنوی را چون تو مبداء بوده ای

گر فزون گردد تواش افزوده ای

 

O Zia ul Haqq Hisam ad din du bist es, mit dessen Licht

das Mathnawi aus dem Nebel hervorgedrungen ist.

Weil du der Begründer des Mathnawi gewesen bist

bist du es, der  ihm dazu gefügt hat, wenn es gediehen ist.

 

Das Mathnawi des Maulawi lehrt den Weg, auf dem der Mensch an die Wahrheit gelangt. Maulawi möchte den Menschen auf seine lange Vergangenheit aufmerksam machen, nämlich den langen Weg, den er aus dem Reich der leblosen Materie  über das Reich der Pflanzen und schließlich bis in das menschliche Reich zurückgelegt hat. Das wichtigste Thema ist für Maulawi die Moral und die Charaktererziehung. Er ist wie ein Anführer, der versucht, aus dem Leser einen neuen Menschen zu machen.  Daher spricht er eifrig und mit großer Sorgfalt zum Menschen über die moralischen Regeln und bereitet ihm zugleich mit   Erzählungen und Parabeln Unterhaltung und Freude. 

Im Mathnawi hat der Dichter und Mystiker seine Lehre und seine Gedanken vereint. Seine Geschichten dienen ihm dazu, den Menschen zu läutern und seinen Charakter zu veredeln. Im Mathnawi wogt ein Meer von Gedanken und jeder, der über das Äußerliche seiner Geschichten hinaussieht, entdeckt jenseits davon die hohen Überzeugungen und die feinen Regungen seines Geistes.

Die geistige Quelle für die Schaffung des Mathnawi Ma`nawi (spirituelle Zweizeiler) und seine Geschichten sind vor allem der Heilige Koran und die Überlieferungen gewesen.   Einige Kenner und Kommentatoren des Mathnawi Maulawis sehen in den Geschichten dieses Poesiewerkes eine Art mystische dichterische Auslegung des Korans, und zwar wegen der umfassenden Kenntnis Maulawis von den Koranversen und ihrer Deutung und seinem Wissen über die Überlieferungen und Berichte aus dem Leben des Propheten und der Unfehlbaren aus seinem Hause.  Tatsächlich hat Maulawi viele Koranverse und die Geschichte der Propheten in seinem Mathnawi interpretiert. Außerdem hat er in diesem Werk und im Laufe seiner Erzählungen teilweise Hadithe (Überlieferungen) des Propheten des Islams (S) wiedergegeben und gedeutet. 

 

Neben der gewaltigen und unvergänglichen Quelle der göttlichen Offenbarung hat Maulawi noch eine andere wichtige Ressource für die Schaffung des Mathnawi genutzt, nämlich die allgemeine Kultur und Umgangssprache, die er sehr gut kannte. So kommt es, dass er die Geschichten und Redewendungen, die unter dem Volke üblich waren, heranzieht, um seine Gedanken und Meinung verständlich zu machen.

Dem Mathnawi Ma´anawi ist kein Entwurf vorausgegangen, und die Geschichten sind nicht nach bestimmten Gesichtspunkten geordnet und  gehorchen keiner bestimmten Reihefolge.  Dr. Zarinkub sagt, das Mathnawi von Maulawi sei aus der spirituellen Begeisterung des Dichters hervorgegangen. Er schreibt:

“Jahrelang  hat Maulawi, immer wenn er die Gelegenheit dazu fand und seine Befindlichkeit es ihm erlaubte, den Mathnawi gedichtet: zuhause und in der Moschee, im Badehaus und während er zu Fuß unterwegs war;  am Tag und in der Nacht.  Er baute in seine Geschichten andere Geschichten ein, das eine Wort ergab ein anderes.  Den Mathnawi hat er auf diese Weise gedichtet und Hisam ad din hat ihn aufgeschrieben.  Dementsprechend  entstand der Mathnawi ohne einer besonderen Ordnung und Reihefolge und ohne vorherigen Entwurf und Plan.“

Im Mathnawi leitet meistens ein Gedanke zu einem weiteren über und folgt der einen Erzählung die nächste.  In gewissem Sinne macht dies die Freiheit und Ungebundenheit des Denkens und der Phantasie des Dichters spürbar, der sich beflügelt in einem spirituellen Raum bewegt.  Mathnawi gibt in Wirklichkeit einen spirituellen Werdegang wieder, der mit dem Ruf der Rohrflöte beginnt und nirgendwo endet. Bei einem bestimmten Anlass wird der Sprecher jedoch auf einen neuen Begriff und Inhalt aufmerksam  und wandert von einer Erzählung zur anderen. Dies bis zum Ende des Mathnawi welches aus einer unvollständigen Geschichte besteht und mit dem Tod Maulawis zusammenfällt. 

Maulawis Denkweise durchströmt den Mathnawi wie eine große Flut. Diese Flut nimmt auf ihrem Weg jeden Gedanken und jeden Inhalt mit.  Nicht nur seine leicht verständliche Darbringung von Geschichten und von Weisheiten ist kennzeichnend für den Mathnawi. Kennzeichnet sind auch die spirituellen Zustände des Dichters, die  sich in seinem Werk niederschlagen. Diese erfüllen seine Worte mit Begeisterung und geben ihnen ihre besondere Note. Dr. Zarinkub betrachtet dies als  genau den Punkt, an dem das Mathnawi aufhört, Weisheit und Erzählung zu sein, und zu Poesie und zu abstrakten Gedichten wird.