Die Tragödie von Mena (2)
Die saudische Regierung versuchte die Tragödie,die sich im vergangenen Jahr 2015 in Mena ereignete, zu verharmlosen , was angesichts der Ausmaße gar nicht möglich war. Viele haben sofort Bilder und Informationen in den sozialen Netzen veröffentlicht und die Saudis mussten zugeben, dass sich ein großes Unglück in Mena ereignet hat.
Wir haben im ersten Teil über einige tödliche Unglücke, die sich immer wieder wegen der Nachlässigkeit der saudischen Regierung während des Hadsches ereignet haben und bislang mehreren Tausend Pilgern zum Hause Gottes das Leben kosteten, gesprochen. Aber jetzt wollen wir die besonders tragischen Vorfälle im Jahre 2015 betrachten. Der erst blutige Vorfall 2015 wurde verursacht, als ein Baukran umstürzte. Es war der größte von mehreren Kränen, die für ein saudisches Erweiterungsprojekt dicht bei der Heiligen Moschee standen und trotz der großen Pilgermenge zur Kaaba für die Hadsch-Zeit nicht abgeräumt worden waren. Jedenfalls stürzte dieser Kran am 11. September 2015 (27. Dhul Qada) auf die Moschee herunter und erschlug 107 der Pilger. 238 Pilger erlitten Verletzungen.
Am 24. September vorigen Jahres folgte die zweite noch viel verlustreichere Tragödie. Die Pilger waren von Maschar aus in Richtung Mena für das Hadsch-Ritual Rami Dschamarat aufgebrochen, als die saudischen Sicherheitskräfte den Hauptweg sperrten, die Pilgermenge auf einen Seitenweg lenkten und auch noch die ohnehin schmalen Ausgänge dieses Weges schlossen. So sammelten sich immer mehr Pilger an einer Stelle an. Das Gedränge, die Hitze und die große Erschöpfung führten zur Massenpanik , die mehr als 7 Tausend Pilgern das Leben kostete. Obwohl die saudischen Ordnungskräfte selber dieses Dilemma heraufbeschworen hatten, leisteten sie den Hadsch-Pilger erst mit großer Verspätung Hilfe und wegen dieser verspäteten Rettungsmaßnahmen erhöhten sich die Verluste. So kam es zum Opferfest 2015 in Mena zu der bisher größten menschlichen Tragödie beim Hadsch.
Das saudische Regime versuchte zuerst den Vorfall, zu verheimlichen was angesichts des Ausmaßes gar nicht möglich war. Viele haben sofort Bilder und Informationen in den sozialen Netzen veröffentlicht und die Saudis musste zugeben, dass sich ein großes Unglück in Mena ereignet hatte. Sie versuchten daraufhin die Tatsachen zu verharmlosen wie die widersprüchlichen Angaben über die Zahl der Opfer zeigen. Diese Angaben schwankten von 700 bis 4000.
Das Ausmaß der blutigen Ereignisse zum Hadsch 2015 ist unvorstellbar groß gewesen. Man sollte sich mit Hilfe der Augenzeugen ein Bild machen. Mohammad, ein Pilger aus dem Iran, berichtet wie folgt von seiner Hadschreise:
"Nach längerem Warten war es endlich soweit: Ich war erfreut und voller Hoffnung auf dem Weg in das Land der Offenbarung. Im Flugzeug war es still und so nutzte ich die Gelegenheit, an diese spirituelle Reise und ihre verschiedenen Aspekte zu denken. Im Iran hatte ich an mehreren Vorbereitungssitzungen teilgenommen und die Rituale des Hadsches eingeübt. Dennoch war ich aufgeregt und machte mir Sorgen, zum Teil auch wegen dem unverantwortlichen Vorgehen der Saudis, durch das jedes Jahr ein Unglück für die Pilger zum Hause Gottes verursacht wird. Außerdem wusste ich, dass die saudischen Wahhabiten diejenigen Pilger, die ihre Ansichten nicht akzeptieren, insbesondere die Schiiten, nicht gut behandeln. Aber ich vertraute auf Gott und versuchte positiv zu denken und mich geistig auf den schönen spirituellen Anblick der gesegneten Kaaba und der Kuppel der Heiligen Moschee des Propheten vorzubereiten. Schließlich schlief ich ein."
"Der Pilot kündigte an, dass wir den Flughafen von Medina erreicht haben. Nachdem wir das Flugzeug verlassen hatten,begannen zahlreiche Formalitäten am Flughafen, von denen jede Wartezeiten in Anspruch nahm. Die saudischen Zollbeamten verhielten sich bei der Feststellung der Identität der Pilger, obwohl diese einen gültigen Pass hatten, übertrieben pedantisch. Auch bei der Kontrolle des Reisegepäcks legten sie eine ähnliche unübliche Pedanterie an den Tag, als ob sie nach etwas Bestimmtem suchen. Als mein Handgepäck an der Reihe war, holte der saudische Beamte meinen kleinen Koran hervor und warf ihn geringschätzig zur Seite. Über dieses respektlose Verhalten war ich sehr empört, aber ich wusste, dass schon der geringste Protest schlimme Folgen haben kann. Ich fragte ihn nur, warum er den Koran weggenommen hat. Er gab mir, ungeachtet des Respektes den der Koran bei den Muslimen genießt, die unsinnige Antwort: "Es gibt viele Korane in der Al-Haram-Moschee und der Annabi-Moschee!" Als uns unsere Koffer im Hotel ausgehändigt wurden, stellten wir fest, dass die saudischen Beamten fast alle Korane und die Bücher über den Hadsch einfach aus unseren Koffern herausgenommen hatten."
Mohammad schreibt weiter in sein Tagebuch: "Wir sind in Medina, der Stadt des letzten Propheten Gottes eingetroffen. Wir alle wollen so bald wie möglich in die Annabi-Moschee. Auf dem Moscheenhof schildert uns der Geistliche, der unsere Pilgerkarawane betreut die Geschichte dieser Moschee und ihre besonderen Eigenschaften und Vorzüge. Bald aber tauchen die saudischen Sicherheitsbeamten auf und treiben unsere Schar auseinander. Es ist nicht klar, weshalb sie das tun und verhindern, dass der Geistliche unserer Karawane über die Moschee des Propheten spricht. Auch in den darauffolgenden Tagen bei dem Besuch anderer historischer und religiöser Stätten in Medina und Umgebung stoßen wir auf ein solches Verhalten gegenüber Pilgergruppen. Die Beamte der Saudis stören uns auch beim Besuch der Pilgerorte. Es herrscht eine strenge Sicherheitsatmosphäre in Medina."
"Sogar in der Moschee des Propheten lassen die Sicherheitsbeamten niemanden in Ruhe. Unter dem Vorwand, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, stören sie die Pilger, die nach jahrelangem Warten endlich mit Begeisterung zum Grab des Propheten pilgern können, bei ihren Gebeten. Sie vertreiben die Pilger vom Schrein des Propheten (Gottes Segen sei auf ihm und Friede seinem Hause), so dass sie entmutigt, aus Angst vor den Sicherheitskräften, nur von weitem ihren Propheten grüßen und ein Gebet sprechen können und wieder gehen müssen.
Noch strenger geht es am Baqi-Friedhof zu,wo viele Persönlichkeiten des Islams begraben liegen. Im Baqi ruhen die Gemahlinnen des Propheten und einige seiner Kinder, ein Onkel von ihm und zwei seiner Vettern. Es sind weitere wichtige Pesönlichkeiten in diesem Friedhof beigesetzt worden. Zudem befinden sich dort die Ruhestätten von 4 der Unfehlbaren Imame aus der Nachkommenschaft des Propheten (Friede sei ihnen). Bis 1926 gehörten Kuppelbauten zu diesen Gräbern. Aber die Wahhabiten haben diese heiligen Stätten aufgrund ihrer haltlosen abergläubigen Ansichten 1926 zerstört."
"Nur männliche Pilger werden, und das auch nur zu begrenzten Zeiten, auf den heiligen Friedhof Baqi gelassen. Es ist verboten an den Gräber für ein Gebet stehenzubleiben, besonders wenn es sich um die zerstörten Grabstätten der schiitischen Imame handelt. Dann muss man noch mehr mit Drohungen rechnen. In Saudi-Arabien kennt man keine Freiheit für andere religiöse Rechts- und Denkschulen. Die Wahhabiten propagieren überall in Mekka und Medina ihre eigenen abwegigen Anschauungen."
"Nach einem mehrtägigen Aufenthalt in Medina verlassen wir nun diese geliebte Stadt mit wenig erfreulichen Erinnerungen an die Störungen der Saudis bei dem Pilgerbesuch am Grab des Propheten Gottes und der anderen Gottesfreunde und begeben uns zum Heiligen Mekka. Nach Eintreffen in dieser Stadt, die Gott im Koran Seinen sicheren Ort genannt hat, bereiten wir uns darauf vor, zur Heiligen Moschee zu gehen. Zusammen mit den anderen aus der Karawane machen wir uns begeistert auf den Weg zu der heiligsten Moschee der Muslime, in der die Kaaba - das Haus Gottes - steht. Beim Betreten des Moscheenhofes zieht uns die Erhabenheit und Heiligkeit der Kaaba alle in ihren Bann. Aber dann machen uns die vielen Hochhäuser in Umgebung der Al-Haram-Moschee, welche die Saudis seit einigen Jahren bauen lassen auf sich aufmerksam. Es nicht klar, warum diese hohen Gebäude so nahe neben der Heiligen Moschee gebaut worden sind."
"Nach dem Tawaf ( rituellen Umschreiten der Kaaba) und dem Ritualgebet und Bittgebeten verlassen wir die Moschee um ins Hotel zurückzukehren. Nicht unweit von der Heiligen Moschee lähmt uns ein fürchterliches Geräusch."
"Das Geräusch kommt aus der Al-Haram-Moschee! Besorgt eilen wir zurück. Uns bietet sich ein unglaubliches Bild. Ein riesiger schwerer Kran, dessen Arm vorher über der Moschee ragte, ist hinter der Abrahamstätte - Maqam-e Ibrahim - im östlichen Teil in die Moschee eingeschlagen und hat eine Anzahl von wehrlosen Pilgern unter sich begraben. Einige Pilger sind regelrecht vom Kran zerquetscht worden und anderen wurden Hände und Füßen abgetrennt."
Mohammad schreibt weiter:
"Sofort versuchten wir den Verletzten zu helfen. Aber man ließ uns nicht, denn schon kamen die saudischen Sicherheitsbeamten und haben alle Pilger aus der Moschee verbannt . Niemand durfte die Szene fotografieren oder filmen. Wegen dieser erschütternden Szenen ging es mir mehrere Tage lang nicht gut.
Die saudische Regierung gab die Zahl der Opfer mit 107 bekannt. Die Zahl der Verletzten betrug mehr als das Doppelte davon. Wie immer versuchten die Veranwortlichen des Regimes ihre Nachlässigkeit in Bezug auf den Vorfall zu vertuschen und führten das Unglück auf Sturmböen zurück oder erklärten, es sei Gottes Wille gewesen."