Die Tragödie von Mena (3)
"... erstaunt stellten wir fest, dass die Zusatzstrecke, auf den die Menschenmenge hätte ausweichen können, auch gesperrt war und erst recht verwirrt wurden wir, als wir merkten, dass die Sicherheitskräfte auch das Ende der Straße abgesperrt hatten. So gerieten Tausende von Pilger in der Straße 204 in die Klemme und ihre Zahl erhöhte sich von Augenblick zu Augenblick...."
Mohammad, ein Pilger aus dem Iran und Augenzeuge der Tragödie von Mena schreibt:
"Nach dem bitteren Unglück, bei dem ein Baukran auf die Pilger in der Heiligen Moschee gestürzt waren, versuchte ich mich bei dem Besuch der Moschee, dem Tawaf und mit dem Gebet und Bittgebeten für die Märtyrer dieser Tragödie zu beruhigen. Doch beim Anblick der vielen anderen Kräne rund herum um die Moschee, musste ich daran denken, dass noch ein anderer Kran auf die wehrlosen Pilger herabstürzen könnte..."
Mohammad schreibt daraufhin über Arafat, wo er und die anderen Pilger nach den Ritualen des Umra Tamattu im Weihegewand hingezogen sind: "Hier erinnert alles an Gott und es wogt die Spiritualität. Der Arafat-Tag ist der 9.Tag des Monats Dhul Hidscha. Die Verlesung des bekannten Arafat-Gebets von Imam Husein (Friede sei ihm) an diesem Tag versetzt jeden in einen anderen Zustand. Muhsein Hadschi Hasani verliest auf schöne Weise den Koran und verwandelt die Stimmung in Arafat. Bei Sonnenuntergang macht sich die Menschenmenge langsam auf den Weg zu einem weiteren Heiligen Gebiet - Maschar Al Haram. Auch dort verrichten wir das Gebet und flehen zu Gott. Einige sammeln Steinchen für den nächsten Tag in Mena, um Satan damit zu bewerfen."
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Mohammad erinnert sich:
"Beim Sonnenaufgang zum Tag des Opferfestes kam wieder Bewegung in die Pilgermenge. In Scharen zogen sie zu dem heiligen Gebiet Mena. Der Weg war weit, aber die Begeisterung für die segensreiche Hadschzeremonie und das Verlangen nach Gottes Zufriedenheit machten es einfach, die Müdigkeit zu ertragen. Schließlich erreichten wir den Ort, den die Saudis jedes Jahr den iranischen Pilgern zur Verfügung stellen. Es ist dort nicht sauber und der Ort liegt am weitesten entfernt zu der Stätte des Rami Dschamarat, wo die Felsen zur symbolischen Vertreibung Satans beworfen werden.
Wir nahmen ein kleines Frühstück zu uns und dann machten wir uns sofort wieder auf den Weg, obwohl wir müde waren. Aber wir wollten die große Hitze in Mena meiden. Wir wussten, dass in der Vergangenheit viele schlimme Unglücke für die Hadschpilger in diesem Gebiet passiert waren - wegen der fehlenden Vorkehrungen der Saudis. Aber wegen der merklich reduzierten Zahl der Hadsch-Pilger in diesem Jahr (dem Jahr 2015) war eigentlich weniger zu erwarten, dass Ähnliches passiert.. Dennoch bestand wegen der Inkompetenz der Saudis die Wahrscheinlichkeit eines Unglücks. In der Al-Haram-Moschee war ja auch ein Unglück passiert und der Baukran umgestürzt. ...
Die saudische Polizei lenkte die Iraner in die Straße 204 - eine relativ schmale Straße, die zu dem Ort des Rami Dschamarat führt. Es war nach 8 Uhr morgens und die Pilgermenge kam nur langsam vorwärts.
Verwundert stellten wir fest, dass die saudischen Polizeibeamten aus einer anderen Straße afrikanische Pilger in die Straße 204 lenkten. So kamen die Pilger nur sehr langsam weiter und es wurde immer wärmer. Der Leiter unserer Pilgerkarawanne machte uns aufgrund einer Erfahrung von früher Hoffnung, dass in solchen Fällen die saudische Polizei, welche mit zahlreichen Kameras die Wegstrecken beobachtet, zur Reduzierung des Gedränges einen weiteren Seitenweg öffnet. Erstaunt stellten wir jedoch fest, dass die Zusatzstrecke, auf den die Menschenmenge hätte ausweichen können, auch gesperrt war und erst recht verwirrt waren wir, als wir merkten, dass die Sicherheitskräfte auch das Ende der Straße 204 abgesperrt hatten. So gerieten Tausende von Pilger in der Straße 204 in die Klemme und ihr Zahl erhöhte sich von Augenblick zu Augenblick...."
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(in Rot)
Unsere Lage wurde immer kritischer. Das Trinkwasser war ausgegangen und unsere Kräfte ließen wegen der Müdigkeit und Hitze immer mehr nach. Der Leiter unseres Pilgerzuges tröstete uns dass zwei Rettungsstationen der Saudis in unserer Nähe waren und wir hofften dass sie uns helfen kommen oder wenigstens die durstige Menschenmenge zur Abkühlung besprühen. Aber es passierte nichts dergleichen. Es war als ob die Saudis, am Qurban-fest Hadschpilger als Opfer ausgesucht hatten.
Nach neun Uhr brachen die ersten Pilger ohnmächtig zusammen. Wir hofften nur noch auf Gott, dessen Anweisung folgend wir in dieses Land gekommen waren. Doch wir bekamen die Inkompetenz derer zu spüren, die über dieses Land herrschen. Ich hörte einige, die noch etwas Kraft besaßen, laut beten. Uns war inzwischen klar geworden, dass wir ausweglos in ein Dilemma geraten waren und ein Wunder geschehen musste, damit wir aus dem Gedränge und der Hitze erlöst werden und vor dem Tod,der immer näher rückte, gerettet werden."
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Mohammad aus Iran schildert den Höhepunkt der Tragödie in Mena:
"Die Pilger verloren aufgrund der Hitze und weil sie immer mehr durch die wachsende Menschenmenge zusammengepresst wurden, einer nach dem anderen das Bewusstsein und starben. Aller Kräfte beraubt sprach ich Schahadatein (das Bekenntnis zu Gott und dem Propheten) und bereitete mich auf den eigenen Tod vor.Die Gesichter meines Vaters, meiner Mutter, meiner Frau und Kinder traten vor mein geistiges Auge und ich hoffte, dass sie mir jegliche Versäumnisse und ungerechte Taten verzeihen werden. Bei dem Gedanken, dass ich und die anderen Pilger den Hadsch, dessen Verwirklichung einer großer Wunsch in meinem Leben gewesen war, nicht zu Ende gebracht hatten, erfüllte mich tiefer Kummer. Ich hoffte nur noch, dass Gott in Seiner Großzügigkeit diesen halben Hadsch von mir annimmt und die Urheber dieses Verbrechens vor Seinem Jüngsten Gericht zur Rechenschaft ziehen wird."
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"In diesem Augenblick der Hoffnungslosigkeit, öffnete ich kurz die Augen und sah wie einige Pilger herbeigeeilt waren, um die Überlebenden zu bergen. Ich streckte die Hand in die Luft und plötzlich zog mich jemand hoch. Mir war, als ob Gott diese helfende Hand geschickt hatte. Als erstes umarmte ich den Glaubensbruder, der mir geholfen hatte, und bedankte mich bei ihm. Aber er hatte es eilig, noch weitere zu retten. Als ich schließlich erschöpft mich an eine Mauer anlehnte und vergeblich nach saudischen Rettungshelfern oder Krankenwagen Ausschau hielt, reichte mir plötzlich einer der Pilger ein Glas Wasser. Bei der großen Hitze und nach der Befreiung aus dem Gedränge war dieses Glas Wasser das kostbarste Geschenk und noch nie hat mir ein Schluck Wasser im Leben so gut getan.
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Nacheinander trafen die Rettungshelfer mehrerer Länder am Unglücksort ein. Von weitem war ich Zeuge des Ausmaßes der Tragödie und wie die anderen Pilger und die Rettungshelfer versuchten den Überlebenden zur Hilfe zu eilen. Ihre Anstrengungen waren wirklich lobenswert.. Schließlich tauchte auch der saudische Rettungsdienst auf, mit zwei Stunden Verspätung. Dabei waren diese Kräfte ganz nahe am Unglücksort gewesen und verfügten über geeignete Mittel, um bei einem solchen Unglück rasch Hilfe zu leisten.
Nachdem ihre Hilfsaktionen begonnen hatten, mischten sich - drei Stunden nach Eintritt der Tragödie - die saudischen Sicherheitskräfte ein und vertrieben die Rettungshelfer anderer Länder,die effektiv etwas für die vom Unglück Betroffenen getan hatten. Dann konnten die saudischen Beamten - unbeobachtet - tun und lassen, was sie wollten.
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Ich hatte mich ein wenig erholt und mit Hilfe der Rettungshelfer konnte ich meine Pilgerkarawane ausfindig machen. Beim Anblick einiger meiner Reisegefährten war ich hocherfreut. Nach anderen begann ich zu suchen und wusste nicht, was in diesem Gedränge aus ihnen geworden war. In unserer Karawane und den circa 50 anderen iranischen Pilgerkarawanen, die in diesen schrecklichen Engpass geraten waren, herrschte große Aufregung. Viele Frauen hatten ihren Mann, Söhne oder Brüder verloren. Ständig erreichte uns eine neue schlimme Nachricht.
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Um wieder normale Verhältnisse auf dem Schauplatz der Tragödie herzustellen, verluden die Saudis die Körper, die reglos auf dem Boden lagen in Lastwagen und Container, ohne darauf zu achten, dass sich auch Ohnmächtige darunter befanden, die noch lebten. Das bedeutet nichts anderes, als dass sie den Tod von Lebenden verursacht haben, die noch hätten gerettet werden können.
Unter den Opfern von Mina waren zwei bekannte Gesichter,nämlich Ghazanfar Roknabadi der ehemalige Botschafter Irans in Libanon, auf den die Saudis nicht gut zu sprechen waren , und Mohsein Hadschi Hasani, der hervorragende iranische Koranrezitator, dessen schöne Verlesung des Korans in Arafat uns noch gut in Erinnerung war.
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Nach dieser Tragödie bis zum Ende des Hadsches war die Atmosphäre für die Hadschpilger mit Trauer, Bedrückung und Empörung erfüllt. Es kamen verschiedenen Vermutungen auf und eine davon lautete, dass dieses Ereignis insbesondere für die iranischen Pilger, zu denen die Saudis missgünstig eingestellt sind, heraufbeschwört wurde. Nachdem Ajatollah Khamenei und weitere iranische Verantwortliche entschieden Stellung genommen hatten, konnten die verbliebenen Pilger heil , wenn auch sehr bekümmert, in ihr Land zurückkehren. Aber statt der schönen Erinnerungen vom Hadsch mussten sie ihren Verwandten und Freunden von einer großen Tragödie berichten."
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