Interview mit Willy Wimmer
"Mitte der 90-er Jahre hat eine Staatssekretärin im amerikanischen Außenministerium in völliger Übereinstimmung mit unserer allgemeinen Beurteilung davon gesprochen hat, dass die Taliban 'our boys', unsere Jungs, gewesen sind, die das Geschäft der Amerikaner in Afghanistan erledigt haben und an diesen Umständen hat sich ja bis heute nichts geändert"
ParsToday: Herr Wimmer, es passieren in Afghanistan immer wieder Anschläge mit verheerenden Folgen. Mindestens 65 Tote hat es bei einem Anschlag auf einen Geheimdienststützpunkt in Afghanistan gegeben. Nach dem Anschlag in der Provinz Wardak am Montag seien mindestens 65 Leichen aus den Trümmern geborgen worden, sagte der Stellvertretende Chef des Provinzrates am Dienstag. Wie ist es Herr Wimmer zu erklären, dass es immer wieder zu Anschlägen derartigen Ausmaßes kommt?
Wimmer: Ja, wir müssen ja eigentlich feststellen, dass die Spirale des Todes in Afghanistan seit praktisch Ende der siebziger Jahre nicht unterbrochen werden konnte, wenn man mal von kurzfristigen Zeiträumen absieht, wo es keinen Konflikt in Afghanistan gegeben hat. Aber die Dinge werden auf Dauer betrieben, und zwar wegen der Grundmuster, die man - aus meiner Sicht - in Afghanistan einfach feststellen muss. Krieg ist da der Normalzustand und man muss sich fragen, wie lange das noch geht mit dem Blutzoll, den man in Afghanistan entrichten muss, bevor das afghanische Volk oder die Bevölkerung in Afghanistan insgesamt vor der Auslöschung steht. Damit meine ich jetzt nicht nur die physische Auslöschung, sondern dass überhaupt noch so etwas wie Leben in Afghanistan stattfinden kann, weil alles auf den Kopf gestellt ist und dass es nirgendwo einen Silberstreif gibt, der deutlich macht, dass es auch anders und friedlicher zugehen könnte. Man muss ja diesen Anschlag neben Meldungen auch von heute legen, dass zwischen den Vereinigten Staaten und Taliban am Golf wieder die Gespräche stattfinden. Also, es wird miteinander geredet und es werden Anschläge dieser Größenordnung durchgeführt und man fragt sich, ob man das überhaupt noch mit menschlichen und politischen Maßstäben verstehen kann.
ParsToday: Herr Wimmer, für die Anschläge bekennt sich immer wieder die Taliban. Aber die Taliban selbst sind Afghanen zum größten Teil, deshalb versteht man nicht, wie es überhaupt dazu kommt, dass Menschen ihre eigenen Landsleute töten.
Wimmer: Ja, wir müssen ja in Afghanistan neben dem Umstand, dass es sich um Afghanen handelt – das ist ja vielleicht die westliche Sicht der Situation in Afghanistan – wir müssen in Rechnung stellen, dass die großen Bevölkerungsgruppen der Pashtunen, Hazaras, Tajiken und der Uzbeken und von wem auch immer untereinander nun nicht gerade das Gefühl entwickelt haben zu einem Volk zusammenzugehören, sondern man ist dem Stamm und dem großen Stamm verpflichtet. Und vor diesem Hintergrund sind ja viele Dinge in den letzten Jahrzehnten in Afghanistan zu erklären gewesen. Ich sage das jetzt nicht um Verständnis für diese mörderische Situation zu schaffen, sondern nur um deutlich zu machen, mit was wir es da zu tun haben und wie leicht die Dinge die den dort Herrschenden von den Lippen gehen, das haben wir ja in den 90-er Jahren gesehen, als mühelos davon gesprochen worden ist, zum Krieg gegen Pakistan aufzurufen, in Anbetracht der Grundmuster, mit denen man es in Afghanistan nun einmal zu tun hat. Und das macht aus meiner Sicht deutlich, wenn man von außen diesen Sumpf nicht trockenlegt, dann wird es in Afghanistan nie zu einer Befriedung kommen. Und Sumpf trocken legen, heißt für mich, dass das Involviertsein anderer Mächte in Afghanistan aufhören muss. Und solange das nicht geschieht wird es auch nicht zu einer friedlichen Entwicklung kommen.
ParsToday: Welche Kräfte meinen Sie?
Wimmer: Ich bin ja nun lange mit den Dingen in Afghanistan in Verbindung gewesen. Und ich mich kann gut daran erinnern, dass Mitte der 90-er Jahre eine Staatssekretärin im amerikanischen Außenministerium in völliger Übereinstimmung mit unserer allgemeinen Beurteilung davon gesprochen hat, dass die Taliban „our boys“, unsere Jungs, gewesen sind, die das Geschäft der Amerikaner in Afghanistan erledigt haben. Und an diesen Umständen hat sich ja bis heute nichts geändert. Ich kann da genauso gut Saudi-Arabien, ich kann da genauso gut eine Reihe von Golfstaaten anführen und andere natürlich auch, die ihre Interessen in Afghanistan haben und vertreten. Aber das, was in Afghanistan die zentrale Rolle, jedenfalls unter den derzeitigen Umständen, spielt, ist der Umstand, dass diese Hintermänner immer noch vorhanden sind. Und ihnen ist es völlig egal, wie viele Afghanen auf der Strecke bleiben.
Das Interview wurde geführt von: Seyed-Hedayatollah Shahrokny
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Anmerkungen:
- Das vollständige Interview im Audio!
- aufgezeichnet am 22. 01. 2019