Jun 03, 2023 13:14 Europe/Berlin
  • Gewalt an amerikanischen Schulen und das Schweigen der US-Parlamentarier

Es ist ein häufiges wie erschütterndes Bild, das man aus den USA kennt: Vor Grundschulen, vor High Schools, vor Universitäten trauern Menschen um ihre Kinder, Verwandte oder Freunde.

Waffengewalt ist ein heikles Thema in den USA, einem Land, in dem es laut Schätzungen 390 Millionen Waffen gibt. Viele sehen Waffen als Teil der amerikanischen Kultur und berufen sich auf den zweiten Verfassungszusatz, der ihnen das Recht auf das Tragen einer Waffe garantiere.

Neuester Fall ist die Stadt  Nashville im US-Bundesstaat Tennessee: Bei einem Schusswaffenangriff an einer Grundschule in Nashville sind drei Kinder und drei Erwachsene getötet worden. Die mutmaßliche Schützin sei ebenfalls tot. 

Laut einer in der Dezemberausgabe 2022 des Journal of the American Academy of Pediatrics veröffentlichten Studie sind waffenbedingte Verletzungen mittlerweile die häufigste Todesursache für Menschen unter 24 Jahren in den Vereinigten Staaten. Laut dem Everytown-Bericht kam es zwischen 2015 und 2020 in den Vereinigten Staaten zu mindestens 2.700 Schießereien durch Kinder unter 18 Jahren, bei denen 765 Menschen starben und 1.366 verletzt wurden.

 

Im neuesten Bericht des American National Center for Education heißt es; die Schießereien in Schulen in diesem Land erreichten im Schuljahr 2021–2020 den höchsten Stand seit 20 Jahren. Laut einem 31-seitigen Bericht des US-amerikanischen National Center for Education kam es im Schuljahr 2020–2021 zu insgesamt 93 Schießereien in öffentlichen und privaten Grund- und Realschulen, darunter 43 Schießereien mit Todesopfern und 50 Schießereien mit Verletzten.  Obwohl die Rate nicht-tödlicher Opfer von Schießereien an Schulen bei 12- bis 18-Jährigen im Jahr 2019 niedriger war als im Jahr 2009, kam es aber  im Jahr 2021 zu mehr Schießereien in Schulen als in jedem anderen Jahr seit Beginn der Datenerhebung Anfang der 2000er Jahre und  es ist von 11 Fällen im Jahr 2009 auf 93 Fälle im Jahr 2021 gestiegen. Ein US-Sicherheitsbeamter sagt dazu: „Die nachhaltigen Auswirkungen dieser Verbrechen können nicht allein anhand von Statistiken gemessen werden, obwohl diese Daten für politische Entscheidungsträger, Schulbeamte und Gemeindemitglieder wertvoll sind, um vorbeugende und Gegenmaßnahmen zu ermitteln und umzusetzen.“

 

Natürlich sind Schießereien in Schulen nur eine der tödlichen Schießereien in den USA. Laut den neuesten Daten der gemeinnützigen Organisation, die Waffengewalt in Amerika verfolgt, starben im Jahr 2020 in den Vereinigten Staaten mehr als 21.500 Menschen durch Waffengewalt. In den USA  sind mehr Waffen im Umlauf als irgendwo sonst auf der Welt.  Nach Angaben des US Congressional Research Center besitzen US-Amerikaner etwa die Hälfte (48 %) der insgesamt 650 Millionen zivilen Waffen auf der Welt.

In einer Situation, in der Schüler in Amerika ein sicheres und gewaltfreies Umfeld zum Lernen in Schulen benötigen, sind Kinder und Jugendliche, die in diesem Land den Weg des wissenschaftlichen Lernens gewählt haben, der Gefahr bewaffneter Gewalt ausgesetzt und  ihre Sorge, in einen bewaffneten Angriff verwickelt zu werden, hat bei Schülerinnen und Schülern in den USA   psychologische und spirituelle Schäden hinterlassen. Die Bereitstellung einer sicheren, gesunden und friedlichen Umgebung ist für ein ausgewogenes und geeignetes Bildungsumfeld für Schüler von entscheidender Bedeutung.

 

Die Situation an den US-Schulen wird so schlimm, dass  Hersteller von Schulbedarf kugelsichere Rucksäcke auf den Markt gebracht haben oder dass Grund- und Oberstufenschüler in den USA  regelmäßig üben, wie sie auf eine Situation mit aktiven Schützen reagieren sollen. Dies ist eine Maßnahme, die die Regierung dieses Landes angeordnet hat und die die Änderung der Bedingungen ersetzt.

Ungünstige Bedingungen und Rahmenbedingungen für die Ausbildung von Schülern aufgrund möglicher bewaffneter Bedrohungen haben in den letzten Monaten in den Vereinigten Staaten dazu geführt, dass Tausende von Schülern ihre Klassenzimmer verlassen haben, um an Demonstrationen gegen Waffenbesitzgesetz teilzunehmen. Die  Forderung einer großer Zahl von Schülerinnen und Schülern  in den USA  besteht darin, den Verkauf von Kriegswaffen mit großen Magazinen und Maschinengewehren zu verbieten, wie sie Nikolas Cruz beim Massaker an der Marjory Stoneman High School eingesetzt hat. Am 14. Februar 2018 griff der 19-jährige Nikolas Cruz die Marjory Stoneman Douglas High School in Florida an, tötete siebzehn Menschen und verletzte fünfzehn weitere und war damit die tödlichste Schulschießerei in der US-Geschichte.

 

Trotz der zahlreichen Forderungen aus verschiedenen Teilen der Vereinigten Staaten, gas geltende Waffenbesitzgesetz  zu ändern, das als Hauptgrund für die Eskalation von Gewalt und Morden, auch in den Schulen dieses Landes, gilt, regt das Schweigen  der leitenden Verantwortungsträger  und Gesetzgeber in den  USA  sehr zum Nachdenken in dieser Hinsicht an. Die Freiheit, Waffen zu benutzen, führt in den USA  zu täglicher Waffengewalt; doch die Waffenlobby in diesem Land ist so mächtig, dass nicht einmal der US-Kongress bereit ist, Gesetze zu verabschieden, die das geltende Waffenbesitzgesetz  kontrollieren.

Aufgrund der zunehmenden Kritik in den Medien sowie in der Öffentlichkeit und insbesondere der Besorgnis der Familien über die Ausweitung der bewaffneten Gewalt in den Vereinigten Staaten konnten die Behörden dieses Landes diese Kritik nicht ignorieren und sind   zumindest  manchmal in Reden oder in den Netzwerken dazu gezwungen, sich  auf diese komplizierte Situation zu beziehen. US-Präsident Joe Biden kritisierte kürzlich die Waffenkultur in seinem Land und sagte, dass Kinder aus Angst, erschossen zu werden, nicht an Geburtstagsfeiern teilnehmen könnten. Biden schrieb auf Twitter: „Waffen sind die Hauptursache für Kindermorde in den USA, und die Zahl steigt. Was ist mit unserem Land passiert, dass Kinder nicht ohne Angst an einer Geburtstagsfeier teilnehmen können? Wie lange müssen sich Eltern jedes Mal Sorgen machen, wenn ihre Kinder zur Schule, ins Theater oder in den Park gehen?“

 

Bidens Tweet wurde einen Tag später veröffentlicht, als  auf der Geburtstagsfeier eines  US-Teenagers in Dadeville im Bundestaat Alabama, mindestens vier Menschen starben und mehr als 28 weitere verletzt wurden.

Biden fordert immer wieder strengere Waffengesetze und hat bereits Regelungen in der Vergangenheit immer wieder leicht verschärft. Ohne substanzielle Gesetzesänderungen sehen Expertinnen und Experten allerdings keine Chance auf echte Veränderungen. Um die durchzusetzen, wären Biden und seine Demokraten allerdings auf die Kooperationsbereitschaft der Republikaner im Kongress angewiesen - und die ist bei diesem Thema nicht in Sicht.

Der Dominoeffekt bewaffneter Angriffe und Tötungen an US-Schulen dürfte  mit der Beibehaltung der geltenden Waffengesetze noch an Tempo gewinnen. Seit 1999, als wissenschaftliche Kreise nach dem Massaker an der Columbine High School ins Visier genommen wurden, setzte  sich dieser Trend fort. Beispielsweise kam es zu Massenmorden an der Virginia Tech University (2007), der Sandy Hook Elementary School (2012) und der Parkland High School (2018). Tatsächlich haben seit der Schießerei in Columbine im Jahr 1999 mehr als 338.000 Schüler in Amerika an ihren Schulen bewaffnete Gewalt erlebt.

 

In den Berichten des „Sandy Hook Promise“-Instituts, dessen Tätigkeit auf die Erfassung von Fällen bewaffneter Gewalt in Schulen sowie auf  die Ausbildung zum Umgang mit diesen Angriffen abzielt, heißt es: Waffengewalt und Schießereien in Schulen sind eine typisch amerikanische Epidemie,  bei denen  in den Vereinigten Staaten jeden Tag Kinder an den Folgen von Waffengewalt sterben. „Cheryl Lero Johnson“ (Cheryl Lero Johnson), eine Expertin für amerikanische Schießereien an Schulen, sagt: Jedes großes Ereignis hat den Ruf nach  mehr Sicherheit in Schulen lauter gemacht, um sicherzustellen, dass ihre Kinder nicht Opfer des nächsten Columbine, Virginia Tech oder Sandy Hook werden. Er schreibt in der Zeitschrift „Victims and Offenders“, dass nach diesen Vorfällen Metalldetektoren, Röntgengeräte, bewaffnete Wachen und Personal, das Waffen in Schulen tragen dürfe, an der Tagesordnung seien.

Die Katastrophe wird noch deutlicher, wenn laut der „Gun Safety Support Foundation in Every City“ mehr als 95 % der Grundschulen in den USA Übungen zur Vorbereitung auf einen bewaffneten Angreifer abhalten; ein Manöver, das den Schülern Angst und Unsicherheit einflößt, anstatt sie vorzubereiten. Der Einfluss von Pro-Waffen-Lobbys, von denen die NRA (die mächtige Waffenlobby namens National Rifle Association/ Nationaler Gewehr-Verband)  die bekannteste ist, ist  auf  das häufige Auftreten bewaffneter Gewalt und tödlicher Schießereien in Schulen und Bildungsumgebungen sichtbar.

Mit fünf Millionen Mitgliedern hat die NRA Hunderte Millionen Dollar in die Unterstützung republikanischer Kandidaten investiert, die sich gegen strengere Waffengesetze stemmen.

Die NRA  ist die lauteste und mächtigste Stimme der Waffenlobby in den USA. Seit Jahrzehnten verhindert sie mit aggressiver Lobbyarbeit erfolgreich Verschärfungen des US-Waffenrechts. Gegründet wurde die NRA 1871 von Veteranen des US-Bürgerkriegs. Seit mehr als vier Jahrzehnten ist die NRA aber vor allem eine politische Vereinigung: 1977 wurde die Kontrolle über den Verband von rigorosen Verfechtern des privaten Waffenbesitzes übernommen.

Die Organisation sieht jede Einschränkung des Waffenrechts als Angriff auf den zweiten Zusatzartikel der US-Verfassung ("Second Amendment"), den sie als Garantie für ein weitgehend uneingeschränktes Individualrecht auf Waffenbesitz auslegt. In der Weltsicht der NRA sind mehr Waffen in Privathand ein Garant für Sicherheit, weil sich die Menschen dann selbst verteidigen könnten. Eines der Instrumente der NRA sind Noten, die sie Politikern ausstellt. Kriterium ist der Grad der Unterstützung für den uneingeschränkten Waffenbesitz. Die schlechteste Note ist ein "F", mit dem die NRA nach eigenen Angaben "echte Feinde der Rechte von Waffenbesitzern" bedenkt.

 

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