Die kostbare Perle von Merw
Am letzten Tag des Trauermonats Safar, dem Gedenktag an den Märtyrertod von Imam Ridha (F) versammeln sich zahlreiche Pilger an der Heiligen Ruhestätte in Maschhad, Nordostiran. Sie sind gekommen um den achten Imam der Schiiten, Ali ibn Musa ar Ridha (F) zu besuchen.
Die Pilger füllen den Moscheenhof und die Säle um den Schrein Imam Ridha (Friede sei mit ihm). Es heißt, dass der Besuch am Schrein Imam Ridhas ein Trost und Ersatz für diejenigen ist, die nicht die finanziellen Mittel für die Hadschreise besitzen. Dieser Pilgerbesuch ist zudem ein Trost für diejenigen, die nicht nach Kerbala an den Schrein von Imam Husain reisen und nicht am Arbain-Fußmarsch teilnehmen konnten. Sie konnten nicht zu den beiden Grabmoscheen in Kerbala pilgern, wo Imam Husain und Abu-l Fadhl und die Märtyrer von Kerbala ruhen, und so zieht es sie hin zu dem Schrein von Imam Ridha (Friede sei mit ihm). Am Schrein dieses auserlesenen Freundes beklagen sie das Leid der Hinterbliebenen Imam Husains, bekunden ihr Mitgefühl für sie und beten zu Gott, dass sie vielleicht im kommenden Jahr auch nach Kerbala pilgern können.
Imam Ridha, der achte Imam der Schiiten aus dem Hause des Propheten, übernahm im Alter von 35 Jahren das Imamat – die Führung der Gläubigen. In der Zeit wo sein Vater Imam Kadhim (F) in den Gefängnissen der Abbasiden im irakischen Basra und Bagdad eingesperrt war Imam Ridha das Verbindungsglied zwischen ihm und den Gläubigen gewesen. Während des Imamats von Imam Ridha (F) herrschten hintereinander drei Kalifen der Abbasiden, nämlich Harun, Amin und Mamun. Mamun war einer der listigsten Abbasidenkalifen. Er nötigte den Imam von Medina nach Merw zu kommen, schlug ihm vor das Kalifat an ihn abzugeben und zwang ihm schließlich die Anwartschaft auf das Kalifat auf. Mamun verfolgte verschiedene schlechte Absichten mit dieser Politik.
Dieser Abbasidenkalif hatte seinen eigenen Bruder Amin getötet, damit er an die Macht gelangt und deshalb hatte er viele Sympathien unter der Bevölkerung insbesondere den Sunniten verloren, die ernsthafte Anhänger Amins gewesen waren. Auch die eigene Familie verübelte Mamun den Mord an seinem Bruder. Mamun wollte Imam Ridha (F) in seine Regierung einbinden, damit er dessen Popularität für die Aufbesserung seines eigenen Images und seines Machteinflusses ausnutzt.
Als Mamun den Imam aufforderte, er solle Medina verlassen und an seinen Regierungssitz im weit entfernten Merw in Iran kommen, weigerte sich der Imam zunächst. Doch Mamuns Leute zwangen ihn zu dieser Übersiedlung. Mamun schlug ihm vor, dass er das Kalifat übernimmt und als der Imam diesen Vorschlag ablehnte, zwang er ihn dazu die Anwartschaft für das Kalifat nach Mamun zu akzeptieren. Diesen Vorschlag akzeptierte Imam Ridha schließlich aber nur unter Bedingungen wie Ausschluss aus allen Regierungsentangelegenheiten. Durch Annahme der Anwartschaft schuf er die Gelegenheit, der Bevölkerung, die Berechtigung und Eignung der Imame aus dem Hause des Propheten nahezubringen und die wahre Lehre des Gesandten Gottes Mohammad (Gottes Segen sei auf ihm und Friede seinem Hause) wiederzubeleben.
Im Iran und in den östlichen Teilen des Islamischen Reiches waren einige wenige direkt oder durch Vermittlung der Vertreter Imam Kadhims Schiiten geworden, aber die Mehrheit der Bevölkerung kannte nicht den Imam nach ihm. Durch Annahme der Anwartschaft auf die Nachfolge des Kalifen stärkte Imam Ridha (F) die Zuversicht der Freunde des Prophetenhauses und sorgte für eine Lockerung des Druckes, dem sie ausgesetzt waren. Es war ebenso dem Segen Imam Ridhas (F) zu verdanken, dass den Makellosen Imamen wieder würdevoll gedacht wurde und diejenigen mit den hohen Eigenschaften dieser Nachkommen des Propheten vertraut wurden, die nichts über deren Persönlichkeit gewusst hatten.
Mamun hatte Diskussionskreise eingerichtet, zu denen er die Gelehrten anderer Religionen und Rechtsschulen und Imam Ridha einlud. Mamun erhoffte sich davon, dass Imam Ridha (F) bei diesen Debatten nicht alle Fragen beantworten könne, so dass seine Wissenskompetenz bezweifelt würde. Aber genau das Gegenteil trat ein, denn die Teilnehmer an diesen Diskussionen erkannten das hohe Wissen des Imams.
Imam Ridha (F) führte gezielt einen heimlichen Kampf gegen die Ursachen von Unterdrückung und Unrecht und dieser Kampf war so erfolgreich, dass nach langen Jahren der Agitationen der Kalifen gegen die Edlen aus dem Hause des Propheten der spirituelle Rang der unterdrückten Imame deutlicher wurde. Die Allgemeinheit begann die vorhergehenden Imame und Imam Ridha (F) aus dem Hause des Propheten zu schätzen, während Mamun seine listigen Pläne fehlschlagen sah. Der Abbasidenherrscher hatte die Ziele, die er mit der Anwartschaft Imam Ridha auf seine Nachfolge verfolgt hatte nicht erreicht und er hatte keine Vorteile für sich daraus schlagen können, dass er den Imam in seine Nähe geholt hatte. Es war ihm ja nur darum gegangen, dass er selber seine Position als Kalif festigt. Also entschloss er sich nach diesen Misserfolgen den Nachkommen des Gesandten Gottes umzubringen. Wie seine edlen Vorgänger fand auch Imam Ridha (Friede sei mit ihm) auf dem Weg des Kampfes gegen das Unrecht und die Unterdrückung den Märtyrertod. Er war nicht bereit gewesen die Schmach der Unterstützung der gewaltsamen Regierung der Abbasiden zu akzeptieren. Die Menschen im Iran sind stolze darauf, Gastgeber dieser großen Persönlichkeit des Islams zu sein. Imam Ridha (F) bringt ihnen Segen.
Imam Ridha ist wegen seines hohen Wissens bekannt und ihn zierte ein edler Charakter und große Weisheit. Er unterstrich die Beachtung der Rechte aller und achtete auf alle Feinheiten. Sulaiman ibn Dschafar Abu Haschim Dschafari, ein vertrauenswürdiger Überlieferer und enger Helfer von Imam Ridha, Imam Dschawad, Imam Hadi und Imam Hasan Asgari (Friede sei mit ihnen) berichtet:
„Einmal war ich zum Imam gegangen, um einige Arbeiten zu erledigen und als ich damit fertig war, bat ich gehen zu dürfen, aber der Imam sagte: `Bleib heute Abend an meiner Seite!` Also ging ich mit dem Imam zusammen zu seinem Haus. Der Abend nahte heran und einige im Haus des Imams verrichteten gerade Maurerarbeiten. Imam bemerkte jemanden unter ihnen, der nicht (wie die anderen) zum Haushalt gehörte, und fragte, wer er sei. Es hieß: `Er ist ein Arbeiter und er hilft uns und wir werden ihm etwas dafür zahlen.` Imam Ridha (F) fragte: `Habt ihr seinen Lohn festgelegt?` Sie sagten: ` Nein. Er ist mit jedem Lohn einverstanden!` Da wurde der Imam ärgerlich und sagte zu mir: `Ich habe ihnen wiederholt gesagt, dass sie niemanden für eine Arbeit herbeiholen dürfen, ohne nicht vorher seinen Lohn festzulegen. Wenn jemand ohne Vereinbarung und Festlegung des Lohnes eine Arbeit durchführt, wird er, selbst wenn du ihm das Dreifache an Lohn bezahlt, immer denken, er habe zu wenig bekommen, aber wenn du mit ihm eine Vereinbarung triffst und ihm so viel zahlst, wie ihr vereinbart habt, wird er auf dich hören und gemäß der Abmachung handeln und wenn du ihm mehr bezahlst als vereinbart , so wenig es auch sein mag, wird ihm klar sein, dass du mehr bezahlt hast, und sich dafür bedanken.“
Die Bemühung um einen Lebensunterhalt und die Versorgung der Familie gilt als eine der wichtigsten Tugenden für einen gläubigen Menschen. Gemäß Islam ist die Deckung des Lebensunterhaltes eine Form des Dschihads – des Mühens auf dem Wege Gottes. Wenn ein Gläubiger, der bei dieser Anstrengung stirbt, wird er von Gott als Schahid – als Märtyrer eingestuft. Der Schweiß eines Arbeiters wird also mit dem vergossenen Blut eines Märtyrers gleichgesetzt, der an der Front der Verteidigung sein Leben opfert. Imam Ridha (F) hat sogar gesagt: „ In Wahrheit ist die Belohnung dessen, der versucht sein tägliches Brot zu verbessern, um damit seine Familie zu versorgen, größer als die Belohnung eines Kämpfers für Gottes Sache.“
Diese Empfehlung des achten Imams (F) erfüllt auch heute noch ihre Funktion. Der wichtigste Faktor zur Herstellung gesunder konstruktiver Beziehungen in der Islamischen Gesellschaft besteht darin, die Rechte aller ihrer Mitglieder zu beachten. Jeder Arbeitgeber, der einen Arbeiter einstellt, muss als erstes an dessen Rechte als Mensch denken und eines der wichtigsten Rechte eines Arbeiters ist die vollständige Entlohnung.
Für jeden von uns ist es eine Pflicht einen Arbeiter zu achten. Die Achtung eines Arbeiters ist die Achtung eines Gottesdieners, der nach einem Lebensunterhalt strebt, welcher halal – erlaubt – ist.
Der Islam wahrt die Würde des Menschen und fordert Gerechtigkeit. Und daher hat Imam Ridha (F) gesagt:
«فان الناس لو علموا محاسن کلامنا لاتّبعونا»
„Wenn die Menschen die Schönheit unserer Worte wahrnehmen, die Lehre sie anziehen.“
Abschließend kondolieren wir zum Jahrestag des Märtyrertodes Imam Ridha und bringen noch eine Überlieferung. Wir haben es aus dem Werk Ayun Achbar al Ridha von Scheich Saduq entnommen.
Hahdrate Ridha hat gesagt: „Jeder der trotz der Weite des Weges mich besucht und von weither kommt, dem werde ich am Jüngsten Tag an drei Stationen helfen, um ihn von den dortigen Beschwerlichkeiten zu befreien - Erstens: Wenn die Akten der Taten von rechts und von links her verteilt werden, zweitens: wenn er die Sirat (die Brücke) überquert und drittens dann wenn seine Taten beurteilt werden.“