In Erinnerung an Meister Nadschaf Daryabandari
Nadschaf Daryabandari ist einer von denen, die nicht vergessen werden. Er hat viele Bücher aus dem Englischen in die Farsi-Sprache übersetzt, zum Beispiel das berühmte Buch von Hemingway Der alte Mann und das Meer. Daryabandari gilt als ausgezeichneter Übersetzer.
Nadschaf Daryabandari, geboren 1923, kommt aus dem Süden Irans, wo die Menschen für ihre Herzenswärme bekannt sind und wo kein Fremder sich fremd fühlt. Seine liebste Beschäftigung waren Bücher lesen und Filme sehen. In seiner Heimatsstadt Abadan am Persischen Golf wimmelte es in seiner Jugend noch von Engländern, die in der Oil Company beschäftigt waren. Deshalb kam die Bevölkerung der Stadt mehr oder weniger mit der Fremdsprache Englisch in Berührung. In einigen Kinos Abadans wurden sogar Filme in englischer Sprache vorgeführt. Daryabandari begann sich als Jugendlicher für diese Sprache zu interessieren und sich selber englische Sprachkenntnisse anzueignen. Ungefähr im Alter von 18 schrieb er die erste Übersetzung aus dem Englischen in seine Muttersprache. Es war die Kurzgeschichte A Rose for Emily von William Faulkner. Seine erste veröffentlichte Übersetzung war eine Übertragung des Buches A Farewell to Arms (Ein Abschied von den Waffen) von Ernest Hemingway aus dem Englischen in die Farsi-Sprache. Der Titel der deutschen Übersetzung lautet „In einem anderen Land“.
Daryabandari sagt, er habe, nachdem er die Übertragung von „Don Quichotte“ durch Mohammad Qasi ins Persische gelesen hatte, begriffen, worin das Geheimnis einer guten Übersetzung verborgen liegt. Er sagt: „Schlechte Texte finden keinen Einlass in die Literatur. Nicht alles ist Literatur was aus dem Druck kommt. Wenn schlechte Texte der Farsi-Literatur hätten schaden können, dann wäre nichts mehr von dieser Literatur übrig geblieben.“
Viele Autoren und Übersetzer haben sich ein Beispiel an Daryabandari genommen. Daryabandari war nicht nur ein guter Übersetzer sondern auch ein guter Schriftsteller. Dies sieht man an den geistreichen Vorworten, die er zu seinen Übersetzungen geschrieben hat. Für sein literarisch wertvolles Kochbuch „Mustatab-e aschpazi as sir ta piaz“ „Das Schöne am Kochen vom Knoblauch bis zur Zwiebel“, das er zusammen mit seiner Ehefrau anfertigte, wurde Daryabandari 2017 vom Nationalkomitee für geistiges Kulturerbe auf dem Gebiet der Kochkunst geehrt.
An den Übersetzungen Daryanbadaris zeichnet sich ab, wie gut er die Kultur seiner Muttersprache kennt. Er verstand den Sinn und die Kultur des fremdsprachigen Originaltextes und gab diese gelungen in der Kultur seiner Farsi-sprachigen Landsleute wieder. Wer seine Übersetzungen liest, vergisst, dass es eigentliche eine Übersetzung ist. Daryabandari hat in seinen Büchern die Grenze zwischen Übersetzung und schriftstellerischer Tätigkeit stilistisch überwunden. Unter Einhaltung der Treue zum Sinn des Originals hat er Werke strukturiert, die mit der Farsi-Sprachkultur im Einklang stehen. Diese Fertigkeit gewann er durch das unentwegte Studium der klassischen persischen Literatur und seine unablässige praktische Schreiberfahrung. Viele Übersetzer halten sich so streng und wörtlich an den Ursprungstext, dass sie darüber die Kultur der Zielsprache, nämlich der Sprache, in die sie aus der Fremdsprache übertragen, vernachlässigen. Die Kultur jeder Sprache ist ein Schatz, der jenseits der Vokabel- und Grammatikbücher liegt. Um diesen Schatz zu entdecken, muss man sich eingehend mit den klassischen Werken der jeweiligen Sprache beschäftigen. Ein Übersetzer, der nicht mit der klassischen Farsi-Literatur vertraut ist, wird nicht jenen Horizont sehen, der sich für den Übersetzer Daryabandari geöffnet hat. Seine glänzenden Übersetzungen sind Übertragungen des Geistes eines fremdsprachigen Werkes und nicht nur Wortübertragungen. Das Besondere an einer guten Übersetzung liegt nämlich darin, die Seele und den Geist eines Werkes in der Zielsprache wiederzugeben. Und wenn es jemanden gelingt, den Kern eines Werkes in einer anderen Sprache in der Übersetzung zur Geltung zu bringen, ist es mehr als eine Übersetzung nämlich das Verfassen eines eigenen neuen Werkes.
Eine Übersetzung auf dieser Stufe setzt die Kenntnis von der Seele der Fremdsprache heraus. An diese Kenntnis gelangt man nicht so einfach. Aber Daryabandari hat es geschafft und hat sich mit der Seele der englischen Sprache vertraut gemacht; nicht weil er in einer Umgebung aufgewachsen ist, in der öfters Englisch gesprochen wurde, sondern weil er in vitaler Verbindung zu den Grundlagen dieser Sprache stand. Er war ein guter Beobachter.
Daryabandari ist bei seinen Übersetzungen immer dem Inhalt des englischen Originals treu geblieben, aber der englischen Ausdrucksweise blieb er nicht treu sondern seine Treue galt der Ausdrucksweise der Iraner. Das bedeutet: Die Werke auf Farsi, die er durch Übertragung geschaffen hat, wären von Hemingway und von Ishiguro, falls diese ihre Bücher selber in Farsi verfasst hätten, nicht anders geschrieben worden.
Daryabandari überrascht auch mit seinem besonderen Schreibstil. Sein Buch „Das Schöne am Kochen vom Knoblauch bis zu Zwiebel“ scheint auf den ersten Blick eines von vielen tausenden anderen Kochbüchern zu sein. Aber es ist nicht nur ein Buch mit Kochanleitungen sondern verfolgt auch noch einen anderen Zweck. Wenn Daryabandari vom Reiskochen spricht, dann ist er sowohl darum besorgt, dass die Körner nicht richtig aufgehen und fest bleiben könnten als auch darum, dass der Reis eventuell an Frische einbüßt. Wenn es um das Würzen geht, dann möchte er nicht, dass die Essenz typisch iranischer Kochkunst durch übermäßige Anwendung von fremden Gewürzen verloren geht und außerdem mahnt er, dass das milde Aroma von Kardamom und Safran abhandenkommt, wenn das Essen länger aufbewahrt wird. Wenn Speisefett und Speiseöl an der Reihe sind, kann Daryabandari nicht mit seinem Bedauern darüber zurückhalten, dass der jungen Generation der angenehme Geschmack von tierischem Fett, wie es früher in der iranischen Küche üblich war, fremd ist. Sein Hobby gilt nicht nur der Zubereitung von Gerichten und der Sättigung des Magens. Er möchte, was die iranische Küche anbelangt, auch, dass ein Gulasch eine schöne Farbe hat und Polo und Tschelo mit dem aromatischen iranischen Reis angefertigt werden. Bei ihm sollen die Farben der Gerichte, die auf dem Speisetuch serviert werden, unseren Appetit anregen. Meister Nadschaf Daryabandari präsentiert uns in seinem Kochbuch gewohnte Speisen auf eine neue Art. Selbst das Brot, welches zur täglichen Nahrung aller Iraner gehört, nimmt in der Küche von Daryabandari eine neue Farbe und einen neuen Geschmack und Duft an.
Daryabandari hat so viel gelesen und Erfahrungen in seiner Gesellschaft und aus seiner Zeit gesammelt, dass er zu jedem Thema etwas Schönes zu Papier bringen kann. Wer sonst hat wie er der iranischen Küche in seinem Buch eine romantische Note geben können? Nur jemand der Freude empfindet, kann auch anderen Freude und Genuss bereiten. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Grundmaterial seiner Werke Wörter sind oder die Zutaten eines Gerichtes. Sein Humor ist genauso angenehm wie seine Kochkünste es sind. Er erhält nicht zu viel Salz und Pfeffer und erscheint nicht oberflächlich und unsinnig, denn er ist ausgereift.
Nadschaf Daryabandari ist am 4. Mai 2020 im Alter von 90 Jahren verstorben. Er hat sich mit jeder Zeile seiner Bücher im Gedächtnis der iranischen Leser und Literaturfreunde verewigt.