Aug 28, 2016 21:12 CET

Wir beginnen mit einer Erzählung, die aus der iranischen Literatur und zwar aus dem Golestan von Saadi entlehnt wurde.

Es gab einen alten Ringkämpfer, der hatte in seinem Leben alle Ringkämpfer besiegen können und war der Meister von allen. Er kannte 360 wichtige Ringerkniffe. Einige davon brachte er seinen Schülern bei. Unter seinen Schülern war ein junger Ringer, der besonders begabt war. Der Meister brachte ihm daher immer mehr von seinen Techniken bei. So kam es, dass dieser junge Mann bald alle anderen Ringkämpfer besiegt hatte.

Da begann sich der junge Ringkämpfer überlegen zu fühlen. Er dachte : „Nun hat mir mein Meister alle seine Ringerkniffe beigebracht. Ich bin der stärkste und beste Ringkämpfer im Lande. Keiner kann mich mehr besiegen.“

Der junge Mann begann zu prahlen und vergaß, dass er seinen Meister achten muss. Anstelle dessen verkündete er überall: „Ich bin besser als mein Meister und kenne mehr Ringerkniffe als er. Wenn ich ihn achte, dann nur deswegen, weil er es zum Meistertitel gebracht hat, aber so gut wie ich, ist er im Ringkampf nicht mehr.“

Eines Tages prahlte der junge Ringer auf diese Weise vor dem König. Der ärgerte sich gewaltig über den Hochmut und die Undankbarkeit dieses Burschen und ordnete an, es solle ein Ringkampf zwischen ihm und seinem Meister stattfinden. Der König war davon überzeugt, dass der kluge alte Ringmeister gewinnen würde.

Die Zuschauer hatten sich auf dem großen Platz versammelt und der König saß auf seiner Tribüne. Alle Ringer standen um den Ring herum und warteten ebenso gespannt auf den Wettkampf des jungen Ringerhelden mit seinem Meister.

Der junge Mann betrat stolz die Arena.

Der Ringkampf begann und das Volk verfolgte aufgeregt das Geschehen . Alle rechneten damit, dass der kräftige junge Mann siegen würde. Doch viele wünschten sich insgeheim den Sieg des beliebten Meisters.

Der Kampf hatte begonnen und Meister und Schüler rangen miteinander. Da wurden plötzlich alle Zeuge, wie der alte Ringermeister mit beiden Händen den jungen Burschen vom Boden hochhob, über seinen Kopf stemmte und dann auf die Matte niederwarf.

Der Applaus für den Altmeister des Ringersportes war groß. Der König erhob sich, schüttelte ihm die Hand und ordnete an, dass ihm eine große Belohnung zu geben sei. Dann wandte er sich an den jungen hochmütigen Ringerknaben, der seinen alten Meister so respektlos behandelt hatte und tadelte ihn deswegen. Der aber sagte: „O König. Dieser alte Ringer hat mich nicht wegen seiner Körperkräfte besiegt. Er konnte mich mit Hilfe eines Ringergriffes besiegen, den er mich nicht gelehrt hat.“

In der Tat hatte sein Meister ihm nicht alle Ringerkniffe beigebracht. Von den 360 Kniffen, die er kannte, hatte er ihn nur 359 gelehrt. Denn er hatte vorausgeahnt, dass der junge Mann sich eines Tages überlegen fühlt. Nun sagte er vor dem König zu seinem Schüler: „Weißt du nun, weshalb ich einen der Kniffe für mich behalten habe? Denk an einen Ratschlag der Weisen, der lautet: „Mach deinen Freund nicht so stark, dass er dich besiegt, wenn er dein Feind werden sollte.“

Nach dieser Geschichte aus dem Golestan von Saadi nun unser heutiges Sprichwort:

Wenn es mir kein Wasser bringt, bringt es dir wenigstens Brot!

An folgender Episode werden Sie sehen, worum es bei diesem Sprichwort geht:

Früher wurde in vielen Teilen des Landes das Trinkwasser und das Wasser für die Äcker aus Qanaten geschöpft. Qanate sind unterirdische Wasserkanäle, zu denen in Abständen Brunnen angelegt werden. Oftmals fand sich ein Wohltätiger, der auf diese Weise auf eigene Kosten Brunnen anlegte, um die Bevölkerung mit Wasser zu versorgen.

Einmal stellte ein solcher wohltätiger Mann einen versierten Arbeiter ein, damit er einen Qanat gräbt. Der Brunnengräber machte sich mit einigen Arbeitern ans Werk.

Nach einigen Wochen waren die Arbeiter noch immer nicht auf Wasser gestoßen. Jeden Abend brachte der Auftraggeber ihnen den Lohn und fragte: „Nun!? Seid habt ihr Wasser gefunden?“

Anfangs hatte der Brunnengräber immer optimistisch geantwortet: „Noch nicht! Aber so Gott will, werden wir recht bald an Wasser gelangen!“

Die Arbeiter gruben ein Brunnenloch nach dem anderen. Die Brunnenlöcher waren tiefer als die Brunnen in der Nachbarschaft aber nirgendwo stießen sie auf Grundwasser. Der Brunnengräber verlor immer mehr die Hoffnung. Allmählich wurde er mürrisch und begann über das Stück Land, auf dem er Brunnen ausheben sollte, zu meckern. Aber der wohltätige Mann schien viel weniger pessimistisch als er. Er zahlte weiter jeden Abend den Lohn der Arbeiter und sagte: „Vertraut auf Gott und arbeitet weiter. Irgendwann werdet ihr Erfolg ernten!“

Das ging so weiter, bis der Brunnengräber schließlich zu seinem Auftraggeber sagte: „Ich glaube nicht, dass es jemals in diesen Brunnenlöchern Wasser geben wird. Es ist, als ob wir kaltes Eisen schmieden wollten. Wir vergeuden nur unsere Zeit. Und du gibst dein Geld für nichts und wieder nichts aus. Bevor du noch mehr Schaden hast, ist es doch besser, wenn du eine andere Stelle findest, wo man einen unterirdischen Wasserkanal anlegen kann.

Der wohltätige Mann aber meinte: „Hier ist doch ein guter Platz und es gibt viele Ortschaften in der Nähe, in denen die Menschen Wasser brauchen. Wir sollten nicht aufgeben und auf Gottes Segen hoffen. Je tiefer das Grundwasser liegt, desto besser ist das Wasser. Macht weiter!“

Der Brunnengräber aber sagte wieder: „Ich habe mein Leben lang Brunnen gegraben und weiß dass es hier an diesem Hügel kein Wasser gibt. Ich möchte nicht mehr weiter machen. Und habe die Arbeit satt.“

Da wurde sein Auftraggeber etwas ungehalten: „Ach, weißt du! Ich müsste es doch längst satt haben und nicht ihr! Ich bring euch jeden Tag Geld, ohne das sich etwas tut. Arbeitet weiter, ob ihr auf Wasser stößt oder nicht! Arbeitet und lasst euch dafür bezahlen. Warum meckert ihr denn?

Wenn dieser Brunnen mir kein Wasser bringt, so springt doch für euch ein Unterhalt heraus. Macht eure Arbeit und redet nicht mehr so pessimistisch daher!“

Der Brunnengräber sah dies ein. Sie hatten schließlich nicht den Schaden und erhielten jeden Tag ihren Lohn. Daher setzte er mit seinen Kumpanen die Arbeit fort. Sie gruben und gruben, bis sie schließlich tatsächlich auf sehr gutes Wasser in großen Mengen stießen.

Aus der Begebenheit, die wir erzählten, entstand das Sprichwort: „Wenn es mir kein Wasser bringt, so dir wenigstens Brot. Agar baraje man ab nadarad, baraje to keh nan darad. Und dies sagt man immer dann, wenn jemand eine Arbeit, die ihm etwas einbringt, bemängelt und man ihm sagen will: „Mach deine Arbeit. Auch wenn sie nichts zu bringen scheint, dir bringt sie wenigstens Lohn.“