So wird gesagt- Teil 16
Ein Jäger war mit Pfeil und Bogen in den Wald gezogen.
Von der Hitze und dem Weg müde geworden, blieb er stehen. An diesem Tag schien es keine Aussicht auf ein gutes Beutetier geben. Der Mann erwog enttäuscht wieder umzukehren, als er plötzlich ein Rascheln im hohen Gras hörte. Da versteckte er sich. Ein schönes Reh trat hervor.
Der Jäger freute sich. Leise steckte er den Pfeil in den Bogen, dehnte die Sehne und schoss auf das ahnungslose Reh ab. Das Tier fiel tödlich getroffen sofort zu Boden. Der Jäger zog den Pfeil aus dem leblosen Körper heraus und schulterte den Kadaver. Die schlechte Laune war verflogen. Fröhlich singend machte er sich auf den Heimweg.
Unterwegs hörte er wieder ein Rascheln, blieb stehen und blickte um sich. Er dachte: „Vielleicht ist das noch ein Reh!“ Dann sagte er sich: „Ach, ich habe doch schon eins gejagt, mehr brauch ich nicht.“ Dann aber änderte sich seine Meinung: „Nein, dieses hier kann ich doch verkaufen und dafür etwas anderes erstehen.“
So legte er die erjagte Beute zu Boden und bereitete Pfeil und Bogen vor.
Statt des erwarteten Rehs trat plötzlich ein großes Wildschwein vor dem Jäger in Erscheinung und kam auf ihn zu gerannt. Schnell schoss dieser einen Pfeil ab. Dieser verletzte das Tier am Hals. Aber es fiel nicht zu Boden, sondern kam weiter auf den Jägersmann zugestürzt. Dieser steckte schnell einen neuen Pfeil in den Bogen und dehnte die Sehne. Doch er kam nicht dazu, den Pfeil loszuziehen, denn das Wildschwein hatte ihn erreicht. Nach einem kurzen Kampf stürzten beide – Jäger und Tier zu Boden und erlagen ihren Verletzungen. Der Jäger hielt noch den gespannten Bogen mit einem Pfeil in der Hand.
Es bot sich ein trauriges Bild: Drei tote Körper lagen nebeneinander auf der Erde ausgestreckt. Ein hungriger Wolf, der in der Nähe umherstreifte, witterte den Geruch und kam herbei. Da sah er ungläubig gleich drei große Beutestücke vor sich liegen. Ohne Anstrengung waren ihm gleich drei Beutestücke zugefallen und er sagte zu sich: „Mein Lieber! Hier ist dein heutiges Fressen. Lass es dir schmecken!“
Daraufhin überlegte er sich jedoch: „Es genügt, wenn ich heute ein Beutestück verschlinge und die beiden anderen verstecke. Dann brauche in ein paar Tage nicht auf die Jagd . Aber erst will ich meinen Heißhunger stillen.“ Er ging als erstes zu dem toten Jäger. Doch als er die Leiche berührte schnellte plötzlich der Pfeil aus dem gespannten Bogen hervor und fuhr dem Wolf tief ins Fleisch. Dem wurde schwarz vor Augen und auch er fiel ein Stück weiter zu Boden und fand mit hungrigem Magen den Tod. Hiermit endet diese Geschichte aus der bekannten Fabelsammlung Kalileh wa Demneh und überlasst dem Hörer das Nachdenken über die Moral.
In unserem Sprichwort kommt auch ein Wolf fuhr und so etwas ähnliches wie eine Bogensehne. Es lautet Haladsch-e Gorg budeh ast –
Haladsch ist ein Wolfkämmer . Früher war der Beruf des Haladsch noch sehr verbreitet. Mit einem Werkzeug das sich Haladschi nennt, bearbeitet einer solcher Haladsch Rohwolle so lange bis sie schön flockig wird und als Futter für Steppdecken und Matrazen verwendet werden kann. Manchmal sieht man sogar in Teheran heute noch einen solchen Wollkämmer durch die Straßen ziehen. Er ist an seinem Haladschi zu erkennen, nämlich ein längliches Gerät aus Holz, in das eine Sehne gespannt wird. Über dieser Sehne wird die Wolle geflockt.
Der Wollkämmer unserer Geschichte wollte in sein Nachbardorf gehen, in der Hoffnung, dass er dort gebraucht wird. Er verabschiedete sich von Zuhause, schulterte sein Gerät zum Wollkämmen und machte sich auf den Weg. Es war Winter und recht kalt. Überall lag Schnee. Der Wollkämmer besaß weder ein Pferd noch einen Esel, so ging er zu Fuß. Als er schon eine Weile das Dorf hinter sich gelassen hatte, erblickte er plötzlich in der Ferne einen Wolf, der sich langsam heranschlich. Der Wollkämmer aber hatte nichts dabei, womit er sich hätte wehren können. Sie fuhr ihm der Gedanke durch den Kopf, auf einen Baum zu flüchten. Er blickte um sich: Weit und breit war kein einziger Baum zu sehen. Da bekam er es nun doch mit der Angst zu tun!
„Ach hätte ich doch einen Knüppel dabei“, dachte der Wollkämmer, „dann würde ich mich damit gegen den Wolf wehren!“
Da fiel ihm plötzlich sein Haladschi ein. Zunächst dachte er: „Mit dem kann ich auf den Wolf einschlagen“. Er begann den Haladischi hin und her zu drehen und dachte: „Der wird schnell zerbrechen.“ Fast hätte er die Idee, mit dem Haladschi auf den Wolf einzuschlagen, wieder aufgegeben, als seine Hand die Bogensehne berührte, und diese den typischen lauten Ton von sich gab, der beim Wollkämmen entsteht. Da horchte der Wolf, der sich gefährlich nahe herangeschlichen hatte, auf, und ging erschrocken ein paar Schritte zurück.
Musik wenn vorhanden Effekt von Halladschi oder Wolfsgeheule
Der Wollkämmer sah, dass der Wolf sich vor dem Geräusch, welches die Bogensehne von sich gibt, fürchtet. Da setzte er sich auf den Boden und begann den Bogen kräftig in Schwingung zu versetzen. Der Wolf ging noch weiter zurück und blieb stehen. Der Wollkämmer ließ die Bogensehne ruhen, doch der Wolf, der hungrig war, schlich sich vorsichtig wieder heran, so dass sich der Wollkämmer gleich wieder ans Werk machen mussten. Das ging einige Stunden lang so weiter: Sobald der Wollkämmer nicht mehr konnte und sein Halladschi ruhen ließ, kam der Wolf wieder näher und sobald der Wollkämmer wieder die Sehne knallen ließ - Beng, Beng - , kniff der Wolf den Schwanz ein und suchte das weiter. Der Wollkämmer gab nicht auf und schließlich trollte sich der Wolf davon. Unser guter Mann dankte Gott, dass er mit heiler Haut davon gekommen war und machte sich schnell auf den Heimweg.
Die Frau des Wollkämmers hatte schon auf ihn gewartet und öffnete erfreut die Tür: „Komm herein! Du bist sicher müde! Wie war es mit der Arbeit. Hast du für jemanden Wolle gekämmt?“ Der Wollkämmer sagte: „O Ja, Und wie. Aber einen Lohn habe ich dafür nicht bekommen und komm mit leeren Händen zurück.“ Die Frau wunderte sich: „Ja wieso denn? Für wen hast du denn da umsonst gearbeitet?“ Da sagte der Wollkämmer: „Ich war der Haladsch des Wolfes. Ich hab für ihn eine Wolle gekämmt, aber es war keine Wolle für eine Matratze oder Steppdecke.“ Und dann erzählte er seiner Frau die ganze Geschichte und sagte ihr wie dankbar er Gott dafür ist, dass der Wolf ihn nicht aufgefressen hat.
Auf dieser Geschichte beruht das Sprichwort : Er hat für den Wolf Wolle gekämmt. Haladsch Gorg Budest ast. Das sagt man wenn jemand viel gearbeitet und sich abgemüht hat, aber keinen Lohn dafür erhielt oder keinen Gewinn damit machen konnte.