Jan 05, 2017 21:16 CET

Wir beginnen wie immer mit einer Geschichte. Sie wurde dem Masnawi von Molana (Rumi) entnommen.

Es war einmal ein Schlangenfänger. Der fing in der Steppe Schlangen, stellte sie zur Schau und verkaufte sie an die Heilkundige. In jeder Ortschaft und Stadt versammelte er Schaulustige um sich, führte die Schlangen vor und verdiente sich damit ein zusätzliches Geld.

An einem kalten Wintertag war unser Schlangenfänger wieder einmal unterwegs. Er durchquerte gerade eine dicht verschneite gebirgige Landschaft als er mitten in den Bergen einen verendeten Drachen fand. Da freute er sich und dachte: Den kannst du in der nächsten Stadt ausstellen und sagen: „Hört: Diesen Drachen habe ich selber getötet!“ Die Leute werden es mir glauben, der Drache ist ja tot. Sie werden mich wegen meiner Kühnheit und Stärke bewundern.

Der Schlangenfänger schleppte also den toten Drachen in die Stadt. Er zog den riesigen Kadaver hinter sich her. Mit lauter Stimme lud er die Stadtbevölkerung ein herbei zu kommen und sich den Drachen anzuschauen. Schließlich gelangte er auf einen Platz. Er ahnte nicht, was sich bald ereignen würde.

Die Riesenschlage lag auf dem Platz. Sie war in der eisigen Kälte im Gebirge wie leblos erstarrt, doch nun auf diesem großen Platz in der Stadt begann die Sonne ihren Körper allmählich zu erwärmen.

Viele Menschen hatte sich bereits versammelt. Sie waren gekommen um die Künste des Schlangenfängers zu bewundern. In Windeseile hatte sich die Nachricht von dem Ungetüm, dass er erledigt hatte in der Stadt verbreitet. Der Schlangenfänger wollte noch etwas abwarten, bis noch mehr Menschen sich versammeln. Dann konnte er nach seiner Schlangenschau viel Geld einsammeln.

Er hielt den Drachen unter einem großen Tuch verborgen. Doch plötzlich – begann sich das große Tuch zu bewegen. Ein Raunen ging durch die Menschenmenge. Der Schlangenfänger schaut erschreckt auf die Schlange unter dem Tuch und sah dass sie alle Seile zerrissen hatte . Sie kroch unter dem Tuch hervor und die Menschenmenge zerstob. Es gab einen großen Tumult und viele Tote. Der Schlangenfänger stand versteinert da. Was sollte er tun: Er hatte doch behauptet, dass er diesen Drachen getötet hat, nun musste er es unter Beweis stellen. So ging er auf den Drachen zu. Dieser aber verschlang den Schlangenfänger und tötete noch viele andere.

Unser dieswöchiges Sprichwort lautet: Sir as Gorosneh Chabar nadareh, Saware as Piaydeh.

Ein Mann ritt auf seinem Kamel durch eine trockene Wüste. Noch wusste er nicht, dass er sich verirrt hatte. In Gedanken wünschte er sich nur, möglichst bald an sein Ziel anzukommen. Nach einer Weile erblickte er einen anderen Mann. Der aber war zu Fuß . Er trug eine schöne handgeknüpfte Tasche über den Schultern. Im Gegensatz zu dem Kamelsreiter, wusste er, dass er sich verirrt hatte. Als der Kamelsreiter den Wanderer erreichte blieb er stehen. Der Wunderer grüßte ihn und sagte: Ich bin schon so lange zu Fuß unterwegs und sehr müde. Nun habe ich keine Kräfte mehr. Lässt du mich bitte auch auf dem Kamel sitzen?

Im ersten Moment hatte der Kamelsreiter Mitleid mit dem Wanderer und wollte ihn das Kamel besteigen lassen. Dann aber dachte: Was geht es mich eigentlich an! Wenn auch er mein Kamel besteigt, wird das Tier nicht mehr so schnell laufen können. Dann komm ich viel später am Ziel an. Vielleicht wird es sogar vorher dunkel werden.

Deshalb sagte er zu dem Wanderer: „Verkauf doch deine schöne Satteltasche und kauf dir damit einen Esel, damit du nicht zu Fuß zu gehen brauchst.“

Der Wanderer antwortete: „Wir sind doch in der Wüste und ich brauche diese Tasche. Da sind etwas Wasser und Brot und Datteln für unterwegs drin. Hier gibt es doch niemanden der die Tasche kaufen würde und mir dafür einen Esel verkauft.“

Der Mann auf dem Kamel sagte: „Ich brauche mein Kamel. Wenn du auch noch aufsteigen willst, werde ich später am Ziel ankommen.“ Dann verabschiedete er sich und ließ den Wanderer stehen.

Es dauerte einige Zeit und der Kamelsreiter hatte ebenso begriffen, dass er sich in der Wüste verirrt hat. Es begann dunkel zu werden..Er war hungrig und durstig geworden. Ratlos stieg er von seinem Kamel ab.

In der Ferne sah er eine dunkle Gestalt näher kommen Es war der Wanderer. Er stand auf, grüßte ihn und sagte: Ich habe mich verirrt, bin hungrig und durstig. Gib mir etwas Wasser und Brot , ich will mich stärken und nach dem richtigen Weg suchen, bevor es völlig dunkel wird.

Der Wanderer sagte: „Verkauf doch dein Kamel und kauf dir mit dem Geld Brot, Wasser und Datteln, damit du nicht verhungerst und verdurstet.“ Der Kamelreiter wollte erwidern: „Was redest du da! Es gibt hier doch niemanden der ein Kamel kauft.“ Doch da schluckte er den Satz herunter, denn er erinnerte sich daran, dass der Wanderer ihm die gleiche Antwort gab, die er ihm vorher selber gegeben hatte.

So begann er zu betteln: Gibt mir ein wenig Wasser Wasser! Nur einen Schluck!

Der Wanderer sagte: „In meine Tasche passt nur Wasser und Brot für einen hinein. Sie ist wie dein Kamel, auf das nur ein Reiter passt.“

Mit diesen Worten ging er weiter und ließ den Kamelreiter zurück. Doch er wusste ja gar nicht in welche Richtung er gehen soll. Es wurde dunkel und so ließ er sich zu Boden fallen. Er war weder durstig noch hungrig aber seine Füße trugen ihn nicht mehr.

Ein Stück weiter von ihm entfernt hockte auch der Kamelsreiter zu Boden. Er war so hungrig und durstig, dass er nicht die Kraft hatte sein Kamel am Zügel zu halten. Das Kamel begann ein wenig in der Gegend nach etwas Essbarem zu suchen. Es würde sicher etwas Dornengestrüpp finden.

Es war morgen geworden. Der Proviant des Wanderers , der sich die Füße wund gelaufen hatten, war zu Ende und der Kamelsreiter litt unter großem Hunger und Durst. Sein Kamel war ihm zu allem Übel davon gelaufen. Zwei Tage später sah ein Bauer in einem Dorf am Rande der Wüste ein Kamel herannahen. Es trug einen Sattel und Zaumzeug, aber hatte keinen Reiter. Im Maul hielt es eine schöne kleine Tasche. Die Dorfbewohner gaben ihm zu fressen und tränken es. Der Dorfälteste sagte:

Dieses Kamel hat bestimmt einen Besitzer gehabt. Reitet hinaus und sucht nach ihm.

Die jungen Männer im Dorf machten sich auf den Weg. Sie fanden nicht nur einen sondern gleich zwei Männer in der Wüste. Einer war vor lauter Schwäche und der anderer vor lauter Hunger bewusstlos geworden.

Seit dem sagt man: Der Satte weiß nichts von dem Hungrigen und der Reiter nichts von dem, der zu Fuß geht. Mit diesem Sprichwort will man ausdrücken, dass ein Reicher nichts über den Armen weiß und ein Starker nichts über den Schwachen.