Feb 13, 2017 11:01 CET

Wir setzen auch heute unsere Betrachtungen von Fabeln und deren Inhalt fort. Wie gesagt, ist der Einsatz der Vernunft und kluger Überlegung ein wichtiges Thema in vielen dieser Art von Geschichten des Volksmundes, wobei oftmals auch ein listiger Plan dazuzählt.

Wir sagten auch, dass die Anwendung einer List  dabei meistens nicht als negativ getadelt wird, sondern als der einzige rettende Ausweg und sogar als eine Art Tugend gilt.

Generell kommen Feindschaften in der Tierwelt sehr häufig vor und bis zu einem gewissen Grad finden wir ähnliche Feindschaften auch in menschlichen Gesellschaften, denn wir treffen immer wieder machtgierige und gewaltsame Menschen an, während es auf der anderen Seite auch viele gibt, die sich unterdrücken oder hinters Licht führen lassen.

In Fabeln geht es vornehmlich um die Moral bei gesellschaftlichen Beziehungen und weniger um die Moral im persönlichen Bereich. Diese Fabeln mahnen den Zuhörer und Leser, darauf achtzugeben , nicht von anderen hereingelegt zu werden.

 

Im Reich der Tier gibt es naturbedingte Feindschaften.  Das Gesetz der Natur legt sie fest: zum Beispiel ist  die Katze Feind der Maus und der Wolf Feind der Schafe.

Bei den Menschen ist von Natur aus keine Feindschaft vorhanden.  Aber durch ihre Eigenschaften können sie den Tieren ähneln und Feindschaften verursachen: Ein Mensch kann zum Beispiel die Eigenschaften eines Wolfes entwickeln. Deshalb erinnert der Wolf in Fabeln an einen solchen Menschen.

In den Fabeln, in denen es um Anwendung einer List geht, wird eine Gerechtigkeit herbeigesehnt, die eigentlich in der Wirklichkeit kaum vorkommt. Zum Beispiel lässt der Erzähler den Schwachen über den Starken siegen. Der Schwache siegt eigentlich  auch nur dadurch, dass er sich einen listigen Plan ausdenkt.

Literaturforscher , die sich mit Volkserzählungen befassen, sind der Ansicht, dass sich die Fabeln speziell an Politiker und Machtinhaber richten. Die Politik erfordert Finessen, kluge Pläne und Abwägung von Vor- und Nachteilen.  Fabeln beleuchten außerdem die Beziehungen zu Freunden und Feinden. Auch das scheint  ein Grund für das Interesse von mächtigen Herrschern  an der Sammlung von solchen Fabeln gewesen zu sein .  Die Fortsetzung dieses theoretischen Teils verschieben wir auf das nächste Mal. Denn nun folgt  der zweite Teil der Geschichte

“Der Affe und die Schildkröte” aus Kalila wa Dimna.

Sie erinnern sich, dass der König Kar Danah von einem jungen Affen entthront worden war. Der alte König zog sich daraufhin in ein dichtbewaldestes Gebiet an der Meeresküste zurück. Dort freundete er sich mit einem Schildkröterich an. Der Schildkröterich aber vernachlässigte wegen der Freundschaft zum Affen seine Familie und daher plante Frau Schildkröte und ihre Nachbarin , den  Affen gewaltsam von dem Schildkröterich zu trennen.   Die Nachbarin ging zum Schildkröterich und sagte, seine Frau sei schwer krank. Der Schildkröterich verabschiedete sich rasch von seinem neuen Freund.  Er traf zu Hause seine Frau an, die stöhnte und ächzte und so tat, als ob sie schwer krank sei. Da bereute Herr Schildkröte, dass er seine Pflichten als Familienvater versäumt hatte. Die Nachbarin aber sagte: „Der Arzt hat schon mehrere Mittel verschrieben, aber keines nützt etwas. Er sagt, es gibt nur ein Mittel was noch helfen kann.“ -  Da rief der Schildkröterich: „Ja was denn?

Die Nachbarin sagt: „Ein Affenherz. Du musst ein Affenherz auftreiben!“

Der Schildkröterich sagte: „Ich muss sehen, ob ich eines besorgen kann. Bitte gib acht auf meine Frau. Vielen Dank!“

Der Schildkröterich kannte nur einen Affen, und das war sein neuer Freund Kar Danah. Was sollte er nun machen? Er konnte nicht zulassen, dass seine Frau stirbt und andererseits war der Affe sein Freund. Aber wenn seine Frau stirbt, würden die Kinder verwaisen. Schließlich fasste er den Entschluss den Affen hinters Licht zu führen, damit er seine Frau vor dem sicheren Tod retten kann.

Also machte er sich eilig auf dem Weg zum Affen. Er musste sich etwas ausdenken, um ihn in sein Haus zu locken.

Kar Danah saß im Gezweig und fühlte sich einsam. Er freute sich den Schildkröterich wieder zu sehen und rief: „Wie schön dich wieder zu sehen! Was ist denn nun passiert?“

Der Schildkröterich: „Du bist so ein guter Freund! Ich werde dich nicht fallen lassen!  Du bist der  beste und ehrlichste Freund, den ich je hatte. Es wäre schön, wenn du meine Einladung annimmst und mich zu Hause besuchen kämest. Meine Familie wird sich sehr freuen, dich kennenzulernen!“

Kar Danah war von dem Vorschlag angetan, aber dann sagte er: „Dein Haus ist aber auf der Insel und ich kann nicht schwimmen!“

Der Schildknöterich sagte: „Kein Problem! Ich werde dich auf meinem Rücken rübertragen.“

Also setzte sich der Affe auf den Rücken der Schildkröte. Es war das erste Mal, dass er das Wasser durchquerte und er genoss die neue Erfahrung. Unterdessen grübelte der Schildkröterich vor sich.  Er hatte ein schlechtes Gewissen und ständig schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, dass er ein Verräter ist. Gab es denn keinen anderen Weg, seine Frau zu retten? Er sollte am besten noch einmal  den Arzt fragen, vielleicht gibt es noch eine andere Lösung!

Der Affe Kar Danah war stutzig geworden. Warum war sein Freund so still: „Bin ich zu schwer und bist du erschöpft?“, fragte er.

Nein, lieber Freund,“ antwortete  der Schildkröterich, „ich schweige aus einem anderem Grund. Ich fürchte ich kann dich nicht richtig bewirten, weil meine Frau krank ist.“

Der Affe: „Gut dann lass uns den Besuch verschieben, wenn es zu anstrengend für deine Frau ist...“

„Nein! Nein- es wird schon gehen!“ versicherte der Schildkröterich.

Beide schwiegen. Der Schildkröterich war sehr aufgeregt. Nach einer Weile fragte der Affe wieder: „Du bist ja noch immer so still! Woran liegt das? Bitte sag es mir. Vielleicht kann ich dir helfen!“

Der Schildkröterich: „Weißt du meine Frau ist schwer krank! Es gibt nur ein Mittel, damit sie wieder gut wird!“

„Was denn?“ fragte der Affe.

Da entfuhr der Schildkröte das Wort: „ein Affenherz“.

Kar Danah war geschockt. Beinahe wäre er ins Wasser gefallen. Dann aber wurde ihm klar: Ich bin ja mitten auf dem Wasser und kann nicht schwimmen.  Da kam ihm eine rettende Idee.

 

Der Affe sagte freundlich zum Schildkröterich: „Warum hast du mir nicht eher gesagt, dass ein Affenherz deine Frau heilen kann, dann hätte ich mein Herz mitgebracht!“

Der Schildkröterich: „Wieso mitgebracht? Hast du es denn nicht dabei?“

„Nein,“ sagte der Affe, „ich habe es zu Hause gelassen.  Weißt du, das ist bei uns Sitte. Wenn ein Affe seinen Freund besucht, lässt er sein Herz zu Hause, denn das Herz ist das Haus des Kummers und wir wollen nicht mit unseren Kummer den Gastgeber belasten. Wenn du willst, bring mich nach Hause zurück, damit ich es hole.“

Dem Schildkröterich  blieb nichts anderes übrig, als zum Ufer zurückzuschwimmen.

Als der Affe wieder festen Boden unter den Füßen hatte, sagte er zum Schildkröterich: „Warte hier auf mich. Ich klettere auf den Baum und hole mein Herz.“ Der Schildkröterich: „Geht in Ordnung. Aber beeile dich!“

Kar Dana kletterte in das  Blätterdickicht hoch.

Nach einiger Zeit wurde der Schildkröterich ungeduldig, weil der Affe nicht kam. Deshalb rief er von unten: „Wo bleibst du denn? Was ist los? Hast du dein Herz nicht gefunden?“

„Doch!“ rief Kar Dana zu ihm herunter: „Aber geh lieber! Ich bin nicht mehr so dumm, dass ich mitkomme. Du hast unser Freundschaft verraten. Das war gemein! Ich werde kein zweites Mal mehr auf dich hereinfallen!“

Der Schildkröterich rief: „Ja, es war nicht richtig von mir! Verzeih mir! Du hast mir heute eine gute Lehre erteilt. Aber vertrau mir bitte wieder!“

Doch Kar Danah antwortete: „Nein mein Lieber! Das wäre ein Fehler. Ich vertrau dir nicht mehr und bleibe lieber alleine. Wir sehen uns am Jüngsten Tag wieder!“