Volkstümliche Erzählungen aus Iran-Teil 37
Die Volkslieder machen wie gesagt einen wichtigen Teil der Volksliteratur aus. Ihre Urheber sind unbekannt. Diese Taraneha, wie sie hierzulande heißen, sind wahrscheinlich ein Überbleibsel der ersten Formen Persischer Dichtung.
Taraneha sind inhaltlich verschieden. Sie können hinsichtlich 4 wichtiger Merkmale, nämlich Versfuß, Reim, Inhalt und Stil untersucht werden. Beim letzten Mal haben wir kurz über das Versmaß gesprochen. Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt ist der Reim, oder auf Persisch: Qafiyeh.
In der klassischen Dichtung bedeutet Qafiyeh, dass sich die letzte Silbe in den vorletzten Wörtern von zwei Halbversen , wiederholt, so dass sich diese Wörter reimen. Aber bei volkstümlichen Liedern wird diese Regel nicht streng beachtet, so dass sie sich wesentlich von der klassischen Poesie unterscheiden.
Legt man jedoch die ursprüngliche Bedeutung von Ghafiyeh im Griechischen zugrunde, nämlich Rythmos im Sinne von Einklang, dann darf man ruhig davon sprechen, dass ein Taraneh ein Qafiyeh hat.
Achten Sie auf den Text des folgenden Volksliedes:
Dschumdschumak, barge chazun
Madaresch Zeynab chatun
Gis dare ghad-e Kamun
As Kamun boland tarak
As Schabagh Meschki tarak
Naneh Dschun Schuneh michad
Schuneh-e firuzeh michad
Hamum-e si ruze michad
(es geht um Mütterchen Zeynab Chatun, deren schwarzen Haare so lang sind, dass sie 30 Tage braucht um sie zu waschen )
In Volkslieder begnügt man sich manchmal nur mit dem Versfuß und wird der Reim außer acht gelassen oder er ergibt sich rein zufällig. Durch Versfuß und Wiederholungen von Satzteilen wird dies ausgeglichen:
To keh mah-e boland der Asemani
Manam Setareh mischam, duret migardam
To keh setareh mischi, duram migardi
Manam (tond, tond) Abri mischam, ruet ru migirim
To keh abri mischi, ruam ra migiri,
man barun mischam ton(d) ton(d) mibaram
to keh barun mischi ton(d), ton(d) mibari
man ham sabzeh mischam sar dar miaram
(Wenn du der Mond im Himmel bist, werde ich zum Stern und umkreise dich. Wenn du zum Stern wirst, umkreist du mich. Dann werde ich schnell eine Wolke und verberge dein Gesicht und du wirst eine Wolke und verbirgst meines. Da werde ich schnell zum Regen und rausche herab und wenn du zum Regen wirst und herabrauschst, werde ich zu Gras und komme aus dem Boden hervor)
In einigen volkstümlichen Liedern ersetzt manchmal das letzte wiederholte Wort am Ende jeden Verses den Reim und es wird kein Bedarf an einem Reim verspürt. Interessanterweise kommt diese Erscheinung in der alten Pahlavie-Dichtung ebenso vor .
Ein Beispiel ist das Volkslied dawidam dawidam. Im Liedtext ist das Radif das Wort „dad“ nämlich „gab“: Es ersetzt den Reim:
Dawidam wa dawidam
Sar-e kui residam
Do ta chatunu didam
Jekisch be man ab dad
Jekisch be man nun dad
Nun ru chodam chordam
Abru dadam be zamin
Zamin be man alaf dad
(ich lief und lief und kam auf einen Berg. Dort sah ich zwei Frauen. Die eine gab mir etwas Wasser, die andere gab mir Brot. Das Brot hab ich selber gegessen und das Wasser der Erde gegeben, da gab mir die Erde Gras ...)
Weiteres über die volkstümliche Liedertexte verschieben wir auf den nächsten Teil . Es folgt die Fortsetzung des Volksmärchens von Malek Dschamdschid und dem jungen Seepferd
Der König hatte für seinen Sohn Malek Dschamschid ein junges Seepferdfohlen besorgen lassen. Die Stiefmutter aber wollte den jungen Prinzen aus dem Weg räumen. Nachdem der Stiefmutter klar geworden war, dass das Seepferd jedesmal den jungen Prinzen warnt, stellte sie sich krank und ließ den Quacksalber behaupten, dass sie nur durch das Herz und die Leber eines jungen Seepferdes geheilt werde könne. Der König bestellte für den nächsten Morgen einen Schlächter.
Wie jeden Tag sah der Prinz nach der Schule erst bei seinem geliebten Seepferd vorbei. Da sah er es bitterlich weinen. Das Seepferd schluchzte: „Deine Schwiegermutter weiß, dass ich es war, der dir von ihren Plänen erzählt hat . Jetzt will sie mich umbringen. Wenn du morgen in der Schule bist, wird der Schlächter kommen und mich töten.“
Malek Dschamschid war entsetzt und wusste nicht, was er machen soll ...
Da sagte das Seepferd: „Morgen werde ich dreimal wiehern. Das erste Mal wenn sie mich holen kommen, das zweite Mal wenn sie mir die Beine zusammenbinden, und das dritte Mal wenn der Schlächter mir das Messer unter die Gurgel setzt.
Wenn du kommst, bevor ich zum dritten Mal schreie, können wir beide fliehen. Wenn nicht, ist es aus mit mir!“
Am nächsten Morgen ging Dschamschid voller Sorge zur Schule. In der Schule war er die ganze Zeit in Gedanken . Auf einmal hörte er das erste Wiehern seines Seepferdes. Da erschrak er und wollte aus der Schule weglaufen, aber der Lehrer fing ihn ab und sagte: „Du musst heute bis abends hierbleiben.“
Malek Dschamschid wollte nicht darauf hören. Doch der Lehrer hielt ihn fest und sagte: „Der König hat es befohlen und ich muss gehorchen.“
Malek Dschamschid und sein Lehrer stritten miteinander als der Prinz das zweite Wiehern hörte. Da wurde ihm richtig schwindelig. Er riss sich los und rannte in Windeseile zum Palast. Dort angekommen sah er sein Seepferd mit gefesselten Beinen neben dem Blumenbeet liegen. Der König aber wunderte sich, woher sein Sohn Bescheid wusste, dass sie das Seepferd töten wollten. Malek Dschamschid begann zu schreien: „Warum wollt ihr mein Seepferd töten?“
Der König tröstete seinen Sohn und erklärte: „Meine Frau ist todkrank und nur Herz und Leber eines Seepferdes können sie retten.“ Dann befahl er man solle ein neues Seepferd für seinen Sohn besorgen.
Aber Malek Dschamschid rief: „O, ich habe mir doch immer gewünscht einmal in königlichen Kleidern und mit einer Krone auf den Kopf und einem Beutel voller Gold das Seepferd zu besteigen und mir die Welt anzuschauen. Nun sind alle meine Wünsche dahin!“
Da strich der König ihm über das Haar: „Da kann man nichts machen. Das Schicksal sieht anderes vor und das Leben meiner Frau ist mir wichtiger als dieses Tier.“
Aber Malek Dschamschid bat: „Lass mich wenigstens meine Prinzenkleider anziehen, einen Goldbeutel umbinden und mein Pferd besteigen und ein wenig im Palastgarten herumreiten, damit mein Traum auf diese Weise in Erfüllung geht.“
Der König freute sich. Sein Sohn schien also endlich einverstanden zu sein. So ließ er schnell einen Beutel mit Gold und Silber und die Prinzenkleider holen . Er ließ seinem Sohn eine Krone aufsetzen und dem Seepferd die Fesseln abnehmen.
Malek Dschamschid bestieg das Seepferd und drehte ein paar Runden. Der König aber wartete darauf, dass er absteigt.
Schließlich wollte er ihn zwingen, dass er absteigt, aber da strich Malek Dschamschid seinem Pferd über die Mähne, dieses machte einen Schritt zurück , sprang über die Palastmauer hinweg und ergriff mit Malek Dschamschid auf dem Rücken die Flucht.
Der König und seine Hofleute blieben ratlos zurück. Die Frau des Königs, die vom Fenster aus alles mit angesehen hatte, war außer sich vor Wut. Malek Dschamdschid und das Seepferd ritten so weit weg, dass sie vor dem König und seinen Leuten sicher waren. Schließlich erreichten sie eine Stadt. Da stieg Malek Dschamschid ab und das Seepferd sagte: „Keiner darf merken, dass du der Sohn des Köngs bist. Denn dann werden sie dir etwas antun. Du solltest die königliche Kleidung ablegen. Es ist besser wenn du arm aussiehst. Ich kann nicht mitkommen , denn wenn sie mich sehen, werden sie alle denken: Wie kann ein armer junger Mann ein edles Pferd besitzen?! Zieh dir drei Haare aus meiner Mähne heraus und wenn du Schwierigkeiten hast, dann zünde sie an.“
Die Fortsetzung dieses alten persischen Volksmärchens folgt im nächsten Teil.