Jun 16, 2017 18:59 CET

Die Volkslieder machen wie gesagt einen wichtigen Teil der Volksliteratur aus. Ihre Urheber sind unbekannt. Diese Taraneha, wie sie hierzulande heißen, sind wahrscheinlich ein Überbleibsel der ersten Formen Persischer Dichtung.

Taraneha sind inhaltlich verschieden. Sie   können hinsichtlich 4 wichtiger Merkmale, nämlich Versfuß, Reim, Inhalt und Stil untersucht werden.  Beim letzten Mal haben wir kurz über das Versmaß gesprochen. Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt ist der Reim, oder auf Persisch:  Qafiyeh.

In der klassischen Dichtung bedeutet  Qafiyeh, dass sich die letzte Silbe in den vorletzten Wörtern  von zwei Halbversen , wiederholt, so dass sich diese Wörter reimen.  Aber bei volkstümlichen Liedern wird diese Regel nicht streng beachtet, so dass sie sich wesentlich von der klassischen Poesie unterscheiden.

Legt man jedoch die ursprüngliche Bedeutung von Ghafiyeh im Griechischen zugrunde, nämlich Rythmos im Sinne von Einklang, dann darf man ruhig davon sprechen, dass ein Taraneh ein Qafiyeh hat. 

Achten Sie auf den Text des folgenden Volksliedes:

Dschumdschumak, barge chazun

Madaresch Zeynab chatun

Gis dare ghad-e Kamun

As Kamun boland tarak

As Schabagh Meschki tarak

Naneh  Dschun Schuneh michad

Schuneh-e firuzeh michad

Hamum-e si ruze michad

(es geht um Mütterchen Zeynab Chatun, deren schwarzen Haare so lang sind, dass sie 30 Tage braucht um sie zu waschen  )

 

In Volkslieder begnügt man sich manchmal nur mit dem Versfuß und wird der Reim außer acht gelassen oder  er ergibt sich rein zufällig.  Durch Versfuß   und Wiederholungen von Satzteilen wird dies ausgeglichen:

 

To keh mah-e boland der Asemani

Manam Setareh mischam, duret migardam

To keh setareh mischi, duram migardi

Manam (tond, tond) Abri mischam, ruet ru migirim

To keh abri mischi, ruam ra migiri,

man barun mischam  ton(d) ton(d) mibaram

to keh barun mischi  ton(d), ton(d) mibari

man ham sabzeh mischam sar dar miaram

(Wenn du der Mond im Himmel bist, werde ich zum Stern und umkreise dich. Wenn du zum Stern wirst, umkreist du mich. Dann werde ich schnell eine Wolke und verberge dein Gesicht und du wirst eine Wolke und verbirgst meines. Da werde ich schnell zum Regen und rausche herab und wenn du zum Regen wirst und herabrauschst, werde ich zu Gras und komme aus dem Boden hervor)

 

In einigen volkstümlichen Liedern  ersetzt manchmal das letzte wiederholte Wort am Ende jeden Verses den Reim und es wird kein Bedarf an einem Reim verspürt. Interessanterweise kommt diese Erscheinung in der alten Pahlavie-Dichtung ebenso vor .

Ein Beispiel ist das Volkslied dawidam dawidam. Im Liedtext ist das Radif das Wort „dad“ nämlich „gab“: Es ersetzt den Reim:

Dawidam wa dawidam  

Sar-e kui residam         

Do ta chatunu didam

Jekisch be man ab dad

Jekisch be man nun dad

Nun ru chodam chordam

Abru dadam be zamin

Zamin be man alaf dad

(ich lief und lief und kam auf einen Berg. Dort sah ich zwei Frauen. Die eine gab mir etwas Wasser, die andere gab mir Brot. Das Brot hab ich selber gegessen und das Wasser der Erde gegeben, da gab mir die Erde Gras ...)

 

Weiteres über die volkstümliche Liedertexte verschieben wir auf den nächsten Teil . Es folgt die Fortsetzung des  Volksmärchens von Malek Dschamdschid und dem jungen Seepferd

 

Der König hatte für seinen Sohn Malek Dschamschid ein junges Seepferdfohlen besorgen lassen. Die Stiefmutter aber wollte den jungen Prinzen aus dem Weg räumen. Nachdem der  Stiefmutter klar geworden war, dass das Seepferd jedesmal den jungen Prinzen warnt, stellte sie sich krank  und ließ den Quacksalber behaupten, dass sie nur durch das Herz und die  Leber eines jungen Seepferdes geheilt werde könne.  Der König bestellte für den nächsten Morgen  einen Schlächter.

Wie jeden Tag sah der Prinz nach der Schule erst bei seinem geliebten Seepferd vorbei. Da sah er es bitterlich weinen.  Das Seepferd schluchzte: „Deine Schwiegermutter  weiß, dass ich es war, der dir von ihren Plänen erzählt hat . Jetzt will sie mich umbringen.  Wenn du morgen  in der Schule bist, wird der Schlächter kommen und mich töten.“

Malek Dschamschid  war entsetzt und wusste nicht, was er machen soll ...

Da sagte das Seepferd: „Morgen werde ich dreimal wiehern. Das erste Mal wenn sie mich holen kommen, das zweite Mal wenn sie mir die Beine zusammenbinden, und das dritte Mal wenn der Schlächter mir das Messer unter die Gurgel setzt.

Wenn du kommst, bevor ich zum dritten Mal schreie, können wir beide  fliehen. Wenn nicht, ist es aus mit mir!“

Am nächsten Morgen ging Dschamschid voller Sorge zur Schule. In der Schule war er die ganze Zeit in Gedanken . Auf einmal hörte er das erste Wiehern seines Seepferdes. Da erschrak er und wollte aus der Schule weglaufen, aber der Lehrer fing ihn ab und sagte: „Du musst heute bis abends hierbleiben.“

Malek Dschamschid wollte  nicht darauf hören. Doch der Lehrer hielt ihn fest  und sagte: „Der König hat es befohlen und ich muss gehorchen.“

Malek Dschamschid und sein Lehrer stritten miteinander als der Prinz das zweite Wiehern  hörte.  Da wurde ihm richtig schwindelig. Er riss sich los und rannte in Windeseile zum Palast. Dort angekommen sah er sein Seepferd mit gefesselten Beinen neben dem Blumenbeet liegen. Der König aber wunderte sich, woher sein Sohn  Bescheid wusste, dass sie das Seepferd töten wollten. Malek Dschamschid begann zu schreien: „Warum wollt ihr mein Seepferd töten?“

Der König tröstete seinen Sohn und erklärte: „Meine Frau ist todkrank und nur Herz und Leber eines Seepferdes können sie retten.“  Dann befahl er man solle ein neues Seepferd für seinen Sohn besorgen.

Aber Malek Dschamschid  rief: „O, ich  habe mir doch immer gewünscht einmal in königlichen Kleidern und mit einer Krone auf den Kopf und einem Beutel voller Gold  das Seepferd zu besteigen und mir die Welt anzuschauen. Nun sind alle meine Wünsche dahin!“

Da strich  der König ihm über das Haar: „Da kann man nichts machen. Das Schicksal sieht anderes vor und das Leben meiner Frau ist mir wichtiger als dieses Tier.“

Aber Malek Dschamschid bat:  „Lass mich wenigstens meine Prinzenkleider anziehen,  einen Goldbeutel  umbinden und mein Pferd besteigen  und ein wenig im Palastgarten herumreiten,  damit mein Traum auf diese Weise in Erfüllung geht.“

Der König freute sich. Sein Sohn schien also endlich einverstanden zu sein. So ließ er schnell einen Beutel mit Gold und Silber und die Prinzenkleider holen . Er ließ seinem Sohn eine Krone aufsetzen und  dem Seepferd die Fesseln abnehmen.

Malek Dschamschid bestieg das Seepferd und drehte ein paar Runden. Der König aber wartete darauf,  dass er absteigt.

 Schließlich wollte er ihn zwingen, dass er absteigt, aber da strich  Malek Dschamschid seinem Pferd über die Mähne, dieses machte einen Schritt zurück , sprang über die Palastmauer hinweg und ergriff mit Malek Dschamschid auf dem Rücken die Flucht.

Der König und seine Hofleute blieben ratlos zurück. Die Frau des Königs, die vom Fenster aus alles mit angesehen hatte, war außer sich vor Wut. Malek Dschamdschid und das Seepferd ritten so weit weg, dass sie vor dem  König und seinen Leuten sicher waren.  Schließlich erreichten sie eine Stadt. Da stieg Malek Dschamschid ab und das Seepferd sagte: „Keiner darf merken,  dass du der Sohn des Köngs bist. Denn dann werden sie dir etwas antun. Du  solltest die königliche Kleidung ablegen. Es ist besser wenn du arm aussiehst. Ich kann nicht mitkommen , denn wenn sie mich sehen, werden sie alle denken: Wie kann ein armer junger Mann  ein edles Pferd besitzen?! Zieh dir drei Haare aus meiner Mähne heraus  und wenn du Schwierigkeiten hast, dann zünde sie an.“

Die Fortsetzung dieses alten persischen Volksmärchens  folgt im nächsten Teil.