So wird gesagt- Teil 40
Wir beginnen mit einer Geschichte aus dem Bostan von Saadi und erklären dann wieder ein Sprichwort.
In einer Stadt lebte ein Mann, der für seine hohen Anstand und seine Hilfsbereitschaft bekannt war. Alle liebten ihn . Als eines Tages die Tartaren dieses Land angriffen, zog jung und alt in den Kampf. Die Daheimgebliebenen beteten für ihren Erfolg und ihre Gesundheit. Ganz besonders aber beteten sie für diesen hilfsbereiten Menschen.
Der Krieg dauerte eine Weile, bis sich schließlich die Tartaren wieder zurückzogen. Dem Held unserer Geschichte aber waren während der Gefechte tiefe Wunden zugefügt wurden. Als seine Mitstreiter ihn nach Hause trugen, versammelten sich sogleich die Nachbarn um sein Bettlager. Einer schickte nach dem Heilkundigen der Stadt. Der untersuchte den Verletzten und erklärte dann: “Es besteht keine Lebensgefahr, es sei denn die Heilung dauert zu lange. Ich bräuchte Balsam! Aber davon gibt es hier bei uns nicht viel.“
Da sagte einer der alten Männer aus der Nachbarschaft: „O, was machen wir jetzt? Woher sollen wir bloß genug Balsam herbekommen?“
Der Tabib – so wurden die Heilkundigen früher genannt – sagte: „Ich kenne jemanden, der reichlich Balsam besitzt. Aber er ist ausgesprochen kaltherzig und geizig. Ich glaube nicht, dass er etwas davon herausrückt.“ Da sagte der alte Mann: „Wir werden ihn doch dafür zahlen!“ Der Tabib sagte: „Weißt du, es gibt ja nur wenig Balsam hier in der Stadt, und dieser Mann, von dem ich spreche, will den Balsam für sich selber aufheben. Er ist kein guter Mensch und sehr knauserig.“
Der sagte der alte Mann: „Meinst du etwa den Händler der in der ganzen Stadt für seinen Geiz bekannt ist?“
Der Heilkundige sagt „Ja, genau den meine ich!“
Da sagte der andere: „O ja! Ich kenn ihn zur Genüge. Dennoch werde ich zu ihm gehen und ihn anflehen. Vielleicht hat er Mitleid und gibt uns etwas von dem Balsam!“
In dem Moment hob der verletzte Kämpfer trotz aller Schwäche die Hand zum Einspruch hoch.
Der Held unserer Geschichte sagte : „Geht nicht zu diesem geizigen Menschen! Ich werde mich nie vor jemandem wie ihm klein machen, selbst wenn mein Leben in Gefahr ist!“
Die Nachbarn und der alte Mann versuchten ihn davon zu überzeugen, dass es besser ist, den Händler um etwas Balsam zu bitten.
Da sagte der Schwerverletzte:
Habt ihr nicht von dem Darwisch gehört, der etwas Geld brauchte und den jemand zu einem reichen Mann schickte. Als der Darwisch zu dem reichen Mann ging, sah er einen mürrischen arroganten Menschen vor sich. Er ging wortlos schnell wieder fort, und als sie ihn fragten, warum er sich nicht mit seiner Bitte an den reichen Mann gewandt hat, sagte er: „Ich verzichte! Tragt auch ihr eure Bitte nie einem mürrischen launischen Menschen vor.“ Denn ihre mürrische Art ist zermürbend.
Da rief der alte Mann: „Ja du hast recht! Aber wir können doch nicht einfach die Hand in den Schoß legen!“
Da sagte sein Freund auf dem Krankenlager: „Ich bin stark genug. Vielleicht dauert es etwas länger, bis ich genese, aber mir ist es wichtig, dass ich mich nicht vor diesem Geizhals klein mache und meine Ehre bewahre.
Das heutige Sprichwort lautet im Original: Biganeh Agar Wafa Konad, Chisch-e-ye man ast.
Hören sie dazu folgende Fabel:
Eine Schlange und eine Eidechse waren so gute Freunde miteinander, dass sie sogar ihre Behausung miteinander teilten. In ihrer Nähe wohnte eine gescheite Maus. Die gab sehr darauf acht, dass diese Erzfeinde nicht ihren Unterschlupf und ihre Kinder bemerken. Aber es gab noch ein anderes Tier in der Nähe. Es war ein Igel, der sich aus Mäusefleisch nichts machte, wohl aber auf Schlangen- und Eidechsenfleisch erpicht war.
Schlange und Eidechse ahnten weder etwas von der Maus noch von dem Igel. Sie hatten nichts anderes zu tun, als ihre Freundschaft zu genießen. Am Tag schlenderten sie durch die weite Welt und machten es sich am Abend in ihrer Behausung gemütlich. Bis an jenem Tag.
An jenem Tag kamen Schlange und Eidechse ganz dicht an dem Haus des Igels vorbei und waren wieder einmal lustig ins Gespräch vertieft. Dem Igel stieg ein angenehmer Duft in die Nase und er lugte flugs aus seinem Haus hervor : „Die werde ich mir schnappen!“ dachte er, nur wusste er nicht, über welchen von den beiden er zuerst herfallen sollte? Dann entschloss er sich beide auf einen Schlag zu erlegen. Plötzlich erschien er vor Schlange und Eidechse.
Das war ein Schreck! Eidechse und Schlange rannten in Richtung eines Felsen, denn sonst gab es keinen Schutz in der Nähe. Die Eidechse erreichte den Felsen zuerst und kroch in einen Spalt hinein. Doch die Schlange fand keinen zweiten Spalt im Felsen und so bat sie ihre Freundin „Rück ein bisschen beiseite, damit auch für mich Platz wird.“ Aber die Eidechse meinte: „Nein! Für zwei ist kein Platz!“ Doch die Schlange rief: „Mach schnell! Gleich kommt der Igel!“
Die Eidechse sagte: „Worauf wartest du dann noch? Lauf schnell weg. Wenn du wegläufst, dann rennt der Igel hinter dir her und ich kann mich retten.“
Jedenfalls konnte die Schlange so lange betteln wie sie wollte. Die Eidechse blieb unbeeindruckt. Die Schlange erinnerte sie noch daran, wie gut sie doch immer befreundet waren. Aber die Eidechse meinte nur: „Von Freundschaft kannst du wieder reden, wenn es keine Gefahr gibt. Aber jetzt muss jeder an sich selber denken!“
Die Maus, die in ihrem kleinen Schlupfloch in diesem Felsen saß, hatte alles mit angehört. Einerseits freute sie sich, dass es ihren Feinden an den Kragen ging, andererseits tat ihr die Schlange leid und sie war über die Untreue der Eidechse verärgert. Sie wusste aber nicht: Soll sie der Schlange helfen? Schließlich dachte sie: Es ist nicht anständig, dass man nur an sich denkt, wenn die anderen in Not sind. Und da bot sie der Schlange an, in das Mauseloch zu kommen, aber nicht ohne ihr vorher das Versprechen abgenommen zu haben, ihr und den Kindern nichts anzutun.
Der Igel hatte den Felsen erreicht, doch fand er keine Spur von Schlange und der Eidechse und trollte sich schließlich wieder. Die Eidechse schlüpfte aus der Felsspalte heraus und rief die Schlange: „Komm heraus! Bring mir aber auch eine von den leckeren Mäusen mit!“
Da steckte die Schlange den Kopf aus dem Mäuseloch und rief: „Mach dass du fortkommst! Wir sind keine Freunde mehr. Ab heute will ich mit der Maus Freundschaft schließen““
Die Eidechse lachte: „Du bist witzig! Komm gehen wir!“
Die Schlange aber rief: „Du bist unkameradschaftlich, aber die Maus ist in Ordnung! Ich werde ihr nie etwas antun!“
Von dieser Fabel rührt das Sprichwort her: „Ein Fremder der treu ist, ist mein Verwandter . Man benutzt es, um den Wert von Treue und Kameradschaft zu unterstreichen.