Islam richtig kennenlernen (176)
Wir widmen diesen Beitrag der Frage, wie gemäß dem Islam eine Regierung aussehen soll.
Letztes Mal sagten wir, dass die Ableitung der religionskonformen Regelungen aus den authentischen Hauptquellen ausschließlich Aufgabe von Spezialisten sein kann und sich die Menschen in der Zeit der Verborgenheit des Imam Mahdi (möge Gott sein Erscheinen beschleunigen) an die Religionsgelehrten, die Fuqaha, mit Fragen über die Gebote der Religion wenden müssen.
Während der Imam der Zeit sich noch verborgen hält müssen die Rechtsgelehrten ihre religionsrechtlichen Gutachten (Fitwa) aufgrund umfassender Kenntnis über den Islam und unter Beachtung der Erfordernisse ihrer Zeit abfassen. Ihre Aufgabe ist es, religiöse Befragungsinstanz (Mardschiat) für die Menschen zu sein und sie zu lenken (wilayat) . Seit den Anfängen des Islams ist die Führung (wilayat) der Umma (des Glaubensvolkes) ein Thema gewesen. Der Prophet des Islams (S) hat nämlich nicht nur die Offenbarung mitgeteilt und den Islamischen Glauben und seine Gebote erklärt sondern auch eine Regierung gebildet und sie angeführt.. Auch haben die Unfehlbaren Imame (F) nicht nur die Gebote die Lehre des Islams verkündet sondern ebenso über die Muslime regiert – wenn auch nur für kurze Zeit.
Wir sollten uns an dieser Stelle mit der Frage auseinandersetzen, ob während der Zeit der Verborgenheit überhaupt eine Islamische Regierung notwendig ist.
Bekanntlich ist die Bildung von Regierungen etwas Unvermeidliches. Der Mensch führt ein Gesellschaftsleben.Sein Leben und sein Einkommen ist auf das Gemeinschaftliche und die Zusammenarbeit mit den anderen angewiesen. Andererseits gibt es die Erscheinung in der Gesellschaft, dass einige mehr Möglichkeiten und Vorteile erreichen wollen und es daher zu Reibungen in der Gesellschaft kommt, die das Gemeinschaftsleben in Gefahr bringen.
Damit die menschliche Gesellschaft standhält und hohe menschliche Ziele erreichen kann, sind zwei Dinge notwendig:
Erstens eine gerechte progressive Gesetzgebung, die alle materiellen und immateriellen Bedürfnisse des Menschen erwidert, und zweitens ein starkes Regierungssystem, welches für die Durchführung des Gesetzes verantwortlich ist und die Bevölkerung gerecht behandelt.
Eine Regierung ist also etwas Unentbehrliches für die menschliche Gesellschaft. Von den anfänglichen bis zu den weiterentwickelten Stadien des Gesellschaftslebens hat es immer Regierungen gegeben.
Bevor wir die Notwendigkeit der Islamischen Regierung in der Zeit der Verborgenheit erörtern, sollten wir einen Blick auf die verschiedenen Arten von Regierungssystemen werfen. Jedes der verschiedenen Regierungssysteme die es heute gibt hat seine besonderen Merkmale. Regiert nur eine Person über ein Volk wird von einem autoritären System gesprochen, es bedeutet, dass eine Person uneingeschränkt tun und lassen kann was sie will und die Bevölkerung nicht entscheidet, wer sie beherrscht. Ein Beispiel ist die uneingeschränkte Monarchie.
Eine weitere Art von Regierungssystem ist ein System in der eine Minderheit über die Mehrheit bestimmt. Dazu zählt auch eine sozialistische und kommunistische Regierung, wo eine Parteiminderheit das Sagen hat. In Oligarchien wie diesen liegt also das Herrschaftsrecht bei einer Partei oder einer bestimmten Bevölkerungsgruppe.
In einer anderen Staatsordnung herrscht eine Mehrheit über die Bevölkerung. Sie wird mit Demokratie bezeichnet. Hierbei nehmen die Vertreter der Bevölkerungsmehrheit die politische Führung der Gesellschaft in die Hand. Die Staatsführer werden direkt durch die Bürger oder durch deren Vertreter gewählt. Es sei jedoch erwähnt, dass zwar viele Staaten auf der Welt insbesondere im Westen behaupten eine Demokratie zu sein, aber es sich in Wahrheit mehr um Schein-Demokratien handelt. Zwar haben in diesen Systemen die Bürger das Recht ihre Vertreter zu wählen, aber in Wahrheit sind es mächtige Gruppen und Besitzer von Einfluss und Reichtum die die Wählerentscheidung durch irreführende Propaganda in die von ihnen gewünschte Richtung steuern.
Bevor wir konkret über die Regierung gemäß Islam sprechen, ist daran zu erinnern, dass die Existenz einer guten Gesetzgebung für sich alleine noch nicht zum Wohle einer Gesellschaft und ihrer Bürger führt. Das allgemeine Wohl setzt nämlich voraus, dass die gesetzlichen Regelungen richtig durchgeführt werden. Wenn wir Wesen und Beschaffenheit der Islamischen Gesetze genauer betrachten werden wir feststellen, dass ihre Durchführung eine starke Organisation erfordert und viele dieser Gesetze ohne eine Regierung gar nicht durchführbar sein werden.
Der Islam hat klare Gebote für die Verteidigung des Hoheitsraumes einer Gesellschaft und der Grenzen und Unabhängigkeit der muslimischen Länder festgelegt. Außerdem betont der Islam ausdrücklich die Verteidigung der Unterdrückten und die Bekämpfung der Unterdrücker. Der erste Schritt zur Verteidigung von Hab, Gut und Ehre der Muslime und zur Abwehr von Aggressoren ist die Bildung einer Regierung. Diese kann dann durch die Mobilisierung und Ausrüstung eines Heeres und den Einsatz von kompetenten Befehlshabern, einen Feind zurückdrängen. Solche Maßnahmen sind jedoch ohne eine Regierung gar nicht möglich.
Der verstorbene Vater der Islamischen Revolution Iran, Imam Chomeini, hat hierüber gesagt:
„Die Notwendigkeit einer Regierung zur Verbreitung von Gerechtigkeit und Lehre und Erziehung, Wahrung der Gesellschaftsordnung und Beseitigung von Unrecht, Schutz der Grenzen des Landes und Verhütung des Angriffes der Fremden gehört zu den selbstverständlichsten Dingen, unabhängig davon ob der Imam gegenwärtig oder verborgen ist, und um welches Land es sich handelt.“
Während der Verborgenheit des Imams der Zeit (F) muss es also eine Regierung geben, die auf den Werten und Bestimmungen des Islams aufbaut. Denn ohne geregelte Institutionen, insbesondere in einer Zeit wie der heutigen, wo die Feinde der Muslime über zahlreichreiche Organisationen und Institutionen verfügen, können die Grenzen und die territoriale Integrität der muslimischen Länder nicht verteidigt werden.
Auch wird bei der Betrachtung der gottesdienstlichen Handlungen im Islam wie das Gemeinschaftsgebet am Freitag und zu Festen wie das Fitr und Ghorban-Fest sowie der bedeutenden Hadsch-Zusammenkunft auch bewusst, dass diese über ihren Aspekt der Gottesdienstbarkeit hinaus auch politische und soziale Inhalte und Ziele haben. Ohne eine islamische Regierung und eine gerechte Führung werden jedoch diese gottesdienstlichen Handlungen nicht so durchgeführt wie der Islam es möchte.
Außerdem bilden Rechte, Pflichten und Strafbestimmungen einen Teil des Islamischen Rechts. Regeln für religionskonforme Gerichtsverfahren, die juristische Klärung von Streitfällen und Bestimmungen hinsichtlich von Maßregelungen, Vergeltungsmaßnahmen bzw. Sühnegeld usw. fallen in den Verantwortungsbereich der Regierung und erfordern entsprechende Justizeinrichtungen.
Eine Regierung wird auch dadurch erforderlich, dass der Islam und seine Gebote und Gesetze nicht örtlich und zeitlich begrenzt sind. Vielmehr ist der Islam ja eine universale und beständige Religion für alle Generationen und alle Zeiten. Er gehört nicht nur in die Zeit des Propheten und keiner seiner Bestimmungen fällt flach. Genauso wie zurzeit des Propheten Gottes die Bildung einer Regierung für die Umsetzung der Islamischen Gesetzgebung erforderlich war, ist dies auch in anderen Zeiten, darunter in der Zeit der Verborgenheit des Imams notwendig und können einige Gesetze nicht ohne Regierungsbildung durchgeführt werden.
Imam Chomeini (F) sagt: „Die Islamischen Gebote, von denen für die Wirtschaft und Politik bis zu den Rechten und Pflichten, bleiben bis zum Jüngsten Tag bestehen und müssen durchgeführt werden. Keines der göttlichen Gebote wurde aufgehoben oder ist zunichte geworden. Dieser ewige Fortbestand der Gebote erfordert eine Ordnung, welche die Geltung und den Schutz dieser Gebote gewährleistet und ihre Durchführung übernimmt. Daher ist die Umsetzung der Gebote der Gottesreligion nur durch die Bildung einer Islamischen Regierung möglich.“
Die Islamische Regierung nimmt mit ihren besonderen Zielen und Eigenschaften einen Sonderplatz unter den Regierungssystemen ein. Unter den anderen Regierungsmodellen gibt es keine vollständige Entsprechung für sie. Sie ist auf der Herrschaft Gottes über die Menschheit begründet. Daher gibt es auffällige wesensbedingte Unterschiede zwischen ihr und den anderen Regierungssystemen. Einer dieser Unterschiede betrifft die Art der Aufstellung von Gesetzen. In den so genannten demokratischen Staaten wird aufgrund des Wunsches der Mehrheit ein Gesetz eingeführt. So kann es sein, dass aufgrund des allgemeinen Wunsches, unangemessene Dinge als gesetzlich erlaubt gelten, wie die Ehe zwischen Homosexuellen, Abtreibungen und der Erwerb von Einkommen durch Unzucht. Alle diese Handlungen haben aber zerstörerische Folgen für die Menschheit. In der religiös orientierten Regierung werden Gesetze aufgestellt, die den Bedürfnissen des wahren Gott gegebenen Seelen-Urgrundes entsprechen Daher kann es sein dass Dinge, auch wenn die Mehrheit der Bevölkerung eine Tendenz in ihre Richtung zeigt, religionsrechtlich verboten sind und von der islamischen Regierung untersagt werden, weil sie der Gesellschaft schaden.
In der Islamischen Regierung gehört die eigentliche Herrschaft Gott. In Wahrheit ist Er der Herrscher über die Menschen. Im Koran heißt es in diesem Zusammenhang in dem Vers 17 der Sure 5 ( Maida):
„...Allah gehört die Herrschaft der Himmel und der Erde und dessen, was dazwischen ist. Er erschafft, was Er will. Und Allah hat zu allem die Macht.
Und im Vers 70 der Sure (Qasas) lesen wir:
„Und Er ist Allah. Es gibt keinen Gott außer Ihm. (Alles) Lob gehört Ihm in der diesseitigen und in der jenseitigen Welt! Ihm gehört das Urteil, und zu Ihm werdet ihr zurückgebracht.“
Da Gott die Herrschaft über Himmel und Erde gehört, kann nur er über die Art bestimmen, wie ein Volk zu lenken ist. Es ist klar, dass Gott der Allweise und Allwissende die würdigsten Menschen als Regenten auswählt. Seine Auserwählten sind als erstes der Prophet und die Makellosen Imame.
Das Ideal einer Regierung ist also eine Regierung, an deren Spitze der Prophet oder einer der Makellosen Imame aus seiner Nachkommenschaft steht. Ist es jedoch richtig die Hände in den Schoß zu legen und nichts zu unternehmen, falls es nicht möglich ist die Islamische Regierung auf diesem höchsten Niveau zu errichten? Die Vernunft gebietet, dass man nicht auf die Islamische Regierung verzichten kann, nur weil vorläufig ihr Ideal nicht verwirklichbar ist. Die beste Lösung besteht also darin, in der Zeit, wo der Makellose Imam sich im Verborgenen aufhält, die Angelegenheiten jemandem anzuvertrauen, der am meisten von allen mit der Lehre und den Geboten des Islams vertraut ist, zugleich sich durch Gottesfürchtigkeit auszeichnet, die Erfordernisse seiner Zeit kennt und ein guter Planer und Lenker ist. In der Islamischen Terminologie vereinen sich diese Eigenschaften in einem Wali Faqih – in einem Befugten Rechtsgelehrten, der die Angelegenheiten der Gesellschaften lenken soll