May 08, 2019 02:30 CET
  • Islam richtig kennenlernen (179 - Wali Faqih)

Die wichtigste Aufgabe des Wali Faqih besteht darin, bei Ereignissen eine feste Stütze für die muslimische Gesellschaft zu sein und sie den richtigen Weg entlang zu steuern.

 

                       

Wir wollen diesmal in Fortsetzung des Themas Wilayat-e Faqih die Pflichten und Aufgaben des Wali Faqih – des Verwaltungsbefugten Rechtsgelehrten  -  gemäß den Lehren des Islams betrachten. Nach dem Koran und der Vorgehensweise des Propheten des Islams lassen sich außerdem aus den Worten und der Lebensweise der Nachkommen des Propheten – der Ahl-e Bait – die Verantwortungen des Vorstehers der Islamischen Gesellschaft ableiten, insbesondere bei Imam Ali (Friede sei mit ihm). Imam Ali hat während  seiner  kurzen Regierungszeit zu verschiedenen Anlässen diese Pflichten ausführlich in Ableitung vom Koran und der Sunna des Propheten beschrieben.

Zum Beispiel hat er gemäß der Ansprache 3 im  Nahdsch-ul Balagha – welche als Schiqschiqiyvah –Predigt bekannt wurde – über seine Stellung als Vorsteher und Lenker der islamischen Gesellschaft gesagt: „Meine Position ihm (dem Kalifat) gegenüber ist wie die Position der Achse zum Mühlstein.“  Über diese Beschreibung der Position des Wali Faqih sollte man nachdenken.

Ein Mühlstein ist möglicherweise nicht ganz einwandfrei, aber solange es die Achse gibt, dreht er sich und funktioniert. Die Achse stützt den Mühlstein und setzt ihn in eine Richtung in Bewegung. Der Mühlstein kommt jedoch sofort zum Stillstand, wenn ihm die Achse weggenommen wird.  Die Führung der Gesellschaft ist also wie die feste Achse, mit Hilfe derer sich Mühlsteine drehen können. Die wichtigste Pflicht des Wali Faqih besteht darin, dass er der Gesellschaft in schwierigen Zeiten eine feste Stütze bietet und sie harmonisch und gezielt in Bewegung setzt.

In der gleichen Ansprache hat Imam Ali, sich mit einem Gebirge verglichen auf das Regen fällt. Die Regentropfen fließen als Regenwasser den Abhang hinunter,  vereinen sich im Tal zu einem Fluss und setzen ihren Weg fort.  Indem Imam Ali sich mit einem Gebirgshang vergleicht an dem das Regenwasser herabfließt, weist er wieder darauf hin, dass der Vorsteher der Muslime der Bewegung Geschlossenheit, Orientierung und Richtung verleiht. 

Eine wichtige Aufgabe des Wali Faqih bei der Führung der Islamischen Gesellschaft besteht darin, Einmütigkeit unter den Menschen hervorzurufen und ihnen Wegorientierung zu geben. Um weiteren Pflichten  als Oberhaupt nachkommen zu können, muss der Wali Faqih also erst diese Aufgabe erfüllen.

                            

 

Imam Ali  sagt über die Aufgaben des Oberhauptes und des Freitagsimams an einer Stelle in der Ansprache 34 im Nahdsch-ul Balagha wie folgt:

„Ihr Menschen, ich habe ein Recht über euch, und ihr habt ein Recht über mich: Was euer Recht über mich angeht, so (besteht es darin), dass ich euch Ratschläge gebe und euch euren Anteil am Gewinn voll auszahle, sowie euch lehre, auf dass ihr nicht unwissend seid und euch gutes Verhalten beibringe, auf dass ihr danach handelt...“

                                  

 

Der Vorsteher der Islamischen Gesellschaft hat den Menschen in schwierigen Zeiten zu helfen. Er muss gütig sein und mitfühlend. Der Koran verweist darauf, dass der Prophet des Islams diese wichtige Eigenschaft besitzt. Es heißt im Vers 159 der Sure  3 (Al-e Imran ): „... wärst du aber schroff und hartherzig, so wären die Menschen  wahrlich rings um dich herum davongelaufen“....und es heißt weiter:  „So verzeihe ihnen, bitte für sie um Vergebung und ziehe sie in den Angelegenheiten zu Rate....“

Dass sich der Vorsteher der Islamischen Gesellschaft mit dem Volk berät, zeugt für seine Unterstützung und sein Verständnis für die anderen. Die Beratung mit den anderen stärkt das Vertrauen zwischen Bevölkerung und Wali Faqih. 

 

Ein wichtiger Punkt, der auch in der oben erwähnten Predigt 34 Imam Alis genannt wird, ist die gerechte Verteilung des Volksvermögens (Bait-ul Mal). Wir haben ja schon darauf hingewiesen, dass der Wali Faqih gerecht sein muss. Die Herstellung von Gerechtigkeit ist sogar eine der wichtigsten Aufgaben des Oberhauptes der islamischen Gesellschaft. In seinem Befehlsschreiben an Malek Aschtar hat Imam Ali dies als den höchsten Auftrag des islamischen Regenten dargestellt.   Der Imam legt seinen Regierungsbeamten ans Herz  selbst beim kleinsten Anlass gerecht zu sein und sogar bei der Begrüßung alle gleich zu behandeln oder bei einer Versammlung seine Blicke gleichmäßig auf alle zu verteilen. Imam Ali sagt, dass eine solche Gerechtigkeit dem Unrecht auf anderen Ebenen den Boden entzieht und erklärt: „Wenn ihr nicht alle auf diese Weise gleich behandelt, werden  sich die Herrschsüchtigen ermutigt fühlen, andere zu benachteiligen  und werden die Schwachen die Hoffnung auf Gerechtigkeit verlieren.“

                        

 

 

In der islamischen Gesellschaft haben alle Muslime die gleichen Rechte. Keiner genießt ein gesellschaftliches Privileg, nur weil er dem Regenten nahesteht oder weil er länger Muslim ist als andere. Das soll natürlich nicht bedeuten, dass alle, unabhängig davon wie sie sich in der Öffentlichkeit verhalten, gleich behandelt werden. Gemeint ist, dass alle die gleichen Rechte genießen.

Ein wichtiger Schwerpunkt bei der Herstellung von Gerechtigkeit durch den Regierenden betrifft die Angelegenheiten der Wirtschaft. Wenn wirtschaftlich gesehen Benachteiligungen und Unrecht vorkommen, so kommt es auch zu Benachteiligungen in Hinblick auf andere soziale Rechte.  Imam Ali (F) hat die Gerechtigkeit in diesem Bereich besonders hervorgehoben und seinen Gouverneuren und Beamten wichtige Anweisungen zu ihrer Verwirklichung erteilt.

                                   

Der Wali Faqih und islamischer Verwalter muss bei der Herstellung von Gerechtigkeit auf das Allgemeinwohl achten. Deshalb hält Imam Ali (F) in seinem berühmten Schreiben an seinen Gouverneur Malik Aschtar diesen an, das zu tun, was die breite Masse zufriedenstellt, auch wenn es einer bestimmten Gruppe von Leuten missfällt. Indem der Imam die Zufriedenstellung des Volkes für die Gerechtigkeit ausbedingt,   verdeutlicht er, dass ein Vorgehen, welches zum Wohl der Allgemeinheit ist, eher gerecht ist, als  ein solches, welches nur den Interessen einer bestimmten Elitegruppe entspricht. Er sagt: „Du solltest die Schritte bevorzugen, die weder über das Recht hinausschießen noch es vernachlässigen und die hinsichtlich der Gerechtigkeit umfassender und für die Untertanen angenehmer sind, denn  allgemeine Unzufriedenheit macht die  Zufriedenheit der Nahestehenden wirkungslos, während die Empörung der Nahestehenden nicht die  Zufriedenheit der Allgemeinheit beeinträchtigt." 

 

Zur Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit auf wirtschaftlicher Ebene verpflichtet Imam Ali den Vorsteher der Islamischen Gesellschaft,  besonders  auf die  Bedürftigen zu achten; ein Prinzip, das so wichtig ist, dass seine Nichtbeachtung andere Schritte wirkungslos macht. 

             

 

Ein  Wali Faqih hat außerdem gemäß Imam Ali (F) die Aufgabe, den Menschen Wissen zu vermitteln. Der Vorsteher der Islamischen Gesellschaft darf die Allgemeinheit nicht in Unsicherheit und Unklarheit belassen, sondern muss sie über alle Angelegenheiten aufklären. Imam Ali hat sich selber deutlich an dieses Prinzip gehalten. Selbst wenn nur einige wenige Skepsis in einer Sache hegten, hat er in einer Ansprache oder in einem Schreiben die Angelegenheit geklärt. Ein Oberhaupt, das seine Gemeinde lenken will, muss ihren Geist durch Vermittlung von Wissen und Erkenntnis erhellen. Dies ist ein Recht der Allgemeinheit gegenüber dem Wali Faqih und damit eine feste Pflicht, die ihrem Vorsteher obliegt. Der Wali Faqih muss aber nicht nur die islamische Gesellschaft aufklären sondern sich auch dem seelischen Aufbau der Menschen widmen und ihre Fähigkeiten aktivieren.

Der Wali Faqih soll besonnen um die Verbreitung und Vertiefung von Dingen wie Glauben, Gottesfürchtigkeit, Einmütigkeit, Fleiß, Wahrhaftigkeit, Ausdauer gegenüber Unbilden, Großzügigkeit und Selbstverzicht in der muslimischen Gesellschaft bemüht sein.

                            

 

 

Bei näherer Betrachtung der Aufgaben eines Wali Faqih und Oberhauptes der islamischen Gesellschaft wird uns klar, dass die islamgemäße Politik sich nicht mit der in den nicht-islamischen Gesellschaften üblichen Politik vergleichen lässt. Angesichts der Rechte der Gesellschaft gegenüber dem Führenden beschränkt sich im Islam die Politik nicht nur auf die Regelung der Wirtschaft und weltlicher Beziehungen ihrer Mitglieder, sondern es ist eine Politik, die auch den immateriellen und religiösen Fortschritt der Menschen ins Auge fasst.

 

Der Wali Faqih bzw. der islamische Verwalter trägt deshalb eine Mitverantwortung für das Vorgehen von hohen Regierungsbeamten, weil er sie in ihr Amt einberuft.  Imam Ali (F) legt seinen Verwaltungsbeauftragten Malik Aschtar ans Herz, dass er seine Beamten sorgfältig auszuwählen muss. Er sagt, dass ein Gouverneur für ein falsches Vorgehen seiner Beamten geradezustehen hat, selbst wenn er nicht darüber informiert gewesen sein sollte.  Der Imam mahnt seinen Gouverneur Malik Aschtar:

„Du wirst für jeden Fehler den deine Sekretäre aufweisen und den du  übersiehst (oder nicht beachtest) verantwortlich sein.“

 

                        

Aus den Lehren des Islams und der Lebensweise des Propheten (S) und der Imame aus seinem Hause (F) geht hervor, dass der Wali Faqih festen Willens hinsichtlich der Zukunft der Islamischen Gesellschaft und der Grundsätze des Islams sein muss und nicht zulassen darf, dass die islamische Gebote unbeachtet bleiben.  Das Oberhaupt der Islamischen Gesellschaft muss sowohl auf die Gerechtigkeit unter den Menschen achten als auch nach ihrer Charakterveredlung und ihrer Rechtleitung streben. Der Wali Faqih muss gegenüber dem Volke und besonders gegenüber den finanziell Schwächeren bescheiden sein und gegenüber den Unrechttuenden und Hochmütigen konsequent handeln.  Außerdem hat er eine feste Stütze für das Volk zu sein und es harmonisch in Richtung hoher fruchtbarer Ziele zu lenken.

 

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