Jun 20, 2021 03:16 CET
  • Sinnvolle Wegzeichen der Ahl-ul-Bait (38 – Statthalterschaft)

Wir haben bereits einen Einblick in die Regierungsprogramme des Propheten gegeben. Politik und Regentschaft sind im Islam so wichtig, dass er für die Zeit nach seinem Verscheiden auf Gottes Geheiß dafür Vorkehrungen traf.

 

 

             

Im Vers 67 der Sure 5 (Maida)  befiehlt Gott dem Propheten, er solle den Muslimen seinen Nachfolger verkünden, anderenfalls habe er nicht seinen Prophetenauftrag zu Ende geführt. An diesem Vers ist zu erkennen, dass die Statthalterschaft und Regentschaft so wichtig ist, dass es ohne sie so wäre, als wäre die Verkündung der Religion nicht vollendet.  Dieser Vers 67 in der Sure 5 ist der klarste Vers über die Dringlichkeit der Nachfolgerschaft des Propheten. Es geht daraus hervor, dass der  Prophet die Muslime und islamische Gesellschaft nicht ohne Anführer und Vorsteher und die Religion nicht ohne Unterstützer und Beschützer belassen darf.

 Die Aufgabe des Vorstehers besteht darin, die Menschen rechtzuleiten und die Religion und islamischen Werte zu beschützen sowie die Islamische Gesellschaft zu verwalten, d.h. über das Volk zu regieren, Ordnung und Sicherheit in der Gesellschaft zum Zuge zu bringen und die Religion, die islamischen Gebiete und die muslimische Gemeinschaft gegenüber den Angriffen von Feinden zu schützen. Diese wichtigen Angelegenheiten lassen sich allerdings nur erfolgreich regeln, wenn jemand an der Spitze steht, der die größte Eignung mitbringt.

                            

Der Prophet hat – in Durchführung des göttlichen Befehls – auf der Rückkehr von seiner letzten Hadschreise in einer Gegend namens Ghadir Chum seinen Nachfolger bekannt gegeben. Er hat Ali (Friede sei mit ihm) zu seinem Testamentsvollstrecker und zum Schutzherrn und Schutzfreund der Muslime nach ihm bestimmt. Doch infolge der Ereignisse nach dem Verscheiden des Propheten (Gottes Segen sei auf ihm und seinem Hause) wurde Ali (F) dieses Amt fünfundzwanzig Jahre lang vorenthalten.  Die islamische Gemeinde erlebte viel Auf und Ab in dieser Zeit  und war wegen Nichtbeachtung der Empfehlung des Propheten (S)  Zeuge von Streit und Zwietracht. Schließlich erkannte aber die muslimische Gemeinde selber, dass Ali (F) die beste Eignung dafür mit sich bringt, Gerechtigkeit herzustellen und die Rechtsbestimmungen der Religion zur Geltung zu bringen und der Nachfolger des Propheten zu sein und die Gesellschaft anzuführen.  Er war jener Regent, der in den wenigen Jahren seiner Statthalterschaft das Regierungsmodell des Propheten (S) wieder herstellte.

                       

Imam Ali (F) ist der Überzeugung, dass die Regierung nicht dazu da ist, die Interessen der herrschenden Klasse zu schützen, sondern dass sie die Religiosität und die hohen Eigenschaften in der Gesellschaft festigen und eine Gesellschaft aufbauen soll, die auf Menschenwürde und moralischen Tugenden basiert. Imam Ali (F) betrachtet die Aufgabe der Gouverneure als schwierig und bedeutend. Sie müssen kompetent genug sein, um  ihre Pflicht als Vertreter der Regierung zu erfüllen. Imam Ali betrachtet die Regierungsgewalt als ein Lehngut, welches dem Regenten zur Verfügung gestellt wird, damit er mit diesem Mittel das Recht herstellt und das Unrecht beseitigt.  Also sind die muslimischen Herrscher mehr als alle anderen verpflichtet, die Grundprinzipien der Moral bei ihren Entschlüssen, ihren Regierungsprogrammen und ihren Umgang mit anderen einzuhalten, sowohl bei  persönlichen und gesellschaftlichen als auch bei Beziehungen zu  anderen Gebieten der Welt.

 

Befehlshaber in einem islamischen System dürfen unter keinen Umstanden gegen die islamischen Werte und moralischen Grundsätze verstoßen und müssen  anderenfalls abgesetzt werden, weil sie nicht mehr qualifiziert sind. Eine der wichtigsten Eigenschaften, die ein islamischer Herrscher aus der Sicht von Imam Ali (F) besitzen muss, ist die Gottesfürchtigkeit. Den Begriff Taqwa – was Gottesfürchtigkeit oder Gottesehrfurcht bedeutet -  benutzt Imam Ali sehr häufig  zusammen mit verwandten Wörtern.  Imam Ali hat einmal gesagt, dass die Gottesfürchtigkeit der Regierungsveranwortlichen und der Bevölkerung viele politische und soziale Schwierigkeiten lösen hilft.

In seiner Predigt 198 (Nahdsch-ul-Balagha) heißt es:

„Wer also sich der Gottesehrfurcht hingibt, von dem werden sich die Notsituationen entfernen, nachdem sie sich ihm genähert haben, die Dinge werden sich für ihn nach ihrer Bitterkeit versüßen, die Wogen (der Probleme) werden von ihm zerstreut werden, nach dem sie sich aufgetürmt haben, die Schwierigkeiten werden für ihn leicht werden nach ihrer Last, die Freigiebigkeit (Allahs) wird auf ihn herabregnen nach Zeiten des Mangels, die Barmherzigkeit (Allahs) wird sich zu ihm neigen, nachdem sie von ihm abgewandt war, die Gnadengeschenke (Allahs) werden sich über ihn ergießen, nachdem sie versiegt waren, und der Segen (Allahs) wird über ihn herabregnen, nachdem er nur spärlich geflossen war.“

Gottesfürchtigkeit ist in den Augen von Imam Ali eine starke Festung, die einen Herrscher davon abhält, in kritischen Momente vom rechten Weg abzugeraten. Er sagt in der Predigt 157, Nahdsch-ul-Balagha:

„Wisset, ihr Diener Allahs, dass die Gottesehrfurcht eine starke Festung ist (für den), der zu ihr seine Zuflucht nimmt, während die Lasterhaftigkeit eine gedemütigte Festung ist. Sie kann weder ihre Bewohner verteidigen noch die zu ihr Fliehenden beschirmen. Höret! Mit der Gottesehrfurcht werden die Wurzeln der Fehltritte abgeschnitten und mit der sicheren Gewissheit erreicht man die höchste spirituelle Stufe.“

                             

Der einzige Grundsatz, welcher das soziale Gleichgewicht bewahren und die Zufriedenheit des Volkes erhalten kann sowie einer Gesellschaft Wohl, Sicherheit und Frieden verleiht , ist in den Augen von Imam Ali die Gerechtigkeitssuche ihrer Herrscher und Anführer. Unrecht und Benachteiligung  bescheren nicht einmal den Unterdrückern selber Zufriedenheit und Ruhe. Unrecht und Diktatur sind eine Sackgasse, durch die der Unterdrücker nicht an sein Ziel gelangen wird.

Imam Ali, der selber Sinnbild der Gerechtigkeit Gottes auf Erden und bedeutendster Märtyrer der Geschichte auf dem Weg der Gerechtigkeit ist, hat gesagt, dass die gerechten Herrscher die beliebtesten Menschengeschöpfe bei Gott sind, während die unterdrückerischen Herrscher  bei Gott als die Elendsten von allen gelten. Er verspricht, dass die Verwirklichung der Gerechtigkeit den Herrschern Freude beschert. In der Predigt 3, Nahdschul-Balagha lesen wir:

 „...wenn es nicht wegen der Anwesenheit des Anwesenden wäre und der Notwendigkeit des Beweises durch die Existenz des Helfers und wenn Allah den Gelehrten nicht aufgetragen hätte, dass sie die Über­sättigung der Ungerechten und den Hunger der Unterdrückten nicht hinnehmen sollen, würde ich die Zügel (des Kalifats) auf dessen Widerrist herabwerfen, (und auf das Kalifat verzichten)“ 

Für Imam Ali (F) spendet  die Gerechtigkeit der Regierenden dem Volke Leben,  verbessert dessen Lage und bringt seine Angelegenheiten ins Lot.  In einer Gesellschaft ohne Gerechtigkeit kann es kein menschenwürdiges Leben und keine  Entfaltung der Spiritualität geben. Eine Gesellschaft, die sich nicht die Gerechtigkeit zum Ziel gesetzt hat und nicht um Gerechtigkeit in der Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Kultur bemüht  ist, geht auf ihren Untergang zu. In diesem Zusammenhang hat er (laut Ghurar al Hikam, Bd. 1, S. 335) gesagt: „Gott der Gepriesene hat die Gerechtigkeit zum Mittel für den Fortbestand der Menschen  und zur Säule ihres Lebens gemacht und Er hat sie  zu einem Faktor der Befreiung von jeder Art Unrecht und den Sünden und dem Erstrahlen der Leuchte des Islams werden lassen.“

                       

Ein weiterer Grundsatz, der die politische Vorgehensweise Imam Alis (F) prägt, besteht darin, dass er Recht und Wahrheit in den Mittelpunkt stellt und das Unrecht bekämpft. Den vornehmlichen Sinn eines Regenten sieht er darin, dass dieser Recht und Wahrheit belebt.  Der Herrscher solle immer nach der Herstellung der Wahrheit und des Rechtes  und der Verwerfung der Lüge und des Unrechtes streben, selbst wenn seine eigenen Vorteile in Gefahr geraten. Imam Ali sagt darüber in der Predigt 125, Nahdschul-Balagha: 

„Wahrlich, der Beste unter den Menschen bei Allah ist der, dem das Handeln nach der Wahrheit am liebsten ist, auch wenn es ihm Mangel und Kümmernis einbringt, anstatt dass er nach der Unwahrheit (handelt), selbst wenn ihm das (oberflächlichen) Nutzen und Mehrung beschert.“

Imam Ali lehnt die Auffassung ab, dass die Mächtigen immer im Recht sein sollen. Er hebt hervor, dass die Regierung genauso Pflichten und Rechte gegenüber dem Volk hat wie das Volk gegenüber den Herrschenden.  Er betonte, dass das Recht des Volkes herzustellen sei. Das Recht der Regierung gegenüber dem Volke und des Volkes gegenüber der Regierung betrachtet er als eines der wichtigsten Rechte, die Gott angeordnet hat und das die Regierung und Volk miteinander verbindet. In der Predigt 216 Nahdschul-Balagha sagt er:

Denn der Untertan kann nicht rechtschaffen sein, wenn die Herrscher nicht rechtschaffen sind, und die Herrscher können nicht rechtschaffen sein ohne die Redlichkeit der Untertanen. So wenn dann die Untertanen das Recht des Herrschers erfüllen, und wenn der Herrscher ihnen ihr Recht erfüllt, dann wird das (gegenseitige) Recht (übereinander) geehrt, die Wege der Religion werden begradigt, die Symbole der Gerechtigkeit aufgerichtet, und die (richtigen) Verfahrensweisen [sunan] gehen ihren Weg. So werden damit die Zeiten besser, die Beständigkeit des Staates wird ersehnt, und die ehrgeizigen Hoffnungen der Feinde werden enttäuscht werden.“

 

 

 

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