Nov 02, 2022 03:50 CET

Liebe Hörerfreunde! Sie wissen inzwischen wann und wo und wie Sanai gelebt hat. Es war im 11. Und 12. Jahrhundert nach Christus. Nun widmen wir noch einen vierten und letzten Teil dieser wichtigen Größe der iranischen Literatur.

Also: Abu-l Madschd Madschdud ibn Adam Sanai Ghaznawi hat nach dem islamischen Kalender vom 5. bis Anfang des 6. Jahrhunderts nach der Hidschra gelebt.  Er gehört zu den größten Dichtern der Farsi-Literatur und besaß einen eigenen Stil. In seiner Epoche war er sogar der einzige, der neues Leben in die traditionelle Farsi-Dichtung brachte, insbesondere in die Kassiden- und die Ghazelen-Dichtung. Er hat viele seiner Erfahrungen aus dem asketischen Leben und einen großen Teil seiner mystischen Gedanken in die neupersische Dichtung einfließen lassen.  Vorher waren die spirituellen Erlebnisse und die Denkweisen der Mystiker nur in Prosawerken zu finden. Doch Sanai brachte sie in dichterischer Gestalt dar, und diese Art von Dichtung hat unter dem weltbekannten Rumi (Maulawi) ihre Vollendung erreicht. Nach Sanai waren mystische Inhalte der wichtigste Gegenstand in der Farsi-Dichtung. Laut Forschern gibt es keinen wichtigen mystischen Gedanken, den Sanai nicht angesprochen hätte.

 Das Hadiqat ul Haqiqa – der Garten der Wahrheit - von Sanai ist die erste mystische Gedichtsammlung, die dazu dienen soll, Mystik, Religion und Moral  zu lehren. Hierbei zieht Sanai alle möglichen Geschichten und Episoden und die Wiedergabe von historischen Berichten oder Gespräche zwischen großen Vertretern der Religion, der Moral und des Sufismus heran. Sanai war anderen Dichtern, die Lehrreiches übermitteln wollten,  voraus und wurde zu einem Vorbild  für viele von ihnen.  Einige Sanai-Forscher sind der Ansicht, dass er der Begründer der Anwendung von Parabeln in der Farsi-Dichtung ist. Seine Methode der Anwendung von gleichnishaften Geschichten mit mystischem oder ethischem Inhalt wurde nach ihm von Attar erweitert und erreichte bei Rumi (Maulawi) ihren Höhepunkt.

                                

Für Sanai sind Geschichten und Parabeln nur ein Mittel, um eine moralische und mystische Regel zu lehren. Es geht ihm daher nicht um Ausmalung der Geschichte und Genuss des Lesers oder Hörers.  So kommt es, dass die Geschichten in dieser Gedichtsammlung meistens kurz sind  und sich in Gestalt eines einfachen Gespräches abspielen. Sanai verzichtet auf  besondere anziehende Stilmittel.

                         

Der „Garten der Wahrheit“ von Sanai besteht aus zwei Teilen,  Der erste davon enthält keine Geschichten. Es sind die Einleitung, eine Dankes- und Lobpreisung Gottes. dem Propheten gewidmete Worte und die Darlegung von verschiedenen Themen über das Religionsgesetz, den mystischen Pfad zu Gott und die Wahrheit. Der andere große Abschnitt des Buches bildet den lehrreichen Teil, in Form von einzelnen voneinander unabhängigen Erzählungen.  Dieser zweite Teil folgt übergangslos dem ersten.  Aber es besteht eine stumme Verbindung zwischen beiden. Sanai kleidet nämlich im zweiten Teil die moralischen und mystischen Inhalte des erstens Teils  in Parabeln und Geschichten.  

Die Erzählungen im Hadiqat sind Episoden aus dem Alltag oder  auch Geschichten über historische oder religiöse Persönlichkeiten oder die großen Sufis.  Sie sind manchmal ernst und manchmal witzig. Immer enthalten sie mystische, religiöse und moralische Punkte. Der Inhalt handelt in der Hauptsache von vier Dingen:

Das Gedenken an die Attribute Gottes, Tadeln der moralisch schlechten Eigenschaften,  das Lob der edlen Eigenschaften und der moralischen Werte  und die Vergänglichkeit des Lebens . Bei den Erzählungen zum letzten Thema werden die herrschenden Zustände oder die Leute aus verschiedenen Blickwinkeln gerügt. Jede Geschichte besteht aus drei Abschnitten, nämlich einer Einleitung, der eigentlichen Geschichte und dem Fazit. Da die Geschichten von Sanai im Hadiqat kurz sind und ein Gespräch wiedergeben,  kann keiner dieser Teile selbstständig für sich bestehen. Sondern sie sind nahtlos miteinander verbunden.

                                                         

Die meisten Geschichten im Hadiqat leitet der Dichter mit dem Verb „sagen“ und mit dem Namen einer bekannten Persönlichkeit  ein. In weniger Fällen fügt er wo nötig, einen Hinweis auf Zeitpunkt, Ort oder Situation hinzu. Zum Beispiel mit der Einleitung: „In der Stadt Balch gab es einen  Krämer“. Daraufhin folgt im zweiten Abschnitt die eigentliche Episode. Den Abschluss krönt ein weises,  mystisches oder moralisches Wort, oft aus dem Munde eines der Gesprächspartner. Die Erzählungen von Sanai sind straff strukturiert und kurz  und oftmals begnügt er sich mit drei oder nur einigen wegen Zweizeilern.  Zum Beispiel:

Jemand fragte den bekannten Bahlul : möchtet du ein weiches Gewand aus Jemen?

Bahlul sagte: Ja, aber ich muss daneben

 Auch zwanzig Stockschläge entgegennehmen.

Der andere fragte : oh warum denn das ?

Er: Weil auf dieser Welt Angenehmes nur erhältlich ist, wenn es von Unangenehmen begleitet wird.

گفت بهلول را یکی داهی
جُبه ای بُرد بخشمت، خواهی؟
گفت خواهم دویست چوب بر او
گفت چوبت چه آرزوست بگو
گفت زیرا که د رسرای سپنج
هیچ راحت نیافت کس بی رنج

Die Figuren, die  Sanai für seine Erzählungen aussucht, stammen aus verschiedenen Bevölkerungsschichten. Meistens sind es unbekannte Leute. Er bezeichnet sie allgemein  oder mit ihren typischen Eigenschaften, wie zum Beispiel: Ein Kind, ein alter Mann, ein Jüngling ein Junge, ein Schwachköpfiger oder ein gewitzter Mann, ein Verliebter usw.. Bestimmte Personen wählt er unter den Königen und Befehlshabern aus.  Sie spielen dabei  meistens eine positive Rolle. Im Hadiqat geht es ihm vor allem um die Moral seiner Geschichten und daher beschreibt er die Personen, die in ihnen auftreten, nicht näher. Alle Figuren sprechen auf die gleiche Weise und ihr Verhalten verändert sich nicht.

Die Episoden sind in der Mehrheit kurz. Meistens kommen zwei Personen vor  - die eine ist der Held und die andere der Anti-Held. Der Leser oder Zuhörer erfährt über ihr Gespräch, ohne dass er selber aktiv mitbeteiligt wird.

Die Erzählungen  im Hadiqat weisen hinsichtlich ihres Aufbaus keine große Abwechslung auf. In einer Reihe von Erzählungen ist der Erzähler eine der auftretenden Personen aber in vielen Geschichten erzählt eine dritte Person von einer Begebenheit.  Der Erzähler scheint zu wissen, was alle Charaktere denken und lenkt ihr Gespräch. Bei den meisten Erzählungen ist Sanai nicht bloß Erzähler und Beobachter, sondern er schaltet sich  als der Erzähler und Weise mit einer Feststellung über den Sinn der Geschichte ein und zieht eine Moral.  Und da seine Bemerkung im Anschluss an die Worte einer der Erzählfiguren erfolgt, ist nicht immer genau festzustellen, wo die Geschichte aufhört und wo die Schlussbemerkung von Sanai beginnt.  

Typisch für die Erzählungen von Sanai ist, dass weder Zeit noch Ort klar sind. So sieht es auch in der Regel bei den meisten Erzählungen in Hadiqat aus. Aber bei manchen werden Ort oder Zeit oder gleichzeitig beides genannt. Aber sie werden nirgendwo näher beschrieben.

                        

Damit gehen unsere Ausführungen über den iranischen Dichter und Sufi zu Ende. Das nächste Mal werden wir eine weitere iranische Persönlichkeit der islamischen Zivilisationsgeschichte vorstellen.

 

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