May 29, 2023 07:38 CET

Zu den Berühmtheiten Irans gehört Anwari. Mit Vornamen Auhad ad-Din 'Ali Und mit vollen Namen   Auhad ad-Din 'Ali ibn Mohammad Chavarani. Er war sowohl Sternkundiger als auch Dichter.

Anwari hat im 12. Jahrhundert nach Christus im damaligen iranischen Großraum gelebt. Sein Geburtsdatum fällt in die zweite Hälfte des 6. Jahrhunderts nach der Hidschra und dem islamischen Lunarkalender. Er wird im Iran auch Anwari Abivardi genannt, denn er wurde in Abivard geboren, einer kleinen Stadt im damaligen Groß-Chorasan im Nord-Osten Irans, die heute in Turkmenistan  liegt. Wenn andere am Ende seines Namens  Chavarani anhängen, so deshalb weil sein Geburtsort Abivard in einen so benannten Distrikt von Chorasan fiel.                    

 Das genaue Geburtsdatum von Anwari kennt man nicht. Fest steht, dass er im 12. Jahrhundert nach Christus und in der Zeit lebte, als die Seldschuken herrschten.  Sein Geburtsort Abivard liegt zwischen den Orten Nusay und Sarachs. Anwari wuchs in einer Familie auf, die der Dichtung zugetan war. Als junger Mann erwarb er weitgehende Kenntnisse in der Literatur, Philosophie, Theosophie, Mathematik, Musik und Astronomie und verdiente sich den Namen Hakim, welcher gelehrigen Menschen zustand. Sein Vater hatte einen Posten und so standen dem jungen Anwari alle Möglichkeiten zum Wissenserwerb zur Verfügung. In der Madresa Mansuriyeh in Tus, welche als eine der renommiertesten jener Zeit galt, erlernte er Geistes- und Naturwissenschaften. In einem seiner Gedichte erklärt er, dass er in verschiedenen Wissenschaften den höchsten Grad erreichen konnte.

Anwari galt in seiner Zeit tatsächlich als renommierter Gelehrter und seine Gedichte enthalten damaliges Wissen und Erkenntnis. Seine Hinweise, Anspielungen und seine Verbildlichungen und kreativen Inhalte zeugen davon, dass er ein Meister in der Logik, der Musik, der Sternkunde, Naturwissenschaft, Kosmologie, Mathematik und Theosophie war.  Seine Gelehrsamkeit wird ebenso in anderen Quellen bestätigt. Aufi, ein iranischer Historiker, der im 12. bis 13. Jahrhundert lebte, hat in seinem Werk  Lubab al Albab die Gelehrigkeit von Anwari gelobt. Anwari war sehr von ibn Sina (Avicenna) überzeugt. Es heißt, dass er einige seiner Werke selber mit dem Hand abgeschrieben hat. Außerdem verfasste Anwari einen Kommentar zu dem Werk  Escharat von Avicena unter dem Titel Al Bischarat fi Scharh Escharat.

Anwari hat, als er sich um den Erwerb von Wissen bemühte, auch dichterisches Können erworben und fand schon  als junger Mann am Hofe des Sultan Sandschar Einlass. Die Mehrzahl der Literaturforscher, die sich mit seinen Werken beschäftigt haben, ist der Ansicht, dass er die meiste Zeit im Dienste dieses Seldschukenkönigs verbrachte und ihm huldigte. Anwari selber spricht davon, dass er 30 Jahre lang die Gunst dieses Sultans genoss. Aber nach Ablauf dieser Zeit zog Anwari sich aus dem Hofleben zurück. Einige sagen, dass er sich in Balch niederließ und dort Ende des 6. Jahrhunderts nach der Hidschra, 12. Jahrhundert nach Christus verstarb. Er wurde jedenfalls in dieser Stadt, die heute zu Afghanistan gehört, in dem Mausoleum des 300 Jahre vorher verstorbenen Sufis Ahmad Chisroyah beigesetzt.

                 

Man ist sich nicht darüber einig, welcher islamischen Denk- und Rechtsschule Anwari angehörte. Einige Biografen meinen, er sei ein Schiit gewesen aber der Inhalt seiner Gedichte und die Umgebung in der er gelebt hat, deuten eher darauf hin, dass er den Sunniten angehörte.  In seiner Dichtung lobt er die ersten vier Kalifen nach dem Propheten, von denen Ali (Friede sei mit ihm) der vierte war. Anwari liebte Imam Ali und den Propheten (Gottes Segen sei auf ihm und Friede seinem Hause).

In den Biografien heißt es, dass Anwari einmal während seines Studiums einen Dichter vorbeikommen sah und sich, von dessen prächtigen Erscheinung sehr beeindruckt, entschloss  eine Kasside für den Sultan Sandschar zu dichten um sich Einlass am Hofe dieses Seldschukenherrschers zu verschaffen. Dann soll Anwari mit dieser Kasside tatsächlich die Gunst von Sultan Sandschar erworben haben. Jedenfalls diente er ihm 30 Jahre lang und begleitete ihn auch auf Reisen.

Er diente seinem Gönner nicht nur auf dichterische Weise sondern auch lange als Sterndeuter. Für den 29. Dschumada ul Uchra 582 – der damals  in den Monat Oktober 1185  fiel-  sagte er auf Grund einer Deutung bezüglich des Sternzeichens Waage eine große Katastrophe voraus. Doch es ereignete sich an diesem Tag nichts.  Anwari war blamiert und musste den Spott anderer Dichter über sich ergehen lassen. Er wurde auch von Sultan Sandschar gerügt, aber Anwari begründete seine Voraussage mit dem allmählichen Eintritt des Planeten Merkurs in das Sternbild der Waage.  Später haben einige Weisen gemeint, dass die Voraussage von Anwari doch richtig gewesen sei, denn an diesem Tag wurde der berüchtigte Dschingis Chan geboren, der mit seiner Kriegslust großes Unheil anrichten würde. Nach ihrer Meinung hatte Anwari  in Wahrheit die Verwüstung von Chorasan beim Mongoleneinfall vorausgesehen.   

                   

Das dichterische Talent von Anwari wurde bereits zu seinen Lebzeiten bekannt. Viele Dichter nach ihm haben ihn wegen seines Könnens gelobt und einige haben ihn sogar einen der drei „Propheten“ der Farsi-Dichtung genannt. Um den Grund dafür besser zu verstehen, sollten wir die Zeit, in der Anwari gelebt hat, kurz betrachten. Seine Epoche lässt sich Epoche der Kassiden-Dichtung nennen, und offenbar ist Anwari wegen seiner Kassiden gelobt worden. Damals war die Kassiden-Dichtung die geläufigste Form der Dichtung und sie galt der Huldigung der Könige und Herrscher. Mit ihren Kassiden konnten  die Dichter deren Gunst gewinnrn und ein gutes Leben führen. Dr. Abdul Hasan Zarinkub, ein bekannter iranischer Schriftsteller und Literaturforscher sagt über die charakteristischen Merkmale der Kassiden-Dichtung zur Zeit von Anwari, dass in dieser Dichtung den Herrschern völlig übertrieben gehuldigt wurde. Ihnen wurden  alle guten Eigenschaften zugeschrieben, wie wohltätig und kühn, starl und siegreich. Diese Kassiden steckten voller Lügen und die Poeten forderten offen oder indirekt ein teures Geschenk von dem Gehuldigten, wie eine kostbare Robe oder ein anderes kostspieliges Gut.

Anwari hat alle Ersparnisse seines Vaters für Vergnügen ausgegeben und sein Gott gegebenes Talent für ein fröhliches Leben verschwendet. Er widmete sich intensiv der Poesie und bald gehörte er zu den namhaften Kassiden-Dichtern seiner Epoche. Natürlich können diese Art seiner Gedichte in unserer heutigen Zeit nur für Leute vom Fach schön klingen, die genau die besonderen Umstände seiner Epoche kennen.  Bei der Allgemeinheit finden die Lobgedichte Anwaris jedoch keinen Anklang.  Aber außer solcher Poesie hat Anwari auch  Kurzgedichte und Vierzeiler und Ghazelen hinterlassen, die lesenswert sind.  Die Literaturkenner sind der Ansicht, dass Anwari viele stilistische Neuerungen in die Kunst der Dichtung eingebracht hat. Bei einem Vergleich mit anderen Dichtern seiner Epoche  wird deutlich, dass er großen Einfallsreichtum besaß und viel Kreativität in seiner Dichtung an den Tag gelegt hat.

                  

Typisch für die Gedichte von Anwari ist seine Fähigkeit,  etwas auf erzählerische Weise oder als Gespräch zwischen zwei oder mehreren Personen darzustellen. Bei anderen Kassidendichter dieser Epoche  treffen wir dieses Stilelement nicht an.  

Hier ein Gedicht von ihm; zunächst die annähernde Übersetzung und dann das Original:

Der Gärtner roch  am  Veilchen

Und sprach: „Du Buckel im blauen Kleidchen

Warum krümmst du dich schon?

Du bist noch nicht alt und schon beugst du dich?“

„Alt ist jemand, den die Zeit gekrümmt hat“, sprach das Veilchen,

“und ist man jung,  muss man sich beugen und bescheiden.“

 
باغبانی بنفشه می بویید
گفت ای گوژپشت جامه کبود
این چه حالست از زمانه ترا
پیر ناگشته در شکستی زود
گفت پیران شکسته دهرند (= روزگارند)
در جوانی شکسته باید بود.

 

Der bekannte Literaturkenner Dr. Schafii Kadkani ist hinsichtlich der dichterischen Sprache des Anwari der Meinung, dass es die einfachste und natürlichste seiner Epoche war. Er sagt keiner hat sich vor ihm so einfach ausgedrückt und nach ihm war es ein Jahrhundert später nur Saadi,  der diesbezüglich noch mit ihm vergleichbar ist.

Anwari kannte alle Niveaus der Farsi-Sprache von der einfachen Ausdrucksweise des Volkes bis zur Sprache der vornehmen Gesellschaftsschichten. Neben den Sprechweisen der eigenen Epoche kannte er sich auch mit älteren Sprechweisen aus.

                  

Die Gedichtsammlung von Anwari (Diwan) dient  den Literaturwissenschaftlern als eine der wichtigsten Quellen zur Untersuchung der neupersischen Poesie im 6. Jahrhundert nach der Hidschra (12. Jahrhundert nach Christus). Sie würde auch viele Anhaltspunkte bei der  Untersuchung der sozialen Werte und Bevölkerungsstrukturen und deren Wandel bis Ende jenes Jahrhunderts liefern. Aus diesem Blickwinkel ist sie jedoch bislang weder im In- noch im Ausland untersucht worden. 

Liebe Hörerfreunde, in unserer nächsten Folge wird es noch einmal um diesen Dichter und um sein Werk gehen.  

 

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