So wird gesagt- Teil 12
Ein alter Gärtner hatte einen wunderschönen Garten.
Jeden Morgen ging er in aller Frühe in ihm spazieren und genoss die frische Morgenluft. In seinem Garten gab es einen Rosenstrauch. Er liebte es, seine Blüten eingehend zu betrachten und deren Duft einzuatmen. Dann sagte er zu sich: „Die Nachtigallen haben recht, dass sie die Rosen lieben. O ja! Rosen sind wunderbar! Sie erfreuen das Herz.“
Eines Tages als der Gärtner wieder frühmorgens im Garten war sah er eine Nachtigall auf seinem geliebten Rosenstrauch sitzen. Sie sang wunderschön, aber während sie sang, zupfte sie einer Rose die Blütenblätter ab. Ein Blütenblatt nach dem anderen fiel auf die Erde bis nur noch der Stängel übrig war.
Der Gärtner lauschte dem Gesang er Nachtigall und war erfreut, dass sie sich auf seinem Rosenstrauch so wohl fühlte. Doch es tat ihm weh, wenn er die Blütenblätter zur Erde fallen sah. Schließlich bemerkte die Nachtigall die Gegenwart des Gärtners und flog davon.
Am nächsten Tag sah der Gärtner die Nachtigall wieder auf dem Rosenstrauch sitzen und Blüten zerpflücken, hörte ihren lieblichen Gesang und bedauerte die zerpflückten Blüten. Er dachte: „Ich kann verstehen, dass die Nachtigall Rosen liebt. Aber Blumen sind dazu da , dass man sie betrachtet und ihren Duft einatmet . Sie sind nicht dazu da, dass man sie verpflückt.
Darf die Nachtigall den Rosenstrauch so einfach zerstören?“
Am dritten Tag zerriss dem Gärtner schließlich der Geduldsfaden, als er die Nachtigall wieder im Rosenstrauch sitzen sah und sie die verstreuten Blätter auf dem Boden besingen hörte. Er rief: „Eine Nachtigall, die ihre Freiheit missbraucht, gehört in den Käfig.“ Dann fing er den Vogel ein und sperrte ihn hinter Gitter.
Der Gärtner schalt die Nachtigall: „Du bleibst in diesem Käfig, damit du Bescheid weißt was mit denen passiert, die die Blütenblätter einer Rose abreißen. Du wusstest nicht, wie du mit deiner Freiheit umgehen musst!“
Die Nachtigall klagte: „Lieber Freund! Wir beiden lieben Rosen. Du züchtest sie und machst mir eine Freude damit. Und du kannst dich dafür an meinem Gesang erfreuen. Ich möchte wie du frei sein und im Garten hin und her fliegen. Warum sperrst du mich ein? Wenn du mich singen hören will, dann lass mich frei! Dein Garten ist meine Heimat und ich werde dort Tag und Nacht für dich singen.“
Der Gärtner sagt: „Gut, was deinen Gesang und dein Trällern betrifft, so gebe ich dir Recht. Aber du hast meinen schönen Rosenstrauch beschädigt und mir meine Freude genommen. Wenn du frei bist und singst, scheinst du dich nicht mehr beherrschen zu können und machst vor lauter Verzückung meine Rosen zunichte. Du musst dafür bestraft werden!“
Die Nachtigall klagte: „Ach wie ungerecht du bist! Du hast mich eingesperrt und mich zutiefst betrübt. Glaubst du nicht, dass deine Sünde größer ist als meine?. Du hast mir das Herz gebrochen, aber ich habe nur ein paar Blüten zerpflückt!“
Der Gärtner dachte ein wenig über die Worte der Nachtigall nach und ließ sie wieder frei. Die Nachtigall schwang sich in die Luft, setzte sich beglückt auf den Rosenstrauch und trällerte:
„Weil du gut zu mir warst, möchte ich dir auch etwas Gutes tun. Schau! Hier unter diesem Baum liegt ein Krug mit vielen Goldmünzen in der Erde. Genau dort, wo du stehst, hat ihn jemand vergraben. Hol ihn hervor und erfreue dich daran!“
Diese Geschichte wurde in Anlehnung an Kalileh wa Demneh wiedergegeben, aber nun zu unserem heutigen Sprichwort
nämlich: Am Ende wird aus einem Eierdieb ein Kamelsdieb.
Ein kleiner Junge aß gerne Eier und am liebsten Spiegeleier. Eines Tages hatte er wieder großen Appetit auf ein Spiegelei und bat seine Mutter ihm eines zuzubereiten. Die Mutter versprach: „Natürlich bekommst du ein Spiegelei. Aber du musst warten, bis unser Huhn wieder ein Ei gelegt hat.“ Das Kind aber hatte keine Lust zwei Tage zu warten, bis ihr Huhn ein Ei legt. Es ging aus dem Haus.
Der Nachbar hatte gleich mehrere Hühner und der kleine Wicht, der nicht wusste was Diebstahl bedeutet, kam plötzlich auf die Idee sich einfach beim Nachbarn ein paar Eier wegzunehmen. Das tat er dann auch und lief freudig nach Hause zurück. Er gab die Eier sein Mutter und sagte: Nun kannst du mir ein Spiegelei machen.
Seine Mutter sagte: „O weh, wo hast du die Eier her?“
Das Bürschchen sagte lachend: „Aus dem Hühnerstall nebenan“.
Anstatt dass die Mutter nun mit ihm schimpft und ihm erklärt, dass er nichts stehlen darf und die Eier wieder zurücklegen muss, fragte sie nur: „Hat dich jemand gesehen?“
Der Junge sagte „Nein, Mama! Keiner!“ Und dachte bei sich: „Aha! Der Nachbar darf also nicht merken, wenn ich mir Eier wegnehme.“
Die Mutter mahnte ihn noch kurz: „Das war nicht richtig, dass du beim Nachbarn Eier gestohlen hast“, bereitete ihm aber dann liebevoll das Spiegelei zu und gab es ihm zu essen.
Einige Tage später als sie wieder keine Eier zu Hause hatten, schlich ihr Sohn erneut zum Nachbarn, wobei er gut aufpasste, dass keiner ihn sieht. Dann nahm er sich schnell ein paar Eier und rannte nach Hause zurück.
Seine Mutter schimpfte nicht richtig mit ihm und fragte nur: „Haben dich die Nachbarn gesehen oder nicht?“ Zwar mahnte sie ihn wieder milde: „Mein Sohn, das ist nicht richtig, was du tust.“ Dann aber brachte sie die Spiegeleier und beide aßen es gemeinsam auf.
Der Junge wuchs heran und hatte sich das Stehlen von kleinen Dingen angewöhnt. Er brachte es nach Hause oder verbrauchte es mit seinen Freunden, die nicht besser als er waren. Nach einigen Jahren war er ein ausgewachsener junger Mann. Da kam er auf die Idee etwas Großes zu stehlen, und zwar ein Kamel. Aber der Kamelsbesitzer bekam ihn zu fassen.
Der junge Bursche war vorher niemals beim Stehlen erwischt worden. Er versuchte schnell wegzulaufen, aber es war zwecklos. Der Kamelsbesitzer brachte ihn vor den Richter.
Als der Richter sich sicher war, dass er einen Dieb vor sich hatte, fällte er das Urteil, nämlich dass dem Dieb die Finger abzuschlagen seien. Der Bösewicht sah den Henker kommen und begann zu schreien: Haltet ein! Bitte ruft erst meine Mutter herbei.
Der Richter ließ seine Mutter kommen. Da sagte der Dieb:
„Wenn jemand bestraft werden muss, dann meine Mutter. Denn sie hat mich nicht an den kleinen Diebstählen gehindert. Ich hab immer nur ein paar Eier gestohlen, aber sie hat aus mir einen richtigen Dieb gemacht.“
Die Mutter gestand ihren großen Fehler ein. Da steckte der Richter sie ins Gefängnis und ließ den Dieb frei.
Aufgrund dieser Geschichte, liebe Hörerfreunde, entstand das Sprichwort: Aghebat tochm Morgh dozd schetor dozd mischawad . Am Ende wird der Eierdieb zum Kamelsdieb. Bei Anwendung dieses Sprichwortes ist folgendes gemeint: Hindert man jemanden nicht an den kleinen schlechten Taten, wird er eines Tages schlimme Taten im Großformat begehen.