Oct 07, 2016 05:41 CET

In der Regel  muss der Mensch nach  der Auferstehung von den Toten mehrere Stationen hinter sich bringen muss. Eine dieser Stationen – auf Arabisch „Mawaqif“ – ist Mawqif Mizan – die Station der Waage, wo die Taten des Menschen gemessen werden. Unterdessen wird am  Mawqif Hisab – der Station der Abrechnung-  das Verhalten des Menschen im Diesseits überprüft und der Mensch wird über jede einzelne Tat befragt.

  

 

Als Beleg kann uns der Vers 93 in der Sure Nahl (Sure 16) dienen, wo es im letzten Abschnitt heißt:

…und ihr werdet gewiss zur Rechenschaft gezogen werden für das, was ihr getan habt.“

Wir möchten diesmal  ausführlicher über diese Befragung  sprechen.

Gerechtigkeit ist eine klare Eigenschaft Gottes. Gott  vergilt jedem entsprechend seiner Taten. Er zieht  nach der Auferstehung von den Toten in seinem Gericht Bilanz über die Taten des Menschen und vor diesem Gericht wird die göttliche Vergeltung für die Taten des Menschen – ob nun Strafe oder Lohn – klargestellt.

Jemand fragte Imam Ali (Friede sei mit ihm),  wieso es an der einen Stelle im Koran heißt, dass keiner am Jüngsten Tag redet und an anderer Stelle steht, dass  jemand mit Gottes Erlaubnis spricht,  einige ihre Götzenanbetung leugnen oder Höllenkandidaten miteinander streiten.

Imam Ali (Friede sei ihm) antwortete:  „Jeder dieser Verse bezieht sich auf eine andere Station des Auferstehungstages. An  einer Station versammelt Gott alle Menschen umeinander und sie werden in Gruppen aufgeteilt. Sie reden miteinander und einige bitten für andere um Vergebung und einige verfluchen die anderen. An einer anderen Station weinen sie wegen ihrer schlimmen Situation  und an einem anderen Ort werden sie befragt und sie werden behaupten, sie seien keine Götzenanbeter gewesen.  Doch Gott versiegelt dann ihre Münder und er befragt ihre Organe und Körperglieder.  An einer anderen Station ergreifen  die Menschen Flucht vor einander. Dort werden die Propheten Zeugnis ablegen und … „ (Tawhid, Scheich Saduq) .

Gemäß einigen Überlieferungen erhält jede dieser Stationen von Gott eine Funktion. Eine Station gilt der Überprüfung der religiösen Überzeugung,  eine dem Ritualgebet, eine dem Fasten und eine dem Hadsch, eine weitere der Chums- und Zakkat-Abgabe. Dann gibt es eine Station in Bezug auf die Beziehungen in der Familie und eine für die Pfandtreue,  eine für das Recht der Menschen und eine andere für das Recht der Tiere usw.

Laut Überlieferung sah  der Erhabene Prophet (Der Segen Gottes sei auf ihm und Friede den Edlen aus seinem Hause) einmal ein schwerbeladenes Kamel,  das der Besitzer stehengelassen hatte, um eine Sache zu erledigen. Da sagte er: „Sagt dem Besitzer dieses Tieres  er soll sich darauf gefasst machen,  dass er am Jüngsten Tag (an der Station der Abrechnung) für dieses Verhalten Rechenschaft ablegen muss.“ (Bihar ul Anwar, Bd. 7)  

Über die Reihenfolge der Stationen im Qiamah gibt es verschiedene Aussagen. Die meisten Überlieferungen führen die Station über die Fragen  nach dem Glauben an erster Stelle an. Zum Beispiel heißt es von Imam Ridha (Friede sei ihm): „Das Erste, wonach der Mensch am Jüngsten Tag gefragt wird,  ist das Bekenntnis zur Einheit Gottes und zur Aussendung des Propheten des Islams.“ (Bihar ul Anwar, Band 24).  In einer Überlieferung vom Propheten heißt es: „Niemand geht am Jüngsten Tag weiter, ohne dass er in Bezug auf vier  Dinge gefragt wurde:

 „In Bezug auf sein Leben, (wird er gefragt) welchen Weg er gegangen ist, und  in Bezug auf seine Jugend, auf welchem Weg er sich befand.

In Bezug auf seinen Besitz (wird er gefragt), wie er an ihn gelangt ist und für was er ihn verwendet hat.

Und er wird über die Freundschaft zu mir und zu denen aus meinem Hause gefragt werden.“(Amali, Scheich Saduqi).

Gemäß diesem Hadith wird der Mensch also als Erstes über sein Leben gefragt und damit über das wichtigste Kapital, das ihm zur Verfügung gestanden hat.

Das Kapital Leben nimmt jeden Tag  ab. Fachr Razi, der große iranische Koranexeget und Rechtsgelehrte schreibt in seinem Tafsir-e Kabir:

„Einmal kam ich im Sommer an einem Eisverkäufer vorbei, der rief: `Ihr Leute! Kommt und kauft Eis! Habt Erbarmen mit jemandem, dessen Kapital schmilzt.` Da fiel mir die Sure „Asr“ (Sure 103) in der darüber steht, dass der Mensch Verluste hat. Und wo es heißt:  „(Bei der Zeit!) Jeder Mensch ist (auf die eine oder die andere Art) dem Verlust ausgesetzt, außer denen, die glauben, gute Werke verrichten, einander empfehlen, bei der Wahrheit zu bleiben und einander empfehlen, Geduld zu üben.“

Und Fachr Razi fügt in Bezug auf die rechtschaffenen Gläubigen hinzu: „Diese  haben ihr Kapital vergrößert.“ 

Ein außergewöhnliches Phänomen am Jüngsten Tag im Reich der Abrechnung (Hisab)  besteht darin, dass alle Augenblicke des Lebens und die Taten in diesem Augenblicken in Erscheinungen treten. Wenn der Mensch diese Augenblicke gut genutzt hat, wird er am Jüngsten Tag erfreut und anderenfalls wird er betrübt sein und das Versäumte bereuen. Der Erhabene Prophet des Islams (S) hat in einem lehrreichen Wort gesagt:  „Wenn der Jüngste Tag begonnen hat, werden für jeden Tag entsprechend der Stundenzahl 24 kleine Truhen geöffnet. Für jede Stunde, in der der Mensch Gott dem Höchsterhabenen gehorcht hat wird eine Truhe geöffnet und der Gottesdiener sieht, dass sie voller Licht und Freude ist. In dem Moment freut er sich so sehr, dass wenn seine Freude unter allen Hölleninsassen aufgeteilt würde,  keiner mehr die brennende Hitze des Feuers verspüren würde.

Dann wird eine andere Truhe geöffnet und er sieht,  dass sie voller Finsternis ist und bemerkt einen entsetzlichen Gestank in ihr. Eine  Truhe wie diese bezieht sich auf eine Stunde, in der er Gott dem Allmächtigen nicht gehorcht hat. Und ihm wird so schlecht, dass  wenn sein schlechter Zustand  auf alle Paradiesbewohner aufgeteilt würde,  die Freude an den Paradiesgaben dadurch getrübt würde.

Danach wird  eine weitere Truhe geöffnet und der Mensch sieht, dass sie völlig leer ist, d.h. ihr Inhalt bereitet ihm weder Freude noch Qual. Diese Truhe ist die Stunde, in der er geschlafen hat oder mit einer Sache beschäftigt war, die mubah ist,  (d.h. indifferent). In dem Moment  verspürt er einen Verlust und bedauert es, warum er nicht die schicksalhaften Gelegenheiten genutzt hat,  wo er sie doch mit guten Werken und Licht und einer unbeschreiblichen Freude hätte füllen können.“

Dann fügte der Prophet hinzu: „Deshalb wird im Heiligen Koran in der Sure Tabaghan ( 64) der Jüngste Tag `Tag des Verlustes`“ genannt.“  (Bihar al Anwar, Band 7)

(Anmerkung: Als "indifferent" wird eine Handlung beschrieben, die zwar erlaubt ist, deren Alternative aber keinen Wertunterschied darstellt, z.B. ob man Reis oder Nudeln isst). (entnommen aus eslam.de))

Im Laufe eines Tages hat der Mensch oftmals sowohl gute Taten vollbracht als auch Hässliches begangen und alles steht im Buch seiner Taten eingetragen. In Wahrheit ist sein ganzes Leben angefüllt mit Schlechtem und Guten. Es stellt sich also die Frage, ob sich diese gegensätzlichen Handlungen aufeinander auswirken? Werden je nach Anzahl und Qualität der guten Taten die schlechten getilgt oder umgekehrt? Bliebe denn noch etwas übrig, wenn die schlechten und guten Taten sich gegenseitig alle aufheben? Oder bleiben alle Handlungen bewahrt und wirken sie nicht tilgend auf einander?

                              

Einige Islamische Gelehrten sagen, dass alle Handlungen bestehen bleiben und sie sich nicht aufeinander auswirken. Andere sind der Ansicht, dass genau das Gegenteil der Fall ist, nämlich dass sie einander tilgen und wenn die guten Handlungen überwiegen, der Mensch ins Paradies eingelassen wird  und  er umgekehrt beim Überwiegen der schlechten  in die Hölle gelangt.

Vielleicht ist es besser wenn wir sagen, dass das Schlechte oder Gute seine negativen bzw. guten  Folgen für den Menschen hat, es jedoch keine negativen Folgen mehr gibt, wenn der Mensch aufrichtig die schlechten Taten bereut und Gott ihm statt der schlechten sogar gute Taten  anrechnet.  Gott verspricht letzteres im  Vers 70 der Sure Firqan (Sure 25). Nachdem Er  vorher Sündern Vergeltung  angekündigt hat, heißt es nämlich in diesem Vers:

„außer denen, die bereuen und glauben und gute Werke tun; denn deren böse Taten wird Allah in gute umwandeln;  Gott ist voller Vergebung und Erbarmen.“

Imam Baqir (Friede sei ihm) sagt darüber, wie Gott das Schlechte in Gutes verwandelt: „An der Station der Verrechnung (Hisab), wird Gott der Höchsterhabene selber die Regelung  der sündigen Gläubigen, die reuevoll umgekehrt sind, übernehmen und außer Gott wird niemand über ihre Abrechnung erfahren … In jenem Mawqif (der Station Hisab)  spricht Gott zu den Schreibern der Taten: „Verwandelt seine hässliche Taten und Besudelungen und Sünden und falsche Liebe in gute Werke.  Und er zeigt den anderen Menschen das Gute an ihm. Da werden die Menschen sagen: `An diesem Diener haftet auch nicht eine böse Tat!`  Dann befiehlt Gott, dass sie ihn ins Paradies bringen.“

Dieser Überlieferung entnehmen wir, wie Gott an der Station der Verrechnung die Sünden in gute Handlungen verwandelt und außerdem enthält sie den Hinweis darauf, dass Gott an dieser Station  ausschließlich dem  reuevollen Menschen und keinem anderen seine Sünden zeigt. Gott verbirgt also die Sünden dieses Dieners vor den anderen und dies ist in sich auch schon eine große Huld seitens Gott, des Gnadenvollen. 

 

 

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