Jan 05, 2017 19:04 CET

Am anderen Ufer des Meeres lebte einst ein tyrannischer König.

Sein Volk hasste ihn. Dieser Tyrann vergnügte sich von Morgens bis abends, während sein Volk unter großer Armut litt. Selbst seinen Soldaten zahlte er einen Hungerlohn und behandelte sie ruppig. Die Kerker waren vollgestopft mit Gefangenen. Viele machten sich auf den Weg in ein anderes Land und so schrumpfte die Bevölkerung immer mehr. Wer blieb und sich beschwerte, der landete im Gefängnis.

Eines Tages trug einer der Hofdichter dem König ein Kapitel aus dem Buch der Könige von Ferdowsi vor. Es handelte von dem Untergang des Zahak. Zahak war ein großer Tyrann und Ausgeburt des Bösen. Freydun besiegte ihn. Der Minister fragte den König: „Wisst ihr, wie Freydun, der weder Schätze noch Land noch ein Heer besaß den Zahak besiegen konnte?“ Der König überlegte und sagte dann: „Im Buch der Könige steht, dass sich das Volk um Freydun herum versammelte und ihm half. Das Volk war die Unterdrückung leid. Es erhob sich gegen den König und verhalf Freydun auf den Thron.“

Da sagte der Minister: „Majestät! Wenn jemand dadurch zum König wird, dass er das Volk um sich versammelt, warum verscheucht Ihr dann das Volk? Möchtet Ihr nicht weiter König bleiben?“

Der König fragte: „Wie kann ein König das Volk um sich versammeln, damit es ihm hilft?“ Der Minister sagte: „Der König muss barmherzig und großzügig sein. Es sind Eigenschaften, die Ihr leider nicht besitzt.“

Da wurde der König böse und ließ den Wezir einkerkern. Lange Zeit blieb der Wezir eingesperrt, während der König nur noch mehr seine Untertanen unterdrückte. Das Volk wartete nur auf einen geeigneten Moment um ihn abzusetzen. Als den Vettern des Königs klar wurde, welches Chaos im Lande herrschte, traten sie vor den König und forderten: „Auch unsere Väter haben sich für dieses Königreich eingesetzt. Du warst eine Zeitlang König. Nun sind wir an der Reihe.“

Natürlich beugte sich der König nicht. Aber seine Vettern hatten schon alles auf seinen Sturz vorbereitet und das Volk auf ihrer Seite. Sie setzten den Tyrannen ab und brachten einen neuen König an die Macht. Der ließ den weisen Wezir aus dem Gefängnis holen. Während der alte König nun bereute, dass er nicht dem Rat seines Wezirs gefolgt war, sagte dieser zu dem neuen Herrscher auf dem Königsthron: „Dir wird dasselbe widerfahren, wie deinem Vetter, wenn du das Volk unterdrückst. Das Volk wird sich dann auch gegen dich erhaben. Nimm diesen Ratschlag ernst!“

Es heißt nicht umsonst, dass keine Herrschaft, die auf Unrecht beruht, bestehen bleiben kann und jeder Tyrann noch auf dieser Welt seine Strafe erfährt.

Nach unserer Geschichte, die aus dem Golestan des bekannten Dichters Saadi stammt , folgt unser Sprichwort nämlich Schetor ra ba namad Dagh mikonanad.

Ein Mann hatte ein Kamel . Mit seinem Kamel brachte er für andere Lasten von einem Ort zum anderen. Es war für beide ein anstrengende Arbeit. Der Kamelsbesitzer wollte seinem Tier nicht zu große Lasten zumuten. Aber er hatte ja nur dieses eine Tragtier.

Einmal hatte er seinem Kamel Obst aufgeladen, und brachte es auf den Markt. Als er das Obst vom Rücken seines Kamels ablud, atmete das Kamel erleichtert auf. Da sah es einen Artgenossen vorbeikommen

Die beiden Kamele begrüßten sich nach Kamelmanier und kamen ins Gespräch. Das Kamel, dem noch der Rücken von der schweren Obstlast schmerzte, seufzte: „Von morgens bis abends muss ich schwere Lasten durch die Gegend tragen. Ich wünschte, mein Besitzer hätte zwei Kamele. Ergeht es dir genauso?“ Das andere Kamel meinte: „Mein Besitzer hat auch nur mich. Aber ich lass mir nicht zu viel aufladen.“

Da sagte das andere Kamel: „Ja?? Erklär mir du wie du das schaffst!“

Das andere Kamel wieder: „Ich probiere alles mögliche. Mal springe ich hoch und runter, mal stelle ich mich schwach. Zum Beispiel gestern ! Da hat mir mein Besitzer eine große Menge Salz aufgeladen. Als wir durch den Fluss wateten, habe ich so getan, als ob meine Kräfte nachlassen und mich ins Wasser gehockt. Da hat der Fluss jede Menge Salz mitgenommen und mein Last war plötzlich viel leichter.“

Die beiden Kamele verabschiedeten sich voneinander.

Am nächsten Tag band der Kamelbesitzer kein Obst sondern eine schwere Ladung Salz auf dem Rücken seines Kameltieres fest. Als das Kamel den Fluss durchwaten sollte, ließ es sich einfach mitten im Fluss nieder . Was sein Besitzer auch tat, das Kamel wollte nicht wieder aufstehen. So kam es, dass ein Teil des Salzes verloren ging. Als das Kamel merkte, dass die Last leichter geworden war, stand es wieder auf und ging erfreut weiter. Sein Besitzer aber war wütend, denn er hatte das Gefühl, dass dies kein Zufall gewesen war. Nie hätte er gedacht, dass sein Kamel ungehorsam sein würde. Nun musste er dem Salzbesitzer Schadenersatz zahlen.

Bis zum Abend war er verärgert. Aber er wusste: „Wenn er sein Kamel mit ein paar Hieben strafen würde, dann würde es vielleicht einige Tage lang überhaupt keine Last tragen können.“

So beherrschte er sich.

Am Morgen des nächsten Tages hatte sich sein Zorn wieder etwas gelegt. Aber er grollte seinem Kamel noch immer. An dem Tag kam der Filzmacher zu ihm. Der bat ihn, eine Ladung mit Filzware zum Markt zu bringen. Die Filze waren aus reiner Wolle und schwer. Das Kamel, das sich noch freudig an den Erfolg vom letzten Tag erinnerte, wollte auch diesmal etwas tun, damit die Last auf seinem Rücken leichter wird.

Der Kamelbesitzer nahm das Kamel am Zügel und die beiden setzten sich in Bewegung. Das Kamel schwankte ein wenig unter der schweren Last. Es machte vergeblich ein paar Sprünge um die Filze abzuwerfen, aber die waren fest angebunden. Als sie schließlich am Fluss ankamen, freute es sich, denn es dachte an die Salzladung von gestern, die sich zur Hälfte im Wasser aufgelöst hatte. Diesmal würde es sich auch einfach wieder mitten im Fluss hinsetzen. Und das tat es dann auch:

So sehr der Kamelbesitzer das Kamel am Halfter zog, das Kamel wollte nicht wieder aufstehen. Dem Kamelsbesitzer blieb nichts anderes übrig als abzuwarten.

Schließlich dachte das Kamel: Nun ist meine Last bestimmt leichter geworden. Es stand auf, aber entgegen aller Erwartung, war die Last noch viel schwerer als vorher, denn der ganze Filz hatte sich mit Wasser vollgesaugt. Der Kamelsbesitzer musste das Tier unter großen Mühen aus dem Fluss holen. Aber er freute sich, denn sein Kamel würde nie wieder Lust darauf verspüren, sich in einem Fluss hinzuhocken.

Das heutige Sprichwort: schetora ba namad Dagh mikonand, nämlich „das Kamel wird mit Filz bestraft“ verwendet man, um zu sagen: Schlechtes hat Schlechtes zur Folge und es kann sein, dass jemand der Schlechtes getan hat, auf eine Art, mit der er nicht gerechnet hat, bestraft wird, wie das ungehorsame Kamel mit dem Filz.