Jan 05, 2017 21:30 CET

Liebe Hörerfreunde! Sie hören heute wieder eine Geschichte aus dem Mathnawi von Molana Rumi.

Es war einmal ein König, der wünschte sich, immer König zu bleiben. Eines Tages hatte er einen weisen Gast. Der verriet ihm ein Geheimnis und sagte: „Ich kenne einen Baum, der die Frucht des Lebens trägt. Wer diese Frucht verzehrt, wird ewig leben. Dieser Baum wächst in Indien und ist als Baum des Lebens bekannt.“

Da freute sich der König! Und dachte nur noch an eins:

An die Früchte dieses Baumes zu gelangen, davon zu essen und immer König zu bleiben.

Er gab einem seiner Vertrauten Anweisung, sofort nach Indien zu gehen und diese Frucht zu besorgen . Er versprach ihm, ihn zum Großwezir zu machen, wenn er sie besorgt und gab ihm eine große Menge von Goldmünzen mit auf den Weg. 

Der Bote des Königs machte sich auf den Weg nach Indien und suchte dort überall nach dem Baum des Lebens. Aber auch nach zwei Monaten hatte er ihn nicht aufgespürt. Keiner wusste etwas von einem solchen Baum. Er klopfte an jedes Haus, ging in jede Stadt und jedes Dorf und fragte auch die Nomaden. Ganz Indien erfuhr von dieser Geschichte und belustigte sich über ihn. Einige sagten ihm: „Du armer Kerl. Du suchst nach einem Baum, den es nicht gibt! Wenn es ihn gäbe, würden dann jeden Tag so viele Menschen krank werden und sterben?“

Andere nahmen ihn auf den Arm: „Such weiter! Du wirst ihn bestimmt finden!“ Einige foppten ihn sogar und schickten in an einen Ort, wo angeblich der Baum des Lebens wächst.

Jedenfalls ließ der Bote des Königs nichts ungelassen. Aber er konnte den Baum nicht finden, gab schließlich die Suche auf und trat den Rückweg an.

Unterwegs erfuhr der Königsbote von einem weisen alten Mann, der abgelegen in den Bergen wohnt. 

Dieser alte Mann, so hieß es, könne alle Fragen beantworten.

Der Bote des Königs suchte den Weisen in den Bergen auf. Er berichtete von seinem Auftrag und sagte: „Ja! Nun hat sich herausgestellt , dass jener Gelehrter damals vor dem König die Geschichte über den Baum des Lebens erlogen hat.“

Der alte weise Inder lachte und sagte: „Nein, du irrst dich! Er hat die Wahrheit gesagt. Es gibt einen solchen Baum, aber nicht jeder kann ihn so leicht ausfindig machen.“

Der Bote fragte er freut: „Wirklich? Warum habe ich diesen Baum dann nicht gefunden?! Habe ich nicht überall danach gesucht? Wo gibt es diesen Baum?

Da lachte der Weise wieder: „Junger Mann! Dieser Baum ist der Baum des Wissens. Er ist sehr hoch und wunderbar, und seine Früchte spenden Leben. Wenn du ihn nicht gefunden hast, liegt dies daran, dass du nur nach der äußeren Form eines Baumes gesucht hat und nicht an den verborgenen Sinn gedacht hast. Ewiges Leben ist die geringste Frucht, die der Baum des Wissens spendet.“

So fand der Bote des Königs seine Antwort und kehrte freudig in seine Heimat zurück.

Unser dieswöchiges Sprichwort hört sich auf Persisch wie folgt an: Hanus Asb nacharideh Aghuresch ra mibandad.

Es wird erzählt, dass ein armer Mann sich ein Pferd kaufen wollte, um es als Lasttier zu benutzen und auf diese Weise sich sein Geld zu verdienen.

Der Gedanke, dass er im Besitz eines Pferdes sein könnte, machte ihn glücklich. Schnell ging er zu seiner Frau und fragte: „Wo hast du Spitzhacke und Schaufel hingestellt?“ Seine Frau dachte, dass er endlich eine Arbeit gefunden hatte und antwortete freudig: „In den Keller!“

Der Mann rannte in den Keller. Seine Frau dachte er wolle Hacke und Schaufel mit zur Arbeit nehmen. Aber da sah sie wie ihr Gemahl neben der Haustür die Mauer zu zertrümmern begann. Sie schaute fassungslos stumm eine Zeitlang zu und fragte dann besorgt: „Was hast du vor? Wieso zertrümmerst du die Hausmauer?“

Der Mann erwiderte: „Ich will ein Pferd kaufen, und mit ihm Lasten für die Leute von einem Ort zum anderen bringen. Ein Pferd braucht doch eine Futterkrippe. Ich werde hier eine Futterkrippe für es anlegen…!“

Seine Frau sagte ärgerlich: „Eine Futterkrippe? Direkt neben unserer Haustür?“

Der Mann sagte: „Ja warum nicht?“

Die Frau wieder: „Hast du nicht an unser Kind gedacht? Es kommt in drei Monaten auf die Welt und wenn es später in die Schule geht und mittags nach Hause kommt, muss es an dem Pferd vorbei! Nein ich lasse nicht zu, das du das machst!“

Der Mann sagte: „Nun was ist denn dabei, dass unser Kind an unserem Pferd vorbeikommt, wenn es das Haus betritt?“

Die Frau wetterte: „Du bist nicht im Bilde! Wenn unser Kind an dem Futterkrippe vorbei kommt, wird das Pferd es treten!“

Der Mann sagte: „Das bist du dann schuld, weil du dein Kind nicht richtig erzogen hast. Denn sicher will dein Kind das Pferd besteigen und das Pferd wird sich das nicht gefallen lassen.“

Da rief die Frau: „Ja, du willst nur mir die Schuld geben! Du bist doch schuld, wenn du ein Pferd ins Haus bringt, dass um sich tritt!“

Da konterte der Mann: „Wie?! Erwartetest du etwa dass ich ein mageres Pferd nach Hause bringe, dass sich nicht wehren kann? Mit einem mageren Pferd kann ich doch nichts anfangen!“

Er griff nach Schaufel und Spitzehacke , aber die Frau packte den Stiel der Schaufel mit der einen und den Stiel der Hacke mit der anderen Hand und wollte nicht loslassen. Der Mann begann laut zu schimpfen und die Frau zeterte. Die Nachbarn kamen herbei .

Die Nachbarn waren gekommen, um zwischen den beiden zu schlichten. Einer nahm ihnen Hacke und Spaten ab und sagte: „Warum geht ihr mit Schaufel und Spitzehacke aufeinander los. Was ist denn passiert?“

Der Mann erklärte: „Ich will hier eine Futterkrippe für mein Pferd bauen, aber meine Frau verbietet es mir.“

Die Frau sagte: „Ich habe gar nichts dagegen. Ich möchte nur, dass du nicht an dieser Stelle eine Futterkrippe baust. Hier ist doch die Haustür! Wenn unser Kind aus der Schule kommt ....“

Die Nachbarn fragten : „Und wo ist denn dieses Pferd?“

Der Mann sagte: „Ich habe es noch nicht gekauft. Ich muss erst Geld sparen!“

Da mussten alle lachen: Du hast noch gar kein Pferd gekauft und baust ihm jetzt eine Futterkrippe?

Aus der Geschichte entstand das Sprichwort, dass wir zu Beginn auf Persisch nannten. Es lautet übersetzt: Noch kein Pferd gekauft und schon die Futterkrippe gebaut.

Dies sagt man wenn jemand sich intensiv bereits den Folgen eines Vorhabens zuwendet, obwohl er dieses Vorhaben noch gar nicht durchgeführt hat .