So wird gesagt- Teil 34
Hiermit sind Sie, liebe Hörerfreunde, wieder zu einer Geschichte und einem iranischen Sprichwort eingeladen!
Es war einmal ein König. Er war schon alt, aber er hatte keinen Nachkommen. Da ließ er alle Minister kommen und teilte ihnen seinen Letzten Willen mit: „Nach meinem Tod sollt ihr allesamt in aller Frühe zum Stadttor gehen. Der erste, der die Stadt betritt, soll König werden. Aber erzählt niemandem davon! Denn sonst werden sich tausende am Stadttor versammeln und es wird zu einem großen Tumult kommen. Verratet also niemandem etwas!“
Nach einiger Zeit starb der König und das Volk geriet in Sorge, wer den Thron besteigen würde. Nach der Beisetzung des Königs beschlossen die Minister am nächsten Morgen in aller früher zum Stadttor zu gehen. Schon vor dem allerersten Morgenlicht fanden sie sich alle dort ein. Als das Stadttor geöffnet wurde, stand ein Bettler davor. Die Minister verbeugten sich vor ihm und setzten ihm feierlich die Königskrone auf.
Der arme Bettler war ganz verstört und dachte, es müsse sich um einen Scherz handeln. Aber da hatten ihn die Minister schon zum Königspalast gebracht und ihn angewiesen, den Thron zu besteigen.
Der Bettler war also zum König gekrönt worden. Ein herrliches Leben hatte für ihn begonnen. Als Bettler hatte er oft gehungert, aber nun lebte er wie im Schlaraffenland. Er dankte Gott, dass Er seinem Vorgänger keinen Nachkommen geschenkt hatte, und führte ein sorgloses Leben. Aber eines störte ihn. Ihn störte, dass er nicht wusste, wie man ein Königreich verwaltet. Deshalb war er das Herrschen schnell leid und stellte es beiseite. Doch bald darauf erfuhr er von vielen Tumulten in verschiedenen Winkeln des Landes. Hilflos musste er mit ansehen, wie immer mehr Teile seines Königreiches ihm aus der Hand gerieten. So überkam ihn die Trübsal in seinem schönen Palast.
Da suchte ihn ein alter Freund aus der Zeit, in der er noch am Bettelstab ging, auf. Dieser rief, als er ihn sah: „Gott sei es gedankt dass du nach all den Jahren Rettung fandest und nun ein gutes Leben hast!“
Da schüttelte der König traurig den Kopf:
„Nein, lieber alter Freund. Da gibt es nichts zu gratulieren. Überall im Land sind Unruhen und ich sehne mich nach jener Zeit, als ich noch Bettler war. Damals brauchte ich mir nur um ein Stückchen Brot und ein bisschen Essen Sorgen zu machen, aber heute lastet die Sorge einer ganzen Welt auf mir. Heute ist mir klar geworden, dass Genügsamkeit das beste ist, was Gott dem Menschen schenkt, aber viele wie ich wissen sie nicht zu schätzen.“
Nach dieser Geschichte aus dem Golestan von Saadi folgt die Erklärung unseres heutigen Sprichwortes, welches sich hierzulande wie folgt anhört:
Zabane sorch sar-e sabz midehad bar bad –
Ein junger Mann war aus lauter Not zum Dieb geworden. Eines Nachts stieg er über die Mauer einer Seidenweberei um ein wenig Seide zu umwenden. Da sah er, dass der Weber noch am Werke war. Schnell wollte er wieder über die Mauer zurück auf die Gasse als er ihn einen seltsamen Satz aus dem Mund des Webers hörte, nämlich: „O du rote Zunge! Ich bitte dich, lass mich in Frieden und bring mich morgen nicht um meinen Kopf!“
Der Dieb fragte sich, was das zu bedeuten habe. Er sah heimlich dem Weber weiter zu, wie er Seide webte und ab und zu diesen Satz wiederholte: O du rote Zunge. Ich bitte dich, lass mich in Frieden und bring mich morgen nicht um meinen Kopf!
Der Dieb sah auch die schöne wunderbar gemusterte Seide. Für die würde er gutes Geld beim Hehler bekommen.
Doch eigentlich interessierte ihn dieser Stoff gar nicht mehr so richtig. Nein! Sein Interesse konzentrierte sich nun immer mehr darauf in Erfahrung zu bringen, weshalb der Weber seine Zunge anfleht, nichts Riskantes zu sagen!
Der Seidenweber hatte seinen Stoff zu Ende gewebt und legte sich endlich schlafen. Früh am Morgen stand er auf, legte den Seidenstoff in ein Bündel und verließ die Werkstatt.
Der Dieb, der vorher schnell auf die Gasse zurückgekehrt war, folgte dem Weber und versperrte ihm schließlich den Weg: „Wo willst du hin?“
Der Weber: „Ich gehe zum Hof des Hakim. Diese schöne Seide habe ich für ihn gewebt.“
Da sagte der Dieb: „Der Hakim wird dich sicher gut bezahlen!“
Der Seidenweber wieder: „Gott weiß es besser! Vielleicht werde ich leer ausgehen und im Gegenteil meinen Kopf verlieren!“
Gerne hätte der Dieb mehr gewusst aber er dachte, es ist besser ihn in den Palast zu begleiten. Mal sehen, was passiert!
Er bat den Weber, mitgehen zu dürfen: Er wolle gerne den Palast von innen sehen. Dem Weber war es recht.
Im Palast angekommen überreichte der Weber dem Stadtverwalter die wertvolle Seide. Der Gouverneur breitete das edle Tuch auf seinem Tisch auf. Alle waren beeindruckt von der Schönheit des Gewebes.
Der Gouverneur war hocherfreut über das kostbare Geschenk und wollte den Weber belohnen. Er lobte ihn: „Du bist wirklich ein Künstler. Sag mir nur, wofür dieses kostbare Tuch gut ist!“
Da sagte der Seidenweber nachdem er kurz geschwiegen hatte:
„Es ist schade, aus diesem Stoff Bekleidung anzufertigen. Es ist besser, dass Ihr es an einem sicheren Ort aufbewahrt. Ihr könnt in euer Testament schreiben, dass dieses Tuch nach eurem Tod über eurem Sarg ausgebreitet werden soll, damit alle euren Sarg bewundern.“
Der Gouverneur war zutiefst beleidigt und schrie wütend: “Was?! Schämst du dich nicht! Du redest in meiner Anwesenheit von meinem Tod!“ Dann rief er zornig: „Werft diese Seide ins Feuer und schneidet diesem Kerl die Zunge ab.“
Mit diesen Worten schmiss er einem Untertan die Seide vor die Füße und sogleich stürzten sich weitere Handlanger des Tyranns auf den Weber, um ihn davon zu schleppen. Da meldete sich der Dieb zu Wort: „Geehrter Hakim! Wer hier befiehlt, seid Ihr! Aber lasst mich erst ein Geheimnis über diesen Weber erzählen.“
Unwillig genehmigte der Herrscher dem Dieb zu sprechen.
Da sagte der Dieb: „O großer Hakim! Von altersher heißt es: Sei ehrlich damit du selig wirst. Ich bin ein Dieb und gestern habe ich mich in die Werkstatt dieses Mannes geschlichen.“
Und dann erzählte er von A bis Z wie der Weber bei Anfertigung des Seidenstoffes immer wieder seine Zunge angefleht hatte, acht zu geben und ihn nicht dem Tod auszuliefern. Schließlich sagte er: „Dieser Weber wollte euch nicht beleidigen. Aber seine Zunge hat nicht auf ihn gehört und so hat er seinen guten Kopf verloren.“
Da nahm der Gouverneur den Stoff und gab ihm dem Dieb, damit er nicht mehr stiehlt. Er sagte: „Das ist der Lohn für deine Anständigkeit.“ Dann verzieh er auch dem Weber, gab ihm Geld und folgenden guten Rat: „Es ist besser wenn du nichts mehr sagst. Geh in deine Werkstatt und wenn du einen Stoff gewebt hast, dann schicke diesen Freund damit zu mir. Ich weiß selber am besten was ich damit anfangen kann!
Nun liebe Hörerfreunde kennen sie ein weiteres Sprichwort aus dem Sprachgebrauch der Iraner . Man verwendet es auf jemanden, der nicht darauf achtet, was er redet und sich durch sein Reden in Schwierigkeiten bringt, und zwar sagt man:
Die rote Zunge gibt den grünen Kopf der Vernichtung (wörtlich: dem Wind) preis.