So wird gesagt- Teil 35
Wir begrüßen Sie liebe Hörerfreunde zu einer neuen Geschichte und zu einem iranischen Sprichwort. Als erstes hören Sie eine Erzählung aus dem Mathnawie von Molavi (Rumi) :
Es war einmal ein weiser Mann, den hatte Gott die Sprache der Tiere gelehrt. Eines Tages ging er wieder einmal durch den Wald und unterhielt sich mit den Tieren. Schließlich gelangte er auf eine große Lichtung. Dort sah er einen schönen Pfau auf einem großen Felsenbrocken hocken und seine Federn eine nach der anderen ausreißen.
Der Weise blieb verwundert stehen und schaute dem Pfau von weitem eine Weile zu: Wie konnte ein Pfau, dem Gott die schönsten Federn auf der Welt verliehen hat, so etwas tun?
Der Weise ging zu dem Pfau: „O du schöner Pfau! Von weitem habe ich gesehen, wie du alle deinen schönen Federn auszupfst. Warum tust du so etwas? Weißt du denn nicht, wie wunderschön diese Federn sind und wie sehr wir Menschen sie lieben? Die Gelehrten legen deine Federn als Lesezeichen in kostbare Bücher und die Reichen schmücken ihren Turban mit ihnen. Und du zupfst sie nun einfach alle aus? Weißt du denn nicht, dass dies ein Zeichen der Undankbarkeit gegenüber Gott ist? Willst du damit Mitleid erregen?“ Der Weise sagte noch vieles mehr, aber der Pfau schwieg nur, bis der Weise schließlich sagte: „Ach, mein lieber Pfau! Sag doch endlich etwas! Verteidige dich wenigstens! Vielleicht hast du einen triftigen Grund!“
Da hüpfte der Pfau auf einen anderen Stein und sagte dann: „Weiser Mann! Du hast selber gesagt, dass die Menschen unsere Federn lieben. Du sagst selber: Wir legen sie in unsere Bücher und stecken sie uns in den Turban. Du weißt dies alles. Wieso kommst du dann nicht selber darauf, weshalb ich meine Feder ausreiße? Glaubst du dass die Vogelfänger uns freundlich um unsere Federn bitten? Nein, lieber weiser Mann! Sie bringen uns um! Wegen dieser schönen federn bringen sie uns um!
Ja wegen dieser schönen Federn gerät unser Leben in Gefahr. Ohne diese Federn sind wir sicher und keiner wird mehr auf uns schießen. Sag! Bleibt mir denn eine andere Wahl, als meine Federn auszuziehen? Die Schönheit unserer Federn taugt dann etwas für uns Pfauen, wenn uns keine Gefahr droht.
Nun weißt du also weshalb ich diese Federn ausreiße.“
Da senkte der Weise den Kopf, denn er hatte dem nichts entgegen zu setzen. Ihm wurde klar, dass er voreilig ein einseitiges Urteil gefällt hatte.
Unser dieswöchiges Sprichwort hört sich in der Originalsprache nämlich Farsi - wie folgt an: Achersch nafahmidam rafiqe mani ya rafiqe Gorg.
An Hand der folgenden Episode werden sie erfahren, was dieses Sprichwort bedeutet und wir bringen zum Schluss auch die Übersetzung.
Zwei Freunde wollten auf die Jagd gehen, sie hatten aber nur ein Gewehr. Früh am morgen verließen sie das Haus und nahmen auch ein wenig Proviant mit. Sie zogen aus der Stadt und gingen immer weiter, bis sie an einen Berghang gelangten. Da erblickten sie einen Wolf. Der eine sagte : „Besser geht es nicht. Gleich werden wir einen Wolf erlegen!“ Der andere antwortete: „Was sollen wir mit einem Wolf anfangen? Sein Fleisch ist doch ungenießbar und sein Feld ist ohnehin nichts wert. Das wird uns keiner abkaufen. Wir sollten nach einer anderen Beute suchen.“
Da erwiderte ihm sein Kumpane: „Es stimmt, dass Fleisch und Fell des Wolfes nichts taugen, aber es ist doch eine große Ehre, einen wilden Wolf zu erlegen. Die anderen werden uns bewundern. Sie werden sich freuen, dass wir einen reißenden Wolf erledigt haben. Alle haben Angst vor einem Wolf und sind besorgt, dass ein Wolf sie angreifen könnten. Wenn wir einen Wolf töten, haben wir sogar ein gutes Werk getan!“
Der zweite meinte: „Aber wenn du danebenschießt und der Wolf nicht stirbt, dann können wir etwas erleben. Der Wolf wird über uns herfallen und nicht er sondern wir werden zur Beute werden.“
Der erste wieder: „Mensch! Ausgerechnet du sagst so etwas! Du weißt doch wie gut ich mit dem Gewehr umgehen kann. Ich durchlöchere eine kleine Münze, die du in die Luft wirfst, und kann erst recht einen Wolf richtig ins Visier nehmen!“
Da sagte sein Freund nichts mehr.
Der erste der beiden Jägersmänner hatte sein Gewehr von der Schulter genommen und sich hinter einem Felsen auf die Lauer gelegt. Er wollte warten, bis der Wolf näher kommt und in Schussweite ist.
Seinen Freund rief er zu sich und sagte: „Ich werde ihm in den Bauch schießen.“ Aber sein Freund warnte: „Tu das lieber nicht. Wenn du auf seinen Bauch zielst, wird er nicht sterben und wir werden Ärger haben.“ Dann ziele ich ihm auf den Rücken, so dass er sich nicht mehr setzen kann,“ sagte der andere wieder. Aber die Antwort lautete: „Mach das bloß nicht! Auch dann wird der Wolf nicht tot sein und sich auf uns stürzen.“
So feilschten die beiden Freunde weiter , auf welche Körperstelle des Wolfes zu zielen sei: Der Mann mit dem Gewehr sagte: „Ich schicke ihm ein Kugel in den Schädel, dass er auf der Stelle stirbt!““ Nein! Nein!“, wehrte sein Freund ab, wenn der Kopf des Wolfe zertrümmert ist, wird keiner mehr glauben, dass wir einen Wolf erlegt haben. Nichts da mit Ehre und Ruhm!“
Der Jäger ärgerte sich und schwieg , dann sagte er schließlich „Ich werde ihm eine Kugel in den Hals jagen. Damit er sowohl stirbt als auch klar ist, dass es ein Wolf war!“ Die beiden hatten so intensiv miteinander diskutiert , dass der Wolf aus der Sichtweite des Jägers verschwunden war. Da beklagte sich der Jäger: „Siehst du! Du hast so viel geredet, dass der Wolf verschwunden ist.“
Der andere meinte: „Ist doch besser so! Verzichte auf die Wolfsjagd. Lass uns gehen!“
Der andere aber rief aufgebracht: „Nein! Ich habe mich entschlossen den Wolf zu erledigen, und das werde ich tun!
Die Diskussion hielt weiter an. Plötzlich tauchte nach einer halben Stunde wieder der Wolf in der Ferne auf. Der erste legte an und richtete den Gewehrlauf auf das Tier. Da fragte sein Kumpane: „Hast du dich endlich entschieden, an welcher Stelle du den Wolf treffen willst?“ Der erste sagt: „Sind wir nicht zu dem Schluss gelangt, dass ich auf seinen Hals ziele?“ Das sagte er und hätte beinahe einen Kugel abgefeuert, als sein Freund den Gewehrlauf packte und aus der Zielrichtung brachte.
Da beschwerte der Jäger sich: „Was machst du denn. Gleich läuft der Wolf weg und wir müssen wieder eine Stunde warten, bis er zum Vorschein kommt! Wieso lässt du mich nicht schießen?“
Der zweite aber rief: „Weißt du warum? Weil du auch nicht auf seinen Hals schießen darfst! Wenn der Wolf nämlich nicht stirbt und nur benommen wird, wird er durchdrehen und über jeden der ihm in die Quere kommt, herfallen.“
Da war der Jäger es satt. Er legte das Gewehr auf die Erde und sagte zu seinem Freund: Acheresch Nafahidam to rafiqe mani ya raqife Gorg
„Eines ist mir wirklich nicht klar geworden, bist du mein Freund oder der Freund des Wolfes?“
Daraus wurde unser Sprichwort, dass man zu jemandem sagt, der unter allen möglichen Vorwänden versucht, von einem Feind eine Gefahr abzuwenden.