So wird gesagt- Teil 39
Liebe Hörerfreunde! Hören Sie bitte folgende Geschichte in Anlehnung an das Mathnawi von Molana:
Im alten Ghazwin gab es einen kräftigen jungen Ringer, der allen überlegen war.
Eines Tages sah er auf der Wand eines Badehauses die Abbildung eines alten Ringers auf dessen muskulösen Armen zahlreiche Tätowierungen von Drachen, Löwen und Panthern zu sehen waren. Da hegte er den Wunsch, sich auch so prächtige Bilder eintätowieren zu lassen, damit alle gleich erkennen, wie stark er ist. Er machte sich also auf die Suche nach einem Meister der Tätowierung und fand ihn in einem Badehaus.
Der Pahlevan – so wurden die starken Ringkämpfer genannt, bat den Badewärter, der für seine Tätowierungen bekannt war: „Komm und tätowiere mir Schultern und Rücken. Ich bin ein bekannter Ringer und habe bislang jeden Rivalen bezwungen!“
Der Badewärter musterte den jungen Burschen anerkennend, holte sein Tätowierbesteck hervor und sagte: „Auf deinem Rücken und deinen Schultern ist genügend Platz für ein schönes Löwenbild. Ich werde dir einen Löwen tätowieren, der allen einen Schrecken einjagt!“
Der Pahlevan kniete nieder, mit dem Rücken zum Badewärter und sagte: „Ich bin bereit!“
Der Badewärter holte seine Nadel hervor. Aber kaum hatte er sich ans Werk gemacht, schrie der Ringerheld schmerzerfüllt auf: „Was machst du denn?“ Dann fragte er: „Was ist das für ein Teil des Löwen, mit dem du da begonnen hast?“
Der Badewärter hielt ein, bemerkte den Schweiß auf der Stirn des Ringerhelden und antwortete: „Das ist der Schwanz des Löwen.“ Da gab ihm der junge Held die Anweisung. „Lass doch den Schwanz! Fang wo anders an! Der Badewärter wunderte sich „Was meinst du damit?“ „ Ist doch klar!“ antwortete ihm der Ringerheld, „ich brauche keinen Löwen mit Schwanz!“ „Na so was,“ sagte der Badewärter: „Jeder Löwe hat doch einen Schwanz!“
Aber der Pahlevan meinte ungeduldig: Was spielt der Schwanz für einen Rolle bei einem Löwen! Eine Löwe ohne Schwanz ist doch auch ein Löwe!“
„Gut“, willigte der Tätowierer ein: „Mir soll es gleich sein! Lassen wir den Schwanz und machen wir mit etwas anderem weiter!“
Kaum aber hatte er wieder die Arbeit aufgenommen, stieß der Pahlevan erneut einen Schmerzensschrei aus. Wieder hielt der Badewärter ein:
„Mein Pahlevan! Wenn ich dir einen Löwen eintätowieren soll, musst du Geduld haben Ich habe gerade erst mit dem Ohr des Löwens begonnen!“
Der junge Pahlevan stöhnte „Lass das Ohr sausen und mach woanders weiter!“ Der Badewärter fragte erstaunt: „Ein Löwe ohne Ohren? Wo gibt es denn so etwas!“
Der Pahlevan: „Warum nicht? Vielleicht ist er ohne Ohren auf die Welt gekommen oder andere Raubtiere haben sie ihm abgebissen.“
„In Ordnung“, sagte der Badewärter lachend. „Wie du willst!“
Doch kaum hatte er wieder die Nadel angesetzt, rief sein Kunde prompt schmerzerfüllt: „An welcher Stelle bist du nun bloß?“
Der Badewärter wurde langsam ungehalten und sagte: „Beim Bauch!“
Unser großer Ringer bat: „Ach, wozu braucht ein Löwe einen Bauch. Ist ein Löwe ohne Bauch etwa kein Löwe?! Es tut einfach zu weh. Mach woanders weiter!“
So einem schwächlichen Kerl war der Tätowierer noch nie begegnet. Er dachte: „Das soll ein Held sein! Der kann ja noch nicht einmal einen kleinen Nadelstich aushalten, sondern fängt gleich an zu brüllen.“
Da warf er wütend seine Nadeln zu Boden und schrie : „Es gibt doch keinen Löwen ohne Schwanz, ohne Kopf und ohne Bauch. Gott hat nie einen solchen Löwen erschaffen. Den Schmerz eines kleinen Nadelstiches kannst du nicht aushalten, wie willst du dann ein wahrer Pahlevan sein und gegen die Versuchungen deiner Seele ankommen?“
Dem Meister Badewärter war nun eines völlig klar geworden: Er hatte hier keinen Supermann sondern einen echten Wattehelden vor sich.
Heute erklären wir die Redensart: Ostechan laye Zachm gozaschteh.
Ein Metzger hatte sich bei der Arbeit mit seinem Hackmesser verletzt. Die Nachbarn eilten herbei und verbanden ihm seine blutende Hand. Dann brachten sie ihn zum Hakim der Stadt, der auch in der Heilkunde gut bewandert war.
Während der Hakim die Wunde behandelte, bemerkte er einen Knochensplitter, der in der Wunde steckte. Diesen hätte er eigentlich entfernen müssen. Aber das tat er nicht. Ohne das Knochenstückchen zu entfernen, legte er einen neuen Verband an und sagte noch zum Metzger: „Die Wunde ist ziemlich tief. Du solltest jeden zweiten Tag zu mir kommen, damit ich sie mir ansehe.“
Der Metzger ging also jeden zweiten Tag zum Hakim und ließ sich von ihm untersuchen. Als Lohn brachte er ihm ein gutes Stück Fleisch mit.
Doch die Wunde wollte einfach nicht abheilen.
Eines Tages aber war der Hakim in das Haus eines Kranken bestellt worden, der in einiger Entfernung von der Stadt wohnte . Er musste für einige Tage seinen Wohnort verlassen. Während seiner Abwesenheit vertrat ihn sein Sohn, der auch etwas von der Krankenbehandlung verstand.
Der Metzgermeister hatte wieder ein Stück Fleisch eingepackt und ging zum Sohn des Hakim, damit dieser ihn behandelt. Der löste den Verband. Er entdeckte den Knochensplitter in der Wunde und zog ihn heraus. Am übernächsten Tag bedankte der Metzger sich bei ihm. Er sagte anerkennend: „Deine Behandlung war besser als die von deinem Vater.“
Der Sohn legte einen neuen Verband an und versprach: „Deine Wunde wird bald abgeheilt sein. Ich glaube du brauchst nicht mehr zu kommen!“
Der Hakim war von seiner Reise zurück gekehrt. Nun saß er vor dem gedeckten Esstuch und freute sich schon auf eine kräftige Fleischsuppe. Doch seine Frau stellte ein fleischloses Gericht aus Auberginen und Kürbissen vor ihn. Vergeblich begann der Hakim nach den üblichen Fleischhappen zu suchen. Da fragte er seine Frau: „Warum ist kein Fleisch im Essen?“
Die Frau sagte: „Ihr wart nicht da und unser Sohn hatte auch keine Zeit beim Metzger Fleisch zu kaufen!“
Der Hakim wandte sich erstaunt an seinen Sohn: „Wieso kaufen? Ist der Metzger denn nicht für seinen Verband gekommen?“
Der Sohn des Hakims sagte: „Doch Vater! Der Metzger ist gekommen und ich habe ihm den Verband gewechselt. In seiner Wunde war ein kleiner Knochensplitter, den habe ich heraus geholt. Heute ist er nicht mehr erschienen. Ich glaube, seine Hand ist gut geworden!“
Da seufzte der Hakim: „Also deshalb gibt es heute kein Fleisch!“
„Ich verstehe nicht, Vater. Was meinst du damit? Hätte ich den Knochensplitter nicht herauszuziehen sollen?!“
Da gestand der Hakim: „Ich habe doch auch den Knochen gesehen, aber ich habe ihn drin gelassen, damit die Wunde nicht so schnell heilt, und der Metzger ständig kommen muss und uns Fleisch bringt. Doch damit ist es jetzt wohl aus und vorbei!“
In Anlehnung an diese Geschichte verwendet man auf jemanden der dauernd Hindernisse auf den Weg legt die Redensart Ostechan laye Zachm gozaschteh – er hat einen Knochen in die Wunde gelegt.