Islam richtig kennenlernen (117)
Wir haben bereits auf zwei wichtige Eigenschaften der Imame hingewiesen, nämlich zum einen ihre Ismat – ihre Makellosigkeit und zum anderen ihr Wissen. Wir möchten heute weitere Eigenschaften eines Imam betrachten.
Alle Menschen lieben und schätzen von Natur aus die Gerechtigkeit. Zu den wichtigen Dingen im menschlichen Leben, die auch vom Islam hervorgehoben werden, gehört die Beachtung der Rechte der Menschen und insgesamt die Herstellung von sozialer Gerechtigkeit. Die Gerechtigkeit ist ein viel besprochenes Thema in der Islamischen Kultur. Alle Geschöpfe, so auch der Mensch sind Gott wegen Seiner Gerechtigkeit zu Dank verpflichtet. Über alle Dinge und Geschöpfe der Welt herrscht die Gerechtigkeit Gottes. Himmel und Erde bestehen aufgrund der göttlichen Gerechtigkeit. Ebenso die Lehren des Korans wie die Glaubensgrundsätze, die Beziehungen in der Familie, die sozialen Vereinbarungen und die moralischen und charakterveredelnden Werte, die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen, die Gebote für das Gott-Dienen und vieles mehr, beruhen alle auf der Gerechtigkeit.

Der Islam hat zur Regelung der sozialen Beziehungen und ihre Ausgewogenheit und um diese Beziehungen in die geeigneten Bahnen zu lenken, Gebote aufgestellt, denen die Gerechtigkeit zugrunde liegt und er hat die Angelegenheiten der Gesellschaft würdigen, klugen und gerechten Menschen überantwortet. An der Spitze dieser Verantwortlichen steht der Imam. Das bedeutet, dass die Gerechtigkeit einer der wichtigen Eigenschaften des Imam sein muss. Wir beobachten, dass die Makellosen Imame in allen Bereichen des Lebens gerecht sind. Was diese Edlen sagen, ist gerecht und was sie tun ebenso. Die Voraussetzungen für die Bildung einer Regierung waren für die meisten Imame nicht geschaffen. Wir haben jedoch ein ewiges außerordentliches Beispiel vorliegen, nämlich die Zeit, in der Imam Ali (Friede sei mit ihm) für einige Jahre regiert hat und kluge und erstaunliche Wege zur Bekämpfung von Armut und Ungleichheit und für die Herstellung der Gerechtigkeit vorstellte.

Die Gerechtigkeit (Adl) bedeutet im Sinne der Herstellung eines Gleichgewichtes, dass jedes Ding auf seinen Platz gelangt, sein Recht erhält und ein Gleichgewicht für alle Dinge zustande kommt. Imam Ali (F) sagt: „Adl bringt jedes Ding an seinen Platz.“
Die soziale Gerechtigkeit bedeutet, dass alle natürlichen Rechtsansprüche der Menschen berücksichtigt werden und jeder entsprechend seiner Anstrengung, Begabung und Eignung Vorteile gewinnen kann. Eine im wahrsten Sinne des Wortes gerechte Regierung lässt keine Unterdrücker in der Führungsspitze der Gesellschaft zu und betrachtet überhaupt die ungerechte Herrschaft als illegitim. Die Gerechtigkeitssuche und die Bemühung um Verwirklichung der Gerechtigkeit in der Gesellschaft ist sowohl eine wichtige soziale als auch eine religiöse Pflicht. Daher sagt Imam Ali (F): „Wenn Gott nicht den Gelehrten das Versprechen abgenommen hätte, dass sie nicht gegenüber der Völlerei der Unterdrücker und dem Hunger der Unterdrückten schweigen werden, hätte ich dem Kamel des Kalifats die Zügel um den Höcker geworfen und es laufen lassen.“
Für einen wohlgesinnten und rechtschaffenen Politiker ist die Verbreitung der Gerechtigkeit in der Gesellschaft zweifelsohne ein grundlegendes Ideal. Daher hat Imam Ali (F) zu einem seiner Gouverneure gesagt: „Verhalte dich gerecht und hüte dich zu unterdrücken und ungerecht zu sein, denn Unterdrückung zwingt den Lehnsmann zum Vagabundieren und Ungerechtigkeit holt die Säbel hervor.“
Ali (F) war als ein Imam und das Ideal eines Menschen, begeisterter Anhänger der Gerechtigkeit und er mied strikt jegliche Unterdrückung und Ungerechtigkeit. Dieser Imam hat gesagt: „Bei Gott! Ich würde niemals zu Unrecht einer Ameise auch nur das Häutchen eines Gerstenkorns wegnehmen, selbst wenn man mich dafür mit sieben Reichen belohnen würde.“

Die Forderung nach Gerechtigkeit ist einer der der wichtigsten beständigen Grundsätze der Imame, der immer wieder in ihren Worten und Taten zum Vorschein tritt. Imam Ali (F) hat erst, nachdem die Menschen ihn mit Nachdruck dazu gedrängt hatten, die Macht übernommen und dies, weil er die Gerechtigkeit wieder zum Leben erwecken und sie in der Gesellschaft verankern wollte. Er selber war das Sinnbild von Recht und Gerechtigkeit und hat niemals ungerecht gehandelt. Seine Gerechtigkeit ging auf seine einmalige Gottesfürchtigkeit zurück. Er hat seine Beamten und Gouverneure immer dazu aufgerufen, unter den Menschen Gerechtigkeit herzustellen.
Die Gerechtigkeit reichte in seinen Augen so weit, dass sie keine geografischen und menschlichen Grenzen kennt. Keiner durfte ein Recht unterdrücken, unabhängig davon zu welchem Volk oder welcher Rasse oder Religion er gehörte. Als Imam Ali (F) erfuhr, dass die feindlichen Heere in seinem Reich einer jüdischen Frau mit Gewalt einen Fußreifen weggenommen hatten, geriet er in große Aufregung und sagte: „Einem Muslim kann man keine Vorwürfe machen, wenn er aus Kummer über diesen Vorfall stirbt.“
Aus der Sicht des Imams ist Gerechtigkeit wie eine starke Säule, die in der Gesellschaft ein Gleichgewicht herstellt und sie vor dem Zerfall schützt. Gerechtigkeit schenkt der Gesellschaft geistig-seelische Gesundheit und Sicherheit. Bei Ungerechtigkeit kann das Leid der Unterdrückten nicht beseitigt und können diese nicht beschwichtigt werden. Gerechtigkeit ist wie eine bequeme breite Straße für alle aber Unrecht und Unterdrückung führen in die Sackgasse und durch sie erreichen auch die Unterdrücker selber nicht ihr Ziel.
Der Imam ist überhaupt ein großes makelloses Vorbild und vereint alle hohen moralischen Eigenschaften und Vollkommenheit in sich.
Eine weitere klare Eigenschaft des Imams sind sein Mut und seine Entschlossenheit. Es liegt auf der Hand, dass einige Feindschaft zu hegen beginnen, wenn die Gesellschaft aufgrund von Wahrheit und Gerechtigkeit geführt wird , da ihre Interessen nur durch ungerechte Verhältnisse und durch Benachteiligung von anderen gedeckt werden können. Mit diesen ungerechten, üblen Feinden zu konfrontieren, erfordert sowohl Tapferkeit als auch entschlossenes Handeln. Besäße der Imam und Vorsteher der Gesellschaft keine Beherztheit, könnte er nicht die Gebote Gottes schützen und durchführen und die Rechte des Volkes, insbesondere der schwächeren Bevölkerungsteile, verteidigen.
Muhaqqiq Tussi ( Nasir ad din at Tussi – ) großer Denker und Rechtsgelehrte des 13. Jahrhundert nach Christus sagt hierüber: Zu den besonderen Eigenschaften des Imams gehört der Mut. Er braucht ihn um die Übel zu beseitigen und diejenigen, die nach dem Unrecht streben, zu bekämpfen. Denn wenn er nicht mutig ist, kann er nicht den Aufgaben des Imamats gerecht werden.“
Imam Ali (F), der das hohe Sinnbild für Mut und Tapferkeit ist, sagt: „Bisher konnte mir keine Gefecht Angst bereiten und eine Wirkung auf meine Seele haben.“
Keiner der Imame fürchtete sich vor der Konfrontation mit Problemen und Hindernissen und sie alle haben zur Wiederbelebung und dem Schutz der islamischen Lehre nichts unterlassen und waren bereit ihr Leben dafür zu opfern. Alle sind in der Tat bis auf den letzten Imam, der widerkehren wird, auf diesem Weg Märtyrer geworden.
Der Imam der muslimischen Gesellschaft muss Anstand und Tugend und eine makellose Vergangenheit aufweisen. Auch die Nachsicht und Milde zu den Menschen ist eine Eigenschaft des Imams, denn manchmal ist es notwendig, über einige Fehler der Menschen hinwegzusehen, wenn ihr Glauben oder irdisches Wohl auf dem Spiel steht. Der Imam muss wie der Prophet Josef vergebensvoll sein. Prophet Josef hat auch seinen Brüdern, die ihn einst in der Wüste zurückgelassen hatten, verziehen, nachdem sie ihr Tun bereut hat. Der Imam übt Nachsicht, damit die Sünder nicht resignieren und ihr Hoffnung, bei Umkehr Rettung zu erfahren, nicht erlöscht.
Nicht nur Nachsicht sondern auch Verständnis und Weitherzigkeit muss ein Imam, der die muslimische Gemeinde anführt, besitzen. Führungskräfte, die keine Geduld zeigen, sind meistens erfolglos. Denn ein wichtiger Faktor im Führungswesen sind Selbstbeherrschung, Verständnis und Großmütigkeit. Ali (F) sagt: „Das Instrument der Führung ist ein weites Herz!“
Deswegen zeigen die Imame gegenüber Schwierigkeiten Weitherzigkeit und Großmut und es überkommt sie keine Hoffnungslosigkeit, Stress und Verwirrung.

Der Imam führt ein schlichtes Leben. Wenn der Mensch nicht genügsam ist, übermannen ihn die egoistischen Verlangen und nicht selten lässt ihn die Begierde nach Besitz vom Weg des Rechtes abweichen. Aber der Imam, der ein Vorbild ist, legt keinen Wert auf weltlichen Besitz und lässt sich nicht von dem äußeren Schein des Lebens ablenken. Imam Ali (F( hat gesagt: „Gott hat es zur Pflicht gemacht, dass die rechtmäßigen und gerechten Imame ihr Leben einfach gestalten, damit es wie das der Entbehrenden in der Gesellschaft ist , sodass sie auf diese Weise für die Armen Trost und Hoffnung sind.“
Die Imame betrachten sich also in Bezug auf die sozialen Rechte gleichrangig mit den anderen und beanspruchen keinerlei Privileg für sich. Der Imam setzt sich für die Lösung der Probleme des Volkes ein und er beaufsichtigt das Verhalten seiner Befehlshaber, damit sie nicht das Recht der Bürger vernachlässigen oder etwas von dem Volkseigentum für sich selber abzweigen.
Wir schließen mit Worten von Imam Ali (F): Er sagt:
„Wer Vorsteher der Muslime ist, sollte nicht geizig sein. Denn jemand, der so ist, hat es auf den Besitz der Menschen abgesehen. Der Imam der Muslime darf nicht unwissend sein, denn er wird mit seiner Unwissenheit die Menschen in die Irre führen. Er sollte nicht unterdrückerisch und gewaltsam sein, denn dadurch wird er die Menschen entmutigen und bekümmern. Der Imam der Muslime sollte sich nicht vor anderen (vor fremden Mächten) fürchten, denn dann wird er (bei seinen politischen Vereinbarungen ohne Rücksicht auf das Wohl der Muslime) einige anderen vorziehen …
Und es darf auch nicht sein, dass der Imam der Muslime die Vorgehensweise des Propheten missachtet, denn dies wird zur Vernichtung der Umma – des muslimischen Volkes – führen.“