Islam richtig kennenlernen (130 - Verzicht auf das Kalifat)
Wie Sie wissen hat der Prophet öfters gesagt, dass Ali am besten als sein Nachfolger und als Führer der Muslime nach ihm geeignet ist. Doch leider wurden diese Empfehlungen des Propheten außer Acht gelassen und es gelangten andere Personen an die Regierung.
Der Verlust des Propheten Gottes (Gottes Segen sei auf ihm und Friede seinem Hause) hatte die Herzen erschüttert und die Hoffnungen verblassen lassen. Deshalb hätte ein Streit um die Nachfolge des Propheten die Zukunft der Islamischen Welt verdunkeln können. Außerdem hätte, wenn dieser Streit eskaliert wäre, der Feind des Islams sowohl in den islamischen Gebieten als auch außerhalb von ihnen, sich ermutigt gefühlt, dem Islam einen Schlag zu versetzen. In dieser heiklen Situation hat Imam Ali darauf verzichtet, um das Kalifat zu kämpfen, und den Weg der Selbstbeherrschung gewählt, damit der Islam erhalten bleibt und die Islamische Umma nicht auseinander bricht. Er hielt sich also von der Regierung fern, bis nach vielen Jahren, die Bevölkerung selber sich vor seinem Hause drängte und ihn anflehte, dass er das Kalifat übernehmen soll.

Imam Ali hat in dieser 25-jährigen Epoche große Härten ertragen und große Selbstbeherrschung und Geduld gezeigt. Er hat sich in dieser Zeit mit jemanden verglichen, der geduldig bleibt, obwohl ihm ein Knochen im Hals und ein Dorn im Auge stecken.
In diesen 25 Jahren hat Ali (Friede sei mit ihm) der Gesellschaft und der Allgemeinheit große Dienste erwiesen. Er hat unterirdische Wasserkanäle (Qanat) und Dattelhaine angelegt und sie den Bedürftigen und Waisen gestiftet. Durch landwirtschaftliche Tätigkeit hat er sich sein Brot verdient. Des Nachts zog er sich bekümmert in die Dattelhaine zurück und verbrachte dort Stunden im Gebet und am Tag arbeitete er.
Darüber hinaus hat Ali (F) konstruktiv und effektiv zur Rechtleitung der Gesellschaft und zu ihrem Fortschritt auf geistiger und auf Wissensebene beigetragen, und zwar in einem Maße, dass sich sagen lässt, dass die Ursprünge vieler Wissenschaften der Muslime wie die Koranauslegung, die Rechtsprechung, das auf rationale Argumente gestützte Theologische Streitgespräch (Kalam) und die arabische Grammatik bei ihm zu suchen sind.
Einer der wichtigsten Schritte Imam Alis (F) zu jener Zeit war die Zusammenstellung des Korans. Der Koran existierte vorher nur auf einzelnen losen Blättern oder Tierhäuten. Der Hadhrat nahm sich vor, nicht das Haus zu verlassen, ohne den Koran zusammengestellt zu haben. Außerdem hat er in dieser Zeit dank seiner Kenntnis über das grenzenlose Meer der Wahrheiten, die im Koran stehen, auf privaten Versammlungen die Verse des Gottesbuches erklärt und auf diese Weise die Wissensgrundlagen seiner Helfer gestärkt.
Es verdient Beachtung, dass die Kalifen bei Problemen hinsichtlich des Glaubens und sogar in politischen und militärischen Angelegenheiten Imam Ali um Rat baten. Es handelt sich um eine historische Wahrheit, die durch viele sichere Dokumente belegt wird und von niemandem, der gerecht ist, außer Acht gelassen werden kann, und es zeugt für sich alleine bereits davon, dass Imam Ali nach dem Propheten derjenige in der Islamischen Gemeinschaft war, welcher das größte Wissen über das Buch Gottes und die Vorgehensweise (Sunna) des Propheten und die Grundsätze und sekundären Prinzipien der Religion und über das Wohl des Islams auf politischer Ebene Bescheid besaß.

Imam Ali (F) hat sich nicht von persönlichen Wünschen leiten lassen. Er dachte an höhere Belange wie das Wohl des Islams und der Muslime, die Verteidigung der Islamischen Welt, die Herstellung von Gerechtigkeit, den Kampf gegen Abweichung und Verdorbenheit und die Unterstützung der Rechte des Volkes insbesondere derer, die Unrecht erfahren haben. Seine Zusammenarbeit mit den Kalifen in manchen Fällen ist aus dieser Sicht zu erklären.
Als die drei ersten Kalifen herrschten, hat Ali (F) niemals sich an Kriegen im Inland und Eroberungen im Ausland mitbeteiligt. Wenn es jedoch im Interesse der Religion war und um das Schicksal und Wohl der Muslime ging, war er zur Konsultation bereit und hat den Kalifen klug und mit Scharfsinn und wohlüberlegt guten Rat gegeben. Die Kalifen haben dabei die entscheidende Position Alis eingestanden und seine Stellungnahmen in Fragen der Regierungen als gute Lösungen erkannt.
Die Geschichte dokumentiert, dass der erste Kalif die richtungsweisenden Ansichten Imam Alis (F) in verschiedenen Fragen darunter religiösen, politischen und militärischen Angelegenheiten nutzte. Manchmal wurden dem Kalifen und seinen Leuten Fragen gestellt, die sie nicht so einfach beantworten konnten. Also wandte er sich an Imam Ali. Scheich Mofid berichtet:
Einmal traf eine Gruppe von jüdischen Gelehrten in Medina ein und sagte zu Abu Bakr: „Wir haben in der Thora gelesen, dass die Nachfolger der Propheten die Gelehrtesten aus ihrem Volke sein werden. Da ihr nun der Statthalter des Propheten seid, sagt uns, wo Gott ist. Ist er in den Himmeln oder auf der Erde?"
Abu Bakr gab eine Antwort, aber die jüdischen Gelehrten fanden diese nicht zufriedenstellend. Alis Antwort auf diese Frage aber lautete: "Gott hat alle Plätze und Orte erschaffen und er ist viel zu hoch als dass ihn die Orte umfassen könnten. Er ist überall, aber niemals grenzt er an etwas, und nichts berührt ihn. Er umfasst alles und nichts liegt außerhalb seines Reiches und seiner Planung.“ Ali (F) hat durch diese Umschreibung erklärt, dass Gott frei ist von jeder Eingrenzung, die ein Ort aufweist. Die jüdischen Gelehrten waren mit dieser Antwort zufrieden.
Bei der Beratung des Kalifen mit Ali (F) hinsichtlich des Krieges gegen das Römische Reich haben wir ein weiteres Beispiel vorliegen. Der Prophet (S) hatte kurz vor seinem Verscheiden, ein Heer aufgestellt, damit dies in Richtung Schaam - dem damaligen Großsyrien - zieht. Dieses Heer war fast im Begriff sich in Bewegung zu setzen, als der Prophet (S) verstarb. Die Gefahr der Römer bestand jedoch weiter. Dennoch überkamen Abu Bakr nach der Machtübernahme Zweifel, ob die Muslime ins Gefecht gegen die Römer ziehen sollen oder nicht. Also ging er zu Imam Ali (F) um ihn nach seiner Meinung zu fragen. Hadhrat-i Ali ermutigte ihn und versprach ihm den sicheren Sieg.
Die Worte Imam Alis (F) stimmten Abu Bakr hoffnungsvoll. In Zuversicht darüber, dass die Muslime siegen werden, bereitete er die Soldaten auf das Gefecht vor. Dann verkündete er vor dem Volke: „Ihr Leute! Ali hat das Wissen des Propheten geerbt. Wer an der Wahrheit seiner Worte zweifelt ist ein Heuchler. Er hat mich zum Dschihad gegen die Römer ermutigt und den Sieg versprochen." Tatsächlich endete dieser Kampf dann auch mit dem Sieg der Muslime - genauso wie es Ali vorausgesehen hatte.
Imam Ali (F) hat auch zur Zeit des Kalifen Umar auf das Wohl der Muslime geachtet und die Situation beobachtet. Umar Ibn Chattab holte sich hinsichtlich der Planung von Regierungsangelegenheiten und Eroberungen bei Ali (F) guten Rat ein. Ali (F) hat seinerseits bei günstigen Gelegenheiten auf Irrtümer und Fehler hingewiesen und immer, wenn die Regierung in eine Sackgasse geraten war, den Weg zur Überwindung der Probleme aufgezeigt. Gemäß sunnitischer und schiitischer Quelle hat Umar Ibn Chattab wiederholt gesagt: "Wenn Ali nicht gewesen wäre, wäre Umar vernichtet worden."

Zurzeit von Umar nahmen die Eroberungen in den von den Römern besetzten Gebieten und in Persien erheblich zu. Da die Zukunft der Islamischen Gemeinde von diesen Siegen abhing, konnte Ali (F), der sich viele Jahre lang für die Erstarkung des Islams eingesetzt hatte, nicht gleichgültig bleiben. Er hat deshalb immer wenn Umar ihn nach seiner Meinung fragte, aufrichtig und wohlgesinnt, seine Ansichten und Lösungen unterbreitet.
Zum Beispiel befragte Umar den Imam hinsichtlich der Schlacht gegen das Ost-Römische Reich in Jarmuk, die Eroberung von Bait-ul Moqaddas (Jerusalem) und den Krieg gegen die Perserkönige. Als Imam Ali von Umar über die Konfrontation mit Persien befragt wurde, hat er ihm empfohlen, nicht selber in diesen Krieg zu ziehen. Er sagte zu Umar: „Die Rolle des Regenten ähnelt der Rolle der Schnur in einer Perlen- oder Gebetskette. Diese Schnur vereint alle Perlen miteinander und hält sie zusammen. Aber wenn die Schnur entzweit, werden alle Perlen voneinander getrennt und verstreut... schicke die Soldaten also an die Front, aber begleite sie nicht. Wenn die Krieger des Persischen Reiches dich sehen werden sie sagen: `Falls wir ihn töten, haben wir unsere Ruhe`, und dieser Gedanken wird sie noch mehr in der Schlacht motivieren und begierig machen, dich zu töten.“
Außerdem hat Imam Ali über die Planung für diese Schlacht fruchtbare Weisungen gegeben, die zum Sieg des muslimischen Heeres führten. Im Gefolge dieses Krieges schlossen die Iraner, welche die Tyrannei ihrer Könige satt waren, mit den befreienden Lehren des Islams Bekanntschaft und wurden Muslime.
Umar hat sich ebenso mit Regierungsfragen an Imam Ali gewandt und auch hinsichtlich der Rechtsprechung und Gebote Gottes bei ihm Rat eingeholt, insbesondere in komplizierten Fällen. Imam Ali hat mit seinen weisen Urteilssprüchen offensichtlich gemacht, was Recht und Gerechtigkeit sind. Umar hat ihn deswegen gelobt und gesagt: "Ich möchte nicht in einer Schar sein, in der du, o Abu-l Hassan (Ali) nicht bist.“