Lotsen zum göttlichen Hafen (24)
Der Prophet war nach seiner letzten Hadschreise und dem wichtigen Ereignis in Ghadir Chum krank geworden. Die Heimkehr zum Schöpfer nahte heran.
Der Prophet lag krank auf dem Bett und alle die bei ihm saßen, waren um seinen Zustand besorgt. Da öffnete der Gesandte (S) die Augen und sagte: „Ruft meinen Bruder, damit er an meine Seite kommt.“ Alle wussten, dass der Prophet niemanden anderen meinte als Ali (F). Ali kam eilends herbei. Er hatte das Gefühl, der Prophet wollte sich von seinem Lager erheben. Da half ihm Ali (F) hoch und stützte ihn mit seinem Oberkörper. Es verging eine kurze Weile und die Spuren des Todes zeichneten sich auf dem edlen Gesicht des Propheten ab(S). Der Prophet des Islams starb in den Armen Alis und kehrte zu seinem Schöpfer zurück. In einer seiner späteren Ansprachen hat Ali (F) an diesen Augenblick erinnert und gesagt: „Der Gesandte Gottes (S) starb, während sein Haupt an meine Brust anlehnte. Auf meinen Armen löste sich die Seele aus seinem Leib und ich habe – in der Hoffnung auf Segen, mit den Händen über mein Gesicht gestrichen und dann habe ich den Qusl für seinen Leichnam vorgenommen – die rituelle Ganzwaschung.“
Nach dem Verscheiden des Propheten Gottes (S) sah sich das muslimische Volk als erstes einer Dementierung seines Todes gegenüber. Umar Ibn Chattab drohte vor dem Haus des Propheten (S) denjenigen, die sagten, dass er gestorben ist, mit dem Tod. Der Onkel des Propheten Abbas und andere Gefährten des Propheten hielten ihm Verse aus dem Koran vor Augen, in denen darüber steht, dass auch der Prophet einmal stirbt, aber er hörte nicht auf zu drohen, bis schließlich sein Freund Abu Bakr, der außerhalb von Medina gewesen war, eintraf. Abu Bakr beschwichtigte Umar, indem er für ihn den Vers 30 der Sure 39 (Zumar) rezitierte, nämlich: (O Prophet) Du wirst gewiss sterben, und auch sie werden sterben.
" اِنّکَ مَیتٌ وَ اِنَّهُم مَیتون
Umar fragte: „Steht dieser Vers im Buch Gottes?“ und Abu Bakr antwortete: Ja!“
Und dann ereignete sich – als Ali (F) den Qusl des gesegneten Leibes des Propheten Gottes - vollbrachte – die nächste eigenartige Geschichte, welche als Saqifa-ye der Banu Sa`da bekannt wurde. Letzteres war der Versammlungsort des Stammes der Banu Sa`da, wo diese wichtige Angelegenheiten ihres Stammes zu besprechen pflegten. An diesem Ort trafen einige der Ansar – der Muslime aus Medina die einst den Muhadscherin aus Mekka geholfen hatten – zusammen, um - ungeachtet dessen was der Prophet in Ghadir über seine Nachfolgerschaft gesagt hatte , einen Statthalter und Nachfolger für ihn zu wählen. Als Abu Ubaida davon hörte machte er sich rasch mit Abu Bakr und Umar auf den Weg nach Saqifa.

Die Ansar (die Helfer), stritten darum, wer von ihnen der Nachfolger sein soll, genauer gesagt die Banu Chazradsch und Banu Aus. Die drei einzigen Auswanderer Abu Bakr, Umar, und Ubaida nutzten diesen Streit aus. Sie verwiesen darauf, dass der Prophet zum mächtigen Stamm der Quraisch gehört und die Araber nicht akzeptieren, dass ein anderer Stamm als die Quraisch über sie regiert. Abu Bakr sagte: Das Kalifat und das Regiment gebührt nur den Quraisch. Denn sie sind wegen ihrer Abstammung bekannt und besitzen besondere Vorzüge gegenüber den anderen arabischen Volksstämmen. Zu eurem Wohle schlage ich einen dieser beiden vor, damit ihr ihn für das Kalifat wählt und ihm den Treueid leistet.“ Er nahm die Hand von (Umar und Ubaida) und hielt sie hoch. Aber der Sprecher der Ansar sagte: „Es sollte einen Befehlshaber unsererseits und einer eurerseits geben.“ Umar aber antwortete: „Zwei Säbel passen nicht in eine Säbelscheide“, und reichte Abu Bakr die Hand zum Treueschwur. Die Banu Aus waren froh, dass der Kalif nicht aus den Reihen der Banu Chasradsch sein sollte, und die Banu Chasradsch wollten nicht, dass es einer von den Banu Aus ist. So kam es, dass dies beiden Stämme unter den Helfern einwilligten, dass Abu Bakr von den Auswanderern der Nachfolger des Propheten sein soll, und sie schworen ihm die Treue.
Während all dies passierte, war Ali Ibn Abu Talib zusammen mit einigen anderen Prophetengefährten und den Angehörigen der Familie der Bani Haschim damit beschäftigt die Beerdigung des Propheten vorzubereiten. Prophetenonkel Abbas sagte zu Ali (F): „Reich mir deine Hand damit ich dir den Treueid schwöre und dir als Kalif der Muslime die Hand drücke.“ Aber Ali (F) sagte, er müsse das Qusl durchführen, den Propheten in das Leichentuch wickeln und beisetzen.
Bald darauf hörte Ali (F) Allah-Akbar-Rufe und er fragte Abbas was los sei. Der sagte: „Habe ich nicht gesagt, dass die anderen dir voraus eilen, um sich den Treueeid einzuholen?“ Da kam auch Abu Sufiyan herbei. Er hatte von der Geschichte mit Saqifa erfahren. Abu Sufiyan sagte zu Ali (F): „Gib mir deine Hand, damit ich dir die Treue schwöre und dir als Kalif der Muslime die Hand drücke. Denn wenn ich mit dir den Treueid schließe wird kein anderer der Nachkommen des Abd Manaf (der Bani Haschim) sich gegen dich stellen und wenn diese dir die Treue schwören, wird keiner von den Quraisch sich weigern, es ihnen gleich zu tun und letztendlich werden dich alle Araber als Befehlshaber anerkennen.“ Aber Ali (F) wusste sehr wohl was Abu Sufiyan für ein Mensch ist. Er nahm dessen Vorschlag nicht an und sagte: „Du strebst nach etwas, wonach wir nicht streben!“
Ali (F) wusste das Abu Sufiyan in Wahrheit den Islam ablehnte und nur Zwietracht zwischen den Muslimen stiften wollte. Wäre Ali (F) damals auf den Vorschlag von Abu Sufiyan, hinter geschlossenen Türen seinen Treueid anzunehmen, einzugehen, dann hätte man in der Geschichte über diesen Treueschwur genauso geurteilt wie über den Treueschwur mit Abu Bakr. Für die Führung durch Ali (F) gab es nur zwei Alternativen: Entweder war er der Imam und Führer, den Gott und der Prophet (S) gewählt hatte, oder nicht. Hatte Gott ihn gewählt, dann setzte sein Kalifat keinen Treueeid voraus und er musste nicht erst von anderen zum Kalifen gewählt werden. Ein solcher Treueeid wäre sogar eine Art Geringschätzung des Befehls Gottes gewesen.- Ali, der viele Jahre lang sein Leben auf dem Kampfplatz riskiert und so viele Opfer für den Islam und die Gebote im Koran erbracht hatte, hätte sich nie eine solche Achtlosigkeit gegenüber dem Befehl Gottes erlaubt. Hätte sich Ali tatsächlich für die zweite Alternative entschieden und den Treueid von Personen wie Abbas oder Abu Sufiyan angenommen, dann hätte das islamische Kalifat den gleichen ungeeigneten Anstrich erhalten wie es nach Machtübernahme von Abu Bakr erhielt. Umar, einer der engsten Helfer des Abu Bakr und der zweite Kalif nach ihm, hat einige Zeit später, in Erinnerung an die Art, wie Abu Bakr gewählt wurde, gesagt:
" کانَت بیعتُ أبیبَکر فَلتَت وَ فِی الله شَرَّها:
„Die Wahl von Abu Bakr für die Regentschaft war ein überstürztes Handeln, dessen Übel Gott verhinderte.“

Nach dem Streit um das Kalifat in Saqifa übernahm schließlich Abu Bakr die Regierung über die Muslime. Ali (F) und eine Schar von treuen Helfern zogen sich aus der politischen Szene zurück. Nachdem ihnen klar wurde, wie die Allgemeinheit dachte, haben sie, um die Einheit unter den Muslimen zu wahren, nicht die Regierung von Abu Bakr bekämpft sondern wurden kulturell aktiv. Imam Ali erklärte den Gläubigen den Koran, klärte schwierige Streitfälle gemäß dem Religionsrecht und beseitigte Zweifel, die Gelehrte anderer Religionen zur Sprache brachten. Er verteidigte die heilige Sphäre des Islams und der Gebote des Korans und setzte auf diese Weise seinen Dienst an der muslimischen Gemeinde fort.
Imam Ali besaß für die Muslime besondere Vorzüge. Sowohl durch seine Verwandtschaft zum Propheten (S) als auch wegen der vielen Äußerungen über seine Tugenden seitens des Gesandten Gottes (S) zu verschiedenen Zeitpunkten, aber auch wegen dem einmaligen Wissen Alis u.a. über den Koran und die Überlieferungen und die anderen Himmelsbücher.
Imam Ali hatte aber auch noch einen anderen Vorteil in der Hand, welcher für das bestehende Kalifensystem hätte Probleme erzeugen können, und zwar stand ihm durch Fadak eine gute Einkommensquelle zur Verfügung. Das an die Macht gelangte Kalifensystem befand es im eigenen Interesse, Imam Ali (F) diesen Vorteil zu entziehen.

Fadak war ein fruchtbarer Landstrich in circa 140 km Entfernung von Medina. Er gehörte ehemals den Juden. Die Juden in der Region verpflichteten sich nach dem Gefecht von Chaibar die Hälfte ihrer landwirtschaftlichen Erträge jährlich dem Propheten des Islams (S) zur Verfügung zu stellen, damit sie, unter Unterlassung jeglichen Aufstandes gegen die Muslime, wie diese unter dem Schutze der Islamischen Regierung leben können. Daraufhin wurde dem Propheten der Vers 26 der Sure 17 (Isra) geoffenbart in dem es unter anderem heißt: „Gib den Angehörigen und Bedürftigen ihr Recht!" Da rief der Prophet (S) seine Tochter Hadhrat-e Fatima (S) und schenkte ihr Fadak. Aber als Abu Bakr an die Macht kam, nahm er der Tochter des Propheten (S), mit der Ali (F) verheiratet war, Fadak weg.
Der sunnitische Historiker und Rechtgelehrte Ibn Abi al Hadid schreibt über Fadak und die Enteignung: „Ich habe zu einem Gelehrten der imamitischen Rechtsschule über Fadak gesagt: `Das Dorf Fadak war nicht so groß und dieses kleine Stück Land , in dem nur ein paar Palmen standen war nicht so wichtig, dass die Gegner von Hadhrat-e Fatima (S) danach begehrten.`
Er aber antwortete mir: `Da irrst du dich. Die Dattelpalmen waren zahlenmäßig nicht weniger als die heutigen Dattelpalmen in Kufa. Es ist sicher, dass man der Familie des Propheten (S) dieses fruchtbare Stück Land wegegenommen hat, damit Ali (F) den Ertrag nicht für den Kampf gegen das Kalifatsystem einsetzen kann. Denn sie hatten nicht nur Fatima (F) den Fadak weggenommen, sondern allen Bani Haschim und Nachkommen des Abdul Matualib das legale Recht (ein Fünftel von der Kampfesbeute) vorenthalten. Jemand, der sich ständig anstrengen muss, um überhaupt zu überleben und bedürftig bleibt, kommt nie auf den Gedanken gegen die bestehende Lage zu kämpfen.`“